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erich_maria_remarque_drei_kameraden.doc
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13.04.2015
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Ich sah sie plötzlich deutlich vor mir. Ich sah die Schneeflocken wirbeln, ich sah den schmalen, dunklen Kopf, die geraden, etwas vorgebeugten Schultern, die bronzefarbene Haut.

»Herrgott, Pat«, sagte ich, »das verfluchte Geld! Ich würde mich sonst auf der Stelle in ein Flugzeug setzen und heute abend noch ankommen.«

»Ach, Liebling...«

Sie schwieg. Ich horchte in das leise Kratzen und Summen der Leitung. »Bist du noch da, Pat?«

»Ja, Robby. Aber du mußt so etwas nicht sagen. Mir ist ganz schwindlig geworden.«

»Mir ist auch verdammt schwindlig«, sagte ich. »Erzähl mir, was du da oben alles machst.«

Sie begann zu sprechen, aber ich hörte bald nicht mehr auf das, was sie sagte. Ich hörte nur ihre Stimme, und während ich so auf dem dunklen Vorplatz hockte, zwischen dem Wildschweinschädel und der Küche mit den grünen Bohnen, schien es mir, als ginge die Tür auf und eine Welle von Wärme und Glanz käme herein, schmeichelnd und bunt, voll von Träumen, Sehnsucht und Jugend. Ich stemmte die Füße gegen den Tisch, ich stützte den Kopf in die Hand, ich sah den Wildschweinschädel an und die abgestoßene Küchentür, aber ich konnte mir nicht helfen — Sommer war auf einmal da, Wind, Abend über Ährenfeldern und das grüne Licht der Waldwege. Die Stimme schwieg. Ich atmete tief. »Es ist schön mit dir zu sprechen, Pat. Und heute abend, was tust du da?«

»Heute abend ist ein kleines Fest. Um acht beginnt es. Ich ziehe mich gerade dazu an.«

»Was ziehst du denn dazu an? Das silberne Kleid?«

»Ja, Robby. Das silberne Kleid, in dem du mich durch den Korridor getragen hast.«

»Und mit wem gehst du?«

»Mit niemand. Es ist doch hier im Sanatorium. Unten in der Halle. Da kennen sich alle.«

»Es muß schwer sein für dich, mich nicht zu betrügen«, sagte ich. »In dem silbernen Kleid.«

Sie lachte. »In dem schon gar nicht. Da habe ich Erinnerungen.«

»Ich auch. Ich habe gesehen, wie es wirkt. Aber ich will es auch gar nicht so genau wissen. Du kannst mich betrügen, ich will es nur nicht wissen. Nachher, wenn du zurückkommst, ist es dann nur wie geträumt für dich und vergessen und vorbei.«

»Ach, Robby«, sagte sie langsam, und ihre Stimme klang tiefer als vorher. »Ich kann dich nicht betrügen. Dafür denke ich viel zuviel an dich. Du weißt nicht, wie das hier oben ist. Ein strahlendes, schönes Gefängnis. Man lenkt sich ab, so gut es geht, das ist alles. Wenn ich an dein Zimmer denke, dann weiß ich manchmal nicht, was ich tun soll, dann gehe ich an den Bahnhof und sehe die Züge an, die von unten kommen, und denke, daß ich dir dann näher bin, wenn ich in ein Abteil einsteige oder so tue, als ob ich jemand abholen will.«

Ich biß die Lippen zusammen. Ich hatte sie noch nie so sprechen hören. Sie war immer scheu gewesen, und ihre Zuneigung hatte viel mehr in einer Gebärde, einem Blick gelegen als in Worten.

»Ich werde zusehen, daß ich dich einmal besuchen kann, Pat«, sagte ich.

»Wirklich, Robby?«

»Ja, vielleicht Ende Januar.«

Ich wußte, daß es kaum möglich war, denn von Februar an mußten wir ja auch noch das Geld für das Sanatorium aufbringen. Aber ich sagte es ihr, damit sie etwas hatte, woran sie denken konnte. Es war dann später nicht so schwer, es weiter zu verschieben, bis der Tag kam, wo sie wieder herunter konnte.

