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erich_maria_remarque_drei_kameraden.doc
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13.04.2015
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Ich schüttelte es ab. »Komm«, sagte ich zu Pat, die mich ansah, als hätte sie etwas gespürt.

»Fahr mit«, sagte sie.

»Nein«, erwiderte ich.

»Du möchtest doch mitfahren...«

»Ach wo —«, sagte ich und wußte, daß es stimmte. »Komm...«

Wir gingen am Friedhof entlang, noch etwas schwankend vom Wind und vom Fahren. »Robby«, sagte Pat, »ich möchte lieber nach Hause.«

»Warum?«

»Ich will nicht, daß du meinetwegen etwas aufgibst.«

»Was fällt dir ein«, fragte ich, »was gebe ich denn auf?«

»Deine Kameraden...«

»Die gebe ich doch gar nicht auf — die treffe ich ja morgen früh schon wieder.«

»Du weißt schon, was ich meine«, sagte sie. »Du warst früher viel mehr mit ihnen zusammen.«

»Weil du nicht da warst«, erwiderte ich und schloß die Tür auf.

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist etwas ganz anderes.«

»Natürlich ist es anders. Gott sei Dank.«

Ich nahm sie hoch und trug sie den Korridor entlang in mein Zimmer. »Du brauchst Kameraden«, sagte sie dicht an meinem Gesicht.

»Dich brauche ich auch«, erwiderte ich.

»Aber nicht so nötig...«

»Das werden wir ja noch sehen...«

Ich stieß die Tür auf und ließ sie zu Boden gleiten. Sie hielt mich fest. »Ich bin nur ein sehr schlechter Kamerad, Robby.«

»Das will ich hoffen«, sagte ich. »Ich will auch keine Frau als Kameraden. Ich will eine Geliebte.«

»Bin ich auch nicht«, murmelte sie.

»Was bist du denn?«

»Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ein Fragment...«

»Das ist das Beste«, sagte ich. »Das regt die Phantasie an. Solche Frauen liebt man ewig. Fertige Frauen kriegt man leicht über. Wertvolle auch. Fragmente nie.«

Es war vier Uhr nachts. Ich hatte Pat nach Hause gebracht und ging zurück. Der Himmel war schon etwas hell geworden. Es roch nach Morgen.

Ich ging den Friedhof entlang, am Café International vorbei, nach Hause. Da öffnete sich die Tür einer Chauffeurkneipe neben dem Gewerkschaftshaus, und ein Mädchen kam heraus. Eine kleine Kappe, ein schäbiges rotes Mäntelchen, hohe Lackstiefel — ich war schon fast vorbei, da erkannte ich sie — »Lisa...«

»Sieht man dich auch mal wieder?« sagte sie.

»Wo kommst du denn her?« fragte ich.

Sie machte eine Bewegung. »Habe da gewartet. Dachte, du kämst vorbei. Ist ja so die Zeit, wo du nach Hause kommst.« »Ja, richtig...« »Kommst du mit?« fragte sie. Ich zögerte. »Es geht nicht...« »Du brauchst kein Geld«, sagte sie rasch. »Nicht deshalb«, antwortete ich unbedacht, »ich habe Geld.« »Ach so —«, sagte sie bitter und trat einen Schritt zurück. Ich griff nach ihrer Hand. »Nein, Lisa...« Schmal und blaß stand sie auf der leeren, grauen Straße. So hatte ich sie getroffen, vor Jahren, als ich stumpf und allein dahinlebte, ohne Gedanken und ohne Hoffnung. Sie war erst mißtrauisch gewesen, wie alle diese Mädchen, aber dann, als wir ein paarmal miteinander gesprochen hatten, zutraulich und anhänglich. Es war ein sonderbares Verhältnis gewesen — manchmal sah ich sie wochenlang nicht, und dann stand sie plötzlich irgendwo und wartete. Wir hatten beide nichts und niemand um diese Zeit — da war das bißchen Wärme und Beieinandersein, das wir uns geben konnten, für jeden wohl mehr gewesen als sonst. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen — seit ich Pat kannte, nicht mehr.

»Wo warst du denn so lange, Lisa?«

Sie zuckte die Achseln. »Ist ja egal. Wollte dich nur mal wiedersehen. Na, dann kann ich ja losziehen.«

»Wie geht's dir denn?«

»Laß man —«, sagte sie. »Streng dich nicht an.«

Ihr Mund zitterte. Sie sah verhungert aus. »Ich komme doch noch ein bißchen mit dir«, sagte ich.

