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ПОСОБИЕ_Пожилова В.Е., Рябых Е.Б..doc
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Wie objektiv sind Nachrichten?

Angesichts der Ergebnisse der Nachrichtenforschung und bestärkt durch Beobachtungen der Medien wird immer wieder die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Nachrichten aufgeworfen. Kann die Berichterstattung der Medien bei den vielen verschiedenartigen Einflüssen auf die Nachrichtenauswahl und -übertragung überhaupt ein tendenz- und verzerrungsfreies, objektives Bild der Wirklichkeit vermitteln?

Der erfahrene Journalist und Leiter einer Journalistenschule Wolf Schneider kommt 1984 zu dem Ergebnis: “Wir werden nicht richtig informiert. Wir leben mit der Desinformation [...]. Das liegt erstens an den Regierungen, zweitens an den Schwächen und Anfechtungen von Journalisten und drittens an den Sachzwängen des Journalismus.” Eine solche Feststellung steht in scharfem Kontrast zur Verpflichtung des Journalismus auf Sorgfalt und Wahrheit in den verschiedenen Rechtsgrundlagen der Massenmedien. Sehr deutlich heiβt es auch im Pressekodex, den vom Deutschen Presserat und den journalistischen Berufsorganisationen beschlossenen publizistischen Grundsätzen: “Achtung vor der Wahrheit und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse.”

Bei der Diskussion der Frage, wie objek­tiv Nachrichten sind und sein können, wird auf verschiedenen Ebenen argumentiert. Einige der Widersprüche lassen sich lösen, wenn man die verschie­denen Betrachtungsebenen voneinander unterscheidet. Mit dem Begriff der Objek­tivität verbindet sich erstens eine professionelle Norm, zweitens eine politische Forderung und drittens ein theoretisches Problem.

Vom Standpunkt journalistischer Professionalität aus betrachtet ist Objektivität eine Zielvorstellung, handlungsleitende Norm, die sich empirisch weder bestätigen noch falsifizieren (widerlegen) läβt. Sie hat die Aufgabe, bestimmte professionelle Standards zu sichern, die Informationsqualität der Berichterstattung zu verbessern. Objektivität läβt sich [...] mit Begriffen umschreiben wie Sachgerechtigkeit (Richtigkeit, Relevanz) und Unparteilichkeit (Ausgewogenheit, Fairneβ, Neutralität) [...]. In diesem Sinne sind auch die Begriffe Objektivität und Wahr­heit in den Gesetzestexten und im Pressekodex zu verstehen. [...]

Als politische Forderung hat der Begriff der Objektivität eine instrumentelle, strategische Funktion. Er dient dazu, die Nachrichtenauswahl im Sinne bestimmter [...] Interessen zu beeinflussen und damit letzten Endes über die Massenmedien das gesellschaftliche Gefüge von Macht und Einfluβ zu verändern oder auch zu konservieren. Am deutlichsten wird das, wenn in Wahlkampfzeiten den Medien von der einen oder anderen Partei Einseitigkeit vorgeworfen wird. In der Diskussion in der Bundesrepublik rückt dabei oft der Begriff der Ausgewogenheit in den Vordergrund, weil Programmausgewogenheit ein Gebot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, das sich aus seiner medienpolitischen Sonderstellung ergibt. [...]

Der Objektivitätsbegriff verweist schlieβlich auf ein theoretisches Problem, das in der Literatur aus unterschiedlichen Blickwinkeln – unter anderem der Erkenntnistheorie, der Wahrnehmungspsychologie, der Wissenssoziologie, der Ideologiekritik – diskutiert wird. [...]

Das Problem besteht darin, daβ die reale Umwelt viel “zu groß, zu komplex und auch zu flieβend” ist, wie Lippmann (1964) es ausdrückt, “um direkt erfaβt zu werden.” Bei der individuellen Wahrnehmung wie auch bei der Umweltbeachtung durch die Nachrichtenmedien kann die Realität immer nur in einem stark vereinfachten Modell “rekonstruiert” werden. [...] Es sind [...] Kategorien oder Sche­mata, mit deren Hilfe bei der Informationsverarbeitung die Umweltkomplexität reduziert und den Eindrücken Sinn verliehen wird. [...]

Nach Lippmanns Auffassung sind Nachricht und Wahrheit streng voneinander zu unterscheiden. [...]

Die Unterscheidung zwischen Ereignis und Nachrichten [ist] nur in der analyti-schen Abstraktion eindeutig möglich, in der realen Wahrnehmungssituation wie auch in der journalistischen Praxis jedoch im allgemeinen nicht. Denn das, was die Medien als “Ereignis” begreifen, ist bereits das Ergebnis von Selektions- und Verarbeitungsprozessen. [...] Auch Ereignisse müssen erst als solche definiert werden, [...] indem sinnvolle “Figuren” von einem irrelevanten “Hintergrund” abgehoben wer­den. [...]

Dieser Vorgang der Konstruktion von Realität wird von den Massenmedien geleistet. Man kann die Medien daher auch als “kollektive Organe” begreifen, mit der Funktion, gesellschaftliche Wirklichkeit in Nachrichten zu konstruieren. Damit stellt sich die Frage der Objektivität der Nach­richten nicht nur als ein Abbildungs- und Selektionsproblem, sondern auch als Frage nach der Interpretation von Wirklichkeit: Welche Interpretationsschemata, welche Hypothesen über die Realität wenden die Medien an, wenn sie uns die Welt durch Nachrichten deuten und da­mit wahrnehmbar machen?

Aufgabe 11. Lesen und übersetzen Sie den Text.