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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich nahm einen m"achtigen Schluck und gab ihr die Flasche zur"uck.

›Ich habe sogar ein Glas‹, sagte sie. ›Wir wollen die Zivilisation aufrecht erhalten, so lange wir k"onnen.‹

Sie f"ullte das Glas und trank. ›Du riechst nach Sommer und Freiheit‹, sagte ich. ›Wie ist es draussen?‹

›Wie im Frieden. Die Caf'es sind voll. Der Himmel ist blau.‹ Sie blickte auf die Reihe der Polizisten auf dem Podium und lachte. ›Es sieht hier aus wie in einer Schiessbude. Als k"onnte man auf die Figuren da oben feuern, und wenn sie umkippten, bek"ame man eine Flasche Wein als Preis oder einen Aschenbecher.‹

›Hier haben die Figuren die Gewehre.‹ Helen holte eine Pastete aus dem Korb. ›Vom Wirt‹, sagte sie. ›Mit vielen Gr"ussen und dem Spruch: La guerre, merde! Es ist eine Gefl"ugelpastete. Ich habe auch Gabeln und ein Messer. Noch einmal: Es lebe die Zivilisation!‹

Ich war pl"otzlich heiter. Helen war da, nichts war verloren. Der Krieg hatte noch nicht begonnen, und vielleicht stimmte es, dass man uns bald freilassen w"urde.

Am n"achsten Abend wussten wir, dass man uns trennen w"urde. Ich w"urde ins Sammellager in Colombes gebracht werden. Helen ins Gef"angnis ›La petite Roquette‹. Es h"atte uns nichts gen"utzt, wenn man uns geglaubt h"atte, dass wir verheiratet waren. Auch Ehepaare wurden getrennt.

Wir sassen die Nacht durch im Keller. Ein barmherziger W"achter erlaubte es uns. Jemand hatte ein paar Kerzen mitgebracht. Ein Teil von uns war schon abtransportiert worden; wir waren noch ungef"ahr hundert Menschen. Auch spanische Emigranten waren dabei. Man hatte sie ebenfalls verhaftet. Der Eifer, mit dem die Antifaschisten in einem antifaschistischen Lande eingefangen wurden, war nicht ohne Ironie; man h"atte glauben k"onnen, man w"are in Deutschland.

›Warum trennen sie uns?‹ fragte Helen.

›Ich weiss es nicht. Aus Stupidit"at; nicht aus Grausamkeit.‹

›Wenn M"anner und Frauen im selben Lager w"aren, g"abe es nichts als Eifersucht und Krach‹, belehrte mich ein kleiner, alter Spanier. ›Deshalb werden Sie getrennt. C’est la guerre!‹

Helen schlief in ihrem Leopardenmantel neben mir. Es waren ein paar bequeme, gepolsterte B"anke da, aber sie wurden f"ur vier oder f"unf alte Frauen freigemacht, die f"ur diese Nacht auch hier untergebracht worden waren. Eine von ihnen bot Helen die Stunden von drei bis f"unf zum Schlafen an; sie lehnte ab. ›Ich kann sp"ater noch genug allein schlafen‹, sagte sie.

