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Zwillinge.doc
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Neuntes Kapitel

Der Chefredakteur der illustrierten Zeitschrift, Herr Ber­nau, stцhnt laut. „Schwere Zeit, meine Liebe! Wo sollen wir ein aktuelles Titelbild hernehmen?"

Frau Kцrner, die an seinem Schreibtisch steht, sagt: „Man hat uns Fotos von der neuen Meisterin im Brustschwim­men geschickt."

„Ist sie hьbsch?"

Die junge Frau lдchelt. „Fьrs Schwimmen reicht es!152" Herr Bernau kramt auf dem Tisch. „Ich habe neulich von einem Dorffotografen mehrere Fotos gekriegt. Zwillinge wa­ren darauf!" Er wьhlt zwischen Mappen und Zeitungen.

„Zwei reizende kleine Mдdchen! Zum Schieten дhnlich!153 He, wo seid ihr denn, ihr kleinen Mдdchen? So etwas gefдllt dem Publikum immer. Eine nette Unterschrift dazu. Wenn wir schon nichts Aktuelles fьr das Titelbild finden kцnnen, dann sollen es eben diese hьbschen Zwillinge sein!154 Na endlich!" Er hat das Kuvert mit den Fotos entdeckt, schaut die Bilder an und nickt zufrieden. Dann reicht er Frau Kцrner die Fotos.

Nach einiger Zeit blickt er schlieЯlich hoch, weil seine Mitarbeiterin nichts sagt. „Nanu!" ruft er. „Kцrner! Was ist mit Ihnen? Vielleicht ist Ihnen schlecht geworden?"

„Ein biЯchen, Herr Bernau!" Ihre Stimme schwankt. „Es geht schon wieder.155" Sie starrt auf die Fotos. Sie liest die Absenderanschrift: „Josef Kramer, Fotograf, Seebьhl am See."

In ihrem Kopf dreht sich alles.

„Vielleicht sollten wir das Foto doch nicht bringen156", sagt sie.

„Und warum nicht, hochgeschдtzte Kollegin?"

„Ich denke, die Aufnahmen sind nicht echt."

„Zusammenkopiert, was?157" Herr Bernau lacht. „Da tun Sie dem Herrn Kramer zu viel Ehre an.158 So geschickt ist er nicht. Also, rasch ans Werk! Dichten Sie eine nette Unter­schrift bis morgen." Er nickt und beugt sich ьber neue Arbeit.

Sie tastet sich hinьber in ihr Zimmer159, sinkt in ihren Sessel, legt die Fotos vor sich hin und preЯt die Hдnde an die Schlдfen.

Die Gedanken fahren in ihrem Kopfe Karussell.160 Ihre bei­den Kinder! Das Kinderheim! Die Ferien! Natьrlich! Aber, warum hat Lottchen nichts davon erzдhlt? Warum hat Lott­chen die Bilder nicht mitgebracht? Oh, die beiden haben ent­deckt, daЯ sie Geschwister sind! Und dann haben sie be­schlossen, nichts darьber zu sagen. Mein Gott, wie sie einan­der дhnlich sind! Nicht einmal das vielgepriesene Mutter­auge... Oh, ihr meine beiden, beiden Lieblinge!

Ьber ihr Gesicht strцmen Trдnen, Trдnen des Glьcks und Trдnen des Schmerzes. Wie gut, daЯ Herr Bernau in diesem Augenblick den Kopf nicht durch die Tьr steckt.

Frau Kцrner reiЯt sich zusammen.161 Gerade jetzt heiЯt es, den Kopf oben zu behalten162. Was soll geschehen? Was wird, was muЯ geschehen? ,Ich werde mit Lottchen reden!' denkt sie.

Eiskalt durchfдhrt es die Mutter!163 Ein Gedanke schьt­telt wie eine unsichtbare Hand ihren Kцrper hin und her: Ist es denn Lotte, mit der sie sprechen will?

* * *

Frau Kцrner hat Frдulein Linnekogel, die Lehrerin, in der Wohnung aufgesucht.

„Das ist eine mehr als merkwьrdige Frage, die Sie an mich stellen", sagt Frдulein Linnekogel. „Ob ich fьr mцglich halte164, daЯ Ihre Tochter nicht Ihre Tochter, sondern ein anderes Mдdchen ist? Erlauben Sie, aber..."

„Nein, ich bin nicht verrьckt", sagt Frau Kцrner und legt eine Fotografie auf den Tisch.

Frдulein Linnekogel schaut das Bild an. Dann die Besu­cherin. Dann wieder das Bild.

„Ich habe zwei Tцchter", sagt die Besucherin leise. „Die zweite lebt bei meinem ehemaligen Mann in Wien. Das Bild kam mir vor einigen Stunden durch einen Zufall in die Hдnde. Ich wuЯte nicht, daЯ sich die Kinder in den Ferien begegnet sind."

Frдulein Linnekogel macht den Mund auf und zu wie ein Karpfen auf dem Ladentisch. Kopfschьttelnd schiebt sie die Fotografie von sich weg. Endlich fragt sie: „Und die beiden haben bis dahin165 nichts voneinander gewuЯt?"

Die junge Frau schьttelt den Kopf. „Nein. Mein Mann und ich haben es damals so beschlossen. Wir dachten, daЯ es so am besten ist."

„Und auch Sie haben von Ihrem Mann und Ihrem anderen Kind nie wieder gehцrt?" „Nie."

„Hat er wieder geheiratet?"

„Ich weiЯ es nicht. Ich glaube kaum. Er meinte, daЯ er sich nicht fьrs Familienleben eignet."

