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Лексикология современного немецкого языка 86 :: 87 :: 88 :: 89 :: 90 :: Содержание 2.3.1.2. Die Reaktion gegen die klassische Theorie. Zum heutigen Stand der Wortbildungslehre in der deutschsprachigen Wissenschaft

Wie aus dem Gesagten hervorgeht, widersprechen die führenden Prinzipien der gegenwärtigen Sprachwissenschaft den Grundprinzipien der klassischen Theorie. So stehen einander gegenüber: scharfe Abgrenzung der Syn-chronie von der Diachronie - Verquickung der beiden Aspekte; Systembetrachtung der Sprache - synthetische Analyse der Einzelerscheinungen; explizite Methoden der Sprachforschung - implizite Annahme der sprachlichen Erscheinungen. Dennoch spielen die Errungenschaften der traditionellen Wortbildungslehre bis heute eine bedeutende Rolle. Nicht nur das von den Gelehrten des 19. und des ersten Viertels des 20. Jhs. gesammelte reiche Material, sondern auch die von ihnen benutzten Klassifikationen und Fachausdrücke (auch manche theoretische Erwägungen und Schlussfolgerungen) beeinflussen - mehr oder weniger - die Forschungen der Linguisten der Gegenwart. Im allgemeinen aber gelten für die Erforschung der Wortbildung die oben erwähnten Besonderheiten für alle Arbeiten auf diesem Gebiet unabhängig davon, welche Linie sie vertreten. Die Reaktion auf die Grundprinzipien der klassischen Sprachtheorie gilt auch für die Wortbildung. In erster Linie müssen die strukturelle Methode und die ihr nahe stehende generative Grammatik genannt werden.

So geht man von der Wortstruktur und von der formellen Verbindung des Wortes mit anderen Ebenen der Sprache aus, wobei die Semantik unterschätzt wird. Eine besonders große Rolle spielt die formelle Transformation, die für die generative Grammatik typisch ist. "Wortbildung ist in dieses hier sehr andeutungsweise vorgestellte Modell (es handelt sich um die semantisch-syntaktische Interpretation der Wörter - М.S.) integriert als ein großer Teil der Wörter der deutschen Gegenwartssprache als Transformationsprodukte dargestellt werden kann23. In den Arbeiten, die in der Bundesrepublik erscheinen, stützt sich die Wortbildungsanalyse auf die Transformation, die die "Oberflächenstruktur in die Tiefenstruktur" verwandelt. Dabei entsprechen die syntaktischen Gebilde bei weitem nicht immer der Bedeutung der Ableitungen und der Zusammensetzungen, die in diese Gebilde transformiert werden. So finden wir z.B. in der letzten Auflage der Duden-Gramma-tik folgende Transformationen der "syntaktisch-semantisch durchsichtigen

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Wörter": "Das Pferd ist vorübergehend lahm. - Das Pferd lahmt"24; "Er macht ihn zu einem scheinbaren Heros. - Er heroisiert ihn"25; "Wilhelm malt Bilder an die Wand. - Wilhelm bemalt die Wand mit Bildern"26 u.a.m.

Es muss konstatiert werden, dass die Beziehung - abgeleitetes oder zusammengesetztes Wort - oft einem syntaktisches Gebilde entspricht. Es ist aber in Betracht zu ziehen, dass es sich dabei um die semantische Motivation handelt, die mit der Wortbedeutung bei weitem nicht immer zusammenfällt.

Es ist anzunehmen, dass die strukturelle Auffassung der Wörter auch manche positive Erscheinungen einschließt: es handelt sich um die Morphemanalyse der Wörter, um die Analyse nach unmittelbaren Konstituenten, um die Modellierung u.a. Verfahren, die jetzt erfolgreich benutzt werden.

Die in der Bundesrepublik erschienenen Werke, die der Wortbildung gewidmet sind, können bei der Wortbildungsanalyse helfen. So enthält das Buch von J. Erben "Einführung in die deutsche Wortbildungslehre"27 eine interessante Schilderung der synchronen Wortbildung; die "Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache" ist eine ausführliche Beschreibung der Wortbildung (durch Ableitung) der deutschen Grundwortarten u.a.m.

