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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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08.06.2015
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fiel in die Tür. Er kam von einer elektrischen Taschenlampe. Die Frau am Boden begann wieder zu schreien. »Nein! Nein! Schlagt es aus! Schlagt das Feuer aus!»

»Es ist kein Feuer. Es ist eine Taschenlampe.« Der Kreis zitterte schwach durch das Dunkel. Es war eine sehr kleine Lampe. »Hierher! So kommen Sie doch hierher! Wer ist es? Wer sind Sie mit der Lampe?« Der Schein machte einen raschen Bogen, glitt über die Decke und zurück und beleuchtete eine gestärkte Hemdbrust, ein Stück Frack, eine schwarze Krawatte und ein verlegenes Gesicht. »Ich bin der Oberkellner Fritz. Der Speisesaal ist eingestürzt. Wir können nicht mehr weiterservieren. Wenn die Herrschaften vielleicht ihre Rechnungen...»

»Was?« Fritz beleuchtete sich noch immer. »Der Angriff ist vorbei. Ich habe die Taschenlampe und die Rechnungen mitgebracht —»

»Was? Unerhört!»

»MeinHerr«,erwiderteFritzhilflosindasDunkelhinein,»der Oberkellner ist aus eigener Tasche dem Restaurant gegenüber verantwortlich.»

»Unerhört«, schnauzte der Mann aus dem Dunkel. »Sind wir Schwindler? Beleuchten Sie Ihre dämliche Visage nicht noch dazu! Kommen Sie hierher! Schleunigst. Hier ist jemand verletzt!« Fritz verschwand wieder in der Dunkelheit. Der Lichtkreis wanderte über die Wände, über einen Fleck von Elisabeths Haar, den Boden entlang zu einem Bündel von Uniformen und blieb dort stehen. »Mein Gott!« sagte der Mann, der in Hemdsärmeln jetzt fahl zu sehen war.

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Erlehntesichzurück.NurseineHändewarennochbeleuchtet. Der Lichtkreis zitterte über sie hin. Der Oberkellner zitterte anscheinend auch. Uniformröcke flogen beiseite. »Mein Gott!« sagte der Mann noch einmal. »Sieh nicht hin«, sagte Graeber. »So etwas kann passieren. Es kann überall vorkommen. Es hat nichts mit dem Angriff zu tun. Aber du sollst nicht in der Stadt bleiben. Ich bringe dich auf ein Dorf, das sie nicht bombardieren. Ich weiß eins. Haste. Ich kenne Leute dort. Sie werden dich sicher aufnehmen. Wir können dort wohnen. Du wirst da sicher sein.»

»Eine Bahre«, sagte der Mann, der kniete. »Habt ihr keine Bahre im Hotel?»

»Ich glaube, ja, Herr... Herr...« Der Oberkellner Fritz konnte den Rang nicht erkennen. Die Uniformjacke des Mannes lag bei den andern auf dem Boden neben der Frau. Er war jetzt ein Mensch mit Hosenträgern, einem untergeschnallten Säbel und einer Kommandostimme. »Ich bitte um Verzeihung wegen der Rechnungen«, sagte Fritz. »Ich wußte nicht, daß jemand verletzt ist.»

»Los! Holen Sie die Bahre. Oder warten Sie — ich gehe mit. Wie ist es draußen? Können wir durch?»

»Ja.« Der Mann stand auf, zog seine Jacke an und war plötzlich ein Major. Der Lichtschein verschwand, und es war, als wäre damit ein Schein Hoffnung verschwunden. Man hörte die Frau wimmern. »Wanda«, sagte die verstörte Stimme eines Mannes. »Wanda, was sollen wir nur tun? Wanda!»

»Wir können raus«, erklärte jemand.

»Das Entwarnungssignal ist noch nicht gekommen«,

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erwiderte die Schulmeisterstimme.

»Zum Teufel mit Ihrem Signal! Wo ist das Licht? Licht!» »Wir brauchen einen Arzt — Morphium —»

»Wanda«, sagte die verstörte Stimme. »Was sollen wir nur zu Eberhard sagen? Was...»

