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ПОСОБИЕ_Пожилова В.Е., Рябых Е.Б..doc
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13.11.2019
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Drehort heimat

Während „Heimat“ ein deutsches Dorf und traditionelles Familienleben zum Gegenstand hat, beschäftigt sich ,,Die Zweite Heimat“ mit den Menschen, die ihr Lebensglück in Groβstädten suchen, die sich aus den ursprünglichen Familienbindungen hinausbewegen und ihre persönliche Heimat bestimmen wollen. Was sie suchen und auf eigentümliche Weise auch finden, sind „Wahlverwandtschaften“. Das Verlangen nach neuen Freiheiten bestimmt ihr Leben. Sie wollen ihre Berufe, ihre Freundeskreise, ihren Aufenthalt, ihre Partnerschaften, ihre Tagesläufe und ihren geistigen Horizont freier bestimmen, als das ihre Eltern noch gewollt haben. Sie rebellieren gegen die Traditionen ihrer Herkunfts-Familien. Sie empfinden ihr Leben als eine Suche nach Sinn.

„Die Zweite Heimat“ beschreibt eine Welt im Aufbruch. Die jungen Leute, deren Lebensroman hier erzählt wird, haben ihre ersten Eindrücke in Verhältnissen gesammelt, die es seit Jahrhunderten gibt. Sie tragen – jeder auf seine Weise – ihr Dorf „Schabbach“ im Herzen, aber sie haben auch miterlebt, wie die Idyllen lächerlich werden, wie die Familien zerfallen oder wie in den Nachkriegsjahren familiäre Gemeinschaften Orte des Schweigens werden. Mutterliebe, Vaterliebe, Geschwisterliebe – was bedeutet das noch, wenn die Welt „drauβen“ bleibt, wenn die Kraft, die man in sich spürt, in der Familie nur behärrliche Verbote, nur Ängste mobilisiert? Ohne es zu wollen, haben diese Familien aber selbst die Flucht ermöglicht. Die Kinder sollen hohere Schulen besuchen und später in den Sädten studieren. So entkommen sie den ehrgeizigen Eltern durch den eigenen Ehrgeiz.

Die Welt der Städte ist schon lange keine Schabbach-Dorfwelt mehr. Das Individuum ist gefragt. Was zählt, ist die persönliche Leistung. Ob im Geschäftsleben oder an den Universitäten – die Individualität ist der Maβstab. Nachbarn, Arbeits-, und Studienkollegen werden anonym, es sei denn, man schlieβt mit ihnen spezielle Freundschaften, wählt sie in Freiheit zu Partnern.

Die Welt der Städte ist international. Die Figuren unserer Erzählung erleben eine Weite und eine Beweglichkeit, die berauschen kann: Heimat ist überall! Überall in der Welt ist Zukunft das gleiche – es gilt, sie zu gestalten. Wer sich in diesen Jahren aus den alten Bindungen löst, spürt, daβ er zu einer wachsenden Mehrheit der modernen Groβstadt-Menschheit gehört. Die „Zweite Heimat“ ist der selbstgeschaffene, ganz persönliche Lebensraum. Sie ist nicht mehr an feste Orte gebunden, ja nicht einmal mehr an lebenslange Beziehungen. Aber auch in der „Zweite Heimat“ suchen die Figu­ren unserer Geschichte etwas „Festes“: Ist es der Beruf? Sind es gemeinsame politische Überzeugungen? Ist es die Liebe? Ein Ideal? Die Musik? Die Freundschaft?

Unsere Erzählung beginnt, wenn der 19jährige Hermann in die Groβstadt kommt, um Musik zu studieren: im Herbst 1959. Welch eine Welt im Aufbruch! Welcher Hunger nach neuen Formen und neuem Ausdruck in allen Bereichen! Das grenzenlose Nachholbedürfnis der fünfziger Jahre hat nun auch die kulturellen Bereiche erfaβt. Architekten, Literaten, Designer, Filmemacher und vor allem Musiker stürzen sich in erstaunliche Experimente, stellen alles in Frage und beginnen, alles für machbar zu halten. Die internationale Avantgarde fühlt, daβ ihre Stunde gekommen ist. Zu schnell sind die Ruinen des Krieges verschwunden, zu schnell hat sich ein neues, sattes Bürgertum etabliert – jetzt wird die neue Lust an der Zerstörung entdeckt: Zerstörung der Idyllen in der Kunst. Hermann gerat in ein Karussell der Leidenschaften und Freundschaften derer, die die neue Musik, das neue Bauen, die neue Formgebung, den neuen Film schaffen wollen. Alles wird neu gedacht, und alles Alte ist vom Makel der Nazizeit gezeichnet. So beginnen die sechziger Jahre.

Aufgabe 10. Die folgende Auseinandersetzung mit dem Film “Zugvögel – einmal nach Inari” enthält eine Wertung, sie kennzeichnet das Verhältnis der Verfasserin zum Film und zum Filmemacher. Worin sieht die Verfasserin eine besondere Bedeutung des Regisseurs in der deutschen Filmszene?

ZUGVÖGEL – EINMAL NACH INARI…” VON PETER LICHTEFELD

Nichts als Ortsnamen und Zeitangaben, doch für den passionierten Kursbuchleser leuchten sie wie Wegweiser der Sehnsucht. Wenn Hannes einsam in seiner Dortmunder Küche Fahrpläne wälzt und Reiserouten austüftelt, bewegt ihn das Fernweh. Einmal will der Bierfahrer die verstopften Straβen und schweren Bierkasten hinter sich lassen, einmal das Weite suchen, „einmal nach Inari“, wie der Untertitel des Films „Zugvögel“ verspricht. Dorthin, zum Polarkreis, lockt den Einzelgänger der Erste Internationale Wettbewerb der Fahrplanexperten, den er gewinnen will. Schlieβlich setzt er alles auf eine Karte, die Fahrkarte nach Finnland.

