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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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08.06.2015
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mit dem Zaster schon im Felde machen?»

»Er kann ihn noch einmal verspielen.« Graeber ging zum Fenster und sah hinaus. Draußen sammelte sich der Transport. »Kinder und alte Leute«, sagte Reuter. »Sie nehmen alles seit Stalingrad.»

»Ja.« Der Transport formierte sich. »Was ist mit Rummel los?« fragte Feldmann auf einmal überrascht. »Er redet ja jetzt.» »Er hat angefangen, während du schliefst.« Feldmann kam im Hemd zum Fenster. »Da steht der Eierkopf«, sagte er. »Jetzt kann er selber mal herausfinden, ob es dasselbe ist, hier zu schlafen und von der Front zu träumen oder an der Fornt zu sein und

von der Heimat zu träumen.»

»Wir werden das alle bald herausfinden«, erklärte Reuter. »Mein Stabsarzt will mich das nächste Mal auch k.v. schreiben. Er ist ein mutiger Mann und hat mir erklärt, ein echter Deutscher brauche keine Beine zum Weglaufen. Man könne auch sitzend kämpfen.« Man hörte von draußen Kommandos. Der Transport marschierte ab. Graeber sah es wie durch ein Glas, das alles verkleinerte. Die Soldaten waren wie lebende Puppen mit Kindergewehren, die sich entfernten.

»Der arme Eierkopf«, sagte Reuter. »Er war nicht wütend auf mich. Er war wütend auf seine Frau. Er glaubt, daß sie ihn betrügen wird, wenn er weg ist. Und er ist wütend, weil sie eine Heiratszulage kriegt. Er vermutet, daß sie sich dafür mit ihrem Liebhaber amüsiert.»

»Heiratszulage? Gibt es die?« fragte Graeber. »Aber Mensch, wo kommst du her?« Feldmann schüttelte den Kopf.

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»Zweihundert Eier monatlich kriegt die Frau. Das ist schönes Geld. Dafür hat schon mancher geheiratet. Wozu soll man das dem Staat schenken?« Reuter wandte sich vom Fenster ab. »Dein Freund Binding war hier und hat nach dir gefragt«, sagte Graeber. »Was wollte er? Hat er was gesagt?»

»Er hätte eine kleine Feier in seinem Haus. Er wollte, daß du auch kämst.»

»Sonst nichts?»

»Sonst nichts.« Rummel kam herein. »Hast du den Eierkopf noch getroffen?« fragte Feldmann.

Rummel nickte. Sein Gesicht arbeitete. »Er hat wenigstens noch eine Frau«, schnaufte er plötzlich. »Aber so wieder raus zu müssen und gar nichts mehr zu haben...« Er drehte sich abrupt um und warf sich auf sein Bett. Alle taten, als hätten sie nichts gehört. »Wenn der Eierkopf das noch er lebt hätte!« flüsterte Feldmann. »Er hatte hoch gewettet, daß Rummel heute zusammenbrechen würde.»

»Laß ihn in Ruhe«, sagte Reuter ängstlich. »Wer weiß, wann du selbst zusammenbrichst? Keiner ist sicher. Nicht einmal ein Schlafwandler.« Er wandte sich zu Graeber. »Wie lange hast du noch?»

»Elf Tage.»

»Elf Tage! Das ist ja noch ziemlich lange.»

»Es war gestern noch lange«, sagte Graeber. »Heute ist es bereits verdammt kurz.»

»Niemand ist hier«, sagte Elisabeth. »Weder Frau Lieser noch das Kind. Die Wohnung gehört uns.»

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»Gott sei Dank! Ich glaube, ich hätte sie erschlagen, wenn sie heute abend ein Wort gesagt hätte. Hast du gestern noch Krach mit ihr gehabt?»

»Sie hält mich für eine Prostituierte.»

»Warum? Wir sind doch gestern abend nur eine Stunde hiergewesen.»

»Es war noch von vorgestern. Vorgestern warst du den ganzen Abend hier.»

»Aber wir haben doch das Schlüsselloch verhängt und dauernd Grammophon gespielt. Wie kommt sie da auf solche Ideen?»

»Ja, wie«, sagte Elisabeth und streifte ihn mit einem raschen Blick. Graeber sah sie an. Eine jähe Wärme stieg ihm in die Stirn. Wo habe ich nur am ersten Abend meine Augen gehabt, dachte er. »Wo ist der Satan?« fragte er.

»Sie ist auf die Dörfer gegangen, Spenden zu sammeln für irgendeine Winter oder Sommerhilfe. Sie kommt erst morgen nacht wieder; wir haben heute abend und morgen den ganzen Tag für uns.»

