
[Wolfgang_J._Kox,_Claudia_D._Spies]_Check-up_Ans(BookFi.org)
.pdf
C-3
Schmerzen
am Bewegungsapparat
M. Schenk, H. Urnauer
C-3.1 |
Rückenschmerz 562 |
|
C-3.2 |
Radikuläres Wurzelreizsyndrom 563 |
|
C-3.3 |
Pseudoradikuläres Wurzelreizsyndrom 564 |
|
C-3.4 |
Fibromyalgie |
564 |
C-3.5 |
Osteoporose |
565 |

Schmerztherapie
562 C-3.1 · Rückenschmerz
C-3.1 Rückenschmerz
Klassifikationen (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
M 54.1 Radikulopathie
M 54.2 Zervikalneuralgie
M 54.3 Ischialgie
M 54.4 Lumboischialgie
M 54.5 Kreuzschmerz
M 54.6 Schmerzen im Bereich
der Brustwirbelsäule
M 54.8 Sonstige Rückenschmerzen
M 54.9 Chronischer Rückenschmerz
Epidemiologie
Die Lebenszeitprävalenz für Rückenschmerzen ist größer als 80%, die Punktprävalenz beträgt 40%. Die direkten Kosten von Erkrankungen des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes betrugen 1998 43 Mrd. DM (Rang 2 der direkten Krankheitskosten). Hierbei betrug der Anteil der Dorsopathien 46%, der Arthrosen 24%. Indirekte Krankheitskosten (Arbeitsunfähigkeit, Invalidität, vorzeitiger Tod): 65 Mrd. DM.
Die Wahrscheinlichkeit, nach einer 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeit wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden, beträgt lediglich 50%. Die durchschnittliche Schmerzdauer beträgt bei Rückenschmerzen 10,8 Jahre, sodass von einer starken Chronifizierung bei Rückenschmerzpatienten auszugehen ist. Bei 90% aller Rückenschmerzen handelt es sich um unspezifische Rückenschmerzen, d. h. es kann kein relevanter pathologischer Befund identifiziert werden (Fordyce 1995).
Biopsychosoziales Therapiekonzept vs. pathomorphologisches Paradigma
Das biopsychosoziale Paradigma ist zu bevorzugen, da es die meistens auftretende Diskrepanz zwischen objektiver Behinderung und subjektiver Beeinträchtigung erklären kann. Anhand von Untersuchungen an Rückenschmerzpatienten mit radikulären Schmerzen im akuten Schmerzstadium und 6 Monaten nach Auftreten der Schmerzen konnten Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung bestimmt werden (mechanische/psychische Belastungen, Verstärkung von Schonund Vermeidungsverhalten, negative Emotionen; Hasenbring 1992).
Weitere psychosoziale Faktoren, die einen hohen prädiktiven Aussagewert haben, sind psychische Stö-
rungen (Depressionen, Angststörungen, Somatisierungsstörungen), Unzufriedenheit am Arbeitsplatz (Andersson 1999). Ist ein erhöhtes Risiko für eine Chronifizierung erkennbar, ist eine interdisziplinäre Therapie unter Einbeziehung von psychotherapeutischen Verfahren erforderlich.
CAVE
Bei allen Rückenschmerzen, besonders plötzlich auftretenden, müssen destruierende Prozesse ausgeschlossen werden (Indikation für Bildgebung).
Frühbehandlung und Prävention
Frühzeitige körperliche Aktivierung des Patienten im Akutstadium reduziert u. a. Fehlzeiten am Arbeitsplatz (Linton et al. 1993). Es liegen Empfehlungen der DGSS zur Prävention der Chronifizierung bei Rückenschmerzen vor. Zur Prävention gehören Rückenschulprogramme, bei denen das Training von Bewegungsverhalten wichtig ist.