Der Autor und Regisseur Peter Lichtefeld stiftet die Verbindung zwischen Hannes und seinem Sehnsuchtsziel durch suggestive Mon­tage. „Zugvogel“ beginnt mit Totalen und magischer Anziehungskraft: Der blaue Inari-See mit seinen grünen Inseln scheint auf, ehe Frank Griebes Kamera Hannes' Alltag mustert, von der Kaffeetasse bis zu den Lastern im grauen Bierdepot, das jeden Fluchtimpuls rechtfertigt. Doch kein Aufbruch ohne Hindernisse. Als der neue Chef ihm den Sonderurlaub streicht und Entlassung droht, läβt der schüchterne Hannes den Zyniker die Wucht seiner Sehnsucht fühlen mit einem Schlag.

Den Stoff, aus dem die herben Träume sind, versetzt Lichtefeld ebenso lässig wie schlüssig mit Krimimotiven. Endlich unterwegs, ahnt Hannes nichts von dem Verdacht, der sich im Dortmunder Bierdunst zusammenbraut. Als dort die Polizei den Chef ermordet findet, nimmt Kommissar Fanck (Peter Lohmeyer) Hannes' Spur auf. Hannes, dem Joachim Król scheu lächelnd alle Züge des reinen Toren gibt, droht im Zug nach Stockholm in eine weitere Falle zu tappen: Unter dem Vorwand von Freundschaft steckt der Schlafwagenschaffner dem Arglosen einen Koffer mit Blüten zu, der einen mitreisenden Hamburger Fahnder schlieβlich auf ihn aufmerksam macht. Jederzeit, so muβ der eingeweihte Zuschauer fürchten, kann Hannes' Verhaftung erfolgen.

Dem Regisseur gelingt ein Kunstgriff: Mit dem drastischen Nervenkitzel hält er in weiten Motivationsbögen die subtile innere Spannung wach, ob sich Hannes' Träume erfüllen. Paradoxerweise schafft Lichtefeld sich gerade durch den Krimirahmen Raum und Ruhe, die Kraft des Wunsches und der Erwartungen auszuspielen, die Hannes bewegt. Uber weite Strecken korrespondiert dabei Lichtefelds lakonische, zielstrebige Erzählweise mit den gelassenen Bewegungen, der Konzentration und Intensität des Hauptdarstellers Joachim Król.

Eine spröde Liebesgeschichte bahnt sich an, als im Eurocity nach Stockholm die finnische Rosenzüchterin Sirpa (Outi Mäenpää) in Han­nes' Abteil und sein Leben tritt. Daβ die Finnin so gut Deutsch spricht, ist ein Geschenk des Regisseurs an seine Hauptfigur. In einer blaugetönten Sequenz auf der nächtlichen Fähre tauschen sich die beiden über ihre Träume so wortkarg wie möglich aus und verstehen sich doch. Nach dieser blauen Stunde kann auch die Trennung der beiden kaum endgültig sein. Das Desaster der Beziehung Sirpas zu einem Finnen in Helsinki kann Lichtefeld, ohne den Mann zu zeigen, stillschweigend auf ein vielsagendes System verkürzen, auf die Rosen, die dieser zweifelhafte Freund in Sirpas Abwesenheit hat verwelken lassen. Hier und auch sonst erweist sich der Regisseur als ein Virtuose der Verknappung.

Understatement signatisiert die Höhepunkte des Films. So gelingt Lichtefeld die Rückkoppelung dieser Reise an bestes finnisches Kino, wenn der verlassene Hannes kurz vor der Endstation Sehnsucht im Speisewagen von einem krisenerprobten, einträchtigen Ehepaar aufgemuntert wird. Verkörpert von Kati Outinen und Kari Vaahanen, sind die beiden eine Neuauflage des Paars aus Aki Kaurismakis Film „Wolken ziehen vorüber“ und halten hier wie dort auf ihre Weise die Zuversicht hoch. So gönnte Lichtefeld seinem Reisenden unterwegs immer wieder, als Grenzfall der Pannen, kleine Wunder. Sie lassen Wunderdinge auch für das Finale in Inari erhoffen, wo mit breitkrempigem Hut nach Western-Art Kommissar Fanck Hannes erwartet.

Lichtefelds Film, der beim Deutschen Filmpreis das Filmband in Silber sowie zwei Einzelauszeichnungen erhielt, ist ein erstaunliches Debüt. Aber was heißt da Debüt? Seiner versonnenen Hauptfigur nicht unähnlich, hat auch der Anfangsvierziger Lichtefeld seine Träume offensichtlich reifen lassen. Jahrelang hat er Lebens- und Leinwanderfahrungen gesammelt – letztere mit Kurzfilmen und als Aufnahmeleiter –, ehe er dieses souveräne Werk wagte. So vereint „Zugvögel“ Qualitäten, die im deutschen Film selten zusammen auftreten: Herz, Witz, Lakonie und Leuchtkraft. Dieses Rail-Movie, in dem sich schließlich das Glück des Schüchternen Bahn bricht, hat das Zeug zur Zugnummer.

Aufgabe 11. Referieren Sie über den Inhalt des Textes. Sprechen Sie mit Ihrem Gesprächspartner(in) zum Thema: “Worauf gründet sich der Erfolg des jungen Filmemachers?