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Лексикология современного немецкого языка 166 :: 167 :: 168 :: 169 :: 170 :: 171 :: Содержание 3.3. DIE TERRITORIALE DIFFERENZIERUNG DES DEUTSCHEN WORTBESTANDES

3.3.1. ALLGEMEINES ÜBER MUNDARTLICHE, LANDSCHAFTLICHE UND NATIONALE VARIANTEN DER LEXIK

Die territorialgebundene Lexik ist für zwei Erscheinungsformen der deutschen Gegenwartssprache kennzeichnend: 1. Mundart, 2. Umgangssprache (siehe Tafel auf S. 151). Unter Mundart bzw. Dialekt - beide Bezeichnungen werden vielfach gleichbedeutend verwendet - wird hier eine Existenzform der Sprache verstanden, die

(1) vorwiegend gesprochen wird,

(2) das Kommunikationsmittel einer geographisch enger begrenzten (lokalen) Sprachgemeinschaft darstellt,

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(3) eine bestimmte soziale Trägerschicht besitzt,

(4) nicht universell verwendbar ist, sondern nur bestimmte Funktionen im Rahmen der gesellschaftlichen Kommunikation ausübt und

(5) durch ein Sprachsystem mit spezifischer Struktur gekennzeichnet ist65.

Die bedeutenden territorialen bzw. landschaftlichen Unterschiede in Lexik und Phraseologie der Umgangssprache und eine bis heute bedeutende, eng begrenzte Lexik und Phraseologie auf mundartlicher Ebene bildet eine spezifische Eigenart der deutschen Sprache.

Die historischen und sprachsoziologischen Ursachen für diese Eigenart liegen in den Besonderheiten des Entwicklungsprozesses der deutschen Nation und der deutschen nationalen Schrift- bzw. Gemeinsprache (siehe S. 149).

Das Scheitern der frühbürgerlichen Revolution (der Reformation des 16. Jhs.), die darauf folgende Verstärkung der feudalen Zersplitterung, der erst im 18. Jh. einsetzende Aufstieg der Produktivkräfte und die späte Bildung des einheitlichen Staates (1871) - all das waren die entscheidenden Faktoren zur späten Herausbildung der deutschen Nation und der nationalen Schriftsprache.

Die Grundlage der deutschen Schriftsprache bilden die ostmitteldeutschen Dialekte von Obersachsen und Ostthüringen. Diese liegen allerdings nicht in rein mundartlicher Form dem Schrifttum der Reformation und des deutschen Bauernkrieges sowie der Sprache der Lutherschen Bibelübersetzung zugrunde, da die Bibel ja ein Werkzeug der Reformation war.

Kennzeichnend für die Formierung der deutschen nationalen Einheitssprache war die Tatsache, dass diese ostmitteldeutsche Variante der Schriftsprache sich im Laufe des 16., 17. und 18. Jhs. sowohl nach Süd- und Nordwesten als auch nach Nordosten verbreitete und die lokalen Mundarten erst allmählich verdrängte. Das bedeutete ein jahrhundertelang währendes Nebeneinanderbestehen von Schriftsprache und Mundarten, was dem deutschen Wortbestand ein besonderes Gepräge verliehen hat. Aus diesen Gründen erscheint es sinnvoll, auf die Wechselwirkung zwischen Schriftsprache und Mundart kurz einzugehen und Tendenzen ihrer Entwicklung festzustellen.

Da Schriftsprache und territoriale Dialekte historisch veränderlich sind und historische Kategorien bilden66, muss man präzisieren, dass sie in der Epoche der Herausbildung der nationalen Schriftsprache der deutschen Nation betrachtet werden.

Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Schriftsprache und territorialen Dialekten sind in der Epoche der Nation folgende:

1. Die nationale Schriftsprache bzw. Gemeinsprache ist im Vergleich zum territorialen Dialekt eine höhere Entwicklungsstufe der Sprache. Sie ist im Gegensatz zum Dialekt nicht territorial begrenzt und gebunden. Sie ist mul-tivalent, d.h. sie gewährleistet die Kommunikation in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einer Sprachgemeinschaft.

