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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich nickte.»Was geschah mit Ihnen?«

»Es wurde bald kalt. Wir hatten nat"urlich nicht genug Decken und keine Kohlen. Die "ubliche Schlamperei; aber Kummer ist schwerer zu ertragen, wenn man friert. Ich will Sie nicht langweilen mit der Schilderung des Winters im Lager. Ironie ist da billig. H"atten Helen und ich zugegeben, wir w"aren Nazis, so w"are es uns besser ergangen – wir w"aren in Speziallager gebracht worden. W"ahrend wir hungerten und froren und Diarrh"oe hatten, sah ich in den Zeitungen Fotos der internierten deutschen Gefangenen, die keine Emigranten waren; sie hatten Messer und Gabeln, St"uhle und Tische, Betten, Decken, ja sogar einen eigenen Essraum. Die Zeitungen waren stolz darauf, wie anst"andig man die Feinde behandelte. Mit uns brauchte man nicht so vorsichtig zu sein; wir waren nicht gef"ahrlich.

Ich lebte mich ein. Ich schaltete den Begriff Gerechtigkeit aus, so wie Helen es mir geraten hatte. Abend f"ur Abend, nach der Arbeit, sass ich in meinem Teil der Baracke. Ich hatte etwas Stroh, einen Meter breit und zwei Meter lang, als meinen Platz zugewiesen bekommen und trainierte mich, diese Zeit als einen "Ubergang zu betrachten, der nichts mit meinem Selbst zu tun hatte. Dinge geschahen, und ich hatte wie ein geschicktes Tier darauf zu reagieren. Kummer konnte ebenso t"oten wie Dysenterie, und Gerechtigkeit war ein Luxus f"ur ruhige Zeiten.«

»Glaubten Sie das wirklich?«fragte ich.

»Nein«, erwiderte Schwarz.»Ich musste es mir von Stunde zu Stunde neu einh"ammern. Es war die kleine Ungerechtigkeit, "uber die man sich am schwierigsten hinwegt"auschen konnte. Nicht die grosse. Man musste sich immer wieder "uber die kleine, allt"agliche, die um das kleinere St"uck Brot, die schwerere Arbeit, hinwegsetzen, um in der Erbitterung dar"uber nicht die grosse zu verlieren.«

»Sie lebten also wie ein geschicktes Tier?«

»Ich lebte so, bis der erste Brief von Helen kam«, sagte Schwarz.»Er kam nach zwei Monaten "uber die Adresse unseres Hoteliers in Paris. Das war so, als ob in einem stickigen dunklen Raum ein Fenster aufgerissen wird. Das Leben ist zwar auf der anderen Seite, aber es ist wieder da. Die Briefe kamen unregelm"assig; manchmal keine f"ur Wochen. Es war sonderbar, wie sie das Bild Helens ver"anderten und best"atigten. Sie schrieb, dass es ihr gut gehe, dass sie endlich in ein Lager eingewiesen sei und in der K"uche und sp"ater in der Kantine besch"aftigt w"are. Sie brachte es fertig, mir zweimal ein Paket mit Lebensmitteln zu schicken, wie und durch welche Tricks und Bestechungen, weiss ich nicht. Gleichzeitig begann aus den Briefen ein anderes Gesicht mich anzusehen. Wieviel davon der Abwesenheit, meinen eigenen W"unschen und der F"alschung durch die Phantasie zuzuschreiben war, weiss ich nicht. Sie wissen, wie alles sich vergr"ossert, fast ins Unwirkliche, wenn man gefangen ist und nichts hat als ein paar Briefe. Ein unbeabsichtigter Satz, der nichts bedeutet, wenn er unter anderen Umst"anden geschrieben wird, kann zum Blitz werden, der einem das Dasein zerst"ort; und ebenso kann ein zweiter einem f"ur Wochen W"arme geben, obschon er ebenso unbeabsichtigt war wie der erste. Man gr"ubelt "uber Dinge f"ur Monate, die der andere schon vergessen hatte, als er den Brief zuklebte. Irgendwann kam auch eine Fotografie; Helen stand vor ihrer Baracke mit einer anderen Frau und einem Mann. Sie schrieb, es seien Franzosen, die zur Lageraufsicht geh"orten.«

Schwarz blickte auf.»Wie ich das Gesicht des Mannes studiert habe! Ich lieh mir ein Vergr"osserungsglas von einem Uhrmacher aus. Ich verstand nicht, warum Helen das Bild geschickt hatte. Sie selbst hatte sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht. Oder doch? Ich weiss es nicht. Kennen Sie so etwas?«

»Jeder kennt es«, erwiderte ich.»Gefangenenpsychose ist kein Einzelfall.«

Der Besitzer der Kneipe kam mit der Rechnung. Wir waren die letzten G"aste.»K"onnen wir anderswo noch sitzen?«fragte Schwarz. Der Besitzer nannte uns ein Lokal.»Es sind auch Frauen da«, sagte er.

»Sch"one, dicke. Nicht teuer.«

»Gibt es nichts anderes?«

»Ich weiss nichts anderes um diese Zeit.«Der Mann zog seine Jacke an.»Wenn Sie wollen, begleite ich Sie. Ich bin jetzt frei. Die Frauen sind schlau dort. Ich k"onnte aufpassen, dass Sie nicht betrogen werden.«

»Kann man auch ohne Frauen da sitzen?«

»Ohne Frauen?«Der Besitzer sah uns Verst"andnislos an. Dann ging ein rasches Grinsen "uber sein Gesicht.»Ohne Frauen, ich verstehe! Nat"urlich, meine Herren, nat"urlich. Aber es sind nur Frauen da.«

Er sah uns nach, als wir auf die Strasse traten. Es war jetzt herrlicher, sehr fr"uher Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Salzgeruch war st"arker geworden. Katzen strichen durch die Strassen, und aus einigen Fenstern kam schon der Geruch von Kaffee, vermischt mit dem Geruch des Schlafes. Alle Lichter waren jetzt verl"oscht. Ein Karren rumpelte unsichtbar, einige Gassen entfernt, Fischerboote bl"uhten wie gelbe und rote Wasserrosen auf dem unruhigen Tejo, und unten lag, bleich und still jetzt und ohne k"unstliches Licht, das Schiff, die Arche, die letzte Hoffnung, und wir stiegen weiter hinab zu ihr.

Das Bordell war eine ziemlich trostlose Bude. Ein paar schlampige und fette Frauen spielten Karten und rauchten. Sie machten einen lustlosen Versuch und liessen uns dann in Ruhe. Ich sah auf die Uhr. Schwarz bemerkte es.»Es dauert nicht mehr lange«, sagte er.

»Und die Konsulate "offnen nicht vor neun.«

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