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Stefan_Zweig_-_Ungeduld_des_Herzens.doc
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12.11.2019
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Ich beugte mich zu ihr nieder und küßte sie mit fliehender Berührung auf die Stirn.

Aber streng, grau und abwehrend starrten ihre Pupillen mich an und gleichsam durch mich hindurch, als könnten sie die Gedanken hinter meiner Stirne erraten. Ich hatte ihr hellsichtiges Gefühl nicht zu täuschen vermocht. Sie hatte gemerkt, daß ich mich selbst mit der flüchtenden Hand ihrer Zärtlichkeit entzogen und daß dieser hastige Kuß nicht wirkliche Liebe, sondern bloß Verlegenheit und Mitleid gewesen war.

Das blieb mein Fehler in diesen Tagen, mein irreparabler, mein unverzeihlicher Fehler, daß ich trotz allem leidenschaftlichen Bemühen nicht die äußerste Geduld aufbrachte, nicht die letzte Kraft, mich zu verstellen. Vergebens hatte ich mir vorgenommen, mit keinem Wort, keinem Blick, keiner Geste ahnen zu lassen, daß ihre Zärtlichkeit mich bedrückte. Immer und immer wieder brachte ich mir Condors Warnung zum Bewußtsein, welche Gefährdung, welche Verantwortung ich verschuldete, wenn ich diese Verletzliche verletzte. Laß dich lieben von ihr, sagte ich mir immer wieder, verbirg dich, verstell dich diese acht Tage lang, um ihren Stolz zu schonen. Laß sie nicht ahnen, daß du sie betrügst, doppelt betrügst, indem du mit heiterer Sicherheit von ihrer baldigen Genesung sprichst und gleichzeitig innerlich zitterst vor Scheu und Scham. Tu unbefangen, ganz unbefangen, mahnte ich mich immer wieder, versuch's deiner Stimme Herzlichkeit, deinen Händen Zärtlichkeit und Zartheit zu geben.

Aber zwischen einer Frau, die ihre Neigung an einen Mann einmal verraten, und diesem Mann schwingt eine feurige, eine geheimnisvolle, eine gefährliche Luft. Liebenden ist immer unheimliche Hellsichtigkeit für das wahre Gefühl des Geliebten zu eigen, und da Liebe ihrem innersten Wesen gemäß allemal das Grenzenlose will, muß alles Maßvolle, alles Gemäßigte ihr widrig, ihr unerträglich sein. In jedem Gehemmtsein und Eingedämmtsein des andern ahnt sie den Widerstand, in jedem Nicht-voll-sich-Gewähren mit Recht die verborgene Gegenwehr. Und etwas mußte damals offenbar verlegen und verwirrt in meiner Haltung, etwas unehrlich und ungeschickt in meinen Worten gewesen sein, denn alle meine Bemühungen hielten ihrem wachsamen Warten nicht stand. Das Letzte gelang mir nicht: sie zu überzeugen, und immer unruhiger ahnte ihr Mißtrauen, daß ich das Eigentliche, das Einzige nicht gab, das sie von mir begehrte: die Gegenliebe der Liebe. Manchmal hob sie inmitten des Gesprächs — und gerade dann, wenn ich am eifrigsten um ihr Zutrauen, um ihre Herzlichkeit warb — den grauen Blick scharf zu mir empor; dann mußte ich immer die Lider senken. Mir war, als hätte sie eine Sonde hinabgestoßen, um den untersten Grund meines Herzens zu erkunden.

Drei Tage ging das so, eine Qual für mich, eine Qual für sie; ununterbrochen spürte ich dies stumme gierige Warten in ihren Blicken, in ihrem Schweigen. Dann — ich glaube, es war am vierten Tage — begann jene merkwürdige Feindseligkeit, die ich zuerst nicht begriff. Ich war wie gewöhnlich schon frühnachmittags gekommen und hatte ihr Blumen gebracht. Sie nahm sie, ohne recht aufzublicken, legte sie lässig zur Seite, um mir mit dieser betonten Gleichgültigkeit zu zeigen, ich sollte nicht hoffen, mich durch Geschenke freizukaufen. Nach einem beinahe verächtlichen »Ach, wozu denn so schöne Blumen!« verschanzte sie sich sofort wieder hinter einer demonstrativen und feindseligen Stummheit. Ich versuchte, unbefangene Konversation zu machen. Doch sie antwortete bestenfalls mit einem knappen »ach« oder »so« oder »merkwürdig, merkwürdig«, immer aber beleidigend deutlich markierend, daß mein Gespräch sie nicht im mindesten interessierte. Mit Absicht betonte sie schon rein äußerlich ihre Gleichgültigkeit: sie spielte mit einem Buch, blätterte es auf, legte es weg, tändelte mit allerhand Gegenständen, ein-, zweimal gähnte sie ostentativ, dann rief sie, mitten während ich erzählte, den Diener, fragte ihn, ob er den Chinchillapelz eingepackt habe, und erst als er bejaht hatte, wandte sie sich mir wieder zu mit einem kalten »Erzählen Sie nur weiter«, das den unausgesprochenen Nachsatz allzu deutlich erraten ließ, »es ist doch ganz gleichgültig, was Sie mir vorschwätzen«.