2. Die territorialen Dialekte bilden in der Epoche der nationalen Einheitssprache eine degradierende Kategorie. Sie gewährleisten nur eine beschränkte Kommunikation: die Verständigung bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit unter der Bauernbevölkerung und den Alltagsverkehr in einer geographisch

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eng begrenzten Gegend. Ein wirksamer Faktor bei der allmählichen Verdrängung der Dialekte sind Nationalsprachen, die sich bereits beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus herauszubilden begannen. In diesem Sinne werden die territorialen Dialekte dieser Epoche als territorialsoziale Dialekte betrachtet67.

Der Wortschatz der Ortsdialekte, historisch aus den Bedingungen der bäuerlich-agrarischen Produktions- und Lebensweise hervorgegangen und dies im starken Maße reflektierend, kennzeichnet sich durch folgende Eigenheiten68.

Im mundartlichen Wortschatz sind verschiedene Gebiete des landwirtschaftlichen Berufes, die in der betreffenden Landschaft bestehen, reich vertreten. Das sind Feldwirtschaft, Viehzucht, Gemüseanbau, Gartenbau, ferner der Wortschatz verschiedener Gewerbe wie Fischfang, Jagd, Weberei, Zimmerei u.a. Außerdem zeigt der mundartliche Wortschatz eine Fülle von Synonymen zum Ausdruck der Lebensbedürfnisse, der Hauswirtschaft, des Alltags. Je nach der geographischen Lage und wirtschaftlichen Entwicklung der betreffenden Gegend überwiegen im Wortschatz der Mundarten diese oder jene Wortklassen der Berufslexik.

Wie reich die mundartliche Lexik an Bezeichnungen verschiedener Berufsprozesse sein kann, davon zeugen ältere Arbeiten der deutschen Fachliteratur. So umfasste der Wortschatz des rheinischen Winzers (Weinbauer) zu Beginn des 20. Jhs. über 600 Wörter zur Ausübung seines Berufs69.

Äußerst detaillierte Bezeichnungen gibt es z.B. in der Viehzucht, wo Tiere je nach Geschlecht, Alter und wirtschaftlicher Verwendung Dutzende von Namen haben. So kennt die Schriftsprache für das Schweinejunge nur ein Wort - Ferkel. In den Dialekten unterscheidet man je nach Geschlecht - Eberle - Lösle. Dem Alter nach heißt das kleinste Ferkel - Schössling, das ältere Ferkel - Läufer, Springer u.a.

Für die mundartliche Lexik ist aber die Tatsache kennzeichnend, dass hier neben einer Fülle von Wörtern im Bereich der gewerblichen Tätigkeit der Bauern solche Gattungsnamen wie Rind, Pflanze, Ähre, Garbe fehlen70 oder oft nicht gebräuchlich sind71.

Viele Gebiete, auf denen die Schriftsprache großen lexischen Reichtum aufweist, sind dagegen in den Mundarten nur schwach oder gar nicht entwickelt, z.B. Staats- und Heerwesen, Wissenschaft, Kunst u. dgl. m. Was diese Lexik abstrakten Charakters anbelangt, so fällt sie mit der der Schriftsprache zusammen. Dieser Umstand ist entweder darauf zurückzuführen, dass diese Wortklassen in die Schriftsprache zur Zeit ihrer Herausbildung aus Mundarten übernommen wurden, oder dass sie eher der Schriftsprache entnommen sind.

In dieser Hinsicht ist folgende Stelle in einer Arbeit von O. Behaghel interessant: "Unsere deutschen Mundarten gehen in einem Teile ihres Wortbestandes sehr stark auseinander, in einem anderen stimmen sie überein. Und zwar, je sinnlicher, je greifbarer die Anschauung, desto größer die Verschiedenheit, je verblasster die Vorstellung, um so weiter reicht die Übereinstimmung. Die Schriftsprache hat natürlich hauptsächlich Wörter aufgenommen

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vom möglichst weiten Verbreitungskreis, also zumal die Wörter der zweiten Klasse"72.

