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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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und Häusern hindurch. Er spürte plötzlich, daß er wartete. Alles in ihm wartete. Er wartete auf den Abend wie auf einen Waffenstillstand.

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14»Wir haben heute ein tadelloses Wiener Schnitzel«, sagte der Marabu.

»Gut«, erwiderte Graeber. »Wir nehmen es. Und alles, was Sie uns dazu empfehlen. Wir verlassen uns völlig auf Sie.»

»Denselben Wein?»

»Denselben oder einen anderen, wenn Sie wollen. Wir überlassen Ihnen auch das.« Der Kellner stakte befriedigt davon. Graeber lehnte sich zurück und sah Elisabeth an. Ihm war, als wäre er aus einem zerschossenen Frontabschnitt in ein Stück geretteten Friedens zurückversetzt worden. Der Nachmittag war weit weg. Geblieben war nur der Widerschein des Augenblicks, als das Leben ihm plötzlich sehr nahe war und mit Bäumen aus Pflastersteinen und Ruinen zu brechen schien, um mit grünen Händen nach dem Licht zu greifen. Zwei Wochen, dachte er. Zwei Wochen Leben noch. Ich sollte es greifen wie die Linde das Licht. Der Marabu kam zurück. »Wie wäre es heute mit einem Johannisberger Kahlenberg?« fragte er. »Wir haben da eine Lage

Sekt ist grobes Selterwasser dagegen. Oder? —» »Den Kahlenberg«, sagte Graeber.

»Sehr wohl, mein Herr. Sie sind ein Kenner. Der Wein geht wunderbar mit dem Schnitzel zusammen. Ich gebe Ihnen noch einen frischen grünen Salat dazu. Der bringt das Bouquet heraus. Es ist ein Wein wie eine Quelle.« Die Henkersmahlzeit, dachte Graeber. Noch zwei Wochen Henkersmahlzeit! Er dachte es ohne Bitterkeit. Bisher hatte er über den Urlaub nicht hinausgesehen. Er war endlos lang erschienen; zuviel war geschehen, und

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zuviel hatte noch vor ihm gelegen. Jetzt plötzlich, seit er den Wehrmachtsbericht gelesen hatte und bei Pohlmann gewesen war, wußte er, wie kurz der Urlaub war.

Elisabeth sah dem Marabu nach. »Gesegnet sei dein Freund Reuter«, sagte sie. »Er hat uns zu Kennern gemacht!»

»Wir sind keine Kenner, Elisabeth. Wir sind mehr. Wir sind Abenteurer. Abenteurer des Friedens. Der Krieg dreht alles um. Das, was früher das Symbol satter Sicherheit und abgestandener Bürgerlichkeit war, ist heute ein großes Abenteuer geworden.« Elisabeth lachte. »Wir machen es dazu.»

»Es ist die Zeit. Über eines können wir uns bestimmt nicht be klagen — über Langeweile und Monotonie.« Graeber sah Elisabeth an. Sie saß in einem knapp anliegenden Kleid vor ihm auf dem Sofa. Ihr Haar war unter einer kleinen Kappe verborgen; sie wirkte so fast wie ein Knabe.

»Monotonie«, sagte sie. »Wolltest du nicht heute in Zivil kommen?»

»Ich konnte nicht. Hatte keinen Platz, mich umzuziehen.« Graeber hatte es bei Alfons tun wollen; aber nach dem Gespräch am Nachmittag war er nicht mehr hingegangen. »Du kannst es bei mir tun«, sagte Elisabeth. »Bei dir? Und Frau Lieser?»

»Zum Teufel mit Frau Lieser. Ich habe darüber nachgedacht.» »Zum Teufel mit einer ganzen Reihe von Dingen«, sagte Graeber. »Ich habe auch darüber nachgedacht.« Der Kellner brachte den Wein und öffnete ihn; aber er schenkte nicht ein. Er hielt den Kopf schräg und horchte. »Da geht es wieder los!« sagte er. »Es tut mir leid, mein Herr.« Er brauchte nicht zu erklären,

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was er meinte. Das Heulen der Sirenen übertönte im nächsten Augenblick bereits die Gespräche im Raum.

Elisabeths Glas klirrte. »Wo ist der nächste Keller?« fragte Graeber den Marabu.

