Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

.pdf
Скачиваний:
337
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.15 Mб
Скачать

wußt, und Joan hatte es auch gewußt. Zum Schluß wenigstens. Sie hatte getan, was das einzig Richtige war. Keine Erklärungen. Erklärungen waren zweitklassig. Im Gefühl gab es keine Erklärungen. Nur Handlungen. Gottlob, daß Joan davon nichts wußte. Sie hatte gehandelt. Fertig. Aus. Kein Hinund Hergezerre. Er hatte auch gehandelt. Was stand er also jetzt noch hier? Es mußte die Luft sein. Dieses weiche Gewebe aus Mai und Abend in Paris. Und die Nacht natürlich. Nachts war man immer anders als am Tage.

Er ging zurück in das Hotel. »Kann ich bitte einmal telefonieren?«

»Gewiß, mein Herr.Wir haben aber keine Telefonzelle. Nur den Apparat hier.«

»Das genügt.«

Ravic sah auf seine Uhr. Es konnte sein, daß Veber in der Klinik war. Es war die Stunde der letzten Nachtvisite. »Ist Doktor Veber da?« fragte er die Schwester. Er kannte ihre Stimme nicht. Sie mußte neu sein.

»Doktor Veber ist nicht zu sprechen.« »Ist er nicht da?«

»Er ist da. Aber er ist jetzt nicht zu sprechen.« »Hören Sie«,sagte Ravic.»Gehen Sie und sagen Sie ihm,

Ravic sei am Telefon. Gehen Sie sofort. Es ist wichtig. Ich warte am Apparat.«

»Gut«, sagte die Schwester zögernd. »Ich werde ihn fragen, aber er wird nicht kommen.«

»Wir werden sehen. Fragen sie ihn. Ravic.«

Veber war einen Moment später am Apparat. »Ravic! Wo sind Sie?«

»In Paris. Heute angekommen. Operieren Sie etwa noch?«

»Ja. In zwanzig Minuten. Ein eiliger Blinddarm.Wollen wir uns später tre en?«

»Ich kann ’rüberkommen.« »Großartig. Wann?« »Gleich.«

»Gut. Ich warte dann auf Sie.«

»Hier ist guter Schnaps«, sagte Veber. »Da sind Zeitungen und Fachblätter. Machen Sie sich’s bequem.«

»Einen Schnaps. Und einen Kittel und Handschuhe.« Veber sah Ravic an. »Einfacher Blinddarm. Unter Ihrer Würde. Ich kann das rasch mit den Schwestern machen.

Sie sind doch sicher müde genug.«

»Veber, tun Sie mir den Gefallen, und lassen Sie mich die Operation machen. Ich bin nicht müde, und ich bin völlig in Ordnung.«

Veber lachte. »Sie haben es verflucht eilig, wieder ins Handwerk zu kommen. Schön. Wie Sie wollen. Kann es eigentlich verstehen.«

Ravic wusch sich und ließ sich den Kittel und die Handschuhe überstreifen. Der Operationsraum. Er atmete den Geruch des Äthers tief ein. Eugenie stand am Kopfende

des Tisches und machte die Narkose. Eine zweite, sehr schöne junge Schwester ordnete die Instrumente. »Guten Abend, Schwester Eugenie«, sagte Ravic.

Sie ließ fast den Tropfer fallen. »Guten Abend, Doktor Ravic«, erwiderte sie.

Veber schmunzelte. Es war das erstemal, daß sie Ravic so angeredet hatte. Ravic beugte sich über den Patienten. Das starke Operationslicht brannte weiß und intensiv. Es schloß dieWelt ringsum ab.Es schloß die Gedanken ab.Es war sachlich und kalt und unbarmherzig und gut. Ravic nahm das Messer, das die schöne Schwester ihm reichte. Er fühlte den Stahl kühl durch die dünnen Handschuhe. Es war gut, ihn zu fühlen. Es war gut, aus schwankender Ungewißheit wieder zu klarer Präzision zu kommen. Er machte den Schnitt. Schmal und rot lief das Blut dem Messer nach.Alles wurde plötzlich einfach. Er fühlte zum erstenmal, seit er zurück war, sich selbst wieder. Das sausende lautlose Licht. Zu Hause, dachte er. Endlich!

19 »Sie ist da«, sagte Morosow. »Wer?«

Morosow strich seine Uniform glatt. »Tu nicht so, als wenn du es nicht wüßtest.Ärgere deinen Vater Boris nicht auf o ener Straße. Meinst du, ich weiß nicht, weshalb du in zwei Wochen dreimal in der Scheherazade warst? Einmal mit einem Wunder von blauen Augen und schwarzen Haaren,aber zweimal allein? Der Mensch ist schwach – wo wäre sonst sein Reiz?«

»Geh zum Teufel«, sagte Ravic. »Demütige mich nicht, gerade wenn ich meine Kraft nötig habe – du geschwätziger Türö ner.«

»Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte es dir nicht gesagt?«

»Natürlich.«

Morosow trat zur Seite und ließ zwei Amerikaner ein. »Dann geh zurück, und komm an einem andern Abend wieder«, sagte er.

