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Zwillinge.doc
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Im Garten ist es ganz still. Nur die Baumwipfel bewegen sich.

Lotte sagt langsam: „Ich habe ein Foto von ... von meiner Mutti im Schrank."

Luise springt auf. „Zeig's mir!" Sie zieht Lotte vom Stuhl und aus dem Garten.

„Nanu!" ruft die Wirtin empцrt. „Was sind das fьr neue Moden? Limonade trinken und nicht zahlen?"

Luise erschrickt. Sie sucht mit zitternden Fingern in ihrem kleinen Geldbeutel, drьckt der Frau einen Geldschein in die Hand und lдuft zu Lotte zurьck.

„Ihr bekommt noch Geld zurьck!38" schreit die Frau.

Aber die Kinder hцren sie nicht. Sie rennen schnell davon.

* * *

Lotte kramt in ihrem Schrank. Unter dem Wдschestapel holt sie eine Fotografie hervor und hдlt sie der zitternden Luise hin.

Luise schaut дngstlich auf das Bild. Dann hдngen ihre aufleuchtenden Augen an dem Frauengesicht.

Lotte schaut erwartungsvoll auf die andere. Ьberglьck­

lieh blickt Luise hoch, drьckt das Bild fest an sich und flь­stert: „Meine Mutti!"

Lotte legt den Arm um Luises Hals. „Unsere Mutti!" Zwei kleine Mдdchen umarmen sich. Dieses Rдtsel ist ge­lцst, aber neue Rдtsel, andere Geheimnisse warten auf sie.

Der Gong tцnt durch das Haus. Kinder rennen lachend und lдrmend die Treppe hinunter.

Luise will das Bild in den Schrank zurьcklegen. Lotte sagt: „Ich schenke es dir!"

* * *

Frдulein Ulrike steht im Bьro vor dem Schreibtisch der Heimleiterin und hat ein ganz rotes Gesicht.

„Ich kann nicht schweigen!" sagt sie hastig. „Ich muЯ mich Ihnen anvertrauen. Ich weiЯ nicht, was wir tun sol­len!"

„Na, na!" sagt Frau Holzmann. „Warum sind sie denn so aufgeregt, meine Liebe!"

„Wegen Luise Palfy und Lotte Kцrner! Ich habe im Auf­nahmebuch nachgeschlagen. Beide sind am selben Tag in Linz geboren. Das ist bestimmt kein Zufall!"

„Wahrscheinlich ist es kein Zufall, meine Liebe. Ich habe auch schon darьber nachgedacht."

„Sie wissen es also?" fragt Frдulein Ulrike und holt tief Luft39.

„Natьrlich! Nach ihrer Ankunft fragte ich die kleine Lotte nach ihren Daten. Ich trug sie ein und verglich sie mit Luises Geburtstag und Geburtsort. Beide stimmen ьberein."

„Ja, ja. Und was geschieht nun?"

„Nichts!"

„Nichts?"

„Aber ..."

„Kein Aber! Die Kinder wissen nichts. Sie waren heute beim Fotografen und werden die Bilder nach Hause schicken. Wenn sich dadurch das Rдtsel lцst, ist es gut. Wir werden jedoch nichts untenjehmen. Ich danke Ihnen fьr Ihr Ver-stдndnis./Und jetzt rufen sie, bitte, die Kцchin."

Frдu/ein Ulrike kann nichts verstehen, als sie das Bьro verlдЯt.

Drittes Kapitel

Die Zeit vergeht.

Haben die zwei kleinen Mдdchen ihre Fotos bei Herrn Kramer im Dorf abgeholt? Schon lдngst! Hat sich Frдulein Ulrike neugierig erkundigt, ob sie die Bilder nach Hause geschickt haben? Schon lдngst! Haben Luise und Lotte diese Frage mit ja beantwortet? Schon lдngst!

Und ebensolange liegen dieselben Fotos, in kleine Stьcke zerrissen, auf dem Grunde des grьnen Bьhlsees bei Seebьhl. Die Kinder haben Frдulein Ulrike angelogen. Sie wollen ihr Geheimnis nicht verraten! Sie wollen es gemeinsam verber­gen und vielleicht gemeinsam enthьllen! Und wer ihr Ge­heimnis erraten will, wird rьcksichtslos beschwindelt. Sogar Lottchen hat keine Bedenken1.

Die beiden Mдdchen sind nun unzertrennlich. Trude, Steffi, Monika, Christine und die anderen sind manchmal bцse auf Luise, eifersьchtig auf Lotte. Was soll man da ma­chen? Gar nichts. Wo*sollen wir sie jetzt wieder suchen?