Ihr armes, gleichgültiges Hurengesicht belebte sich und wurde kindlich. Ich kaufte unterwegs in einer der Chauffeurkneipen, die die ganze Nacht offen waren, ein paar Kleinigkeiten, damit sie etwas zu essen hatte. Sie wollte anfangs nicht; erst als ich sagte, ich hätte selbst Hunger, gab sie nach. Aber sie achtete darauf, daß ich nicht betrogen wurde und schlechte Stücke erhielt.

Sie wollte auch kein halbes Pfund Schinken; sie meinte, ein viertel wäre genug, wenn wir noch Frankfurter Würstchen nähmen. Aber ich blieb bei dem halben und zwei Büchsen Würstchen.

Sie wohnte in einer Dachkammer, die sie sich etwas eingerichtet hatte. Eine Petroleumlampe stand auf dem Tisch und neben dem Bett, auf einer Flasche, eine Kerze. An den Wänden hingen Bilder, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und mit Reißnägeln befestigt waren. Auf der Kommode lagen ein paar Detektivromane; daneben ein Päckchen schweinischer Fotografien. Manche Besucher, besonders verheiratete, wollten so was sehen. Lisa fegte sie in die Schublade und holte ein zerschlissenes, aber sauberes Tischtuch heraus.

Ich packte die Sachen aus. Lisa zog sich inzwischen um. Zuerst zog sie das Kleid aus, obschon ich wußte, daß ihr die Füße am meisten weh taten. Sie mußte ja so viel laufen. Sie stand da, in ihren hohen Lackstiefeln bis zum Knie und in schwarzer Wäsche.

»Wie findest du meine Beine?« fragte sie.

»Klasse, wie immer.«

Sie war zufrieden und setzte sich erleichtert auf das Bett, um die Schuhe loszuschnüren. »Hundertzwanzig Mark kosten die«, sagte sie und hielt sie mir hin. »Bis man das mal verdient hat, sind sie schon wieder in Bruch.«

Sie nahm einen Kimono aus dem Schrank und ein Paar verblichene Brokathalbschuhe aus besseren Tagen. Dabei lächelte sie fast schuldbewußt. Sie wollte gefallen. Es würgte mich plötzlich etwas, so hier oben in der kleinen Bude, als wäre mir jemand gestorben.

Wir saßen, und ich sprach behutsam mit ihr. Aber sie merkte trotzdem, daß sich etwas verändert hatte. Ihre Augen wurden ängstlich. Es war nie mehr zwischen uns gewesen als das, was der Zufall gebracht hatte. Aber vielleicht verpflichtete und band das mehr als vieles andere. »Du gehst?« fragte sie, als ich aufstand — als hätte sie es schon lange gefürchtet.

»Ich habe noch eine Verabredung...«

Sie sah mich an. »So spät?«

»Geschäftlich. Wichtig für mich, Lisa. Muß versuchen, jemand noch zu treffen. Sitzt um diese Zeit gewöhnlich im Astoria.«

Keine Frauen sind verständiger für so was als Mädchen wie Lisa. Aber keiner Frau kann man auch so wenig vorlügen wie ihnen. Lisas Gesicht wurde leer. »Du hast eine andere Frau...«

»Aber Lisa — wir haben uns doch so wenig gesehen — jetzt fast ein Jahr nicht — du kannst dir doch denken...«

»Nein, nein, das meine ich nicht. Du hast eine Frau, die du liebst! Du hast dich verändert. Ich spüre es.«

»Ach, Lisa...«

»Doch, doch. Sag's!«

»Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht...«

Sie stand eine Weile. Dann nickte sie. »Jaja — natürlich — ich bin ja auch dumm — wir haben ja auch gar nichts miteinander...« Sie strich sich über die Stirn. »Ich weiß nicht, wie ich dazu komme...« Ihre schmale Gestalt stand dürftig und zerbrechlich vor mir. Die Brokatschuhe — der Kimono — die langen, leeren Abende, die Erinnerung — »Auf Wiedersehen, Lisa...«

»Du gehst — du bleibst nicht noch etwas? Du gehst — schon?«

Ich wußte, was sie meinte. Aber ich konnte es nicht. Es war merkwürdig, aber ich konnte es nicht, ich spürte das sehr stark. Früher war das nie so gewesen. Ich hatte keine übertriebenen Vorstellungen von Treue. Aber es ging einfach nicht mehr. Ich fühlte plötzlich, wie weit ich von all dem schon weg war.