»Ist sie allein hier?«

»Allein lassen wir nicht einmal regierende Fürstinnen ’rein, das müßtest du wissen. Sigmund Freud würde an deiner Frage gefallen haben.«

»Was weißt du von Sigmund Freud. Du bist betrunken, und ich werde mich über dich bei deinem Manager, dem Captain Tschedschenedse, beschweren.«

»Captain Tschedschenedse war einer der Leutnants in

dem Regiment, in dem ich Oberstleutnant war, Knabe. Er weiß das noch immer. Versuch’s mal.«

»Schön. Laß mich vorbei.«

»Ravic!« Morosow legte ihm seine schweren Hände auf die Schultern.»Sei kein Esel! Geh,telefoniere demWunder mit den blauen Augen und komm mit ihr wieder,wenn du schon mußt. Einfacher Ratschlag eines erfahrenen alten Mannes. Äußerst billig, dafür aber immer wirksam.«

»Nein, Boris.« Ravic sah ihn an. »Tricks haben hier keinen Zweck. Ich will auch keine.«

»Dann geh nach Hause«, sagte Morosow.

»In den mu gen Palmenraum? Oder in meine Bude?« Morosow ließ Ravic los und schritt einem Paar voraus, das ein Taxi wollte. Ravic blieb stehen, bis er zurückkam. »Du bist vernünftiger, als ich dachte«, sagte Morosow.

»Sonst wärst du schon drin.«

Er schob seine goldbetreßte Kappe zurück. Bevor er weiter sprechen konnte, erschien ein angetrunkener, junger Mann in einem weißen Smoking in der Tür. »Herr Oberst! Einen Rennwagen!«

Morosow winkte dem nächsten Taxi in der Reihe und geleitete den leicht Schwankenden hinein. »Sie lachen nicht«, sagte der Betrunkene. »Oberst war doch ein guter Witz – oder nicht?«

»Sehr gut. Rennwagen war fast noch besser.«

»Ich habe mir die Sache überlegt«,sagte Morosow,als er zurückkahm. »Geh ’rein. Pfeif auf das andere. Ich würde

es auch so machen. Irgendwann passiert es doch; warum dann nicht sofort? Bring es zu Ende, so oder so.Wenn wir nicht mehr kindisch sind, sind wir alt.«

»Ich habe es mir auch überlegt. Ich gehe anderswo hin.«

Morosow blickte Ravic amüsiert an. »Schön«, sagte er schließlich. »Ich sehe dich dann in einer halben Stunde wieder.«

»Oder auch nicht.« »Dann in einer Stunde.«

Zwei Stunden später saß Ravic in der Cloche d’Or. Das Lokal war noch ziemlich leer. An der langen Bar unten hockten die Huren wie Papageien auf der Stange und schwatzten. Dazwischen standen ein paar Händler mit Gipskokain, die auf Touristen warteten. Oben saßen einige Paare und aßen Zwiebelsuppe. Auf einem Sofa in der Ecke gegenüber von Ravic flüsterten zwei Lesbierinnen, die Sherry Brandy tranken.Eine,in einem Tailormade mit Krawatte trug ein Monokel; die andere war eine rothaarige, volle Person in einem tief ausgeschnittenen, glitzernden Abendkleid.

Idiotisch,dachte Ravic.Warum bin ich nicht in die Scheherazade gegangen?Wovor fürchte ich mich? Und weshalb laufe ich weg? Es ist gewachsen, ich weiß es. Diese drei Monate haben es nicht zerbrochen; sie haben es stärker gemacht.Es ist zwecklos,mir etwas vorzuspielen.Es ist fast das einzige gewesen, das mit mir geblieben ist in all dem

Schleichen über Gassen, in all dem Warten in versteckten Zimmern, in der tropfenden Einsamkeit fremder, sternloser Nächte. Die Abwesenheit hat es stärker genährt, als sie selbst es jemals gekonnt hätte, und jetzt…

Ein unterdrückter Schrei weckte ihn aus seinem Brüten. Ein paar Frauen waren inzwischen hereingekommen.Eine von ihnen,die aussah wie eine sehr helle Negerin,ziemlich betrunken, einen Hut mit Blumen hinten auf den Kopf geschoben, warf ein Tischmesser weg und ging langsam die Treppe hinunter. Niemand hielt sie auf. Ein Kellner kam die Treppe herauf. Eine zweite Frau stand oben und blockierte ihm den Weg. »Nichts passiert«, sagte sie.

»Nichts passiert.«

Der Kellner zuckte die Achseln und kehrte um. Ravic sah, wie die rothaarige Frau in der Ecke aufstand. Gleichzeitig ging die Frau,die den Kellner abgewehrt hatte,rasch zur Bar hinunter. Die Rothaarige stand still, die Hand an der vollen Brust. Vorsichtig ö nete sie zwei Finger der Hand und blickte hinunter. Das Kleid war einige Zentimeter weit zerschnitten, und darunter sah man die o ene Wunde. Man sah keine Haut, nur die o ene Wunde in dem grünen,irisierenden Abendkleid.Die rothaarige Frau starrte darauf, als könne sie es nicht glauben.

