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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich sch"uttelte den Kopf. ›Spielen Sie noch immer den Helden, wenn es ungef"ahrlich ist? Sie sind vierzig Pfund schwerer als ich. Kein Unparteiischer w"urde uns als Boxer paaren. Was wollen Sie hier?‹

›Das geht Sie Vaterlandsverr"ater einen Dreck an. Gehen Sie raus! Ich will mit meiner Schwester reden!‹

›Bleib hier!‹ sagte Helen zu mir. Sie funkelte vor Zorn. Langsam stand sie auf und nahm einen Aschenbecher aus Marmor in die Hand. ›Noch einen Satz dieser Art, und das Ding fliegt dir ins Gesicht‹, sagte sie sehr ruhig zu Georg. ›Du bist nicht in Deutschland.‹

›Leider noch nicht! Aber wartet nur – dies wird bald Deutschland werden!‹

›Es wird nie Deutschland werden‹, sagte Helen. ›Es mag sein, dass ihr Kommisskaffern es vor"ubergehend erobert, aber es wird Frankreich bleiben. Bist du gekommen, um dar"uber zu diskutieren?‹

›Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen. Weisst du nicht, was dir passieren wird, wenn du hier vom Krieg "uberrascht wirst?‹

›Nicht sehr viel.‹

›Man wird dich in ein Gef"angnis stecken.‹

Ich sah, dass Helen einen Augenblick "uberrascht war.

›Man wird uns vielleicht in ein Lager stecken‹, sagte ich. ›Aber es wird ein Internierungslager sein – kein Konzentrationslager wie in Deutschland.‹

›Was wissen Sie schon davon!‹ schnauzte Georg.

›Genug‹, erwiderte ich. ›Ich war in einem der Ihren – durch Ihre Vermittlung.‹

›Sie Wurm waren in einem Erziehungslager‹, erkl"arte Georg ver"achtlich. ›Aber es hat nichts gen"utzt. Sie sind desertiert, nachdem Sie freigelassen wurden.‹

›Ich beneide Sie um Ihre Ausdr"ucke‹, sagte ich. ›Wenn jemand Ihnen entwischt, so ist das Desertation.‹

›Was sonst? Sie hatten Befehl, Deutschland nicht zu verlassen!‹

Ich winkte ab. Ich hatte genug Gespr"ache "ahnlicher Art mit Georg gehabt, bevor er die Macht hatte, mich daf"ur einsperren zu lassen.

›Georg war immer ein Idiot‹, sagte Helen. ›Ein muskul"oser Schw"achling. Er braucht eine gepanzerte Weltanschauung wie eine dicke Frau ein Korsett, weil er sonst zerfliessen w"urde. Streite nicht mit ihm. Er tobt, weil er schwach ist.‹

›Lass das!‹ erwiderte Georg friedlicher, als ich erwartet hatte. ›Pack deine Sachen, Helen. Die Lage ist ernst. Wir fahren heute abend zur"uck.‹

›Wie ernst ist die Lage?‹

›Es gibt Krieg. Ich w"are sonst nicht hier.‹

›Du w"arest sonst auch hier‹, sagte Helen. ›Genauso wie du vor zwei Jahren in der Schweiz warst, als ich nicht zur"uckkommen wollte. Es passt dir nicht, dass die Schwester eines so treuen Parteimitgliedes nicht in Deutschland leben will. Damals hast du erreicht, dass ich zur"uckkehrte. Jetzt bleibe ich hier, und ich will nicht mehr dar"uber reden.‹

Georg starrte sie an. ›Wegen dieses erb"armlichen Schurken da? Hat er dich wieder bequatscht?‹

Helen lachte. ›Schurke – wie lange habe ich das nicht geh"ort. Ihr habt wirklich ein vorsintflutliches Vokabular! Nein, dieser Schurke da, mein Mann, hat mich nicht bequatscht. Er hat sogar alles getan, um mich zur"uckzuschicken. Mit besseren Gr"unden als du.‹

›Ich will mit dir allein reden‹, sagte Georg.

›Es wird dir nichts n"utzen.‹

›Wir sind Geschwister.‹

›Ich bin verheiratet.‹

›Das sind keine Blutsbande‹, erkl"arte Georg. ›Du hast mir nicht einmal einen Stuhl angeboten‹, f"ugte er, pl"otzlich kindisch beleidigt, hinzu. ›Man kommt von Osnabr"uck all den Weg und wird stehend abgefertigt.‹ Helen lachte. ›Dies ist nicht mein Zimmer. Mein Mann bezahlt die Miete.‹

›Setzen Sie sich, Obersturmbannf"uhrer und Hitlerknecht‹ sagte ich. ›Und gehen Sie bald wieder.‹

Georg sah mich "argerlich an und setzte sich krachend auf das altersschwache Sofa. ›Ich m"ochte mit meiner Schwester allein reden, k"onnen Sie das nicht verstehen?‹ fragte er.