»Nein, nein — kein Licht!« schrie die Frau. »Kein Licht —« Das Licht kam zurück. Es war dieses Mal eine Petroleumlampe. Der Major trug sie. Zwei Kellner in Fräcken hinter ihm brachten die Bahre. »Kein Telephon mehr«, sagte der Major. »Leitungen zerrissen. Hierher mit der Bahre.« Er stellte die Lampe auf den Boden. »Wanda!« sagte der Mann wieder. »Wanda!»

»Weg da!« sagte der Major. »Später.« Er kniete neben der Frau und richtete sich wieder auf. »So, das ist erledigt. Sie werden bald schlafen. Hatte noch eine Spritze, für alle Fälle. Vorsichtig! Vorsichtig auf die Bahre heben! Wir müssen draußen warten, bis wir eine Ambulanz finden. Wenn wir eine finden...»

»Jawohl, Herr Major«, sagte der Oberkellner Fritz gehorsam. Die Bahre schwankte hinaus. Der schwarze verbrannte Kopf ohne Haare rollte darauf hin und her. Der Körper war von einem Tischtuch verdeckt. »Ist sie tot?« fragte Elisabeth.

»Nein«, sagte Graeber. »Sie wird durchkommen. Das Haar wird wieder wachsen.»

»Und das Gesicht?»

»Sie konnte noch sehen. Die Augen waren nicht verletzt. Alles wird heilen. Ich habe viele Verbrannte gesehen. Dieses war nicht sehr schlimm.»

»Wie ist es passiert?»

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»Das Kleid hat Feuer gefangen. Sie ist zu dicht an die Streichhölzer gekommen. Sonst ist nichts passiert. Der Keller ist gut. Er hat einen schweren direkten Einschlag ausgehalten.« Graeber hob den Sessel auf, den er über Elisabeth gestülpt hatte. Er trat dabei auf Flaschenscherben und sah, daß die Lattentür zum Weinkeller abgebrochen war. Eine Anzahl Gestelle hing schief, Flaschen waren zerbrochen und zerstreut, und der Wein floß über den Boden wie dunkles Öle.

»Einen Augenblick«, sagte er zu Elisabeth und nahm seinen Mantel. »Ich bin sofort zurück.« Er ging in den Keller und kam gleich darauf wieder. »So, jetzt können wir gehen.« Draußen stand die Bahre mit der Frau. Zwei Kellner pfiffen auf den Fingern nach einem Wagen. »Was wird Eberhard nur sagen?« fragte der Begleiter mit der verstörten Stimme wieder. »Herrgott, was für ein verdammtes Pech! Wie können wir ihm nur erklären...« Eberhard scheint der Ehemann zu sein, dachte Graeber und hielt einen der pfeifenden Kellner an. »Wo ist der Kellner der Weinstube?»

»Welcher? Otto oder Karl?»

»Ein kleiner, alter, der wie ein Storch aussieht.»

»Otto.« Der Kellner sah Graeber an. »Otto ist tot. Die Weinstube ist eingestürzt. Der Kronleuchter hat ihn getroffen. Otto ist tot, mein Herr.« Graeber schwieg einen Augenblick. »Ich schulde ihm noch Geld«, sage er dann. »Für eine Flasche Wein.« Der Kellner wischte sich über die Stirn. »Sie können es mir geben, mein Herr. Was war es?»

»Eine Flasche Johannisberger Kahlenberg.»

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»Auslese?»

»Nein.« Der Kellner holte eine Liste aus der Tasche, knipste seine Taschenlampe an und zeigte sie Graeber.

Graeber gab ihm das Geld. Der Kellner steckte es ein. Graeber wußte, daß er es nicht abliefern würde. »Komm«, sagte er zu Elisabeth.

Sie suchten ihren Weg durch die Trümmer. Die Stadt brannte im Süden. Der Himmel war grau und rot, und der Wind trieb Schwaden von Rauch vor sich her.

»Wir müssen nachsehen, ob deine Wohnung noch existiert, Elisabeth.« Sie schüttelte den Kopf. »Dazu ist immer noch Zeit. Laß uns irgendwo im Freien bleiben.« Sie kamen zu dem Platz, an dem der Luftschutzkeller lag, in dem sie am ersten Abend gewesen waren. Der Eingang schwelte in trübem Dunst wie ein Eingang zur Unterwelt. Sie setzten sich auf eine Bank in den Anlagen.