»Wir haben einen hier im Hause.» »Ist der nicht nur für Hotelgäste?»

»Sie sind ein Gast, mein Herr. Der Keller ist sehr gut. Besser als manche draußen. Wir haben hohe Offiziere hier.»

»Gut. Was wird aus den Wiener Schnitzeln?»

»Sie sind noch nicht auf dem Feuer. Ich werde sie aufheben. Unten servieren kann ich sie nicht. Sie verstehen, warum.» »Natürlich.« Graeber nahm dem Marabu die Flasche aus der Hand und füllte zwei Gläser. Er hielt eines zu Elisabeth hinüber. »Trinkdas.Undtrinkesaus.«SieschütteltedenKopf.»Müssen

wir nicht gehen?»

»Wir haben noch sehr viel Zeit. Dies ist nur die Vorwarnung. Vielleicht passiert überhaupt nichts, so wie das letzte Mal.

Trink das Glas aus, Elisabeth. Es hilft über den ersten Schreck.» »Ich glaube, der Herr hat recht«, sagte der Marabu. »Es ist schade, einen edlen Wein so hinunterzustürzen — aber dieses

ist ein besonderer Fall.« Er war bleich und lächelte mühsam. »Herr«, sagte er zu Graeber. »Früher haben wir zum Himmel

auf gesehen, um zu beten. Jetzt tun wir es, um zu fluchen. Das haben wir erreicht.« Graeber blickte Elisabeth an. »Trink! Wir haben noch viel Zeit. Wir können noch die ganze Flasche austrinken.« Sie hob das Glas und trank es langsam aus. Sie tat es mit einer Gebärde, die einen Entschluß ausdrückte und

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gleichzeitig etwas von rücksichtsloser Verschwendung hatte. Dann stellte sie das Glas zurück und lächelte. »Zum Teufel, auch mit der Panik«, sagte sie. »Ich muß mir das abgewöhnen. Sieh, wie ich zittere.»

»Du zitterst nicht. Das Leben in dir zittert. Das hat nichts mit Mut zu tun. Mut hat man, wenn man sich wehren kann. Alles andere ist Eitelkeit. Unser Leben ist vernünftiger als wir.»

»Gut. Gib mir noch etwas zu trinken.»

»Meine Frau«, sagte der Marabu. »Unser Junge ist krank. Tuberkulose. Er ist elf. Der Keller ist nicht gut. Es ist schwer für sie, den Jungen hinunterzubringen. Sie ist zart; hundertsechs Pfund. Südstraße neunundzwanzig. Ich kann ihr nicht helfen. Ich muß hierbleiben.« Graeber nahm ein Glas vom nächsten Tisch, füllte es und hielt es dem Kellner hin. »Hier! Trinken Sie auch eins! Es gibt eine alte Soldatenregel: Wenn man nichts tun kann, soll man versuchen, sich nicht aufzuregen. Hilft Ihnen das?»

»So etwas ist leicht gesagt.»

»Richtig. Wir alle sind nicht als Statuen geboren. Trinken Sie das Glas aus.»

»Es ist nicht erlaubt, im Dienst —»

»Dieses ist ein besonderer Fall. Sie haben das gerade selbst gesagt.»

»Sehr wohl.« Der Kellner sah sich um und nahm das Glas. »Darf ich mir dann erlauben, auf Ihre Beförderung zu trinken?»

»Auf was?»

»Auf Ihre Beförderung zum Unteroffizier.»

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»Danke. Sie haben ein scharfes Auge.« Der Kellner setzte das Glas ab. »Ich kann nicht auf einen Schluck austrinken, mein Herr. Nicht einen so edlen Wein. Sogar nicht in diesem besonderen Fall.»

»Das ehrt Sie. Nehmen Sie das Glas mit.»

»Danke, mein Herr.« Graeber schenkte die Gläser von Elisabeth und sich wieder voll. »Ich tue das nicht, damit wir unser kaltes Blut zeigen können«, sagte er. »Ich tue es, weil es einfach besser ist, bei Luftangriffen auszutrinken, was man hat. Man weiß nie, ob man es wiederfindet.« Elisabeth sah auf seine Uniform. »Kannst du nicht erwischt werden, wenn im Keller alles voller Offiziere ist?»