Es war eine seltsame Nacht. Die Stimmen verstummten allm"ahlich. Das Weinen der alten Frauen h"orte auf; nur manchmal, wenn sie erwachten, schluchzten sie und fielen dann wieder zur"uck in den Schlaf wie in schwarze Wolle, die sie erstickte. Die Kerzen verl"oschten allm"ahlich. Helen schlief an meiner Schulter. Sie legte im Schlaf die Arme um mich, und wenn sie erwachte, fl"usterte sie mir Worte zu, die manchmal die eines Kindes und dann die einer Geliebten waren – Worte, die man am Tage nicht sagt und die man in einem geordneten Leben auch nachts selten sagt; – es waren Worte der Not und des Abschieds, Worte des K"orpers, der sich nicht trennen will, Worte der Haut, des Blutes und der Klage, der "altesten Klage der Welt: dass man nicht beieinander bleiben kann, dass einer immer der erste ist, der gehen muss, und dass der Tod jede Sekunde an unserer Hand zerrt, nicht stehenzubleiben, wenn wir doch m"ude sind und wenigstens eine Stunde die Illusion der Ewigkeit haben m"ochten. Sp"ater glitt sie langsam an meiner Brust entlang auf meine Knie. Ich hielt ihren Kopf in meinen H"anden und sah sie atmen im Licht der letzten Kerze. Ich h"orte M"anner aufstehen und zwischen den Kohlenhaufen tappen, um vorsichtig zu urinieren. Das schwache Licht flackerte, und Schatten huschten "ubergross umher, als w"aren wir in einem Geisterdschungel, und Helen w"are der fl"uchtige Leopard, den die Zauberer mit ihren Beschw"orungen suchten. Dann erlosch das letzte Licht, und nur noch die stickige, schnarchende Dunkelheit war da. Ich f"uhlte Helen unter meinen H"anden atmen. Einmal fuhr sie mit einem kleinen, hohen Schrei auf. ›Ich bin da‹, fl"usterte ich. ›Erschrecke nicht. Alles ist wie vorher.‹

Sie legte sich zur"uck und k"usste meine H"ande. ›Ja, du bist da‹, murmelte sie. ›Du musst immer dableiben.‹

›Ich bleibe immer da‹, fl"usterte ich. ›Und wenn wir auch f"ur kurze Zeit getrennt werden, ich werde dich immer wiederfinden.‹

›Du wirst kommen?‹ murmelte sie, schon wieder im Schlaf.

›Ich werde immer kommen. Immer! Wo du auch sein magst, ich werde dich finden. So wie ich dich das letztemal gefunden habe.‹

›Gut‹, seufzte sie und drehte das Gesicht so, dass es in meinen H"anden wie in einer Schale ruhte. Ich sass und schlief nicht. Ab und zu f"uhlte ich ihre Lippen an meinen Fingern, und einmal glaubte ich, Tr"anen zu sp"uren; aber ich sagte nichts. Ich liebte sie sehr und glaubte, ich h"atte sie nie mehr geliebt, auch wenn ich sie besass, als in dieser schmutzigen Nacht mit den Ger"auschen des Schnarchens und dem sonderbar zischenden Laut, den Urin macht, wenn er auf Kohlen f"allt. Ich war sehr still, und mein Selbst war ausgel"oscht von Liebe. Dann kam der Morgen, das fahle fr"uhe Grau, das jede Farbe stiehlt und das Skelett unter der Haut sichtbar macht, und mir war pl"otzlich, als l"age Helen im Sterben und ich m"usste sie wecken und halten. Sie erwachte und "offnete ein Auge. ›Glaubst du, dass wir heissen Kaffee und Croissants bekommen k"onnen?‹ fragte sie.

›Ich werde versuchen, einen W"arter zu bestechen‹, sagte ich sehr gl"ucklich. Helen "offnete das zweite Auge und betrachtete mich.

›Was ist passiert?‹ fragte sie. ›Du siehst aus, als h"atten wir das grosse Los gewonnen. Werden wir freigelassen?‹

›Nein‹, erwiderte ich. ›Ich habe nur mich selbst freigelassen.‹ Sie bewegte schl"afrig den Kopf in meinen H"anden.

›Kannst du dich selbst nicht einmal eine Zeitlang in Ruhe lassen?‹

›Ja‹, sagte ich. ›Ich werde es sogar m"ussen. F"ur lange Zeit sogar, f"urchte ich. Ich werde nicht mehr viel Gelegenheit haben, selbst Entscheidungen zu treffen. Wenn man es so ansieht, ist das auch ein Trost.‹

›Alles ist ein Trost‹, erwiderte Helen und g"ahnte. ›Solange wir leben, ist alles ein Trost, weisst du das noch nicht? Glaubst du, dass sie uns als Spione erschiessen werden?‹

