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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich sah, dass sie sehr erregt war. Ihre h"ande waren heiss, und ihre Haut war so trocken, als m"usste sie knistern.

›Sie waren da‹, sagte sie. ›Sie kamen, um eine Liste der Nazis im Lager zu machen. Sie sollen nach Deutschland zur"uckgeschickt werden.‹

›Habt ihr viele?‹

›Genug. Wir haben nicht geglaubt, dass es so viele w"aren. Manche haben es nie zugegeben. Eine war dabei, die ich kannte – sie trat pl"otzlich vor und erkl"arte, sie geh"ore zur Partei, sie habe sich wertvolle Nachrichten verschafft, sie wolle zur"uck ins Vaterland, man habe sie hier abscheulich behandelt, man solle sie gleich mitnehmen. Ich kannte sie gut. Zu gut. Sie weiss -‹

Helen trank rasch und gab mir den Becher. ›Was weiss sie?‹ fragte ich.

›Ich kann es nicht mehr genau sagen. Es gab so viele N"achte, wenn man redete und redete. Sie weiss, wer ich bin -‹ Sie hob den Kopf ›Ich gehe nie zur"uck, nie! Ich bringe mich um, wenn sie mich holen wollen.‹

›Du wirst dich nicht umbringen, und sie werden dich nicht holen. Warum? Georg ist Gott weiss wo; er erf"ahrt nicht alles. Und wozu sollte die Frau das verraten wollen? Was kann es ihr helfen?‹

›Versprich, dass du mich nicht zur"uckholen l"asst.‹

›Ich verspreche es dir‹, sagte ich. Sie war zu erregt, als dass ich etwas anderes h"atte tun k"onnen, als in meiner Ohnmacht Allmacht zu versprechen.

›Ich liebe dich‹, sagte sie mit ihrer heiseren, erregten Stimme. ›Ich liebe dich, und was immer auch passieren mag, das musst du immer glauben!‹

›Ich glaube es‹, erwiderte ich und glaubte es und glaubte es nicht.

Sie lehnte sich ersch"opft zur"uck. ›Wir wollen fliehen‹, sagte ich. ›Heute nacht noch.‹

›Wohin? Hast du deinen Pass?‹

›Ja. Jemand, der im B"uro arbeitete, wo die Papiere der Internierten verwahrt wurden, hat ihn mir gegeben. Wer hat deinen?‹

Sie antwortete nicht. Sie starrte eine Weile vor sich hin. ›Eine j"udische Familie ist hier‹, sagte sie dann. ›Mann, Frau und Kind. Vor wenigen Tagen gekommen. Das Kind ist krank. Sie traten mit vor. Sie wollen nach Deutschland zur"uck. Der Hauptmann fragte sie, ob sie nicht Juden w"aren. Sie w"aren Deutsche, sagte der Mann. Sie wollten zur"uck. Der Hauptmann wollte ihnen etwas sagen, aber die beiden Gestapoleute standen dabei. ›Sie wollen wirklich zur"uck?‹ fragte er noch einmal. ›Schreiben Sie sie auf, Hauptmann‹, sagte einer der Gestapoleute und lachte. ›Wenn sie soviel Sehnsucht nach der Heimat haben, wollen wir ihnen den Gefallen tun.‹ Sie wurden aufgeschrieben. Es ist nicht mit ihnen zu reden. Sie sagen, sie k"onnten nicht mehr weiter. Das Kind sei schwer krank. Die andern Juden hier w"urden ohnehin auch bald abgeholt; da sei es besser, sich vorher zu melden. Wir s"assen in der Falle. Es sei besser, freiwillig zu gehen. Sie sind wie taube Maulesel. Du musst mit ihnen reden.‹

›Ich? Was kann ich ihnen sagen?‹

›Du bist dagewesen. Du warst dr"uben in einem Lager. Du bist zur"uckgegangen. Und wieder geflohen.‹

›Wo soll ich es ihnen sagen?‹

›Hier. Ich hole den Mann. Ich weiss, wo er ist. Sofort. Ich habe es ihm gesagt. Man kann ihn noch retten.‹

Nach einer Viertelstunde brachte sie einen schm"achtigen Mann, der sich weigerte, durch den Stacheldraht zu kriechen. Er stand auf der Lagerseite und ich auf der anderen, und er h"orte mir zu. Ein wenig sp"ater kam die Frau. Sie war sehr blass und sprach kein Wort. Man hatte die beiden und ihr Kind vor etwa zehn Tagen aufgegriffen. Sie waren getrennt in verschiedenen Lagern gewesen und dann geflohen, und der Mann hatte die Frau durch ein Wunder wiedergefunden. Sie hatten "uberall auf den Strassensteinen und an den H"auserecken ihre Namen hinterlassen.«