»Leb wohl, Pat«, sagte ich. »Laß es dir gut gehen. Sei froh, dann bin ich auch froh. Sei froh heute abend.«

»Ja, Robby, heute bin ich glücklich.«

Ich holte Georgie ab und ging mit ihm zum Café International. Die alte, verräucherte Bude war kaum wiederzuerkennen. Der Weihnachtsbaum brannte, und sein warmes Licht spiegelte sich in allen Flaschen, Gläsern und dem Nickel und Kupfer der Theke. Die Huren saßen in Abendkleidern, mit falschem Schmuck behangen, erwartungsvoll um einen Tisch herum.

Punkt acht Uhr marschierte die Liedertafel der vereinigten Viehkommissionäre ein. Sie formierten sich an der Tür nach Stimmen, rechts der erste Tenor, ganz links der zweite Baß. Stefan Grigoleit, der Witwer und Schweinehändler, zog eine Stimmgabel hervor, verteilte die Töne, und dann ging es vierstimmig los: »Heilige Nacht, o gieße du — Himmelsfrieden in dies Herz — Schenk dem armen Pilger Ruh — Holde Labung seinem Schmerz — Hell schon erglühn die Sterne — Leuchten aus blauer Ferne — Möchten zu dir mich gerne ziehn — himmelwärts.«

»Rührend«, sagte Rosa und wischte sich die Augen.

Die zweite Strophe verklang. Donnernder Beifall erscholl. Die Liedertafel verbeugte sich dankend. Stefan Grigoleit wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Beethoven bleibt Beethoven«, erklärte er.

Niemand widersprach. Stefan steckte das Schnupftuch ein. »Und nun 'ran an die Gewehre!«

Der Eßtisch war im großen Vereinszimmer gedeckt. In der Mitte prangten auf silbernen Platten über kleinen Spirituslämpchen braun und knusprig die beiden Spanferkel. Sie hatten Zitronen in den Schnauzen, kleine, brennende Tannenbäume auf dem Rücken und wunderten sich über gar nichts mehr.

Alois erschien in einem neu aufgefärbten Frack, einem Geschenk des Wirts. Er brachte ein halbes Dutzend Kruken mit Steinhäger und schenkte ein. Mit ihm kam Potter von der Feuerbestattungsgesellschaft, der noch eine Verbrennung geleitet hatte.

»Friede auf Erden!« sagte er großartig, reichte Rosa die Hand und nahm neben ihr Platz. Stefan Grigoleit, der Georgie sofort mit an die Tafel geladen hatte, stand auf und hielt die kürzeste und beste Rede seines Lebens. Er hob sein Glas mit dem glitzernden Wacholderschnaps hoch, sah sich strahlend um und rief: »Prost!«

Dann setzte er sich wieder, und Alois schleppte die Eisbeine, das Sauerkraut und die Salzkartoffeln herein. Der Wirt kam mit großen, gläsernen Stangen goldgelben Pilseners.

»Iß langsam, Georgie«, sagte ich. »Dein Magen muß sich erst an das fette Fleisch gewöhnen.«

»Ich muß mich überhaupt erst gewöhnen«, erwiderte er und sah mich an.

»Das geht schnell«, sagte ich. »Man darf nur nicht vergleichen. Dann geht's immer.«

Er nickte und beugte sich wieder über seinen Teller.

Plötzlich entstand am untern Tischende Streit. Potters krähende Stimme war zu hören. Er hatte dem Zigarrenhändler Busch, einem Gast, zutrinken wollen, aber Busch hatte sich geweigert mit der Begründung, er wolle nicht trinken, um mehr essen zu können.

»Das ist Blödsinn«, schimpfte Potter. »Zum Essen muß man doch trinken! Wer trinkt, kann sogar noch mehr essen.«

»Quatsch!« brummte Busch, ein hagerer, langer Mensch mit platter Nase und Hornbrille.

