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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich sah ihm fest in seine harmlosen grauen Augen. ›Mercedes, den Wagen des f"uhrers, selbstverst"andlich!‹

Er nickte. ›Es ist sch"on hier, was? Nicht so wie zu Hause, aber doch sch"on, finden Sie nicht?‹

›Sehr sch"on. Nicht wie zu Hause, das ist klar.‹

Wir tranken. Der Kognak war hervorragend. Henri kam mit unseren Sachen und legte sie auf einen Stuhl. Ich kontrollierte den Rucksack. Es war alles da.

›In Ordnung‹, sagte ich zu dem Unteroffizier.

›Es war Schuld des Burschen‹, erkl"arte der Wirt. ›Du bist entlassen, Henri! Scher dich raus!‹

›Danke, Unteroffizier‹, sagte Helen. ›Sie sind ein deutscher Mann und ein Kavalier.‹

Der Unteroffizier salutierte. Er war unter f"unfundzwanzig Jahre alt. ›Da w"are noch die Rechnung f"ur den Dubonnet und die Flasche Pernod, die zerbrochen worden sind‹, sagte der Wirt, der wieder Mut gefasst hatte. Helen "ubersetzte. ›Kein Kavalier‹, f"ugte sie hinzu. ›Es war Notwehr.‹

Der Unteroffizier nahm die n"achste Flasche von der Theke. ›Erlauben Sie‹, meinte er galant. ›Schliesslich sind wir nicht umsonst die Sieger!‹

›Madame trinkt keinen Cointreau‹, erkl"arte ich. ›Nehmen Sie den Kognak, Unteroffizier, auch wenn er schon angebrochen ist.‹

Der Unteroffizier pr"asentierte Helen mit der Flasche. Ich steckte sie in den Rucksack. Wir verabschiedeten uns vor der T"ur. Ich hatte Sorge, dass der Soldat uns bis zu unserm Mercedes begleiten wolle; aber Helen machte das ausgezeichnet. ›So was kann bei uns nicht passieren‹, sagte der junge Mann stolz beim Abschied. ›Bei uns herrscht Ordnung.‹

Ich sah ihm nach. Ordnung, dachte ich. Mit Foltern, Genicksch"ussen und Massenmord! Gib mir lieber hunderttausend kleine Betr"uger wie diesen Wirt!

›Wie f"uhlst du dich?‹ fragte Helen.

›Gut. Ich wusste nicht, dass du so fluchen kannst.‹

Sie lachte. ›Ich habe es im Lager gelernt. Wie das befreit! Ein Jahr Internierung ist pl"otzlich von meinen Schultern geglitten! Aber wo hast du gelernt, mit zerbrochenen Flaschen zu k"ampfen und Leute zu Eunuchen zu treten?‹

›Im Kampf um die Menschenrechte‹, erwiderte ich. ›Wir leben im Zeitalter der Paradoxe. Zur Erhaltung des Friedens f"uhren wir Krieg.‹

Es war fast so. Man war gezwungen, zu l"ugen und zu betr"ugen, um sich zu verteidigen und am Leben zu bleiben. In den n"achsten Wochen stahl ich den Bauern Obst von den B"aumen und Milch aus den Kellern. Es war eine gl"uckliche Zeit. Sie war gef"ahrlich, l"acherlich, manchmal trostlos und oft komisch – aber sie war nie bitter. Ich habe Ihnen soeben den Zwischenfall mit dem Wirt erz"ahlt; "ahnliche Situationen gab es bald mehr. Sie kennen das wahrscheinlich auch?«

Ich nickte.»Wenn man sie so auffassen konnte, waren sie oft komisch.«

»Ich lernte es«, erwiderte Schwarz.»Durch Helen. Sie war ein Mensch, in dem sich keine Vergangenheit mehr sammelte. Das, was ich nur manchmal gef"uhlt hatte, wurde in ihr strahlende Wirklichkeit. Die Vergangenheit brach bei ihr jeden Tag ab wie das Eis hinter dem Reiter "uber den Bodensee. Daf"ur dr"angte sich alles in die Gegenwart. Das, was sich bei anderen "uber ein Leben verteilt, konzentrierte sich bei ihr auf den Augenblick; aber es war keine starre Konzentration. Sie war v"ollig gel"ost, heiter wie Mozart und unerbittlich wie der Tod. Die Begriffe Moral und Verantwortung, in ihrem dumpfen Sinne, existierten nicht mehr; h"ohere, fast "atherische Gesetze traten an ihre Stelle. Sie hatte keine Zeit mehr f"ur etwas anderes. Wie ein Feuerwerk spr"uhte sie, aber ohne Asche. Sie wollte nicht gerettet werden; ich glaubte das damals noch nicht. Sie wusste, dass sie nicht zu retten war. Da ich aber darauf bestand, liess sie es zu – und ich, Narr, schleppte sie den Kreuzweg entlang, alle zw"olf Stationen, von Bordeaux nach Bayonne und dann den endlosen Weg nach Marseille und zur"uck bis hierher.

Als wir zu dem Schl"osschen zur"uckkamen, war es besetzt. Wir sahen Uniformen, Soldaten, die h"olzerne Werktische heranschleppten, und ein paar Offiziere, die in Fliegerbreeches und gl"anzenden, hohen Stiefeln wie fremdartige Pfauen umherstolzierten.

Wir beobachteten sie vom Park aus, hinter einer Buche und einer marmornen G"ottin versteckt. Es war ein seidener sp"ater Nachmittag. ›Haben wir noch etwas dr"uben?‹ fragte ich.

›Die "Apfel an den B"aumen, die Luft, den goldenen Oktober und unsere Tr"aume‹, sagte Helen.

›Die haben wir "uberall hinterlassen‹, erwiderte ich. ›Wie fliegende Spinnweben im Herbst.‹

Der Offizier auf der Terrasse gab ein paar scharfe Kommandos. ›Die Stimme des zwanzigsten Jahrhunderts‹, sagte Helen. ›Lass uns gehen. Wo schlafen wir heute nacht?‹

›Wir werden irgendwo im Heu schlafen‹, sagte ich. ›Vielleicht auch in einem Bett. Auf jeden Fall aber zusammen.‹«

16

»Erinnern Sie sich an den Platz vor dem Konsulat in Bayonne?«fragte Schwarz.»An die Viererreihen der Fl"uchtlinge, die sich dann l"osten und in Panik den Eingang blockierten und verzweifelt st"ohnten und weinten und um Platz k"ampften?«

»Ich erinnere mich daran, dass es Platzzettel gab«, erwiderte ich.

»Sie gaben einem das Recht, draussen zu stehen. Trotzdem blockierte die Menge den Eingang. Wenn die Fenster ge"offnet wurden, stieg das St"ohnen zum Schreien und Heulen an. Die P"asse mussten aus den Fenstern heruntergeworfen werden. Dieser Wald von ausgestreckten H"anden!«

Die h"ubschere der beiden Frauen, die in der Kneipe noch auf waren, schlenderte heran und g"ahnte.»Ihr seid komisch«, sagte sie.»Redet und redet! Wir aber m"ussen jetzt schlafen. Wenn ihr noch anderswo sitzen wollt – alle Kneipen der Stadt sind wieder in Betrieb.«Sie "offnete die T"ur. Weiss und kreischend brach der Morgen herein. Die Sonne schien. Sie schloss die T"ur wieder. Ich sah auf die Uhr.

»Das Schiff geht nicht heute nachmittag«, erkl"arte Schwarz.»Es f"ahrt erst morgen abend.«

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