Sie sind im Schrankzimmer. Lotte holt fьr sich und die Schwester zwei gleiche Schьrzen aus dem Schrank und sagt: „Die Schьrzen hat Mutti beim Krause gekauft."

„Aha," meint Luise, „das ist das Geschдft auf der Neu-hauser StraЯe, beim wie heiЯt das Tor?"

„Karlstor."

„Richtig, beim Kaistor!"

Die Mдdchen wissen gegenseitig schon viel ьber die Le­bensgewohnheiten, die Schulkameradinnen, die Nachbarn, die Lehrerinnen und Wohnungen. Fьr Luise ist ja alles wich­tig, was mit der Mutter zusammenhдngt, und Lotte will von der Schwester alles ьber den Vater erfahren. Tag fьr Tag sprechen sie von nichts anderem, und noch abends flь­stern sie stundenlang in ihren Betten.

Ein anderes Geheimnis beschдftigt sie sehr: Warum sind die Eltern nicht mehr zusammen?

„Erst haben sie natьrlich geheiratet", erklдrt Luise zum hundertsten Male. „Dann haben sie zwei kleine Mдdchen bekommen. Und weil Mutti Luiselotte heiЯt, haben sie das eine Kind Luise und das andere Lotte genannt. Das ist doch sehr nett! Damals haben sie sich noch geliebt, nicht wahr?"

„Bestimmt!" sagt Lotte. „Aber spдter haben sie sich sicher gezankt. Und sind voneinander fortgegangen. Und sie haben uns so geteilt wie vorher Muttis Vornamen!"

„Warum haben sie uns nicht gefragt, ob sie uns halbieren dьrfen?"

„Damals konnten wir ja noch gar nicht sprechen!" Die beiden Schwestern lдcheln ratlos. Dann umarmen sie sich und gehen in den Garten.

* * *

Es ist Post gekommen. Ьberall, im Gras, auf der Mauer und auf den Gartenbдnken sitzen kleine Mдdchen und lesen Briefe.

Lotte hдlt die Fotografie eines Mannes von etwa fьnfund­dreiЯig Jahren in den Hдnden und blickt zдrtlich auf den Vater. So sieht er also aus! Es ist schцn, einen wirklichen, lebendigen Vater zu haben!

Luise liest vor, was er ihr schreibt: „Mein liebes, ein­ziges Kind!" — „So ein Schwindler!40" sagt sie und blickt zur Schwester hoch. „Er weiЯ doch genau, daЯ er Zwillinge hat!" Dann liest sie weiter: „Hast du denn ganz vergessen, wie dein Vater aussieht, daЯ du unbedingt noch zum Ferien­schluЯ eine Fotografie von ihm haben willst? Erst wollte ich dir ein Kinderbild von mir schicken. Aber du schreibst, daЯ es unbedingt ein ganz neues Bild sein muЯ! Na, da bin ich gleich zum Fotografen gelaufen, obwohl ich gar keine Zeit hatte, und habe ihm erklдrt, warum ich das Bild so schnell brauche. Ich habe ihm gesagt, daЯ du mich sonst auf dem Bahnhof nicht wiedererkennst. Das hat er zum Glьck verstanden. Und so bekommst du das Bild noch rechtzeitig.

Es grьЯt und kьЯt dich tausendmal

dein Vater"

„Schцn!" sagt Lotte. „Und lustig ist er! Dabei sieht er auf dem Bild so ernst aus!"

„Wahrscheinlich wollte er vor dem Fotografen nicht la­chen", antwortet Luise. „Vor anderen Leuten macht er immer ein strenges Gesicht. Aber wenn wir allein sind, kann er sehr lustig sein."

Lotte hдlt das Bild ganz fest. „Und ich darf es wirklich behalten?"

„Natьrlich", sagt Luise, „deshalb habe ich den Vater doch darum gebeten."

* * *

Steffi sitzt auf einer Bank, hдlt einen Brief in der Hand und weint. Sie weint ganz leise. Die Trдnen laufen ohne Pause ьber das runde Kindergesicht. Trude spaziert vorbei, bleibt neugierig stehen, setzt sich daneben und schaut Steffi an. Christine kommt hinzu und setzt sich auf die andere Seite. Luise und Lotte nдhern sich und bleiben stehen.

„Was ist mit dir?" fragt Luise. Steffi weint leise weiter. Plцtzlich senkt sie die Augen und sagt leise: „Meine Eltern lassen sich scheiden41."

„So eine Gemeinheit!42" ruft Trude. „Dich schicken sie erst in die Ferien und dann tun sie inzwischen so etwas!"

„Der Papa liebt, glaube ich, eine andere Frau", sagt Steffi.

Luise und Lotte gehen schnell weiter. Was sie eben gehцrt haben, beschдftigt sie sehr stark.