Multimodale Therapie chronifizierter Rückenschmerzen
Die Inhalte sind:
Körperliches Training
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren
Ergotherapeutische Maßnahmen entsprechend der Arbeitsplatzanforderungen
Eine Metaanalyse zeigt die Überlegenheit von multimodalen gegenüber monodisziplinären Ansätzen (Flor et al. 1992). Die Effektivität eines standardisierten Schmerzbewältigungstrainings in Gruppen in 12 Sitzungen wurde nachgewiesen (Basler et al. 1995). Die Effektivität eines 8wöchigen Trainings, welches neben psychologischen Verfahren u. a. Kraftund Ausdauertraining einbezieht, ist ebenfalls nachgewiesen (Pfingsten et al. 1997).

C-3 · Schmerzen des Bewegungsapparates
C-3.2 Radikuläres Wurzelreizsyndrom
Diagnostische Kriterien
Schädigung der Nervenwurzel distal des Myelons durch Bandscheibenprotrusion oder -prolaps
Definierter zeitlicher Beginn (meist plötzlich)
Schmerzlokalisation umschrieben, meist im Bereich eines oder mehrerer Dermatome, ins Bein ausstrahlend
Qualität neuralgiform brennend, stechend, elektrisch einschießend, Schmerzintensität sehr stark, Schmerzauslösung durch Pressen, Niesen, Husten oder bestimmte Bewegungen, Reflexabschwächungen oder Reflexausfälle, Hypästhesien
Apparative Untersuchungen:
Die Elektromyographie als neurophysiologische Untersuchungsmethode ist das Verfahren der Wahl, sensitiv 2 Wochen nach Läsion, sie ermöglicht Unterscheidung zwischen alten und frischen (Spontanaktivität als positive, scharfe Wellen) Wurzelläsionen
Bildgebung:
Sehr geringer Zusammenhang zwischen klinischem und radiologischem Befund, meist überbewertet
Ätiologie
Bandscheibenprotrusion oder -prolaps
Pathophysiologie
Aus sequestriertem Bandscheibengewebe Freisetzung von immunmodulatorisch wirkenden Substanzen und Entzündungsmediatoren
Mechanische Kompression der Nervenwurzeln steht eher im Hintergrund
Reflektorischer Schmerz durch Muskelverspannung
Differenzialdiagnosen
Pseudoradikuläres Wurzelreizsyndrom
Blockierung der Iliosakralgelenke (ISG)
Wirbelgelenkblockierungen
Hypermobilität
Kokzygodynie
Entzündliche oder destruierende Prozesse (Tumoren)
Knöcherne Kompressionssyndrome (zentrale oder periphere Spinalkanalstenose)
Primäre neurologische Pathologie
Periphere Nervenkompressionssyndrome (Mitschädigung des Sympathikus?, NLG)
563 C-3.2
Medikamentöse Therapie
Valdecoxib
Dosierung: 1-mal 10–20–40 mg
Diclofenac
Dosierung: 3-mal 50 mg p.o./Tag für maximal 3 Wochen (Wörz 2000)
Flupirtin
Dosierung: 3-mal 100–20 mg p.o./Tag (Herrmann 1993)
Prednison
Dosierung: 30 mg p.o./Tag über 5 Tage
Tolperison
Dosierung: 3-mal 50–100 mg p.o./Tag
Interventionelle Schmerztherapie
Periduralanalgesie – LWS
Dosierung: Ropivacain 0,2% 10 ml und Triamcinolon 80 mg (Matthews 1987; Breivik 1976; Serrao 1992)
Lumbale Grenzstrangblockade (Sympathikusblockade)
Paravertebralblockaden
Wurzelumflutungen?
Gegenirritationsverfahren
Akupunktur
TENS mit niedriger Frequenz (2–10 Hz)!
Physikalische Verfahren
Physiotherapie, frühfunktionell, keine Immobilisation
Haltungsschulung
Wärmetherapie
Massagen
Manuelle Therapie ist nicht indiziert
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Prävention der Chronifizierung: Verhaltenstraining in Arbeitsbereichen (Arbeitsorganisation, Haltung und Bewegung am Arbeitsplatz)
Entspannungsverfahren
Manuelle Medizin steht hier ganz im Vordergrund (Manualtherapie, Chirotherapie), da mit diesen Techniken teilweise eine kausale Therapie möglich ist.