›Haben Sie mich mit ihr allein reden lassen, als Sie mich verhaften liessen?‹ fragte ich zur"uck.

›Das war etwas ganz anderes‹, schnaubte Georg.

›Bei Georg und seinen Parteigenossen ist es immer etwas anderes, wenn sie dasselbe tun wie andere Menschen‹, sagte Helen sarkastisch. ›Wenn sie Leute, die anderer Meinung sind als sie, einsperren oder totschlagen, verteidigen sie damit die Freiheit des Denkens; wenn sie dich ins Konzentrationslager schickten, verteidigten sie die besudelte Ehre ihres Vaterlandes – ist das nicht so, Georg?‹

›Genauso!‹

›Ausserdem hat er immer recht‹, sagte Helen. ›Er hat nie Zweifel und nie ein schlechtes Gewissen. Er steht auch immer auf der richtigen Seite, auf der Seite der Macht. Er ist wie sein F"uhrer – der friedlichste Mensch der Welt, wenn die anderen nur tun, was er f"ur richtig h"alt. Die St"orenfriede sind immer die andern. Ist das nicht so, Georg?‹

›Was hat das mit uns hier zu tun?‹

›Nichts‹, sagte Helen. ›Und alles. Siehst du nicht, wie l"acherlich du hier wirkst, du S"aule der Rechthaberei in dieser toleranten Stadt? Selbst in Zivil hast du immer noch Stiefel an, um auf anderen herumtrampeln zu k"onnen. Aber hier hast du keine Macht, noch nicht! Hier kannst du mich nicht in deine nach Schweiss stinkende, plattf"ussige Partei-Frauenschaft einschreiben lassen! Hier kannst du mich auch nicht "uberwachen wie eine Gefangene! Hier kann ich atmen, und hier will ich atmen.‹

›Du hast einen deutschen Pass! Es gibt Krieg. Du wirst hier ins Gef"angnis gesteckt werden.‹

›Noch nicht! Und dann immer noch lieber hier als bei euch! Denn ihr w"urdet mich auch einsperren m"ussen! Ich w"urde nicht mehr wie eine Stumme herumgeistern, nachdem ich einmal wieder die s"usse Luft der Freiheit geatmet habe und euch entronnen bin, euren Kasernen und Brutanstalten und eurer trostlosen Schreierei!‹

Ich stand auf. Ich wollte nicht, dass sie sich preisgab vor dem nationalistischen Klotz, der sie nie verstehen konnte. ›Der da ist schuld!‹ schnarrte Georg. ›Der verfluchte Kosmopolit! Er hat dich verdorben! Warte, Bursche, wir werden noch abrechnen!‹

Er stand auch auf. Es w"are ihm nicht schwergefallen, mich niederzuschlagen. Er war bedeutend st"arker als ich, und mein rechter Arm war im Ellbogengelenk etwas steif geblieben nach einem Tag nationaler Erziehung im Konzentrationslager. ›R"uhr ihn nicht an!‹ sagte Helen sehr leise.

›Musst du den Feigling verteidigen?‹ fragte Georg. ›Kann er das nicht selbst?‹«

Schwarz wendete sich mir zu.»Es ist eine merkw"urdige Sache mit der k"orperlichen "Uberlegenheit. Sie ist die primitivste, die es gibt, und hat nichts mit Mut und M"annlichkeit zu tun. Ein Revolver in der Hand eines Kr"uppels kann sie zunichte machen. Sie ist eine Sache von Pfunden und Muskeln, weiter nichts – aber trotzdem f"uhlt man sich gedem"utigt, wenn man ihrer Brutalit"at begegnet. Jeder weiss, dass wirklicher Mut anderswo beginnt, und dass das Muskelpaket, das herausfordert, da wahrscheinlich elend versagen w"urde – trotzdem suchen wir nach lahmen Erkl"arungen und "uberfl"ussigen Entschuldigungen und f"uhlen uns j"ammerlich, wenn wir ablehnen, zum Kr"uppel geschlagen zu werden. Ist das nicht so?«

Ich nickte.»Sinnlos, aber deshalb besonders kr"ankend.«

»Ich h"atte mich verteidigt«, sagte Schwarz.»Selbstverst"andlich h"atte ich das!«

Ich hob die Hand.»Herr Schwarz, wozu? Mir brauchen Sie das nicht zu erkl"aren.«

Er l"achelte schwach.»Das ist wahr. Aber sehen Sie, wie tief es sitzt, dass ich es sogar jetzt noch erkl"aren will? Wie ein Widerhaken im Fleisch. Wann h"ort das bisschen m"annliche Eitelkeit auf?«