„Unser Vater", fragt Lotte, „hat doch aber keine neue Frau?"

„Nein", antwortet Luise. „Das wьrde ich wissen.43"

„Vielleicht eine, mit der er nicht verheiratet ist?" fragt Lotte langsam.

Luise schьttelt den Lockenkopf. „Bekannte hat er natьr­lich. Auch Frauen. Aber du sagt er zu keiner!44 Aber wie ist das mit Mutti? Hat Mutti einen — einen guten Freund?"

„Nein", sagt Lotte. „Mutti hat mich und ihre Arbeit, und sonst will sie nichts vom Leben, sagt sie."

Luise blickt die Schwester ratlos an. „Ja, aber warun sind sie denn dann geschieden?"

Lotte denkt nach. „Vielleicht waren sie gar nicht auf dem Gericht. So wie Steffis Eltern das wollen?"

„Warum ist Vater in Wien und Mutti in Mьnchen?" fragt Luise. „Warum haben sie uns halbiert?"

„Warum", ьberlegt Lotte und" spricht weiter, „warum haben sie uns nie erzдhlt, daЯ wir gar nicht allein, sondern eigentlich Zwillinge sind? Und warum hat Vater dir nichts davon erzдhlt, daЯ Mutti lebt?"

6 Schцne Eltern haben wir! — Ну и родители у нас!


„Und Mutti hat dir nicht gesagt, daЯ Vati lebt!" Luise ist empцrt. „Schцne Eltern haben wir!45 Na warte, wenn

wir den beiden einmal unsere Meinung sagen! Sie werden staunen!"

„Das dьrfen wir doch gar nicht", sagt Lottchen schьch­tern. „Wir sind doch nur Kinder!"

„Nur?" fragt Luise und wirft den Kopf zurьck.

Viertes Kapitel

Die Ferien gehen zu Ende46. Die Mдdchen sind traurig, daЯ sie das Kinderheim verlassen mьssen, aber gleichzeitig freueji sie sich auf das Wiedersehen mit ihren Eltern und Geschwistern.

Frau Holzmann plant ein kleines Abschiedsfest. Der Vater eines Mдdchens, ein Kaufmann, hat eine groЯe Kiste mit Lampions, Girlanden und vielen anderen Dingen ge­schickt. Nun schmьcken die Helferinnen und die Kinder die Veranda und den Garten. Sie tragen Leitern von Baum zu Baum, hдngen bunte Laternen und Girlanden in die Zweige und bereiten eine Tombola vor47. Andere schreiben auf kleine Zettel Losnummern. Der erste Hauptgewinn: ein Paar Roll­schuhe.

„Wo sind denn die ,Locken und die Zцpfe*?" fragt Frдu­lein Ulrike. (So nennt man jetzt Luise und Lotte.)

„Ach die!" meint Monika. „Die sitzen wieder irgendwo im Gras und halten sich an den Hдnden, damit der Wind sie nicht auseinanderweht48!"

* * *

Die Zwillinge sitzen nicht irgendwo im Gras, sondern im Garten des Waldrestaurants. Sie halten sich auch nicht an den Hдnden — dazu haben sie keine Zeit. Vor ihnen liegen kleine Hefte, und die Mдdchen halten Bleistifte in der Hand. Im Augenblick diktiert Lotte, und Luise schreibt: „Am lieb­sten iЯt Mutti Nudelsuppe mit Rindfleisch. Das Rindfleisch kaufst du beim Fleischermeister Huber."

Luise hebt den Kopf. „Fleischermeister Huber, Max­Emanuel-StraЯe", sagt sie schnell.

Lotte nickt zufrieden. „Das Kochbuch liegt im Kьchen­schrank, im untersten Fach ganz links. Und in dem Buch liegen alle Rezepte, nach denen ich kochen kann."

Luise notiert: „Kochbuch ... Kьchenschrank ... unterstes Fach ... ganz links." Dann legt sie die Arme auf den Tisch und sagt: „Vor dem Kochen fьrchte ich mich am meisten. Aber wenn es in den ersten Tagen nicht gut geht, kann ich vielleicht sagen, daЯ ich es in den Ferien verlernt habe."

Lotte nickt und ьberlegt. „Du kannst mir ja gleich schrei­ben, wenn etwas nicht gut geht. Ich laufe jeden Tag zum Postamt und frage, ob ein Brief angekommen ist!"

„Ich auch", sagt Luise. „Schreibe mir recht oft! Und du muЯt im Restaurant Imperial viel essen! Vati freut sich immer, wenn es mir schmeckt."

„Schade, daЯ du gerade Eierkuchen am liebsten iЯt!" sagt Lottchen дrgerlich. „Ich esse lieber Kalbsschnitzel und Gulasch."

