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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich h"orte ihm zu mit der tiefen Ruhe, gerettet zu sein.

›Sie sind ein mutiger Mann‹, sagte ich dann. ›Ich bin mindestens zwanzig Pfund schwerer und f"unfzehn Zentimeter gr"osser als Sie. Aber sprechen Sie sich nur aus. Es erleichtert.‹

›H"ohnen!‹ sagte er und wurde noch w"utender. ›Verh"ohnen wollen Sie mich auch noch, was? Aber das ist vorbei! F"ur immer vorbei! Was habt ihr mit meinen Eltern gemacht? Was hat mein alter Vater euch getan? Und jetzt! Jetzt wollt ihr die Welt in Brand stecken!‹

›Glauben Sie, dass es Krieg gibt?‹ fragte ich.

›H"ohnen Sie nur weiter! Als ob Sie das nicht w"ussten! Was sonst bleibt euch "ubrig mit eurem Tausendj"ahrigen Reich und eurer infamen Aufr"ustung? Ihr Berufsm"order und Verbrecher! Wenn ihr keinen Krieg macht, bricht euer Schwindelwohlstand zusammen und ihr mit ihm!‹

›Das glaube ich auch‹, sagte ich und f"uhlte die warme Sonne des sp"aten Nachmittags auf meinem Gesicht wie eine Liebkosung. ›Aber wie wird es, wenn Deutschland gewinnt?‹

Der Mann mit dem feuchten Anzug starrte mich an und schluckte. ›Wenn ihr gewinnt, dann gibt es keinen Gott mehr‹, sagte er dann mit M"uhe.

›Das glaube ich auch.‹ Ich stand auf.

›R"uhren Sie mich nicht an!‹ zischte er. ›Sie werden verhaftet! Ich ziehe die Notbremse! Ich zeige Sie an! Sie sollten sowieso angezeigt werden, Sie Spion! Ich habe geh"ort, was Sie geredet haben!‹

Das fehlte noch, dachte ich. ›Die Schweiz ist ein freies Land‹, sagte ich. ›Man verhaftet da nicht gleich auf Grund einer Denunziation. Sie scheinen dr"uben gut gelernt zu haben.‹

Ich nahm meinen Koffer und suchte mir ein anderes Abteil. Ich wollte den hysterischen Mann nicht aufkl"aren; aber ich wollte ihm auch nicht gegen"ubersitzen. Hass ist eine S"aure, die die Seele auffrisst, ganz gleich, ob man selbst hasst oder gehasst wird. Ich hatte das gelernt w"ahrend meiner Wanderschaft.

So kam ich nach Z"urich.«

9

Die Musik setzte einen Augenblick aus. Man h"orte aufgeregte Worte von der Tanzfl"ache. Gleich darauf setzte das Orchester st"arker wieder ein, und eine Frau in einem kanariengelben Kleid und mit einer Kette falscher Diamanten im Haar begann zu singen. Das Unvermeidliche war geschehen: ein Mitglied der deutschen Partei war beim Tanzen mit einem der englischen zusammengeprallt. Jeder beschuldigte den anderen der Absicht. Der Manager und zwei Kellner spielten V"olkerbund und beg"utigten, ohne geh"ort zu werden. Das Orchester war kl"uger: es wechselte den Rhythmus. Statt eines Foxtrotts spielte es einen Tango, und die Diplomaten mussten entweder stehen bleiben und l"acherlich werden oder weitertanzen. Der deutsche Kontrahent aber schien keinen Tango zu kennen, w"ahrend der englische den Rhythmus, auf der Stelle tanzend, andeutete. Da beide gleich darauf von den anderen Paaren angestossen wurden, verlor sich ihr Argument. Mit w"utenden Blicken gingen sie zu ihren Tischen.

»Duellieren«, sagte Schwarz ver"achtlich.»Warum duellieren sich die Helden nicht?«

»Sie kamen nach Z"urich«, erwiderte ich.