In der Epoche der Nation weichen die Dialekte vor der Schriftsprache immer mehr zurück, und wenn das im Deutschen auch bedeutend langsamer als in anderen Sprachen geschah, wurde dieser Prozess doch überall festgestellt. So heißt es z.B. bei G. Schambach im Vorwort zu seinem Wörterbuch: "In unseren Städten ist im Laufe eines Menschenalters das reine Plattdeutsch aus dem Gebrauche der Familien so ziemlich verschwunden, und das Platthochdeutsche, ein unbestimmbarer Mischmasch, an seine Stelle getreten"73.

Analoge Äußerungen sind auch bei O. Behaghel, H. Reis und vielen anderen zu finden: "Es ist schwer, in die Zukunft zu schauen. Aber so viel ist schon jetzt mit Sicherheit zu erkennen, dass die reine Mundart rettungslos dem Untergang verfallen ist..."74 "...der Untergang der Mundarten ist besiegelt"75.

Trotz der historisch unabwendbaren Tatsache, dass die Ortsdialekte in der Epoche der Schriftsprache eine überlebte Kategorie bilden, war in der Germanistik des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jhs. eine irrtümliche Auffassung vorn Wesen der Mundarten verbreitet: Sie wurden der Schriftsprache gegenübergestellt als Born, als Urquell allen Schrifttums, in ihnen allen wäre die natürliche Sprachentwicklung, Volkstümlichkeit enthalten. Die Schriftsprache dagegen wäre ein künstliches, fremdes Erzeugnis, das der Mundart aufgenötigt sei. Dieser Standpunkt ist bei O.Wiese sogar anschaulich dargestellt. Er vergleicht die Mundart mit einer rotwangigen Dorfschönen, die in einfachem Gewand harmlos und ungezwungen ihre Straße zieht, und die Schriftsprache mit einer aufgeputzten Städterin, die das blasse Antlitz durch künstliche Mittel färbt, doch im Vollgefühl ihrer Würde selbstbewusst dahinschreitet76.

Zum Abschluss der Betrachtung der Mundarten in unserer Zeit wären die Worte H. Beckers anzuführen: "Seit zweihundert Jahren werden die Mundarten totgesagt. Aber wenn man bei den richtigen Menschen ist, erkennt man: Die Mundart ist nicht einmal krank! ... Wenn sie verachtet oder abgelehnt wird, können viele Menschen ihr Bestes nicht ausdrücken und müssen in der großen Aussprache unserer Zeit schweigen oder nur im stillen Winkel sprechen... Darum müssen wir die Mundarten pflegen und nützen"77.

Aber gerade am Beispiel der Entwicklung in der ehemaligen DDR konnte man sehen, dass der Mundart entsprechend ihrer historischen Rolle keine Zukunft als Volkssprache zukommt.

Gerade durch das Aufkommen neuer sprachbildender Faktoren (Aufbau einer Industrie, Landwirtschaft, Wirtschaft und Kultur, Intensivierung des Verkehrs, Einfluss der Massenkommunikationsmittel, vor allem steigende Einflussnahme von Wissenschaft und Technik in allen Lebensbereichen) hat sich die Sprachsituation in den niederdeutschen Gebieten, die sich bis ins 20. Jahrhundert durch starke Gegensätze zwischen der niederdeutschen Mundart und der hochdeutschen Schriftsprache kennzeichneten, grundsätzlich verändert78.

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Als Folgen der erwähnten sprachbildenden Faktoren sind unter anderem erhebliche Veränderungen innerhalb des Systems der Mundart zu beobachten. Das betrifft am wenigsten das Lautsystem, dagegen ist eine starke Annäherung der Mundart an die Morphologie, Syntax, Wortbildung und den Wortschatz des Hochdeutschen zu verzeichnen.

