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erich_maria_remarque_drei_kameraden.doc
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13.04.2015
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Ich schenkte ihm Kaffee ein. Er blinzelte in die Sonne und wandte sich an Köster. »Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein. So komme ich wenigstens einen Tag mal 'raus.«

»Das könnten Sie doch öfter machen«, sagte Köster. »Abends wegfahren und am nächsten Abend wieder zurück.«

»Können, können«, antwortete Jaffé. »Haben Sie schon gemerkt, daß wir in einer Zeit der Selbstzerfleischung leben? Daß man vieles, was man tun könnte, trotzdem nicht tut, man weiß nicht, warum? Arbeit ist heute eine so ungeheure Sache geworden, weil so viele Menschen keine haben, daß sie alles andere erdrückt. Wie schön das hier ist! Seit ein paar Jahren habe ich das nicht gesehen. Ich habe zwei Autos, eine Zehnzimmerwohnung und genug Geld — was habe ich davon! Was ist das gegen diesen Sommermorgen im Freien! Arbeit — eine finstere Besessenheit — immer mit der Illusion, daß es später mal anders wird. Es wird nie anders. Komisch, was man so aus seinem Leben macht.«

»Ich finde, ein Arzt ist einer der wenigen Menschen, die wissen, wozu sie leben«, sagte ich. »Was soll denn dann ein Buchhalter sagen?«

»Lieber Freund«, erwiderte Jaffé, »es ist ein Irrtum, anzunehmen, alle Menschen hätten die gleiche Empfindungsfähigkeit.«

»Richtig«, sagte Köster, »aber die Menschen haben ihre Berufe nicht nach ihrer Empfindungsfähigkeit bekommen.«

»Stimmt«, antwortete Jaffé. »Schwierige Dinge.« Er nickte mir zu. »Jetzt — aber ruhig, nicht anfassen, nicht sprechen lassen...«

Sie lag in den Kissen, ohne Kraft, wie hingeschlagen. Ihr Gesicht war verfärbt, blaue, tiefe Schatten lagerten unter den Augen, und der Mund war blaß. Nur die Augen waren groß und glänzend.

Viel zu groß und zu glänzend.

Ich nahm ihre Hand auf. Sie war kühl und matt. »Pat, alter Bursche«, sagte ich verlegen und wollte mich zu ihr setzen. Da entdeckte ich am Fenster das Teiggesicht des Dienstmädchens, das mich neugierig anstarrte. »Gehen Sie mal 'raus«, sagte ich ärgerlich.

»Ich soll doch die Gardinen zuziehen«, erwiderte sie.

»Schön, machen Sie das und gehen Sie dann 'raus.«

Sie zog die gelben Vorhänge vors Fenster. Aber sie ging noch immer nicht. Langsam begann sie die Vorhänge mit Nadeln zuzustecken.

»Hören Sie«, sagte ich, »hier ist keine Theatervorstellung. Verschwinden Sie schleunigst.«

Sie drehte sich pomadig um. »Erst soll ich sie zustecken und dann wieder nicht.«

»Hast du ihr das gesagt?« fragte ich Pat.

Sie nickte.

»Tut dir das Licht von draußen weh?« fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Besser, du siehst mich heute nicht so genau...«

»Pat!« sagte ich erschreckt, »du darfst noch nicht sprechen! Aber wenn das der ganze Grund ist...«

Ich machte die Tür auf, und das Dienstmädchen verschwand endlich. Ich ging zurück. Ich war jetzt nicht mehr verlegen. Ich war sogar ganz froh über das Dienstmädchen. Es hatte mich über den ersten Augenblick weggebracht. Es war doch eine verfluchte Sache gewesen, Pat so daliegen zu sehen.

Ich setzte mich neben das Bett. »Pat«, sagte ich, »bald bist du wieder durch...«

Sie bewegte den Mund. »Morgen schon...«

»Morgen noch nicht, aber in ein paar Tagen. Dann darfst du aufstehen, und wir fahren nach Hause. Wir hätten nicht hierherfahren sollen, die Luft ist viel zu rauh für dich...«

»Doch«, flüsterte sie, »ich bin ja nicht krank, Robby. Es war nur ein Unfall...«

Ich sah sie an. Wußte sie denn wirklich nicht, daß sie krank war? Oder wollte sie es nicht wissen? Ihre Augen gingen unruhig hin und her. »Brauchst keine Angst zu haben...«, flüsterte sie. Ich verstand nicht sofort, was sie meinte und weshalb es so wichtig war, daß gerade ich keine Angst haben sollte. Ich sah nur, daß sie erregt war, ihre Augen hatten einen eigentümlich gequälten, dringenden Ausdruck. Und plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich begriff, was sie dachte. Sie glaubte, ich hätte Angst vor ihr, weil sie krank war. »Lieber Gott, Pat«, sagte ich, »ist das vielleicht der Grund, daß du mir nie etwas Genaues gesagt hast?«

Sie antwortete nicht, aber ich sah, daß es das war.