»Wieso morgen den ganzen Tag? Mußt du nicht in deine Fabrik?»

»Morgen nicht. Morgen ist Sonntag. Vorläufig haben wir sonntags noch frei.»

»Sonntag!« sagte Graeber. »So ein Glück! Ich hatte keine Ahnung davon! Da kann ich dich endlich einmal am Tage sehen. Bisher war es immer Abend und Nacht.»

»War es das?»

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»Ja. Montag waren wir zum erstenmal aus. Mit einer Flasche Armagnac.»

»Das ist wahr«, sagte Elisabeth überrascht. »Ich habe dich auch noch nicht am Tage gesehen.« Sie schwieg einen Moment und sah ihn dann an und sah wieder weg. »Wir führen ein etwas hektisches Leben, was?»

»Es bleibt uns nichts anderes übrig.»

»Das ist auch wahr. Wie wird das werden, wenn wir uns morgen in der grellen Mittagssonne gegenüberstehen?»

»Wir wollen das der göttlichen Vorsehung überlassen. Aber was machen wir heute abend? Wollen wir in dasselbe Restaurant wie gestern? Es war verdammt schlecht. Uns fehlt das Germania. Schade, daß es geschlossen ist.»

»Wir können hierbleiben. Zu trinken ist noch genug da. Ich kann versuchen, etwas zu kochen.»

»Kannst du es hier aushalten? Möchtest du nicht lieber raus?» »Wenn Frau Lieser nicht da ist, ist dies hier wie Ferien.» »Dannbleibenwirhier.Eswirdwunderbarwerden.EinAbend

ohne Musik. Und ich brauche nicht in die Kaserne zurück. Aber wie ist es mit dem Essen? Kannst du wirklich kochen? Du siehst nicht so aus.»

»Ich kann es versuchen. Viel ist ohnehin nicht da. Nur das, was man so auf Marken bekommt.« Sie gingen in die Küche. Graeber sah Elisabeths Vorräte an. Es war fast nichts da — etwas Brot, Kunsthonig, Margarine, zwei Eier und ein paar verschrumpfte Äpfel. »Ich habe noch Lebensmittelmarken«, sagte sie. »Wir können etwas holen. Ich weiß einen Laden, der abends offen

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ist.« Graeber schloß die Schublade. »Behalte deine Marken. Du brauchst sie für dich selbst. Für heute müssen wir auf andere Weise etwas bekommen. Organisieren.»

»Wir können hier nichts stehlen, Ernst«, sagte Elisabeth beunruhigt. »Frau Lieser kennt jedes Gramm, das ihr gehört.» »Das kann ich mir denken. Ich will auch heute nichts stehlen. Ich will wie ein Soldat in Feindesland requirieren. Ein gewisser Alfons Binding hat mich zu einer kleinen Feier eingeladen. Ich werde mir da das holen, was ich verzehren würde, wenn ich die Feier mitmachte, und es hierher bringen. Es ist ein Haus mit riesigen Vorräten. Ich bin in einer halben Stunde zurück.« Alfons empfing Graeber mit rotem Kopf und offenen Armen. »Schön, daß du da bist, Ernst! Komm herein! Heute ist mein Geburtstag! Ich habe ein paar Kameraden da.« Das Jagdzimmer war voll von Rauch und Leuten. »Hör zu, Alfons«, sagte Graeber rasch auf dem Korridor. »Ich kann nicht bleiben. Ich bin nur auf einen Augenblick vorbeigekommen und muß wieder zurück.»

»Zurück? Aber Ernst! Kommt gar nicht in Frage!»

»Doch. Ich hatte schon eine Verabredung, bevor ich hörte, daß du nach mir gefragt hast.»

»Das macht nichts! Sag den Leuten, daß du zu einer unvorhergesehenen offiziellen Sitzung mußtest. Oder zu einem Verhör!« Alfons lachte schallend. »Da drinnen sitzen zwei Gestapooffiziere! Ich werde dich gleich mit ihnen bekanntmachen. Sag, du hättest zur Gestapo gemußt. Dann lügst du nicht einmal. Oder bring deine Bekannten rüber, wenn sie nett sind.»

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»Das geht nicht.»