Schmerztherapie
564 C-3.4 · Fibromyalgie
C-3.3 Pseudoradikuläres Wurzelreizsyndrom
Diagnostische Kriterien
Beginn chronisch
Qualität diffus, schlecht abgrenzbar, dumpf
Lokalisation oft beidseitig
Schmerzauslösung durch längere statische Belastung, Schmerzfreiheit durch Entlastung
Epidemiologie
Siehe oben.
Ätiologie
Blockierung der Iliosakralgelenke (ISG)
Blockierungen der Wirbelgelenke im unteren Lumbalbereich mit Funktionsstörungen von Gelenken und Muskeln
Hypermobilität
Störungen der Statik durch echte Beinlängendifferenz
Kokzygodynie
Periphere Nervenkompressionssyndrome
Korrelation mit depressiven und Angststörungen
Neuromuskuläre Dysbalance
Pathophysiologie
Störung von Funktionskreisen, reflektorische muskuläre Verspannungen und Blockierungen
Differenzialdiagnosen
Radikuläres Schmerzsyndrom
Entzündliche oder destruierende Prozesse
Medikamentöse Therapie
Flupirtin
Dosierung: 3-mal 100–200 mg p.o./Tag (Herrmann 1993)
Amitryptilin (1. Wahl)
Dosierung: 1-mal 25–75 mg p.o./Tag
Doxepin (2. Wahl) Dosierung: 10–75 mg p.o./Tag
Tramadol, Tilidin/Naloxon, Fentanyl, Morphin, Buprenorphin, Oxycodon oder
Hydromorphon retardiert
Dosierung: Nach Wirkung (Schulzeck 1993; Zenz 1992)
Nach psychologischer Abklärung und eindeutigem Wirksamkeitsnachweis
Regelmäßige Nachkontrollen
Interventionelle Schmerztherapie
Paravertebralblockaden
Periduralanästhesie
Gegenirritationsverfahren
Akupunktur
TENS mit niedriger Frequenz! (2–10 Hz)
Physikalische Verfahren
Manuelle Therapie
Physiotherapie
Haltungsschulung
Wärmetherapie
Massagen
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Verhaltenstherapie
Autogenes Training
Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
Hypnose
Biofeedback
Physiologische Therapieverfahren stehen hier ganz im Vordergrund (Manualtherapie, Chirotherapie), da diesen Techniken teilweise eine kausale Therapie möglich ist.
C-3.4 Fibromyalgie
Klassifikation (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
M 79.0 Rheumatismus, nicht näher bezeichnet, Fibromyalgie, Fibromyalgiesyndrom
Diagnostische Kriterien
Ausgedehnte, multilokuläre Schmerzzustände
Seit mindestens 3 Monaten
Druckschmerz an mindestens 11 von 18 definierten Körperstellen (»tender points«), bilateral
(Wolfe 1990)
Ausschluss einer hinreichenden Organerkrankung
Im Serum niedrige Serotoninund Tryptophanspiegel, im Liquor hohe Substanz P-Werte

C-3 · Schmerzen des Bewegungsapparates
Epidemiologie
1% der Bevölkerung (Macfarlane 1999)
Frauen sind häufiger betroffen als Männer
Ätiologie
Nicht geklärt, Fibromyalgiepatienten sind psychisch auffälliger als Patienten mit chronischer Polyarthritis oder Gesunde (Wolfe et al. 1984)
Erhöhte Prävalenz an klinisch relevanten Depressionen (Burckhardt et al. 1992), jedoch: Psychische Befunde sind ähnlich wie bei anderen chronischen Schmerzen (Birnie et al. 1991)
Pathophysiologie
Nicht geklärt, zentralnervöse Übererregbarkeit wird diskutiert
Erhöhung von Substanz P, Störung der Hormonregulation
Medikamentöse Therapie
Amitriptylin
Dosierung: 25–50 mg p.o./Tag (Carette 1994; Godfrey 1996)
Flupirtin
Dosierung: 3-mal 100–200 mg p.o./Tag
Interventionelle Schmerztherapie
Nicht indiziert
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Unterstützende psychotherapeutische Behandlung (Depressionsbehandlung)
Verhaltenstherapeutische Verfahren zur Erhöhung der Schmerztoleranz
Kognitiv-verhaltensorientierte Schmerzbewältigungsprogramme (z. B. Steigerung des Aktivitätsniveaus)
Ein multidisziplinärer mehrdimensionaler Therapieansatz steht hier besonders im Vordergrund, besonders Psychotherapie. Durch medikamentöse Therapie ist meist nur eine geringe Linderung möglich.