»Bist du hungrig?« fragte Graeber. »Du hast nichts zu essen bekommen.»

»Das macht nichts. Ich kann jetzt nichts essen.« Er wickelte seinen Mantel auf. Es klirrte, und er zog zwei Flaschen aus den Taschen. »Ich weiß nicht, was ich erwischt habe.

Dieses hier sieht aus wie ein Kognak.« Elisabeth starrte ihn an. »Woher hast du das?»

»Aus dem Weinkeller. Die Tür stand offen. Dutzende von Flaschen waren kaputt. Nehmen wir an, auch diese wären zerbrochen gewesen.»

»Du hast sie einfach mitgenommen?»

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»Natürlich.EinSoldat,dereinenoffenenWeinkellerübersieht, ist schwer krank. Ich bin erzogen worden, praktisch zu denken und zu handeln. Die zehn Gebote gelten nicht fürs Militär.»

»Das sicher nicht.« Elisabeth sah ihn an. »Manches andere sicher auch nicht. Was weiß man schon von euch!»

»Du weißt schon etwas zuviel.»

»Was weiß man wirklich schon von euch!« wiederholte sie. »Dies hier seid doch nicht ihr. Ihr seid das, wo ihr herkommt.

Aber wer weiß davon etwas?« Graeber holte aus der anderen Seite des Mantels zwei weitere Flaschen. »Hier ist eine, die man ohne Korkenzieher öffnen kann. Es ist Champagner.« Er drehte den Draht auf. »Hoffentlich hast du keine moralischen Bedenken dagegen, ihn zu trinken.»

»Nein. Nicht mehr.»

»Wir wollen nichts damit feiern. Es wird also kein Unglück bringen.Wirtrinkenihn,weilwirdurstigsindundnichtsanderes haben. Und meinetwegen auch, weil wir noch leben.« Elisabeth lächelte. »Du brauchst mir das nicht mehr zu erklären. Ich habe es schon gelernt. Aber erkläre mir etwas anderes. Warum hast du die eine Flasche bezahlt, wenn du die vier hier mitgenommen hast?»

»Das ist ein Unterschied. Das andere wäre Zechprellerei gewesen.« Graeber drehte vorsichtig den Korken heraus. Er ließ ihn nicht knallen. »Wir müssen aus der Flasche trinken, Elisabeth. Ich werde es dir beibringen.« Es wurde still. Die rote Dämmerung breitete sich immer mehr aus. Alles wurde unwirklich in dem sonderbaren Licht. »Sieh nur den Baum

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dort«, sagte Elisabeth plötzlich. »Er blüht.« Graeber blickte hin. Der Baum war durch eine Bombe fast aus der Erde gerissen worden. Ein Teil der Wurzeln hing lose in der Luft, der Stamm war zerbrochen, und einige Äste waren abgerissen; aber er war tatsächlich voll weißer, rötlich beschienener Blüten.

»Das Haus nebenan ist abgebrannt. Vielleicht hat die Hitze sie getrieben«, sagte er. »Er ist weiter als alle die anderen Bäume hier; und dabei ist er der am meisten beschädigte.« Elisabeth stand auf und ging hinüber. Die Bank, auf der sie saßen, war im Schatten, und sie trat hinaus in den wehenden Widerschein der Brände wie eine Tänzerin in das Licht einer Bühne.

Es umgab sie wie ein roter Wind und leuchtete hinter ihr wie ein riesiger mittelalterlicher Komet, der einen Weltuntergang ankündigt oder die Geburt eines späten Erlösers. »Er blüht«, sagte sie. »Für die Bäume ist es Frühjahr, sonst nichts. Alles andere geht sie nichts an.»