»Verdammt«, sagte ich, »wofür hältst du mich eigentlich?«

Ich beugte mich über sie. »Lieg mal einen Augenblick ganz still, aber beweg dich nicht.« Ich küßte sie. Ihre Lippen waren trocken und heiß. Als ich mich aufrichtete, sah ich, daß sie weinte. Sie weinte lautlos, mit weit offenen Augen, und ihr Gesicht bewegte sich nicht. Die Tränen stürzten nur so hervor.

»Um Gottes willen, Pat...«

»Ich bin ja glücklich«, sagte sie.

Ich stand da und sah sie an. Es war nur ein Wort gewesen, aber es war ein Wort, das ich so noch nie gehört hatte. Ich hatte Frauen gekannt, aber immer waren es flüchtige Begegnungen gewesen, Abenteuer, eine bunte Stunde manchmal, ein einsamer Abend, Flucht vor sich selbst, vor der Verzweiflung, vor der Leere. Ich hatte es auch gar nicht anders gewollt, denn ich hatte gelernt, daß man sich auf nichts anderes verlassen konnte als auf sich selbst und höchstens noch auf einen Kameraden. Jetzt sah ich plötzlich, daß ich einem Menschen etwas sein konnte, einfach weil ich da war, und daß er glücklich war, weil ich bei ihm war. Wenn man das so sagt, klingt es sehr einfach, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es eine ungeheure Sache, die überhaupt kein Ende hat. Es ist etwas, das einen ganz zerreißen und verändern kann. Es ist Liebe und doch etwas anderes. Etwas, wofür man leben kann. Für die Liebe kann ein Mann nicht leben. Für einen Menschen wohl.

Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte es nicht. Es ist schwer, Worte zu finden, wenn man wirklich etwas zu sagen hat. Und selbst, wenn man die richtigen Worte weiß, dann schämt man sich, sie auszusprechen. Alle diese Worte gehören noch in frühere Jahrhunderte. Unsere Zeit hat für ihre Gefühle die Worte noch nicht. Sie kann nur burschikos sein — alles andere ist unecht.

»Pat«, sagte ich, »alter tapferer Bursche...«

In diesem Augenblick trat Jaffé ein. Er überblickte sofort die Situation. »Fabelhafte Leistung«, knurrte er, »hab' mir schon so was Ähnliches gedacht.«

Ich wollte ihm etwas entgegnen, aber er warf mich kurzerhand 'raus.

XVII

Es war zwei Wochen später. Pat hatte sich so weit erholt, daß wir zurückreisen konnten. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten auf Gottfried Lenz. Er sollte den Wagen abholen. Pat und ich wollten mit der Eisenbahn fahren.

Es war ein warmer, milchiger Tag. Die Wolken standen regungslos wie Watte am Himmel, die heiße Luft zitterte über den Dünen, und das Meer lag bleiern in hellem, flimmerndem Dunst.

Gottfried kam nach dem Mittagessen an. Ich sah seinen blonden Kopf schon von weitem über die Hecken leuchten. Erst als er in den Fahrweg zur Villa Fräulein Müllers einbog, bemerkte ich, daß er nicht allein war — neben ihm tauchte eine Rennfahrerimitation in Miniaturformat auf — eine riesige karierte Mütze, die mit dem Schild nach hinten aufgesetzt war, eine mächtige Staubbrille, ein weißer Overall und ein paar gewaltige, rubinrot leuchtende Ohren.

»Mein Gott, das ist ja Jupp!« sagte ich erstaunt.

»Persönlich, Herr Lohkamp!« erwiderte Jupp grinsend.

»Und in dem Aufzug! Was ist denn bloß los mit dir?«

»Das siehst du doch«, erklärte Lenz vergnügt und schüttelte mir die Hand. »Er wird zum Rennfahrer herangebildet. Seit acht Tagen bekommt er bei mir Fahrunterricht. Da hat er mich angefleht, daß ich ihn heute mitnehmen soll. Gute Gelegenheit für ihn, seine erste Überlandtour zu machen.«

»Werde die Sache schon schmeißen, Herr Lohkamp!« bestätigte Jupp eifrig.

»Und wie er sie schmeißen wird!« Gottfried schmunzelte.

»Ich habe so was von einem Verfolgungswahnsinnigen noch nicht gesehen! Am ersten Tag seines Fahrunterrichtes hat er schon versucht, mit unserem alten, guten Taxi einen Mercedes-Kompressor zu überholen. Ein verdammter kleiner Satan!«

Jupp schwitzte vor Glück und sah Lenz anbetend an. »Dachte, ich könnte den protzigen Vogel vernaschen, Herr Lenz! Wollte ihn in der Kurve schnappen, wie Herr Köster.«

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