565 C-3.5
C-3.5 Osteoporose
Klassifikation (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
M 81: Osteoporose ohne pathologische Fraktur
Diagnostische Kriterien
Klinische Manifestation als Knochenschmerzen
Systemische Erkrankung des Skeletts mit Reduktion der Knochenmasse und Verschlechterung der Mikroarchitektur bei erhöhtem Frakturrisiko. Häufige Assoziation mit Schenkelhals-, Unterarmund Wirbelfrakturen
Als postmenopausale (Typ I) oder senile Osteoporose (Typ II), Frakturen und Größenabnahme
Diagnose durch Röntgen (bei Abnahme der Knochenmasse >30%), Knochendichtemessung, u. U. Knochenszintigraphie
Epidemiologie
In 95% der Fälle als primäre Osteoporose, 80% bei postmenopausalen Frauen
Ätiologie
Primäre Osteoporose: zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht, körperliche Inaktivität, Mangel an Kalzium oder Vitamin D, Nikotinabusus
Differenzialdiagnosen
Malignome
Primärer Hyperparathyreoidismus
Osteomalazie
Medikamentöse Therapie
Medikamente der WHO-Gruppe I
Kalzium
Dosierung: 1000–1500 mg p.o./Tag
Alfacalcidol
Dosierung: 1 g p.o./Tag
Alendronat
Dosierung: 10 mg p.o./Tag, 70 mg po/w
Calcitonin
Dosierung: 200 IE als Nasenspray oder i.v./Tag
Opiode retardiert nach WHO-Schema (z. B. Tramadol, Tilidin/Naloxon, Oxycodon) bei Schmerzen, die durch Basistherapie nicht ausreichend zu beherrschen sind

566 C-3.5 · Osteoporose
Interventionelle Schmerztherapie
Keine Indikation (u. U. bei Frakturen mit Wurzelkompression)
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Schmerzimmunisierungsverfahren: Entspannungs-, Imaginationsverfahren, Aufmerksamkeitslenkung, Stressmanagement
Schmerztherapie
Literatur
Basler HD et al. (1995) Ein Schmerzbewältigungsprogramm zur Gruppenund Einzelbehandlung. Quintessenz, München
Birnie DJ et al. (1991) J Rheumatol 18: 1845–1848 Breivik HAT (1976) Adv Pain Res Ther 3: 927–932 Burckhardt CS et al. (1992) Arthritis Care Res 5: 216–222 Carette J (1994) Arthritis Rheum 37: 32–40
FlorH et al. (1992) Pain 49: 221–230
Fordyce WE (1995) Back pain in the workplace. IASP Press Godfrey RG (1996) Arch Int Med 156: 1047–1452
Hasenbring (1992) Chronifizierung bandscheibenbedingter Schmerzen. Schattauer, Stuttgart
Herrmann MW (1993) Fortschr Med 111: 266–270 Linton et al. SJ (1993) Pain 54: 353–359 Macfarlane GJ (1999) IASP Press 113–123 Matthews SA (1987) Br J Rheumatol 26: 416–423 Pfingsten M et al. (1997) Schmerz 1: 30-41 Russell IJ (1997) Arthritis Rheum 40: 117 Schulzeck S (1993) Anästhesist 42: 545–545 Serrao JIM (1992) Pain 48: 5–12
Wolfe F (1990) Arthr Rheum 33: 160–171
Wolfe F et al. (1984) J Rheumatol 11/4: 500–506 Wörz R (2000) MMW Fortschr Med 142: 27–33 Zenz M (1992) J Pain Symptom Manag 7: 69–77

C-4
Neuropathische Schmerzen
M. Schenk, H. Urnauer
C-4.1 |
»Complex Regional Pain Syndrome« (CRPS) I 568 |
C-4.2 Phantomschmerz 569
C-4.3 Postzosterische Neuralgie 570

Schmerztherapie
568 C-4.1 · »Complex Regional Pain Syndrome« (CRPS) I
Diagnostische Kriterien
Qualität brennend, kribbelnd, schneidend, einschießend, elektrisierend, eher oberflächlich, Allodynie, Hyperästhesie, trophische Störungen etc.
