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erich_maria_remarque_drei_kameraden.doc
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13.04.2015
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Ich schwieg und drückte mich. Mit aufgerührten Muttergefühlen soll man keinen Streit anfangen. Die haben die Moral der ganzen Welt hinter sich.

Abends waren wir bei Gottfried verabredet. Ich aß in einer kleinen Kneipe und ging dann hin. Unterwegs kaufte ich mir im elegantesten Herrenmodengeschäft zur Feier des Tages eine prachtvolle neue Krawatte. Ich war immer noch überrascht, wie glatt alles gegangen war, und ich gelobte mir, morgen seriös zu sein wie der Generaldirektor eines Beerdigungsinstitutes.

Gottfrieds Bude war eine Sehenswürdigkeit. Sie hing voll von Reiseandenken, die er aus Südamerika mitgebracht hatte. Bunte Bastmatten an den Wänden, ein paar Masken, ein eingetrockneter Menschenschädel, groteske Tontöpfe, Speere und als Hauptstück eine großartige Sammlung von Fotografien, die eine ganze Wand einnahmen — Indiomädchen und Kreolinnen, schöne, braune, geschmeidige Tiere von unbegreiflicher Anmut und Lässigkeit.

Außer Lenz und Köster waren Braumüller und Grau noch da. Theo Braumüller hockte mit sonnenverbranntem, kupfernem Schädel auf der Sofalehne und musterte begeistert Gottfrieds fotografische Sammlung. Er war Rennfahrer für eine Autofabrik und seit langem mit Köster befreundet. Am Sechsten fuhr er das Rennen mit, zu dem Otto Karl gemeldet hatte.

Ferdinand Grau saß massig, aufgeschwemmt und ziemlich betrunken am Tisch. Als er mich sah, zog er mich mit seiner breiten Pratze zu sich heran. »Robby«, sagte er mit schwerer Stimme, »was willst du hier unter den Verlorenen? Du hast hier nichts zu suchen. Geh wieder weg. Rette dich. Du kannst es noch!«

Ich blickte zu Lenz hinüber. Er zwinkerte mir zu. »Ferdinand ist hoch in Form. Er versäuft seit zwei Tagen eine liebe Tote. Hat ein Porträt verkauft und gleich Geld bekommen.«

Ferdinand Grau war Maler. Dabei wäre er aber längst verhungert, wenn er nicht eine Spezialität gehabt hätte. Er malte nach Fotografien fabelhaft lebensechte Porträts von Verstorbenen für pietätvolle Angehörige. Davon lebte er — sogar ganz gut. Seine Landschaften, die ausgezeichnet waren, kaufte kein Mensch. Das gab seiner Unterhaltung einen etwas pessimistischen Unterton.

»Ein Gastwirt war's diesmal, Robby«, sagte er, »ein Gastwirt mit einer verstorbenen Erbtante in Essig und Öl.« Er schüttelte sich. »Schauderhaft.«

»Hör mal, Ferdinand«, erwiderte Lenz, »du solltest nicht so harte Ausdrücke gebrauchen. Du lebst ja von einer der schönsten menschlichen Eigenschaften: von der Pietät.«

»Unsinn«, erklärte Grau, »ich lebe vom Schuldbewußtsein. Pietät ist nichts als Schuldbewußtsein. Man will sich rechtfertigen für das, was man dem lieben Verstorbenen bei Lebzeiten alles gewünscht und angetan hat.« Er fuhr sich mit der Hand langsam über den glühenden Schädel. »Was meinst du, wie oft mein Gastwirt seiner Tante den Tod an den Hals gewünscht hat — dafür läßt er sie jetzt in den feinsten Farben malen und hängt sie übers Sofa. So ist sie ihm lieber. Pietät! Der Mensch erinnert sich seiner spärlichen guten Eigenschaften immer erst, wenn es zu spät ist. Dann ist er gerührt darüber, wie edel er hätte sein können, und hält sich für tugendhaft. Tugend, Güte, Edelmut« — er winkte mit seiner mächtigen Pratze ab —, »die wünscht man sich bei andern, damit man sie hereinlegen kann.«

Lenz grinste. »Du rüttelst an den Grundpfeilern der menschlichen Gesellschaft, Ferdinand!«

»Die Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft sind Habgier, Angst und Korruption«, gab Grau zurück. »Der Mensch ist böse, aber er liebt das Gute — wenn andere es tun.« — Er hielt Lenz sein Glas hin. »So, und nun schenk mir ein und rede nicht den ganzen Abend — laß auch mal andere Leute zu Wort kommen.«

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