Zum Unterschied von "strukturbezogenen" Werken der Sprachforscher der BRD muss die sogenannte auch in der BRD entstandene "inhaltbezogene" Wortbildung erwähnt werden als Bestandteil der "inhaltbezogenen" Grammatik, als deren anerkanntes Haupt L. Weisgerber genannt wird. Diese Theorie stützt sich auf eine idealistische Anschauungsweise: es existiere eine sprachliche "Zwischenwelt" - eine Welt von reinen Ideen -, die mit Hilfe von "sprachlichen Zugriffen" in sprachlichen Zeichen (darunter auch Wörter und Morpheme) ihren Ausdruck finden. Ein anderer Grundsatz ist die Idee des Geistes der Muttersprache -jedes Volk habe nicht nur seine eigene Sprache, sondern auch sein eigenes Bewusstsein, wobei Sprache und Bewusstsein identifiziert werden. So zeuge z.B. die Neigung zur Bildung von Zusammensetzungen im Deutschen davon, dass das Denken eines Deutschen konkreter sei als das Denken der Angehörigen anderer Nationalitäten, die weniger Zusammensetzungen gebrauchen. Von besonderer Wichtigkeit ist die Annahme, dass die Sprache nicht "Ergon" (das Seiende), sondern "Energia" (die schöpfende Kraft) sei: sie beeinflusse das Leben der Menschen29. Die Grundsätze der inhaltbezogenen Grammatik sind nicht eindeutig, sie sind widerspruchsvoll. Aber trotz der wesentlichen theoretischen Mängel, die in unserer Sprachwissenschaft eingehend kritisiert wurden, sind einige von Weisgerber vorgeschlagene Verfahren der Wortbildungsanalyse von Interesse. Er entlehnte die Idee von K. Baidinger im Hinblick auf die Aussonderung der "Wortnischen" (der "semantischen Nischen" nach der Terminologie von K. Baidinger), d.h. von Wortgruppen mit gleicher kategoria-ler Bedeutung innerhalb ein und derselben Wortbildungsstruktur - es handelt sich um die "Vorarbeit", die die lautbezogene Wortbildungslehre liefert: Solche "Nischen" lassen sich zu "Wortständen" vereinigen, die in der Wortbildung dieselbe Rolle spielen wie die semantischen Felder in der Lexik.

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Nach K. Baidinger und L. Weisgerber gehen auch W. Porzig30, H. Geckeier31 u.a. von gleicher Konzeption aus.

Obgleich die Einstellungen der "strukturellen" und der "inhaltbezogenen" Wortbildungslehre grundverschieden sind, haben beide Linien in der Entwicklung dieser Lehre einige gemeinsame Züge: eine konsequent durchgeführte synchrone Sprachbetrachtung und die Beleuchtung der Wortbildung unter analytischem Aspekt. Beide Besonderheiten erscheinen als eine Art Reaktion gegen die traditionelle Theorie und lassen sich als positiv einschätzen.

Es sei bemerkt, dass die inhaltbezogene Theorie auch in der BRD jetzt nicht mehr populär ist.Nur die oben genannte große Arbeit "Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache" (siehe S. 84) steht noch teilweise unter dem Einfluss der "inhaltbezogenen Wortbildung", enthält dabei umfangreiches Material, das objektiv analysiert wird.

Als Übergang von der Tradition zu der neuen Auffassung der Wortbildung ist das Werk von W.Henzen anzusehen, dessen "Deutsche Wortbildung" in drei Auflagen erschienen ist (siehe oben, S. 84), wobei jede dieser Auflagen "moderner" als die ihr vorangehende ist. So verzichtet der Verfasser seit der 2. Auflage auf die traditionelle Vereinigung der Präfixbildung mit der Zusammensetzung wegen der "Unterordnung des historischen Gesichtspunktes unter einen funktionellen". Die 3. Auflage enthält "Ergänzungen zu den einzelnen Abschnitten" (Hinweis auf weitere Abhandlungen), womit das Ziel verfolgt wird, neuere Einstellungen oder Ergebnisse der Forschungen kurz anzudeuten32. Eine diachrone Einstellung ist in allen drei Auflagen deutlich zu bemerken - die Wortbildungsarten und -mittel werden historisch beleuchtet; es werden aber auch Strukturen angegeben, die für die Sprache der Gegenwart typisch sind, wobei zahlreiche Belege aus der Gegenwartssprache angeführt werden.

In der ehemaligen DDR hat sich in den 60er - 70er Jahren eine struktu-rell-semantische und funktionale Einstellung der Sprachwissenschaft entwickelt, was auch für die Wortbildungstheorie gilt. W. Jung hält sich noch in dem Teil seiner Grammatik, in dem die Wortbildung geschildert wird, an den historischen Aspekt; auch gibt er knappe historische Erläuterungen in Bezug auf die Herkunft der Wortbildungsmittel und der einzelnen Wörter. Andererseits behandelt er kurz den Bau des Wortes und widmet besondere Aufmerksamkeit den Tendenzen in der Wortbildung der Gegenwart33, z.B. der "Entstehung" der Zusammensetzungen mit einer substantivischen Pluralform als erste Komponente, - Typ Gästehaus (was auch W. Henzen unter dem Terminus "Pluralkomposita" erwähnt), mit Personennamen - Typ Goethehaus; der Kurzwörter, der einfachen desubstantivischen Verben neben Ableitungen mit -ieren, -isieren - Typ lacken (vgl. lackieren), pulvern (vgl. pulverisieren) u.a.m. Bemerkenswert ist auch, dass bei der allgemeinen Schilderung "der Wörter und des Wortschatzes" (womit der Teil "Wortbildung" beginnt) die "Wortfelder" kurz erwähnt werden.