Ätiologie
Schädigung von peripheren Nerven, Rückenmark oder Zerebrum
Unterteilung: Deafferenzierungsschmerz mit und ohne zugehöriges Körperteil (Amputation, Neurolysen, Nervenexhäresen, Plexusläsion), erhöhte Reaktionsbereitschaft und Spontanaktivität von Anteilen des nozizeptiven Systems
Medikamentöse Therapie
Kortikosteroide bei Nervenkompression, Carbamazepin, Antidepressiva, Gabapentin, Clonazepam, Opioide etc.
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Hypnotische Schmerztherapie:
Veränderung von Schmerzqualitäten; Entspannungsverfahren, Aufmerksamkeitslenkung, Stressmanagement
Lokalisation meist an den Extremitäten, Kraftminderung, Funktionseinschränkung (Merskey 1994)
Analgesie nach Ischämietest oder nach Sympathikusblockaden. Die Diagnosestellung erfolgt klinisch, Laboruntersuchungen sind nicht erforderlich
Pseudo-Neglect-Phänomen
Epidemiologie
Durchschnittsalter 40 Jahre,
Verhältnis Frauen zu Männer = 2 : 1
Ätiologie
Trauma, erhöhte Ängstlichkeit, emotionale Labilität, Depressivität, Erschöpfung zum Zeitpunkt des Traumas
Pathophysiologie
Unterhalt des Schmerzes durch den Sympathikus, Ephapsen zwischen sympathischen Efferenzen und nozizeptiven Afferenzen
Übliche Chronifizierungsmechanismen mit Spontanaktivität und Übererregbarkeit der Nozizeptoren
Neurogene Entzündung
Differenzialdiagnosen
Verzögerte Wundheilung
Inaktivitätsatrophie
C-4.1 »Complex Regional Pain Syndrome«
(CRPS) I
Klassifikation (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
M 89.0 Neurodystrophie (Algodystrophie), Schulter- Hand-Syndrom, M. Sudeck, sympathische Reflexdystrophie.