»Warum nicht? — Warum geht das nicht? — Alles geht bei uns!« Graeber sah, daß es am einfachsten war, die Wahrheit zu sagen. »Du solltest dir das denken können, Alfons«, sagte er. »Ich wußte nicht, daß du Geburtstag hattest. Ich bin hierhergekommen, um von dir etwas zu essen und zu trinken zu holen. Ich will jemand treffen, aber ich komme mit dem auf keinen Fall hierher. Ich wäre ein schöner Esel, wenn ich es täte. Verstehst du nun?« Binding grinste. »Kapiert!« erklärte er. »Das ewig Weibliche! Endlich! Ich war schon an dir verzweifelt! Verstehe, Ernst. Du bist entschuldigt. Obschon, wir haben hier auch ein paar flotte Feger dabei. Willst du sie dir nicht vorher noch mal ansehen? Irma ist ein verflucht strammer Draufgänger

— und mit Gudrun kannst du bestimmt heute abend noch in die Betten gehen. Sie ist immer da für Frontsoldaten. Der Schützengrabengeruch regt sie auf.»

»Mich nicht.« Alfons lachte. »Der KZ-Geruch von Irma auch nicht, was? Steegemann fliegt darauf. Der Dicke, auf dem Sofa. Nicht mein Fall. Ich bin normal und für das Mollige. Siehst du die Kleine in der Ecke? Wie findest du sie?»

»Tadellos »Willst du die? Ich trete sie dir ab, wenn du bleibst, Ernst.« Graeber schüttelte den Kopf. »Nicht zu machen.»

»Verstehe. Muß also schon große Klasse sein, die du geschnappt hast! Brauchst nicht verlegen zu werden, Ernst. Alfons ist selbst Kavalier. Laß uns in die Küche gehen und was für dich aussuchen, und nachher trinkst du ein Glas auf meinen Geburtstag. Gemacht?»

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»Gemacht.« Frau Kleinert stand in einer weißen Schürze in der Küche. »Wir haben kaltes Büfett, Ernst«, sagte Binding. »Dein Glück! Such dir aus, was du willst! Oder besser, Frau Kleinert, machen Sie ein schönes Paket zurecht. Wir beide gehen vorerst einmal in den Keller.« Der Keller war gut versorgt. »Jetzt laß Alfons mal machen«, sagte Binding schmunzelnd. »Du wirst es nicht bereuen. Also hier ist zuerst einmal eine echte Schildkrötensuppe in Konserven. Wird heiß gemacht und gegessen. Stammt noch aus Frankreich. Nimm zwei.« Graeber nahm die Dosen. Alfons suchte weiter. »Spargel, holländischer, zwei Büchsen. Kannst du kalt essen oder heiß machen. Keine große Kocherei. Und hier ein Prager Schinken in der Dose dazu. Das ist der Beitrag der Tschechoslowakei.« Er stieg auf eine kleine Leiter. »Ein Stück dänischer Käse und eine Dose Butter. Hält sich alles, das ist der Vorteil bei Konserven. Hier sind auch eingemachte Pfirsiche. Oder hat die Dame lieber Erdbeeren?« Graeber betrachtete die kurzen Beine, die in den blankgewichsten Stiefeln vor ihm standen. Dahinter schimmerten die Reihen von Gläsern und Büchsen. Dann dachte er an Elisabeths kümmerlichen Vorrat. »Doppelt genäht hält besser«, sagte er. Alfons lachte. »Da hast du recht. Endlich bist du wieder der alte. Hat keinen Zweck, traurig zu sein, Ernst! So kaputt oder so kaputt! Nimm, was du kriegen kannst, und laß die Pfaffen über den Rest nachdenken. Das ist meine Parole.« Er stieg von der Leiter und ging zu einem zweiten Keller, in dem die Flaschen lagen. »Hier haben wir eine anständige Auswahl an Beutegut. Unsere Feinde sind groß in ihren Schnäpsen. Was willst du? Wodka? Armagnac? Hier ist auch ein Slibowitz aus

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Polen.« Graeber hatte eigentlich nicht nach Getränken fragen wollen. Der Vorrat vom Germania langte noch. Aber Binding hatte recht; Beutegut war Beutegut, man sollte es nehmen, wo man es fand. »Champagner ist auch da«, sagte Alfons. »Ich mag das Zeug nicht. Aber für die Liebe soll es fabelhaft sein. Steck eine Flasche ein! Guten Rutsch damit heute abend.« Er lachte laut. »Weißt du, was mein Lieblingsschnaps ist? Kümmel, ob du es glaubst oder nicht. Alter, ehrlicher Kümmel! Nimm einen mit und denk an Alfons, wenn du ihn kippst.« Er nahm die Flaschen unter den Arm und ging in die Küche. »Machen Sie zwei Pakete, Frau Kleinert. Eins mit den Eßwaren und eins mit den Flaschen. Papier zwischen die Flaschen, damit sie nicht brechen. Und packen Sie ein Viertel von dem Bohnenkaffee dazu. Reicht das, Ernst?»