Potter fuhr hoch. »Quatsch? Das sagst du zu mir, du Tabakeule?«

»Ruhe!« rief Stefan Grigoleit. »Keinen Krach am Weihnachtsabend!«

Er ließ sich erklären, um was es sich handelte, und fällte ein salomonisches Urteil. Die Sache sollte ausprobiert werden. Vor jeden der beiden Kämpfer wurden mehrere gleich große Schüsseln aufgestellt mit Fleisch, Kartoffeln und Kraut. Es waren riesenhafte Portionen. Potter durfte dazu trinken, was er wollte, Busch mußte trocken bleiben. Um dem Ganzen Reiz zu geben, wurde auf beide gewettet. Grigoleit übernahm den Totalisator.

Potter baute einen Kranz von Biergläsern um sich auf, dazwischen wie Diamanten kleine Gläser mit Steinhäger. Die Wetten standen 3:1 für ihn. Dann startete Grigoleit die beiden.

Busch fraß verbissen, tief über den Teller geduckt. Potter kämpfte in offener, aufrechter Haltung.

Bei jedem Schluck, den er nahm, rief er Busch ein frohlockendes Prost zu, das dieser mit einem gehässigen Blick beantwortete.

»Mir wird schlecht«, sagte Georgie zu mir.

»Komm mit 'raus.«

Ich brachte ihn in den Waschraum und setzte mich dann in den Vorderraum, um auf ihn zu warten.

Der süße Duft der Kerzen mischte sich mit dem Knistern und dem Geruch verbrennender Tannennadeln. Und plötzlich war es mir, als hörte ich leichte, geliebte Schritte, als spürte ich einen warmen Atem und sähe zwei Augen dicht vor mir...

»Verdammt«, sagte ich und stand auf. »Was ist denn mit mir los?«

Im selben Moment hörte ich gewaltiges Gebrüll. »Potter! Bravo, Aloysius!«

Die Feuerbestattung hatte gesiegt.

Im Hinterzimmer qualmten die Zigarren, und der Kognak wurde aufgefahren. Ich saß immer noch neben der Theke. Die Mädchen kamen nach vorn und tuschelten eifrig.

»Was habt ihr denn?« fragte ich.

»Wir haben doch auch unsere Bescherung«, erwiderte Marion.

»Ach so.« Ich lehnte den Kopf an die Theke und dachte daran, was Pat jetzt wohl täte. Ich stellte mir die Halle des Sanatoriums vor, den brennenden Kamin und Pat an einem der Fenstertische mit Helga Guttmann und irgendwelchen Leuten. Es war alles schon so schrecklich lange her. Manchmal dachte ich, daß man morgens einmal aufwachen könnte und daß dann alles vorbei wäre, was früher gewesen war, vergessen, versunken, ertrunken. Es gab nichts Sicheres — nicht einmal die Erinnerung. Eine Klingel läutete. Die Mädchen rannten wie eine Schar aufgescheuchter Hühner zum Billardzimmer hinüber. Da stand Rosa mit der Klingel. Sie winkte mir, auch zu kommen. Unter einer kleinen Tanne stand auf dem Billardtisch eine Anzahl mit Seidenpapier verdeckter Teller. Auf jedem lag ein Zettel mit einem Namen, darunter die Päckchen mit den Geschenken, die die Mädchen sich gegenseitig machten. Rosa hatte das alles arrangiert. Jede hatte ihr ihre eingepackten Geschenke für die andern geben müssen, und sie hatte alles auf die Teller geordnet.

Aufgeregt plapperten die Mädchen durcheinander, eilig wie Kinder, um so rasch wie möglich zu sehen, was sie bekommen hatten. »Willst du deinen Teller nicht haben?« fragte Rosa.