»Was geschah?«fragte ich.»Kam es dazu?«

»Nein. Helen begann pl"otzlich zu lachen. ›Sieh dir diesen Dummkopf an!‹ sagte sie zu mir. ›Er glaubt, wenn er dich niederschl"agt, w"urde ich so an deiner M"annlichkeit verzweifeln, dass ich reuig in das Land des einseitigen Faustrechts zur"uckkehren w"urde.‹ Sie wendete sich zu Georg. ›Du mit deinem Geschw"atz von Mut und Feigheit! Der da -‹ sie zeigte auf mich, ›- hat mehr Mut gehabt, als du dir jemals vorstellen kannst! Er hat mich geholt. Er ist meinetwegen zur"uckgekommen und hat mich geholt.‹

›Was?‹ Georg glotzte mich an. ›Nach Deutschland?‹

Helen besann sich. ›Das ist gleich. Ich bin hier, und ich komme nicht zur"uck.‹

›Geholt? Dich?‹ fragte Georg. ›Wer hat ihm geholfen?‹

›Niemand‹, sagte Helen. ›Du m"ochtest wohl rasch wieder ein paar Leute verhaften, wie?‹

Ich hatte sie nie so gesehen. Sie war so geladen mit Abwehr, Abscheu, Hass und funkelndem Triumph, entkommen zu sein, dass sie bebte. Mir ging es "ahnlich; aber bei mir kam auf einmal, wie ein Blitz, der blendete, etwas anderes hinzu – der j"ahe Gedanke an Rache. Georg hatte hier keine Macht! Er konnte nicht seiner Gestapo pfeifen. Er war allein.

Der Gedanke verwirrte mich so, dass ich nicht wusste, was ich im Augenblick tun sollte. Ich konnte mich nicht pr"ugeln und wollte es auch nicht; ich wollte das Wesen vor mir ausl"oschen. Es sollte nicht mehr existieren. So wie die Inkarnation des B"osen keines Urteils bedarf, um es zu vernichten, so schien es mir mit Georg. Ihn zu vernichten, bedeutete nicht nur Rache – es bedeutete auch, Dutzende unbekannter k"unftiger Opfer zu retten. Ich ging, ohne daran zu denken, was ich tat, zur T"ur. Ich wunderte mich, dass ich nicht taumelte. Ich musste allein sein. Ich musste "uberlegen. Helen sah mich aufmerksam an. Sie sagte nichts. Georg beobachtete mich ver"achtlich und setzte sich dann wieder. ›Endlich!‹ knurrte er, als ich die T"ur hinter mir schloss.

Ich ging die Treppe hinunter. Man roch das Mittagessen; es gab Fisch. Auf dem Treppenabsatz stand eine italienische Truhe. Ich war oft daran vorbeigegangen, aber ich hatte sie nie bemerkt. Jetzt sah ich die Schnitzerei so genau, als wollte ich sie kaufen. Ich ging wie ein Nachtwandler weiter. Im zweiten Stock stand eine T"ur offen. Das Zimmer war hellgr"un gestrichen, die Fenster standen offen, und das Zimmerm"adchen drehte die Matratze des Bettes um. Sonderbar, was man alles sieht, wenn man glaubt, vor Erregung nichts zu sehen!

Ich klopfte an die T"ur eines Bekannten, der im ersten Stock wohnte. Er hiess Fischer und hatte mir einmal einen Revolver gezeigt, den er besass, um das Leben ertr"aglicher zu finden. Die Waffe gab ihm die Illusion, freiwillig das karge und trostlose Dasein eines Emigranten zu fuhren, weil er die Wahl hatte, es abzubrechen, wann er wollte.

Fischer war nicht da, aber sein Zimmer war nicht verschlossen. Er hatte nichts zu verbergen. Ich ging hinein, um auf ihn zu warten. Ich wusste nicht genau, was ich wirklich wollte, obschon ich wusste, dass ich die Waffe von ihm leihen musste. Es war sinnlos, Georg im Hotel zu t"oten, das war mir klar; es h"atte Helen und mich und die anderen Emigranten, die hier lebten, gef"ahrdet. Ich setzte mich auf einen Stuhl und versuchte, ruhig zu werden. Es gelang mir nicht. Ich sass da und starrte vor mich hin.

Ein Kanarienvogel fing pl"otzlich an zu singen. Er hing in einem Drahtbauer zwischen den Fenstern. Ich hatte ihn vorher nicht gesehen und schreckte auf, als h"atte mich jemand gestossen. Gleich darauf kam Helen herein.

›Was machst du hier?‹ fragte sie.

›Nichts. Wo ist Georg?‹

›Er ist fort.‹

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