»Nein, Elisabeth.» »Warum nicht?» »Weil es mir egal ist.»

»Wird man nicht erwischt, wenn es einem egal ist?» »Weniger. Angst zieht an. Und nun komm — wir haben

den ersten Schock überstanden.« Ein Teil des Weinkellers war betoniert, mit Stahlträgern gestützt und als Luftschutzkeller ausgebaut worden. Stühle, Sessel, Tische und Sofas standen herum, ein paar abgetretene Teppiche lagen auf dem Boden, und die Wände waren sauber geweißt. Ein Radio war da, und auf einer Anrichte standen Gläser und Flaschen. Es war ein Luxuskeller.

Sie fanden Platz an einer Seite, wo der eigentliche Weinkeller durch eine Lattentür abgeteilt war. Ein Schwarm von Gästen folgte ihnen. Eine sehr schöne Frau in einem weißen Abendkleid

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war darunter. Ihr Rücken war nackt, und ihr linker Arm funkelte von Armbändern. Eine laute Blonde mit einem Karpfengesicht war die nächste, dann kamen eine Anzahl Männer, ein paar ältere Frauen und eine Gruppe Offiziere. Ein Kellner und ein Pikkolo erschienen. Sie öffneten Flaschen.

»Wir hätten unsern Wein mitnehmen können«, sagte Graeber. Elisabeth schüttelte den Kopf.

»Du hast recht. Es ist ein verdammtes Heldentheater.» »Man soll so etwas nicht tun«, sagte sie. »Es bringt Unglück.«

Sie hat recht, dachte Graeber und blickte ärgerlich auf den Kellner, der mit seinem Tablett umherging. So etwas ist kein Mut;

es ist Frivolität. Gefahr ist eine zu ernste Sache dafür. Wie ernst und tief, das wußte man erst nach sehr viel Tod.

»Die zweite Warnung«, sagte jemand neben ihm. »Sie kommen!« Graeber schob seinen Stuhl dicht neben Elisabeth. »Ich habe Angst«, sagte sie. »Trotz des guten Weins und aller Entschlüsse.»

»Ich auch.« Er nahm sie um die Schultern und fühlte, wie gespannt sie war. Eine Welle von Zärtlichkeit überströmte ihn plötzlich. Sie war wie ein Tier, das Gefahr witterte und sich zusammenzog, sie hatte keine Pose und wollte keine, ihr Mut war ihre Abwehr, das Leben spannte sich in ihr beim Tone der Sirenen, der gewechselt hatte und jetzt Tod bedeutete, und sie suchte es nicht zu verbergen.

Er sah, daß der Begleiter der Blonden ihn anstarrte. Es war ein dünner Oberleutnant mit wenig Kinn. Die Blonde lachte

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und wurde vom Nebentisch bewundert.

Ein leichtes Beben lief durch den Keller. Dann kam gedämpft das Murren einer Explosion. Die Unterhaltung stockte und begannwieder,lauterundabsichtlicher.DreiweitereExplosionen folgten, rasch und näher.

Graeber hielt Elisabeth fest. Er sah, daß die Blonde aufhörte zu lachen. Ein schwerer Schlag erschütterte unvermutet den Keller. Der Pikkolo setzte sein Tablett weg und klammerte sich an die gedrehten Holzsäulen des Büfetts.

»Keine Aufregung!« rief eine schneidige Stimme. »Es ist weit weg.« Plötzlich rieselte und knackte es in den Mauern. Das Licht flackerte wie in einem schlecht beleuchteten Film, Krachen barst hinein, Dunkelheit und Helle schwankten wild durcheinander, und im zuckenden Licht wirkten die Gruppen an den Tischen wie ungeheuer langsame Zeitlupenaufnahmen. Die Frau mit dem nackten Rücken saß im Anfang noch; beim folgenden Einschlag und Aufflackern stand sie, beim dritten lief sie in die nächste Dunkelheit hinein, und dann waren Leute da, die sie hielten, und sie schrie, und das Licht erlosch ganz, und in einem Dröhnen mit hundert Echos schien alle Schwerkraft der Erde aufgehoben zu sein, und der Keller schwebte. »Es ist nur das Licht, Elisabeth!« schrie Graeber. »Es ist ausgegangen. Es war nur der Luftdruck, weiter nichts. Die Leitung ist irgendwo zerstört. Das Hotel ist nicht getroffen.« Sie drückte sich an ihn. »Kerzen! Streichhölzer!« rief jemand. »Es müssen doch Kerzen da sein! Zum Donnerwetter, wo sind Kerzen? Oder Taschenlampen!« Ein paar Streichhölzer flammten auf. Sie wirkten wie schmale Irrlichter in dem großen dröhnenden Raum und beleuchteten

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Gesichter und Hände, als wären die Körper bereits durch das Dröhnen zerfallen, und nur die nackten Hände und Gesichter schwebten noch herum.