»Was für einen Teller?«

»Deinen. Du wirst doch auch beschert.«

Wahrhaftig, da stand mein Name, in zwei Farben, rot und schwarz, in Rundschrift sogar. Äpfel, Nüsse, Apfelsinen — von Rosa ein selbstgestrickter Pullover, von der Wirtin ein grasgrüner Schlips, vom schwulen Kiki ein Paar echt kunstseidene rosa Socken, von Wally, der Schönen, ein Ledergürtel, vom Kellner Alois eine halbe Flasche Rum, von Marion, Lina und Mimi zusammen ein halbes Dutzend Taschentücher, und vom Wirt zwei Flaschen Kognak.

»Kinder«, sagte ich. »Kinder, das ist aber ganz unerwartet.«

»Überraschung?« rief Rosa.

»Total!«

Ich stand beschämt da, und, verdammt, ich war gerührt bis auf die Knochen. »Kinder«, sagte ich, »wißt ihr, wann ich zum letztenmal beschert worden bin? Ich weiß es gar nicht mehr. Es muß vor dem Kriege gewesen sein. Aber nun habe ich gar nichts für euch.«

Eine gewaltige Freude brach los, weil ich so glänzend überrumpelt worden war. »Weil du uns immer was vorgespielt hast«, sagte Lina errötend.

»Ja, du spielst uns was vor, das ist dein Geschenk«, erklärte Rosa.

»Was ihr wollt«, sagte ich. »Alles, was ihr wollt.«

»Aus der Jugendzeit«, rief Marion.

»Nein, was Lustiges«, widersprach Kiki.

Er wurde überstimmt. Als Homo wurde er ohnehin nicht ganz für voll genommen. Ich setzte mich ans Klavier und begann. Alle sangen mit.

»Aus der Jugendzeit — klingt ein Lied mir immerdar — O wie liegt so weit — was mein einst war...«

Die Wirtin drehte alles elektrische Licht aus. Nur noch das milde Licht der Kerzen war da. Leise plätscherte der Bierhahn wie eine ferne Quelle im Walde, und der plattfüßige Alois geisterte im Hintergrunde wie ein schwarzer Pan hin und her. Ich fing die zweite Strophe an. Mit glänzenden Augen und guten Kleinbürgerinnengesichtern standen die Mädchen um das Klavier herum — aber sieh da, wer heulte Rotz und Tränen? Kiki, Salzbrezelkiki aus Luckenwalde.

Leise öffnete sich die Tür des großen Vereinszimmers. Melodisch brummend zog im Gänsemarsch die Liedertafel herein und stellte sich hinter den Mädchen auf. Grigoleit mit einer schwarzen Brasilzigarre an der Spitze.

»Als ich Abschied nahm — war die Welt mir voll so sehr — Als ich wiederkam — war alles leer...«

Leise verhallte der gemischte Chor. »Schön«, sagte Lina.

Rosa zündete die Wunderkerzen an. Sie zischten und sprühten. »So, und nun was Lustiges!« rief sie. »Kiki muß aufgeheitert werden.«

»Ich auch«, sagte Stefan Grigoleit.

Um elf Uhr kamen Köster und Lenz. Wir setzten uns mit dem blassen Georgie an einen Tisch neben der Theke. Georgie bekam ein paar Schnitten trockenes Brot zu essen, damit er wieder taktfest wurde. Bald darauf war Lenz im Tumult der Viehkommissionäre verschwunden. Eine Viertelstunde später sahen wir ihn mit Grigoleit an der Theke auftauchen. Beide schlangen die Arme ineinander und tranken Brüderschaft.

»Stefan!« sagte Grigoleit.

»Gottfried!« erwiderte Lenz, und beide schütteten den Kognak hinunter.

»Ich schicke dir morgen ein Paket Blut- und Leberwurst, Gottfried. In Ordnung?«

»In bester Ordnung!« Lenz schlug ihm auf die Schulter. »Alter, guter Stefan!«

Stefan strahlte. »Du kannst so schön lachen«, sagte er begeistert. »Ich habe gern, wenn einer gut lachen kann. Ich werde zu leicht traurig, das ist mein Fehler.«

»Meiner auch«, erwiderte Lenz, »deshalb lache ich ja. Komm, Robby, trink einen mit auf das endlose Weltgelächter!«

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