Durch die soziolinguistische Forschung in der ehemaligen DDR wurden genaue Einblicke gewonnen über den Verlauf des Zurückgehens des Dialekts und die Erweiterung des kommunikativen Geltungsbereichs der Umgangssprache. Bei einigen Prozessen zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen sozialen Gruppen und Regionen. Beispielsweise erfüllt in Teilen Thüringens der Dialekt noch heute seine Funktion als Kommunikationsmittel auch im Arbeitsbereich79.

In der einschlägigen Forschung ist auch eine neue Funktion der Mundart erwähnt. Vgl. folgende Feststellung: In der Alltagsrede stellt sich der Sprecher mit der Wahl eines umgangssprachlichen oder eines Mundartwortes auf die Gesprächssituationen und -partner ein. Oft soll die Verwendung regional gebundenen Wortgutes Vertrautheit, familäre Nähe signalisieren. Damit erhält die regionale Varietät eine soziale Funktion80.

Der erste Typ territorialgebundener Lexik sind mundartliche Varianten. Sie sind landschaftlich eng begrenzt und nur auf mundartlicher Ebene bekannt und geläufig. Beispiele: Hündin - Patze - Lusche - Töle - Tebe; Frosch - Padde - Pogge - Hetsche - Kecker, Mücken - Schnaken - Gelsen81.

Den zweiten Typ territorialgebundener Lexik bilden territoriale oder landschaftliche Varianten (territoriale Tautonyme).82 Sie sind mundartlicher Herkunft, aber unterscheiden sich von der Mundartlexik dadurch, dass sie zum Wortbestand einer anderen Erscheinungsform der Sprache (Umgangssprache) gehören. Diese landschaftlichen Varianten sind zwar landschaftlich gebunden, aber überall bekannt. R Kretschmer, der als erster diese landschaftlichen Varianten erforschte und beschrieb, betonte, dass "sie alles gleich gute hochdeutsche Ausdrücke sind"83.

R. Große charakterisiert sie folgendermaßen: "...man verwendet gewöhnlich nur eines der Wörter. Aber sehr vielen Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, sind doch die anderen auch bekannt und viele wissen auch um die landschaftliche Beurteilung dieser Wörter84. Beispiele: Sonnabend - Samstag; Fleischer - Metzger - Schlächter, gestern Abend - gestern auf die Nacht; heute Morgen - heute in der Früh; dieses Jahr - heuer; Junge - Bub; fegen - kehren; Rauchfang - Schlot - Esse; Sahne - Rahm; Streichhölzer - Zündhölzer.

Auch in der DDR sind, wie R.Große schrieb, durch den intensiven Austausch innerhalb der Republik viele landschaftliche Varianten bekannt. Der Leipziger weiß z.B., dass der Berliner Schrippen anstelle seiner Brötchen verlangt, wie der Berliner (nicht ohne Lächeln) von der Bemme des Leipzigers anstelle seiner Stulle Kenntnis nimmt; und beiden sind das Achtwasser von der Ostseeküste und die Pyramide aus dem Erzgebirge bekannt85.

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Von den landschaftlichen Varianten sind die nationalen Varianten der Lexik zu unterscheiden. Es handelt sich in diesem Fall um die Lexik solcher mehr oder weniger standardisierten Varianten der deutschen Sprache, die als Literatursprachen anderer Nationen funktionieren86. Dazu gehören vor allem die österreichische nationale Variante und die Schweizer Variante. Diese Lexik bildet Forschungsgegenstand der lexikalischen Systeme der betreffenden Varianten der hochdeutschen Schriftsprache und wurde in der Fachliteratur entsprechend charakterisiert87. So können z.B. die Wörter Samstag, Erdapfel zu gleicher Zeit als landschaftliche oder nationale Varianten der Lexik betrachtet werden je nachdem, ob sie in Schwaben, Bayern oder in Österreich gebraucht werden.

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