»Ichhoffe,ichkannallestragen.«Bindingstrahlte.»Alfonsläßt sich nicht lumpen, was? Besonders nicht an seinem Geburtstag! Und bestimmt nicht bei einem alten Schulkameraden!« Er stand vor Graeber. Seine Augen glänzten, und sein rotes Gesicht glühte. Er sah aus wie ein Knabe, der Vogelnester gefunden hatte. Graeber war gerührt über seine Gutmütigkeit; aber dann dachte er daran, daß Alfons ähnlich ausgesehen hatte, als er Heinis Geschichten gehört hatte.

Binding zwinkerte Graeber zu. »Der Kaffee ist für morgen früh. Ich hoffe doch, daß du den Sonntag wahrnimmst und nicht in der Kaserne pennst! Und nun komm! Ich will dich rasch mit ein paar Freunden bekanntmachen. Schmidt und Hoffmann von der Gestapo. So was kann immer mal nützlich sein. Nur für ein paar Minuten. Trink ein Glas auf mein Wohl! Daß alles so

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bleibt, wie es jetzt hier ist! Das Haus und das Drum und Dran!« Bindings Augen wurden feucht. »Wir Deutschen sind ja nun einmal hoffnungslose Romantiker.»

»Wir können das nicht in der Küche lassen«, sagte Elisabeth überwältigt. »Wir müssen versuchen, es zu verstecken. Wenn Frau Lieser es sieht, zeigt sie mich sofort wegen Schwarzhandels an.»

»Verdammt! Daran habe ich nicht gedacht! Kann man sie nicht bestechen? Mit etwas von diesem Kram, das wir selbst nicht mögen?»

»Ist etwas dabei, was wir nicht mögen?« Graeber lachte. »Höchstens deinen Kunsthonig. Oder die Margarine. Und auch die können wir in ein paar Tagen wieder gebrauchen.»

»Sie ist unbestechlich«, sagte Elisabeth. »Sie ist stolz darauf, daß sie nur von ihren Marken lebt.« Graeber überlegte. »Wir können einen Teil bis morgen abend essen«, erklärte er dann. »Alles schaffen wir nicht. Was machen wir mit dem Rest?»

»Wir verstecken ihn irgendwo in meinem Zimmer.» »Und wenn sie schnüffelt?»

»Ich schließe mein Zimmer jeden Morgen ab, wenn ich weggehe.»

»Und wenn sie einen zweiten Schlüssel hat?« Elisabeth sah auf. »Daran habe ich noch nicht gedacht. Es wäre möglich.« Graeber öffnete eine Flasche. »Wir werden morgen nachmittag darüber weiter nachdenken. Zunächst wollen wir einmal soviel essen, wie wir können. Laß uns alles auspacken! Wir wollen den Tisch damit vollstellen wie einen Geburtstagstisch. Alles zusammen

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und alles auf einmal!» »Die Konserven auch?»

»Die Konserven auch. Als Dekoration! Wir werden sie ja noch nicht öffnen. Zuerst essen wir das, was rasch verdirbt. Und die Flaschen stellen wir ebenfalls dazu. Unseren ganzen Reichtum, den wir ehrlich durch Diebstahl und Korruption erworben haben.»

»Die vom Germania auch?»

»Die auch. Wir haben sie mit Todesangst redlich verdient.« Sie schoben den Tisch in die Mitte des Zimmers. Dann öffneten sie alle Pakete und den Slibowitz, den Kognak und den Kümmel. Den Champagner entkorkten sie nicht. Er mußte getrunken werden, wenn er geöffnet war; die Schnäpse konnte man wieder zukorken.

»Wie prachtvoll!« sagte Elisabeth. »Was feiern wir?« Graeber gab ihr ein Glas. »Wir feiern alles zusammen. Wir haben keine Zeit mehr für viele einzelne Feiern. Und keine für Unterschiede. Wir feiern einfach alles zusammen, ganz egal, was es ist, und hauptsächlich, daß wir hier sind und daß wir zwei Tage für uns allein haben!« Er ging um den Tisch herum und nahm Elisabeth in die Arme. Er fühlte sie, und er fühlte sie wie ein zweites Selbst, das sich in ihm öffnete, wärmer, reicher, farbiger und leichter als sein eigenes, ohne Grenzen und ohne Vergangenheit, ganz Gegenwart und Leben und ohne jeden Schatten von Schuld. Sie lehnte sich an ihn. Der gedeckte Tisch leuchtete festlich vor ihnen.»WardasnichtetwasvielfüreineneinzigenTrinkspruch?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Es war nur zu weitschweifig

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