„So eine Geschichte", sagt die Lehrerin. „Sind die Kinder wirklich auf die Idee gekommen, einander auszutauschen? Wenn ich an Lottchens charakteristische Wandlung denke... Und dann die Schrift, Frau Kцrner, die Schrift! Das erklдrt manches."

Die Mutter nickt und schaut starr vor sich hin.

„Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht ьbel166", meint Frдulein Linnekogel. „Ich war nie verheiratet, ich bin Er­zieherin und habe keine eigenen Kinder, aber ich meine immer: Die verheirateten Frauen nehmen ihre Mдnner zu wichtig?167 Dabei ist nur eines wichtig: das Glьck der Kin­der!"

Frau Kцrner lдchelt schmerzlich. „Glauben Sie, daЯ meine Kinder glьcklicher geworden wдren, wenn ihre Eltern sich nicht getrennt hдtten168?"

Frдulein Linnekogel sagt nachdenklich: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie sind noch heute sehr jung. Sie waren, als Sie heirateten, fast ein Kind. Sie werden Ihr Leben lang jьnger sein, als ich jemals gewesen bin. Was fьr den einen richtig wдre169, kann fьr den anderen falsch sein."

Frau Kцrner steht auf.

„Und was werden Sie tun?" meint die Lehrerin. „Wenn ich das wьЯte!170" sagt die junge Frau.

* * *

для одного


Luise steht vor einem Mьnchner Postschalter. „Nein", sagt der Beamte fьr die postlagernden Sendungen171. „Nein, Frдulein VergiЯmeinnicht, heute ist wieder nichts fьr Sie."

Luise blickt ihn unschlьssig an. „Was kann das nur be­deuten?" murmelt sie bedrьckt.

Der Beamte versucht zu scherzen. „Vielleicht ist aus dem VergiЯmeinnicht ein ,VergiЯmich' geworden?172"

„Das kann nicht sein", sagt sie. „Ich frage morgen wie­der nach."

„Bitte sehr", erwidert er lдchelnd.

* * *

Frau Kцrner kommt nach Hause. Brennende Neugier und kalte Angst streiten in ihrem Herzen, daЯ es ihr fast den Atem nimmt173.

Das Kind ist in der Kьche. Topfdeckel klappern. „Heute riecht's aber gut!" sagt die Mutter. „Was gibt's denn?"

„Schweinebraten mit Sauerkraut und Kartoffeln", ruft die Tochter stolz.

„Wie schnell du das Kochen gelernt hast!" sagt die Mut­ter, scheinbar ganz harmlos174.

„Nicht wahr?" antwortet die Kleine frцhlich. „Ich hдtte nie gedacht175, daЯ ich ..." Sie bricht entsetzt ab und beiЯt sich auf die Lippen. Jetzt nur die Mutter nicht ansehen!

Die Mutter lehnt sich an die Tьr und ist bleich. Bleich wie die Wand.

Das Kind steht am offenen Kьchenschrank und nimmt Ge­schirr heraus. Die Teller klappern wie bei einem Erdbeben.

Da цffnet die Mutter mьhsam den Mund und sagt: „Lui­se!"

Krach!

Die Teller liegen in Scherben auf dem Boden.176 Luise dreht sich um. Ihre Augen sind vor Schreck geweitet.

„Luise!" wiederholt die Frau sanft und цffnet die Arme weit177.

„Mutter!"

Das Kind hдngt der Mutter am Halse und schluchzt lei­denschaftlich. Die Mutter sinkt in die Knie178 und streichelt Luise mit zitternden Hдnden. „Mein Kind, mein liebes Kind!" Sie knien zwischen zerbrochenen Tellern. Auf dem Herd brennt der Schweinebraten an. Wasser lдuft zischend179 aus den Tцpfen in die Gastflammen. Die Frau und das kleine Mдdchen merken von alledem nichts.

* * *

Stunden sind vergangen. Luise hat geredet, und die Mut­ter ihr zugehцrt. Es war eine lange, wortreiche Geschichte, und es war eine kurze, wortlose Freisprechung — ein Blick, ein KuЯ, mehr war nicht nцtig.

Jetzt sitzen sie auf dem Sofa. Das Kind hat sich eng, ganz eng an die Mutter geschmiegt. Ach, ist das schцn, end­lich darf man die Wahrheit sagen!

So leicht ist einem zumute!180 Man muЯ sich an der Mutter festklammern, damit man nicht plцtzlich davonfliegt!

„Ihr seid zwei schlaue kleine Mдdchen!" meint die Mut­ter.

Luise kichert vor lauter Stolz.181 (Ein Geheimnis hat sie allerdings immer noch nicht verraten: daЯ es da in Wien, wie Lotte дngstlich geschrieben hat, neuerdings ein gewisses Frдulein Gerlach gibt!182

Die Mutter seufzt.

Luise schaut sie besorgt an.

„Nun ja", sagt die Mutter. „Aber was soll jetzt werden? Kцnnen wir tun, als sei nichts geschehen?183"

Luise schьttelt entschieden den Kopf. „Lottchen selint sich sicher sehr nach dir. Und du sehnst dich doch auch nach ihr, nicht wahr, Mutti?"

Die Mutter nickt.

„Und ich ja auch", gesteht das Kind. „Nach Lottchen und..."

„Und nach deinem Vater?"

Luise nickt. Eifrig und schьchtern zugleich. „Und wenn ich nur wьЯte184, warum Lottchen nicht mehr schreibt?" „Ja", murmelt die Mutter. „Ich bin recht in Sorge.185"

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