Diagnostische Kriterien
Sensible Störungen:
Spontaner Brennschmerz, Allodynie, Hyperalgesie
Motorische Störungen:
Muskelatrophie mit Reduktion der Kraft und Verlust der Willkürmotorik
Vegetative Störungen:
Generalisierte Schwellung (Ödem), trophische Störungen, Temperaturunterschiede, Durchblutungsstörungen, Störungen der Sudomotorik
Schmerzverstärkung bei Erhöhung des hydrostatischen Druckes
Medikamentöse Schmerztherapie
Metamizol
Dosierung: 6-mal 1 g p.o./Tag
Amitriptylin
Dosierung: 1-mal 25–75 mg p.o./Tag
Mirtazapin
Dosierung: 1-mal 30 mg p.o./Tag
Prednisolon
Dosierung: 40–80 mg p.o./Tag für 2 Wochen, dann ausschleichen (Kozin 1976)
Calcitonin
Dosierung: 100–200 IE i.v. oder als Nasenspray/Tag über 6 Wochen (Gobelet Waldburger 1992)
Gabapentin
Dosierung: 300–3600 mg p.o./Tag (Melnick 1995)
Pregabalin
Dosierung: 150–600 mg/Tag
Opioide retardiert (z. B. Tramadol, Morphin oder Oxycodon) nach WHO-Schema
Dosierung: nach Wirkung (Backonja 1994)

C-4 · Neuropathische Schmerzen
Interventionelle Schmerztherapie
Sympathikusblockaden (Chelimsky 1995; Christensen 1982; Hogan 1997)
Stellatumblockaden (Waldman 1987)
Plexus-Blockaden
Lumbale Periduralanalgesie mit Clonidin (Rauck 1993)
Intravenöse Guanethidinblockaden
«Spinal cord stimulation« (SCS; Kumar 1997)
Physikalische Verfahren
Physiotherapie:
Zur Wiederherstellung der verlorengegangenen Funktion, ohne Überschreitung der Schmerzgrenze
Lymphdrainage
Ergotherapie
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Körperwahrnehmungstraining:
Patienten entwickeln Pseudo-Neglect-Beschwerden (Wahrnehmung für den betroffenen Körperteil geht verloren, Abscheu/Ekel entsteht)
Bei akuter Symptomatik:
Ruhe gönnen, nur das tun was gut tut, Belastungsregulation
Nach Abklingen der akuten Symptomatik: Stressbewältigung, Veränderung von Selbstüberforderung, Verbesserung der emotionalen Wahrnehmung
Gegenirritationsverfahren
Akupunktur
TENS
Oft undiagnostiziert oder sehr spät diagnostiziert, kann zum völligen Funktionsverlust führen. Multidisziplinäres Vorgehen mit Kooperation
von Schmerztherapie, Physiotherapie und Psychotherapie erforderlich.
C-4.2 Phantomschmerz
Klassifikation (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
G 54.6: Phantomschmerz
G 54.7: Phantomglied ohne Schmerzen (ohne nährere Angaben in ICD 10)
Phantomglied
569 C-4.2
Diagnostische Kriterien
Meist Dauerschmerz
Qualität brennend, krampfartig, elektrisierend, juckend, Attacken einschießend, elektrisierend
Schmerzintensität sehr hoch (Saris 1985)
Der Phantomschmerz ist eine schmerzhafte Empfindung eines nicht mehr vorhandenen Körperteiles (DD: Phantomerlebnisse)
Epidemiologie
Nach Amputation 50–85% (Katz 1997), mit dem Alter zunehmend, nach Extremitätenamputationen, auch nach Zahnextraktionen, Mastektomien etc.