»Zum Donnerwetter, hat die Gesellschaft keine Notlichter? Wo ist der Kellner?« Die Lichtkreise schwebten auf und ab und zu den Wänden hinüber und hin und her. Einen Augenblick war der nackte Rücken der Frau im Abendkleid da, ein Glitzern von Schmuck und ein dunkler offener Mund — sie schienen in einem schwarzen Wind zu wehen, und die Stimmen waren wie die schwachen Schreie von Feldmäusen über dem tiefen Murren von Abgründen, die sich öffneten — dann ertönte ein Heulen, das sich rasend und unerträglich verstärkte, als stürzte ein riesiger stählerner Planet direkt auf den Keller zu. Alles schwankte. Die Lichtkreise stürzten und erloschen. Der Keller schwebte nicht mehr; der ungeheure Krach schien alles aufzubrechen und hochzuwerfen. Graeber hatte das Gefühl, mit dem Kopf gegen die Decke zu fliegen. Er packte Elisabeth mit beiden Armen. Es war, als würde sie ihm entrissen. Er warf sich gegen sie, über sie und riß sie zu Boden, stülpte einen Sessel über ihren Kopf und wartete auf die einbrechende Decke. Es splitterte und klirrte und riß und rauschte und knatterte, als hätte eine riesige Tatze zugeschlagen und den Keller in ein Vakuum gerissen, das die Lungen und die Mägen aus den Körpern zerrte und das Blut aus den Adern preßte. Es schien, als könnte jetzt nur noch die letzte donnernde Dunkelheit und das Ersticken kommen. Es kam nicht. Dafür war plötzlich Licht da, ein wirbelndes, rasches Licht, als bräche eine Feuersäule aus dem Boden, eine weiße Fackel war da, eine Frau, die schrie: »Ich brenne! Ich brenne! Hilfe!

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Hilfe!« Sie sprang hoch und schlug mit den Armen um sich, Funken sprühten unter ihren Schlägen, Schmuck glitzerte, das entsetzte Gesicht war grellbeleuchtet — dann stürzten Stimmen und Uniformstücke über sie, jemand riß sie zu Boden, sie wand sich und schrie, schrie über Sirenen und Flak und Zerstörung hinweg, hoch, unmenschlich und dann dumpf, abgeschnitten, unter Röcken und Tischtüchern und Polstern in dem wieder dunklen Keller, wie aus einem Grabe.

Graeber hielt Elisabeths Kopf zwischen seinen Händen, unter sich, er preßte ihn gegen sich und den Arm über ihre Ohren, bis Brand und Schreie aufgehört hatten und zu Wimmern, Dunkelheit und dem Geruch von verbrannten Kleidern und Fleisch und Haaren geworden waren.

»Einen Arzt! Holt einen Arzt! Wo ist ein Arzt?» »Was?»

»Sie muß zum Hospital! Verdammt, man kann nichts sehen! Wir müssen sie herausbringen.»

»Jetzt?« sagte jemand. »Wohin?« Alle wurden still. Sie lauschten. Draußen rasten die Geschütze. Aber die Explosionen hatten aufgehört. Nur noch die Geschütze feuerten.

»Sie sind fort! Es ist vorbei!»

»Bleib liegen«, sagte Graeber in Elisabeths Ohr. »Rühr dich nicht. Es ist vorbei. Aber bleib noch liegen. Hier trampelt keiner auf dich. Rühr dich nicht.»

»Wirmüssennochwarten.EskannnocheineWellekommen«, erklärte eine langsame Schulmeisterstimme. »Draußen ist es noch nicht sicher. Die Sprengstücke!« Ein runder Lichtschein

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