»Ja«, erwiderte Graeber. »Sie geben uns Lehren. Sie geben uns unaufhörlich Lehren. Heute nachmittag war es eine Linde, jetzt ist es dieser. Sie wachsen und treiben Blätter und Blüten, und selbst wenn sie zerrissen sind, treibt der Teil weiter, den noch ein Stück Wurzel im Boden hält. Sie geben uns unaufhörlich Lehren, und sie jammern nicht und haben kein Mitleid mit sich selbst.« Elisabeth kam langsam zurück. Ihre Haut schimmerte in dem sonderbaren, schattenlosen Schein, und ihr Gesicht schien einen Augenblick verzaubert zu sein und dazuzugehören, zu dem Geheimnis der drängenden Knospen, der Zerstörung und der unbeirrbaren Gelassenheit des Wachsens. Dann trat sie aus dem Licht heraus wie aus einem Scheinwerferkreis und war wieder

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warm und dunkel atmend und lebendig im Schatten neben ihm. Er zog sie zu sich herunter, und der Baum war plötzlich sehr groß da, der Baum, der nach dem roten Himmel griff, und die Blüten waren sehr nahe, es war die Linde und dann die Erde, und sie wölbte sich und wurde Acker und Himmel und Elisabeth, und er spürte sich in ihr, und sie widerstand ihm nicht.

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15Stube achtundvierzig war in Bewegung. Der Eierkopf und zwei andere Skatspieler standen feldmarschmäßig ausgerüstet da. Sie waren k.v. geschrieben worden und gingen mit einem Transport an die

Front.

Der Eierkopf war blaß. Er starrte Reuter an. »Du mit deinem dämlichen Fuß! Du Drückeberger! Du bleibst hier, und ich, ein Familienvater, muß raus!« Reuter antwortete nicht. Feldmann richtete sich in seinem Bett auf. »Halt’s Maul, Eierkopf!« sagte er. »Du mußt nicht raus, weil er hierbleibt. Du mußt raus, weil du k.v. bist. Wenn er k.v. wäre und raus müßte, dann müßtest du immer auch noch raus, verstehst du? Also rede keinen Unsinn!»

»Ich rede, was ich will!« schrie der Eierkopf wütend. »Ich muß raus, und ich rede, was ich will! Ihr bleibt hier! Ihr sitzt hier herum und freßt und schlaft, und wir müssen raus, ich, ein Familienvater, und der fette Drückeberger da säuft Schnaps, damit sein verdammter Fuß nicht heilt!»

»Würdest du das nicht auch tun, wenn du es könntest?« fragte Reuter.

»Ich? Ich nicht! Ich habe mich nie gedrückt!»

»Nun, dann ist ja alles in Ordnung. Wozu schreist du da noch?»

»Was?« fragte der Eierkopf verblüfft.

»Du bist stolz darauf, daß du dich nie gedrückt hast. Also sei weiter stolz und schrei nicht.»

»Was? So ein verfluchter Dreh! Das ist alles, was du kannst, du Speckjäger du, was? Einem die Worte im Munde rumdrehen. Sie

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werden dich schon noch schnappen! Sie werden dich erwischen, und wenn ich dich selber anzeigen muß!»

»Versündige dich nicht«, sagte einer der beiden anderen Skatspieler, die auch k.v. waren. »Komm, wir müssen runter, antreten!»

»Ich versündige mich nicht! Die da versündigen sich! Es ist eine Schande, daß ich als Familienvater für den Säufer und Freßsack da raus muß! Ich will nur Gerechtigkeit —»

»Ach, Mensch, Gerechtigkeit! Wo gibt es das beim Militär? Komm, wir müssen los! Er wird niemand anzeigen. Er redet nur so. Lebt wohl, Kameraden! Macht’s gut! Haltet die Stellung!« Die beiden Skatspieler zogen den außer sich geratenen Eierkopf mit sich. Er sah sich noch einmal blaß und schwitzend von der Tür herum und wollte etwas rufen, aber sie schoben ihn hinaus.

»So ein Kaffer«, sagte Feldmann. »Macht ein Theater wie ein Schauspieler! Erinnert ihr euch noch an seine große Schnauze, weil ich meinen Urlaub verschlafe?»

»Er war im Verlust«, sagte Rummel plötzlich. Er hatte bisher unbeteiligt am Tisch gesessen. »Er war schwer im Verlust! Dreiundzwanzig Mark! Das ist keine Kleinigkeit! Ich hätte sie ihm wiedergeben sollen.»

»Das kannst du immer noch tun. Der Transport ist noch nicht weg.»

»Was?»

»Er steht draußen. Geh runter und gib sie ihm, wenn dein Gewissen dich drückt.« Rummel stand auf und ging hinaus. »Noch ein Verrückter!« sagte Feldmann. »Was soll der Eierkopf

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