›Nein. Sie werden uns einsperren.‹

›Sperren sie auch die Emigranten ein, die sie nicht f"ur Spione halten?‹

›Ja. Sie werden alle einsperren, die sie finden. Die M"anner haben sie ja schon geholt.‹

Helen richtete sich halb auf. ›Wo ist dann der Unterschied?‹

›Vielleicht kommen die andern leichter frei.‹

›Das weiss man noch nicht. Vielleicht wird man uns besser behandeln, gerade weil man glaubt, wir w"aren Spione.‹

›Das ist Unsinn, Helen.‹

Sie sch"uttelte den Kopf. ›Das ist kein Unsinn. Das ist Erfahrung. Weisst du noch nicht, dass Unschuld in unserem Jahrhundert ein Verbrechen ist, das immer am schwersten bestraft wird? Musst du in zwei L"andern eingesperrt werden, um das zu begreifen? Ach, du Gerechtigkeitstr"aumer! Ist noch Kognak da?‹

›Kognak und Pastete.‹

›Gib mir beides‹, sagte Helen. ›Es ist ein ungew"ohnliches Fr"uhst"uck; aber ich furchte, wir haben noch ein abenteuerliches Leben vor uns!‹

›Gut, dass du es so auffasst‹, erwiderte ich und gab ihr den Kognak.

›Es ist die einzige Art, es aufzufassen. Oder willst du an Verbitterung und Lebensvers"auerung sterben? Wenn du den Begriff der Gerechtigkeit ausschaltest, ist es gar nicht so schwer, es als Abenteuer zu betrachten, findest du nicht?‹

Der herrliche Geruch des alten Kognaks und der guten Pastete umwehte Helen wie ein Gruss goldenen Daseins. Sie ass mit grossem Genuss. ›Ich wusste nicht, dass es so einfach f"ur dich sein w"urde‹, sagte ich.

›Mach dir um mich keine Sorgen‹, erwiderte sie und suchte in ihrem Korb nach weissem Brot. ›Ich komme schon durch. Frauen ist die Gerechtigkeit nicht ganz so wichtig wie euch.‹

›Was ist euch wichtig?‹

›Dies.‹ Sie zeigte auf das Brot und die Flasche und die Pastete. ›Iss, mein Geliebter! Wir werden uns schon durchschlagen. Und in zehn Jahren wird es ein grosses Abenteuer sein, und wir werden abends unseren G"asten oft davon erz"ahlen, dass es jeden langweilen wird. Futtere, Mann mit dem falschen Namen! Was wir jetzt essen, brauchen wir nachher nicht zu schleppen.‹

Ich will Ihnen nicht alle Einzelheiten erz"ahlen«, sagte Schwarz.»Sie kennen ja den Weg der Emigranten. Ich blieb nur ein paar Tage im Stadion Colombes. Helen kam in das ›Petite Roquette‹. Am letzten Tag erschien der Wirt unseres Hotels im Stadion. Ich sah ihn nur von weitem; es war uns nicht erlaubt, mit Besuchern zu sprechen. Der Wirt hinterliess einen kleinen Kuchen und eine grosse Flasche Kognak. Im Kuchen fand ich einen Zettel: ›Madame ist gesund und guter Laune. Nicht in Gefahr. Erwartet irgendwann Transport in ein Frauenlager, das in den Pyren"aen eingerichtet wird. Briefe "uber Hotel. Madame est formidable!‹ Eingefaltet war ein sehr kleiner Zettel mit Helens Handschrift: ›Sorge dich nicht. Keine Gefahr mehr. Es bleibt ein Abenteuer. Auf bald. Liebe.‹