Ätiologie
Amputation von Körperteilen (nicht nur Extremitäten)
Pathophysiologie
Deafferentierungshypothese:
Enthemmung exzitatorischer Neurone (zentraler nozizeptiver Systeme im Rückenmark, Thalamus und Kortex) durch den Wegfall des afferenten Einstroms im ZNS (Oberbegriff Deafferenzierungsschmerz)
Die Intensität hängt ab vom Ausmaß der kortikalen Repräsentation und von der Stärke des nozizeptiven Input und dessen Dauer vor der Amputation
Differenzialdiagnosen
Keine, Psychose
Medikamentöse Schmerztherapie
Amitriptylin
Dosierung: 25–150 mg p.o./Tag
Carbamazepin
Dosierung: 200–1200 mg p.o./Tag (Elliott 1976; Patterson 1988)
Gabapentin
Dosierung: 300–3600 mg p.o./Tag
Calcitonin
Dosierung: 200 IE i.v. oder als Nasenspray/Tag über 3–5 Tage (Jaeger 1992; Kessel 1987; Mertz 1983)
Mexiletin
Dosierung: initial 1-mal 400 mg p.o./Tag, dann 3-mal 200 mg p.o./Tag (Davis 1993)

Schmerztherapie
570 C-4.3 · Postzosterische Neuralgie
Amantadin
Dosierung: 200 mg i.v. über 3 h, danach u. U. orale Fortführung (Pud 1998)
Ketamin
Dosierung: initial 50 g/kgKG i.v., 1–24 h (Tag 1)
2 g/kgKG/min, 25–72 h (Tag 2 und 3) 1 g/kg/min kontinuierlich über Perfusor
Opioide
Dosierung und Art des Opioides: entsprechend WHO-Schema (s. unten: Abb. C-4)
Methadon
Dosierung: nach Wirkung. CAVE: initial schlechte Steuerbarkeit; dieses Opioid hat die Besonderheit eines besonders ausgeprägten NMDA-Antagonismus (Morley 1998)
Interventionelle Schmerztherapie
Perioperative kontinuierliche Regionalanästhesie
Ein protektiver Effekt im Sinne einer Phantomschmerzreduktion ist wahrscheinlich (Bach 1998; Jensen 1985; Katsuly-Liapis 1996; Lierz 1998)
Sympathikusblockaden
–Stellatumblockaden an der oberen Extremität
–Blockaden des lumbalen Sympathikus an der unteren Extremität (in Form von PDA oder auch PVA möglich; Blankenbaker 1997)
Psychologische Therapieverfahren und Prophylaxe
Verhaltenstherapeutische kognitive Schmerzbewältigungsverfahren (die Patienten getrauen sich oft nicht, über den Phantomschmerz zu sprechen)
Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (Sherman et al. 1979)
Hypnose (Siegel 1979)
Gegenirritationsverfahren
Akupunktur
Neuraltherapie
TENS
Die Therapie eines länger bestehenden Phantomschmerzes ist außerordentlich schwierig. Im Sinne einer Prävention ist somit eine effiziente perioperative Schmerztherapie essenziell. Die Schmerzfreiheit
vor der Amputation ist anzustreben!
C-4.3 Postzosterische Neuralgie
Klassifikation (ICD 10, SGB-V, Version 2.0)
B 02: Zoster (Herpes zoster).
Diagnostische Kriterien
Dauerschmerz
Qualität brennend, bohrend, »wie rohes Fleisch«, Schmerzattacken neuralgiform-einschießend, dynamische Berührungsallodynie
Schmerzintensität besonders hoch
Sonderform: Zoster opticus mit Befall des
N. facialis: (CAVE: Befall des inneren Gehörgangs)
Epidemiologie
Die Inzidenz liegt bei älteren Menschen bei ca. 125/100 000/Jahr
Sie steigt mit zunehmendem Alter und dem Ausmaß einer Immunsupression (Loeser 1986; Malin 1996)
Verhältnis Frauen zu Männer = 1 : 1
Pathophysiologie
Bei Zustand nach Infektionskrankheit durch das Varizella-zoster-Virus kommt es zur Reaktivierung latenter Varizellenviren durch forcierte Replikation in den Spinalund Hirnnervenganglien mit Befall von Hirnnerven, peripheren Nerven und der Haut
Die viral bedingte nekrotisierende Entzündung besonders myelinisierter Nervenfasern führt zu deren teilweisen Zerstörung mit neuropathischem Schmerz als klinischem Korrelat
Differenzialdiagnosen
Trigeminusneuralgie
Interkostalneuralgie
Atypischer Gesichtsschmerz
Therapie
Medikamentöse Therapie
Medikamentöse Schmerztherapie des akuten Zosterschmerzes
Famciclovir
Dosierung: 1-mal 250 mg p.o./Tag für 7 Tage
Aciclovir
Dosierung: 5-mal 800 mg p.o./Tag oder 3-mal
5–10 mg/kgKG i.v./Tag für 7–10 Tage (Balfour 1983)