Sie stand im Türrahmen. »Du gehst...«Sie lief zurück. »Hier, ich weiß, du hast mir Geld hingelegt — unter die Zeitung — ich will es nicht haben — Da — da — ja, geh nur...«

»Ich muß, Lisa.«

»Du kommst nicht wieder...«

»Doch, Lisa...«

»Nein, nein, du kommst nicht wieder — ich weiß es! Du sollst auch nicht wiederkommen! Geh nur, so geh doch...« Sie weinte. Ich ging die Treppe hinunter und sah mich nicht um.

Ich ging noch lange durch die Straßen. Es war eine sonderbare Nacht. Ich war sehr wach und konnte nicht schlafen. Ich ging am International vorbei, ich dachte an Lisa und an die Jahre von früher, an vieles, was ich schon lange vergessen hatte, aber es war weit weg und schien nicht mehr zu mir zu gehören. Dann wanderte ich durch die Straße, wo Pat wohnte. Der Wind wurde stärker, alle Fenster in ihrem Hause waren dunkel, der Morgen schlich auf grauen Füßen die Türen entlang, und ich ging endlich nach Hause. Mein Gott, dachte ich, ich glaube, ich bin glücklich.

XIII

»Die Dame, die Sie immer verstecken«, sagte Frau Zalewski, »brauchen Sie nicht zu verstecken. Sie kann ruhig offen zu Ihnen kommen. Sie gefällt mir...«

»Sie haben sie ja noch gar nicht gesehen«, erwiderte ich.

»Beruhigen Sie sich nur, ich habe sie gesehen«, erklärte Frau Zalewski mit Nachdruck. »Ich habe sie gesehen und sie gefällt mir — sehr gut sogar —, aber das ist keine Frau für Sie!«

»So?«

»Nein. Ich hab' mich schon gewundert, wie Sie die in Ihren Kneipen aufgestöbert haben. Aber natürlich, die verbummeltsten...«

»Wir kommen vom Thema«, unterbrach ich sie.

»Das«, sagte sie und stemmte die Arme auf die Hüften, »ist eine Frau für einen Mann in guten, sicheren Verhältnissen. Für einen reichen Mann, mit einem Wort!«

Rums, dachte ich, da hast du ein Ding weg! Genau das, was dir gefehlt hat. »Das können Sie von jeder Frau behaupten«, erklärte ich gereizt.

Sie schüttelte die grauen Löckchen. »Warten Sie ab! Die Zukunft wird mir recht geben.«

»Ach, Zukunft!« Ich warf meine Manschettenknöpfe ärgerlich auf den Tisch. »Wer rechnet heute noch mit Zukunft! Wozu soll man sich darüber jetzt schon Gedanken machen!«

Frau Zalewski wiegte bekümmert das majestätische Haupt. »Merkwürdige Menschen seid ihr jungen Leute alle miteinander. Die Vergangenheit haßt ihr, die Gegenwart verachtet ihr, und die Zukunft ist euch gleichgültig. Wie soll das nur ein gutes Ende nehmen!«

»Was nennen Sie eigentlich ein gutes Ende?« fragte ich. »Ein Ende kann doch nur gut sein, wenn alles vorher schlecht war. Da ist ein schlechtes Ende viel besser.«

»Das sind jüdische Verdrehungen«, erwiderte Frau Zalewski mit Würde und wandte sich entschlossen zur Tür. Aber als sie die Klinke schon in der Hand hatte, blieb sie wie angenagelt noch einmal stehen.

»Smoking?« hauchte sie erstaunt, »Sie?«

Mit großen Augen betrachtete sie den Anzug Otto Kösters, der an der Schranktür hing. Ich hatte ihn mir geliehen, weil ich abends mit Pat ins Theater wollte. »Jawohl, ich!« sagte ich giftig. »Ihre Kombinationsgabe ist unübertrefflich, gnädige Frau...«

Sie sah mich an. Ein ganzes Gewitter von Gedanken ging über ihr dickes Gesicht. Es endete in einem breiten, mitwisserischen Schmunzeln. »Aha!« sagte sie. Und dann noch einmal: »Aha!« Und, schon draußen, über die Schulter hinweg, genießerisch und pfiffig, ganz verklärt, von der ewigen Freude der Frau bei solchen Entdeckungen: »So steht's also!«

»Ja, so steht's, verdammte Hebamme«, knurrte ich hinter ihr her, als ich sicher war, daß sie mich nicht mehr hörte. Dann schmiß ich wütend meine neuen Lackschuhe mitsamt dem Karton auf den Boden. Reicher Mann — als ob ich das nicht wüßte!

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