Er l"achelte schwach.»Wollen wir hier weggehen?«

»Wohin?«

»Es gibt sicher noch einfache Kneipen, die die ganze Nacht offen sind. Dies hier ist ein Grab, in dem getanzt und Krieg gespielt wird.«

Er zahlte und fragte den Kellner nach einem anderen Lokal. Der Mann schrieb eine Adresse auf ein St"uck Papier, das er von seinem Block riss, und erkl"arte uns die Richtung, in der wir gehen m"ussten.

Wir traten vor der T"ur in eine wunderbare Nacht. Die Sterne waren noch da, aber schon lagen Meer und Morgen am Horizont in einer ersten, blauen Umarmung; der Himmel war h"oher und der Geruch nach Salz und Bl"uten st"arker geworden als fr"uher. Es w"urde ein klarer Tag werden. Lissabon hat am Tage etwas naiv Theatralisches, das bezaubert und gefangennimmt, aber nachts ist es das M"archen einer Stadt, die in Terrassen mit allen Lichtern zum Meere herabsteigt wie eine festlich geschm"uckte Frau, die sich niederbeugt zu ihrem dunklen Geliebten.

Wir standen einige Zeit und schwiegen.»So haben wir uns einmal das Leben gedacht, wie?«sagte Schwarz schliesslich tr"ube.»Tausend Lichter und Strassen, die in die Unendlichkeit fuhren -«

Ich antwortete nicht. F"ur mich war das Leben das Schiff, das unten im Tejo lag, und es fuhr nicht in die Unendlichkeit – es fuhr nach Amerika. Ich hatte genug von Abenteuern; die Zeit hatte uns damit beworfen wie mit faulen Eiern. Das abenteuerlichste Abenteuer war ein g"ultiger Pass, ein Visum und eine Fahrkarte. Dem Wanderer wider Willen war das Allt"agliche l"angst zur Phantasmagorie und das Abenteuer zur Plage geworden.

»Z"urich erschien mir damals so wie Ihnen diese Stadt heute nacht«, sagte Schwarz.»Dort begann das, was ich glaubte verloren zu haben. Sie wissen, dass Zeit ein sehr d"unner Aufguss des Todes ist, der uns langsam zugef"ugt wird wie ein harmloses Gift. Anfangs belebt es und l"asst uns sogar glauben, wir seien fast unsterblich – aber wenn es Tropfen um Tropfen, Tag f"ur Tag um einen Tropfen und einen Tag st"arker wird, ver"andert er sich in eine S"aure, die unser Blut tr"ube macht und zerst"ort. Selbst wenn wir versuchen wollten, mit den Jahren, die wir noch haben, die Jugend zur"uckzukaufen, so k"onnten wir es nicht, die S"aure der Zeit hat uns ver"andert, und die chemische Verbindung ist nicht mehr dieselbe, es m"usste denn ein Wunder geschehen. Dieses Wunder geschah.«

Er blieb stehen und starrte auf die schimmernde Stadt.»Ich m"ochte, dass diese Nacht in meiner Erinnerung die gl"ucklichste meines Lebens wird«, fl"usterte er.»Sie ist die schrecklichste. Glauben Sie nicht, dass die Erinnerung das vollbringen kann? Sie muss es doch k"onnen! Das Wunder, wenn man es erlebt, ist nie vollkommen, erst die Erinnerung macht es dazu – und wenn das Gl"uck tot ist, kann es sich doch nicht mehr "andern und zur Entt"auschung werden. Es bleibt vollkommen. Wenn ich es jetzt noch einmal beschw"oren kann: muss es dann nicht so bleiben, wie ich es sehe? Muss es nicht da sein, solange auch ich da bin?«

Er wirkte fast wie ein Monds"uchtiger, w"ahrend er auf der Treppe vor dem "uberm"achtig andr"angenden Morgen stand, eine armselige, vergessene Gestalt aus der Nacht; und er tat mir pl"otzlich entsetzlich leid.