Ravic hatte eine unwillkürliche Bewegung gemacht. Dann ließ er sich zurücksinken. Eine Ausweisung war genug. Er sah, daß die Frau in dem Tailormade die Rothaarige zurückriß auf das Kanapee.Im selben Augenblick

kam die zweite mit einem Glas Schnaps zurück von der Bar die Treppe herauf. Die Frau im Tailormade kniete auf das Bankett, hielt der Rothaarigen mit einer Hand den Mund zu und zog ihr rasch die Hand von der Wunde. Die zweite Frau goß das Glas Schnaps hinein. Primitive Art von Desinfektion, dachte Ravic. Die Rothaarige stöhnte, zuckte, aber die andere hielt sie eisern fest. Zwei andere Frauen deckten den Tisch ab gegen die übrigen Gäste. Das Ganze ging äußerst rasch und geschickt vor sich. Kaum jemand sah etwas.Eine Minute später,als wären sie herbeigezaubert, strömte eine Anzahl Lesbierinnen und Homosexueller in das Lokal. Sie umringten den Tisch in der Ecke, hoben die Rothaarige an, stützten sie, die anderen deckten die Gruppe lachend und schwatzend, und alle verließen das Lokal, als wäre nichts geschehen. Die meisten Gäste hatten fast nichts gemerkt.

»Gut, was?« fragte jemand hinter Ravic. Es war der Kellner.

Ravic nickte. »Was war los?«

»Eifersucht. Diese Perversen sind eine aufgeregte Bande.«

»Wo kamen eigentlich die andern alle so rasch her? Das war ja die reine Telepathie.«

»Die riechen das, mein Herr«, sagte der Kellner. »Wahrscheinlich hat eine telefoniert. Aber es ging

prompt.«

»Die riechen es. Und sie halten zusammen wie Tod

und Teufel. Zeigen sich nicht gegenseitig an. Nur keine Polizei – das ist alles, was sie wollen. Erledigen das schon untereinander.« Der Kellner nahm Ravics Glas vom Tisch. »Doch einen? Was war es?«

»Calvados.«

»Gut. Noch einen Calvados.«

Er schu elte davon. Ravic sah auf und sah Joan ein paar Tische entfernt sitzen. Sie war hereingekommen, während er mit dem Kellner sprach. Er hatte sie nicht kommen sehen.Sie saß mit zwei Männern zusammen.Im Augenblick, als er sie sah, sah sie ihn auch. Sie erblaßte unter ihrer sonnenbraunen Haut. Eine Sekunde saß sie still, ohne die Augen von ihm zu lassen. Dann schob sie mit einer brüsken Bewegung den Tisch zur Seite,stand auf und kam zu ihm herüber. Während sie ging, veränderte sich ihr Gesicht. Es zerschmolz und wurde verwischt; nur die Augen blieben starr und durchsichtig wie Kristalle.Sie erschienen Ravic heller als jemals zuvor. Sie waren von einer beinahe zornigen Kraft.

»Du bist zurück«, sagte sie leise, fast atemlos.

Sie stand dicht vor ihm. Einen Augenblick machte sie eine Bewegung, als wolle sie ihn umarmen.Aber sie tat es nicht. Sie gab ihm auch nicht die Hand.

»Du bist zurück«, wiederholte sie. Ravic antwortete nicht.

»Seit wann bist du zurück?« fragte sie dann ebenso leise wie vorher.

»Seit zwei Wochen.«

»Seit zwei… und ich habe es nicht … du hast nicht einmal…«

»Niemand wußte, wo du warst. Dein Hotel nicht – und die Scheherazade auch nicht.«

»Die Scheherazade … ich war doch …« Sie brach ab. »Warum hast du mir nie geschrieben?«

»Ich konnte nicht.« »Du lügst.«

»Gut. Ich wollte nicht. Ich wußte nicht, ob ich wiederkommen würde.«

»Du lügst wieder. Das ist kein Grund.«

»Doch.Ich konnte wiederkommen oder nicht.Verstehst du das nicht?«

»Nein, aber ich verstehe, daß du zwei Wochen hier bist und nicht das geringste getan hast, um mich …«

»Joan«, sagte Ravic ruhig. »Du hast diese braunen Schultern nicht in Paris bekommen.«

Der Kellner strich schnuppernd vorbei. Er warf einen Blick auf Joan und Ravic. Die Szene von vorher saß ihm wohl noch in den Knochen. Er nahm wie zufällig mit einem Teller zwei Messer und zwei Gabeln von der rotweiß gewürfelten Tischdecke fort. Ravic bemerkte es. »Alles in Ordnung«, sagte er.

»Was ist in Ordnung?« fragte Joan. »Nichts. Da war irgend etwas vorher.«

Sie starrte ihn an. »Wartest du hier auf eine Frau?«

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]