„Wenn du gleich am ersten Tag drei Eierkuchen iЯt, oder vier oder fьnf, kannst du danach sagen, daЯ du Eierkuchen nicht mehr sehen kannst!"

„Das ist mцglich", antwortet die Schwester, obwohl ihr schon bei dem Gedanken an fьnf Eierkuchen schlecht wird."

Dann lesen beide wieder in ihren Heftchen und fragen sich gegenseitig die Namen der Mitschьlerinnen, die Gewohn­heiten der Lehrerin und den genauen Schulweg ab.

„Der Schulweg ist fьr dich leichter als fьr mich", meint Luise. „Du sagst Trude ganz einfach, sie soll dich am ersten Tag abholen. Das macht sie manchmal. Dann lдufst du ruhig neben ihr her und merkst dir die StraЯen!"

Lotte nickt. Plцtzlich erschrickt sie. „Das habe ich dir noch gar nicht gesagt, — vergiЯ ja nicht, — Mutti einen GutenachtkuЯ zu geben49, wenn du schlafen gehst."

Luise blickt vor sich hin. „Das brauche ich mir nicht aufzuschreiben. Das vergesse ich bestimmt nicht!"

* * *

Merkt ihr, was hier geschieht? Die Zwillinge wollen den Eltern nicht erzдhlen, daЯ sie alles wissen. Sie wollen nicht, daЯ sich Vater und Mutter entscheiden mьssen. Und sie fьrch­ten, daЯ die Eltern ihr Geschwisterglьck sofort und endgьltig beenden. Das darf aber nicht geschehen. Deshalb haben sie einen geheimen Plan voller Phantasie und Abenteuerlust. Er sieht so aus: Die beiden wollen die Kleider, die Frisuren, die Wohnungen und das ganze Leben tauschen. Luise will — mit Zцpfen wie Lotte — zur Mutter fahren, von der sie nur

eine Fotografie kennt. Und Lotte wird — mit Locken und so lustig und lebhaft wie Luise — zum Vater nach Wien fahren.

Die Mдdchen haben sich auf die bevorstehenden Aben­teuer grьndlich vorbereitet. Ihre Heftchen sind voller No­tizen. Die Schwestern werden sich postlagernd schreiben50, wenn unerwartete Ereignisse eintreten.

Vielleicht gelingt es den beiden zu erraten, warum die Eltern getrennt leben, und vielleicht werden sie dann eines schцnen, eines wunderschцnen Tages miteinander und mit beiden Eltern ... doch daran wagen sie nicht zu denken51 ...

* * *

Das Gartenfest am Vorabend soll die Generalprobe sein. Lotte kommt als lockige lustige Luise. Luise erscheint mit Zцpfen als brave Lotte.Und beide spielen ihre Rollen ausge­zeichnet. Keiner merkt den Tausch. Auch Trude nicht, Lui­ses Schulkameradin aus Wien! Es macht beiden groЯen SpaЯ52, einander laut beim eigenen Vornamen zu rufen53. Lotte schlдgt vor Freude Purzelbдume54. Luise verhдlt sich so ruhig und still, als kцnnte sie kein Wдsserchen trьben55.

Die Lampions leuchten in den Bдumen. Die Girlanden schaukeln im Abendwind. Das Fest und die Ferien gehen zu Ende. Die Gewinne aus der Tombola werden verteilt. Steffi gewinnt den ersten Preis, die Rollschuhe. (Besser ist ein schwacher Trost als gar keiner!)

Die Schwestern schlafen schlieЯlich nach ihren neuen Rol­len in den vertauschten Betten und trдumen vor Aufregung. Lotte zum Beispiel trдumt, daЯ sie auf dem Bahnhof in Wien eine groЯe Fotografie des Vaters erwartet, und daneben steht ein Hotelkoch in einer weiЯen Mьtze mit einem Wagen voller warmer Eierkuchen — brrrl

Schon sehr frьh am nдchsten Morgen fahren in der Bahn­station von Seebьhl zwei Zьge ein. Sie kommen aus entge­

gengesetzten Richtungen. Dutzende kleine Mдdchen klettern in die Abteile. Lotte beugt sich aus dem Fenster. Aus einem Fenster des anderen Zuges winkt Luise. Beide lдcheln sich zu und machen sich damit Mut56. Die Aufregung wдchst. Wer weiЯ? Vielleicht mцchten die kleinen Mдdchen im letz­ten Augenblick doch noch.

Aber nein, der Fahrplan hat das Wort. Der Stationsvor­steher gibt das Signal und beide Zьge fahren gleichzeitig ab. Kinderhдnde winken.

Lotte fдhrt als Luise nach Wien.

Und Luise als Lotte nach Mьnchen.

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