»Es ist wahr«, sagte ich behutsam.»Wie k"onnen wir wirklich wissen, ob wir gl"ucklich sind und in welchem Grade, solange wir nicht wissen, was bleibt und wie es bleibt?«

»Indem wir jeden Augenblick wissen, dass wir es nicht halten k"onnen und es auch nicht versuchen«, fl"usterte Schwarz.»Wenn wir es nicht festhalten und packen wollen mit unseren H"anden und unseren groben Griffen, bleibt es dann nicht ohne Erschrecken hinter unsern Augen? Und lebt es dort nicht weiter, solange die Augen leben?«

Er blickte immer noch auf die Stadt hinab, in der ein Tannensarg stand und ein Schiff vor Anker lag. Sein Gesicht schien einen Augenblick in seine Teile zu zerfallen, so sehr war es entstellt von einem Ausdruck toten Schmerzes; dann begann es wieder sich zu bewegen, der Mund war nicht mehr eine schwarze H"ohle, und die Augen waren keine Kieselsteine mehr.

Wir gingen weiter zum Hafen hinunter.»Herr«, sagte er nach einiger Zeit.»Wer sind wir? Wer sind Sie, wer bin ich, wer sind die anderen und wer sind die, die nicht mehr da sind? Was ist wirklich, das Spiegelbild oder der, der davorsteht? Der Lebende oder die Erinnerung, das Bild ohne Schmerz? Sind wir verschmolzen jetzt, die Tote und ich, ist sie vielleicht jetzt erst ganz mein, in dieser trostlosen Alchemie, in der sie nun nur noch antwortet, wenn ich will und wie ich will, eingegangen und nur noch da in dem bisschen Phosphoreszieren hier unter meinem Sch"adel? Oder habe ich sie nicht nur verloren, sondern verliere sie jetzt noch einmal, durch die langsam erl"oschende Erinnerung jede Sekunde ein wenig mehr? Ich muss sie halten, Herr, verstehen Sie das nicht?«Er schlug sich vor die Stirn.

Wir kamen zu einer Strasse, die in langen Treppenstufen den H"ugel hinunterf"uhrte. Irgendeine Festlichkeit musste hier am Tage vorher gefeiert worden sein. Girlanden, die schon welk wurden und nach Friedhof rochen, hingen "uber eisernen Stangen zwischen den H"ausern, und Schn"ure mit elektrischen Birnen waren gezogen, die von tulpenartigen, grossen Lampen unterbrochen wurden. Hoch dar"uber, in Abst"anden von etwa zwanzig Metern, schwebten f"unfeckige Sterne aus kleinen elektrischen Birnen. Wahrscheinlich war das alles f"ur eine Prozession oder eines der vielen religi"osen Feste errichtet worden. Jetzt stand es kahl und verbraucht im beginnenden Morgen, und nur an einer Stelle, unten, schien etwas mit den Anschl"ussen nicht geklappt zu haben – dort brannte noch ein Stern in dem sonderbar scharfen, bleichen Licht, das Lampen am fr"uhen Abend und am Morgen haben.

»Hier ist der Platz«, sagte Schwarz und "offnete die T"ur zu einer Kneipe, in der noch Licht war. Ein kr"aftiger sonnengebr"aunter Mann kam uns entgegen. Er zeigte auf einen Tisch. In dem niedrigen Raum standen ein paar F"asser, und an einem der paar Tische sassen ein Mann und eine Frau. Der Besitzer hatte nichts als Wein und kalten gebratenen Fisch.

»Kennen Sie Z"urich?«fragte Schwarz mich.

»Ja. Ich bin in der Schweiz viermal von der Polizei gefasst worden. Die Gef"angnisse sind gut da. Viel besser als in Frankreich. Besonders im Winter. Leider wird man nur f"ur h"ochstens vierzehn Tage eingesperrt, wenn man Ruhe haben will. Dann wird man abgeschoben, und das Grenzballett geht wieder los.«

»Mein Entschluss, offen "uber die Grenze zu gehen, hatte etwas in mir befreit«, sagte Schwarz.»Ich f"urchtete mich pl"otzlich nicht mehr. Ein Polizist auf der Strasse liess mein Herz nicht mehr stocken; er gab mir noch einen Schock, aber einen milden, gerade stark genug, dass mir im n"achsten Moment meine Freiheit um so mehr bewusst wurde.«

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