Sie hatte es fertiggebracht, die nachl"assige Blockade zu durchbrechen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie. Sp"ater erz"ahlte sie mir, dass sie erkl"art habe, Dokumente holen zu m"ussen, die ihr fehlten. Man hatte sie mit einem Polizisten zum Hotel geschickt. Sie hatte dem Wirt den Zettel zugesteckt und ihm zugefl"ustert, wie er ihn mir schicken solle. Der Polizist, der f"ur Liebe Verst"andnis zeigte, hatte das "ubersehen. Sie hatte keine Dokumente zur"uckgebracht, daf"ur aber Parf"um, Kognak und einen Korb mit Essen. Sie liebte zu essen. Wie sie dabei schlank blieb, ist mir immer unerkl"arlich geblieben. Wenn ich in der Zeit, als wir noch frei waren, aufwachte und sie nicht neben mir fand, brauchte ich nur dahin zu gehen, wo wir unsere Speisen aufhoben – sie hockte dort im Mondschein und nagte mit selbstvergessenem L"acheln an einem Schinkenknochen oder stopfte sich voll mit dem Dessert vom Abend vorher, das sie aufgehoben hatte. Dazu trank sie Wein aus der Flasche. Sie war wie eine Katze, die nachts hungrig wird. Sie erz"ahlte mir, dass sie, als sie verhaftet wurde, den Polizisten warten lassen konnte, bis die Pastete, die der Wirt des Hotels gerade im Ofen hatte, fertig gebacken war. Es war ihre Lieblingspastete, und sie wollte sie mitnehmen. Der Polizist kapitulierte knurrend, da sie sich glatt weigerte, vorher zu gehen. Die Flics scheuten davor zur"uck, jemand mit Gewalt in den Polizeiwagen zu schleppen. Helen vergass nicht einmal, ein Paket Papierservietten mitzunehmen.

Am folgenden Tag wurden wir verladen nach den Pyren"aen. Die trostlose und erregende Odyssee von Angst, Komik, Flucht, B"urokratie, Verzweiflung und Liebe begann.«

12

»Es mag sein, dass unsere Zeit einmal die der Ironie genannt wird«, sagte Schwarz.»Nat"urlich nicht die der geistvollen des achtzehnten Jahrhunderts, sondern die der unfreiwilligen und ebenfalls b"osartigen oder dummen unseres plumpen Zeitalters des Fortschritts in der Technik und des R"uckschritts in der Kultur. Hitler schreit es nicht nur in die Welt hinaus, sondern er glaubt es auch selbst, dass er ein Apostel des Friedens sei und dass die andern ihm den Krieg aufgezwungen haben. Mit ihm glauben das f"unfzig Millionen Deutsche. Dass nur sie allein durch viele Jahre ger"ustet haben, w"ahrend keine andere Nation auf den Krieg vorbereitet war, "andert nichts an ihrer Auffassung. So war es auch nicht verwunderlich, dass wir, die den deutschen Lagern entkommen waren, nun in franz"osischen landeten. Man konnte nicht einmal viel dagegen sagen – eine Nation, die um ihr Leben k"ampft, hat Wichtigeres zu tun, als jedem Emigranten volle Gerechtigkeit zu erweisen. Wir wurden nicht gefoltert, nicht vergast und nicht erschossen, nur eingesperrt; was mehr konnten wir verlangen?«

»Wann haben Sie Ihre Frau wiedergetroffen?«fragte ich.

»Es dauerte lange. Waren Sie in Le Vernet?«

»Nein; aber ich weiss, dass es eines der schlimmsten franz"osischen Lager war.«

Schwarz l"achelte ironisch.»Das ist eine Sache von Graden. Kennen Sie die Geschichte von den Krebsen, die in einen Kessel mit kaltem Wasser geworfen wurden, um darin gekocht zu werden? Als das Wasser f"unfzig Grad heiss war, schrien sie, es sei nicht zum Aushalten, und jammerten nach der sch"onen Zeit, als es nur vierzig Grad warm war; – als es sechzig war, jammerten sie nach der guten Zeit, als es nur f"unfzig war, dann, bei siebzig, nach der von sechzig – und so fort. – Le Vernet war tausendmal besser als das beste deutsche Konzentrationslager; ebenso wie ein Konzentrationslager ohne Gaskammer besser ist als eines mit Giftgasanlagen – so kann man die Krebsparabel in unsere Zeit "ubertragen.«

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