Schwarz sah mich an.»Sie kennen die Via Dolorosa?«

»Wer kennt sie nicht! Sie reicht von Belgien bis in die Pyren"aen.«

Die Via Dolorosa war zu Beginn des Krieges entstanden. Nach dem Einbruch der deutschen Truppen in Belgien und dem Durchbruch der Maginotlinie hatte die grosse Flucht eingesetzt, zuerst mit Automobilen, beladen mit Hausrat und Betten, dann mit jeder Art von Vehikeln, mit Fahrr"adern, mit Pferdekarren, mit Karren, die von Menschen gezogen wurden, mit Kinderwagen, und schliesslich in endlosen Reihen zu Fuss, dem S"uden zu verfolgt von Stuka-Bombern, durch den Hochsommer Frankreichs. Auch die Flucht der Emigranten, dem S"uden zu, begann. Damals entstanden die Strassenzeitungen. An den Mauern der Strassen, an H"ausern in D"orfern, an den Ecken der Kreuzungen wurden die Namen und Hilferufe von Menschen, die sich suchten, von ihnen angeschrieben, mit Kohle, mit Kreide, mit Farbe. Die Emigranten, die bereits seit Jahren fl"uchteten und sich vor der Polizei versteckten, hatten ausserdem eine Kette von St"utzpunkten, die von Nizza bis Neapel und von Paris bis Z"urich reichte. Es waren Leute, die dort wohnten und Nachrichten vermittelten, Adressen austauschten, Rat gaben und bei denen man auch ein paar N"achte unterkommen konnte. Durch ihre Hilfe hatte der Mann, von dem Schwarz sprach, seine Frau und sein Kind wiedergefunden, etwas, was sonst schwieriger gewesen w"are, als die sprichw"ortliche Stecknadel in einem Heuhaufen zu finden.

»›Wenn wir bleiben wollen, werden wir wieder getrennt‹, erkl"arte der Mann mir«, sagte Schwarz.»›Dies ist ein Frauenlager. Wir sind zusammen eingeliefert worden, aber nur f"ur ein paar Tage. Man hat mir schon mitgeteilt, dass ich anderswohin k"ame, in eines der M"annerlager. Wir k"onnten es nicht ertragen.‹ Er hatte alles "uberlegt; es sei besser so. Fliehen k"onnten sie nicht; das h"atten sie versucht. Sie w"aren fast dabei verhungert. Jetzt sei das Kind krank, die Frau ersch"opft – und er selbst habe keine Kraft mehr. Es sei besser, freiwillig zu gehen; wir andern seien nur noch wie Vieh in den Hallen eines Schlachthofes. Man w"urde uns nach Bedarf und Laune holen. ›Weshalb hat man uns nicht gehen lassen, als es noch Zeit war?‹ sagte er zum Schluss, ein sanfter, schmaler Mann mit einem schmalen Gesicht und einem kleinen, dunklen Schnurrbart. Niemand h"atte eine Antwort darauf gewusst. Man wollte uns zwar nicht haben, aber man wollte uns auch nicht gehen lassen – das war im Zusammenbruch einer Nation ein geringf"ugiges Paradox, dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde von denen, die es h"atten "andern k"onnen.

Am folgenden Nachmittag kamen zwei Lastwagen die Strasse herauf. Im gleichen Augenblick sah ich, wie der Stacheldraht lebendig wurde. Etwa ein Dutzend Frauen halfen einander beim Hindurchkriechen. Sie schw"armten in den Wald. Ich hielt mich versteckt, bis ich Helen bemerkte. ›Wir sind gewarnt worden von der Pr"afektur‹, sagte sie. ›Die Deutschen sind da, die abzuholen, die zur"uck wollen. Man weiss nicht, was sonst noch passiert; deshalb ist uns erlaubt worden, uns im Walde zu verstecken, bis sie weg sind.‹

Es war das erste Mal, dass ich sie am Tage sah, abgesehen von dem Augenblick auf der Strasse. Ihre langen Beine und ihr Gesicht waren braun; aber sie war sehr d"unn. Die Augen waren zu gross und zu gl"anzend, und das Gesicht war zu schmal. ›Du gibst mir dein Essen und hungerst selbst‹, sagte ich.

›Ich habe genug zu essen‹, erwiderte sie. ›Daf"ur ist gesorgt. Hier -‹ sie steckte die Hand in die Tasche, ›da ist sogar ein St"uck Schokolade. Gestern konnten wir Pate de foie gras und Sardinen in B"uchsen kaufen. Aber kein Brot.‹

›Geht der Mann, mit dem ich gesprochen habe?‹ fragte ich.

›Ja -‹

Helens Gesicht zuckte pl"otzlich. ›Ich gehe nie zur"uck‹, sagte sie dann. ›Nie! Du hast es mir versprochen! Ich will nicht, dass sie mich fangen!‹

›Sie werden dich nicht fangen.‹

Die Wagen fuhren nach einer Stunde wieder ab. Die Frauen sangen. Verweht klang es her"uber: Deutschland, Deutschland "uber alles.

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