Die Arbeiten mancher Sprachforscher weisen eine strukturell-semanti-sche Einstellung auf; dabei findet das Streben, die Sprachtheorie auf der

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materialistischen Sprachauffassung aufzubauen, auch auf diesem Gebiet seinen Ausdruck. Von besonderer Bedeutung sind die der Wortbildung gewidmeten zahlreichen Aufsätze von W. Fleischer und in erster Linie seine "Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache" - ein Buch, das dieses Gebiet sehr ausführlich darstellt und es dabei von verschiedenen Seiten und anhand von Belegen aus Presse und schöner Literatur der neuesten Zeit beleuchtet34 W. Fleischer bricht nicht vollständig mit der Tradition, er wendet aber auch manche Methoden an, die die moderne Sprachwissenschaft kennzeichnen und damit die Wortbildungslehre mit den aktuellen Problemen der Sprachwissenschaft verbindet. Im Zusammenhang mit der Wortbildung werden solche Probleme behandelt, wie die Bezeichnungsstruktur des Wortes und das Abbild, die Entstehung neuer Wörter im allgemeinen, die Wortmotivation u.a.m. Das Grundziel des Buches ist eine synchrone Darstellung der deutschen Gegenwartssprache, dabei bedient sich der Verfasser solcher Methoden der Wortanalyse wie der Zerlegung der Wortstämme in die unmittelbaren Konstituenten, Transformation, Distribution, Modellierung. Von großem Wert sind die Belege, die den deutschen Wortschatz der Gegenwart in seinem Werden darstellen, wie auch Hinweise auf die stilistischen Aspekte der Wortbildung. W. Fleischer gebraucht teilweise die traditionellen Klassifikationen und Begriffe, wenn auch einige von ihnen wie z.B. die Betrachtung der Possessivkomposita als eines dritten Typs der Zusammensetzung neben den Determinativ- und Kopulativkomposita und die Termini "eigentliche" und "uneigentliche" Zusammensetzungen u.a.m. überarbeitet werden. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Verfasser dem Übergang der Komponenten der Komposita in Wortbildungsmittel (siehe weiter unten S. 116), was den neuen Tendenzen der Wortbildungstheorie entspricht. Was die Aspekte der Wortbildungsanalyse angeht, so nimmt W. Fleischer, wie oben gesagt, das Vorhandensein des "prozessualen" und "analytischen" Aspektes an. Es ist zu betonen, dass der Verfasser der Tradition der deutschen Sprachlehre entsprechend die Präfixbildung aus der Ableitung ausschließt, wenn er sie auch mit der Zusammensetzung nicht identifiziert, d.h. er sondert im Allgemeinen drei Grundarten der Wortbildung aus: Zusammensetzung, Ableitung, Präfixbildung (dasselbe gilt für W. Henzen - siehe die 2. und 3. Auflage seiner "Deutschen Wortbildung" - W. Jung und andere deutsche Germanisten). Speziell zu erwähnen sind mehrere Aufsätze von W. Fleischer wie z.B. "Tendenzen der deutschen Wortbildung". In diesem Aufsatz werden einige häufig gewordene Konstruktionen erwähnt wie die "Verdichtung" einer syntaktischen Wortverbindung zu einem einzigen Wort-Тур Lese-Blatt-Samm-lung; lautlich-grafische Reduktion und Kürzung Schirm (neben Regenschirm), verbale Präfixbildungen zu Fremdwörtern-Тур verkomplizieren u.a.m. Auch wird das Entstehen neuer Affixe erwähnt, darunter die "Morphematisierung" fremdsprachiger Elemente Typ mini- in Minilok, -koffer u.a. Zum Schluss behandelt der Verfasser "die ständige Entwicklung von Isolierungen und unikalen Morphemen" und auch Erscheinungen, die jetzt noch als "Störungen des Systems" empfunden werden, in Wirklichkeit aber bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen: "das entspricht dem Wesen der Sprache und dem

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Charakter ihrer durch außersprachliche Faktoren bestimmten Entwicklung"35. Die letzte Äußerung wie auch die Schilderung des heutigen Wortbildungssystems in seiner Verbindung mit extralinguistischen Momenten gehören zu einem neuen Gebiet in der Wortbildungstheorie: Es handelt sich um ihre Funktion als eines Teils der Soziolinguistik, die im Mittelpunkt des Interesses der Sprachforscher verschiedener Länder steht.

Die pragmatische Einstellung der Wortbildung kommt im Aufsatz von W.Fleischer "Konnotation und Ideologiegebundenheit in ihrem Verhältnis zu Sprachsystem und Text"36 zum Ausdruck: da werden sowohl fertige Lexeme als auch "Typen von Formativstrukturen" von diesem Standpunkt aus behandelt37. Eine besonders ausführliche Beschreibung der deutschen Wortbildung finden wir in den Teilen des Buches "Теоретические основы словообразования в немецком языке", die W. Fleischer geschrieben hat38.

Zum Schluss muss betont werden, dass der Wortbildung in der deutschsprachigen Germanistik viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es lässt sich immer deutlicher fühlen, dass Struktur und Semantik im Sinne der gegenständlichen Bezogenheit und kommunikativen Funktion der sprachlichen Zeichen eng miteinander verbunden sind, was als Grundlage einer einheitlichen Forschungsrichtung dienen kann.

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