Schließlich fühlte ich meine Kraft erlahmen. Oft und öfter blickte ich nach der Tür, ob nicht endlich jemand kommen wollte, um mich von diesem verzweifelten Monologisieren zu erlösen, Ilona oder Kekesfalva. Aber auch dieser Blick entging ihr nicht. Mit verstecktem Hohn fragte sie scheinbar teilnahmsvoll: »Suchen Sie etwas? Wollen Sie etwas?«, und ich konnte zu meiner Beschämung nichts anderes erwidern als ein dummes: »Nein, durchaus nicht.« Wahrscheinlich hätte ich am vernünftigsten getan, den Kampf offen aufzunehmen und sie anzufahren: »Was wollen Sie eigentlich von mir? Warum quälen Sie mich? Ich kann ja auch fortgehen, wenn es Ihnen lieber ist.« Aber ich hatte doch Condor zugesagt, alles Brüske oder Herausfordernde zu vermeiden; statt die Last dieses böswilligen Schweigens mit einem Ruck von mir zu werfen, schleppte ich törichterweise das Gespräch durch zwei Stunden wie über heißen stummen Sand, bis endlich Kekesfalva erschien, scheu wie immer in der letzten Zeit und vielleicht noch verlegener: »Wollen wir nicht zu Tisch gehen?«

Und dann saßen wir rund um den Tisch, Edith mir gegenüber. Nicht ein einziges Mal blickte sie auf, zu niemandem sprach sie ein Wort. Alle drei spürten wir das Obstinate, das aggressiv Beleidigende ihrer verpreßten Stummheit. Um so gewaltsamer versuchte ich darum, Stimmung zu machen. Ich erzählte von unserem Obersten, der wie ein Quartalsäufer regelmäßig im Juni und Juli seine sogenannte »Manöverkrankheit« bekam, und wie er, je näher der Termin der großen Übung heranrückte, immer aufgeregter, immer federfuchsiger werde: ich schmückte, um die dumme Geschichte auszuwalken, obwohl der Kragen um meine Kehle sich gleichsam nach innen würgte, sie mit immer läppischeren Details aus. Jedoch nur die andern lachten, auch sie gezwungen und sichtlich bemüht, das peinliche Schweigen Ediths zu decken, die nun schon zum drittenmal ostentativ gähnte. Aber nur weitersprechen, sagte ich mir, und so erzählte ich, wie wir jetzt herumgehetzt würden, niemand wisse mehr ein und aus. Obwohl gestern zwei Ulanen mit Sonnenstich vom Pferd gefallen seien, nehme der rabiate Menschenschinder uns jeden Tag noch schärfer vor. Wann man aus dem Sattel komme, könne jetzt niemand mehr voraussagen, zwanzigmal, dreißigmal lasse er in seinem Manöverkoller die dümmste Übung wiederholen. Mit Müh und Not sei's mir heute noch gelungen, mich rechtzeitig fortzudrücken, aber ob ich morgen ganz pünktlich kommen könnte, wüßte nur der liebe Gott und der Herr Oberst, der sich zur Zeit für seinen Statthalter auf Erden halte.

Dies war nun gewiß eine unschuldige Feststellung, die niemanden kränken oder erregen konnte; ganz locker, ganz heiter hatte ich sie zu Kekesfalva hinübergesprochen, ohne Edith überhaupt anzusehen (ich konnte längst ihren starr ins Leere gerichteten Blick nicht mehr ertragen). Da klirrte plötzlich etwas. Sie hatte das Messer, mit dem sie die ganze Zeit über nervös gespielt hatte, quer über den Teller geworfen und hieb in unser Aufschrecken scharf hinein:

»Nun, wenn's Ihnen solche Scherereien macht, dann bleiben Sie eben in der Kaserne oder im Kaffeehaus. Wir werden's schon ertragen.«

Als hätte jemand durch das Fenster geschossen, starrten wir alle atemlos auf.

»Aber Edith«, lallte Kekesfalva mit ganz trockener Zunge. Doch sie warf sich im Sessel zurück und höhnte: »Nun, man hat doch Mitleid mit einem so geplagten Menschen! Warum soll er sich nicht einen Tag dienstfrei machen von uns, der Herr Leutnant! Ich für mein Teil spendier ihm gerne einen Feiertag.«

Kekesfalva und Ilona blickten einander verstört an. Beide verständen sofort, daß eine lang aufgestaute Erregung mich völlig sinnlos ansprang; an der ängstlichen Art, wie sie sich mir zuwandten, ahnte ich ihre Besorgnis, ich würde grob dieser Grobheit erwidern. Eben darum nahm ich mich besonders zusammen.

»Wissen Sie, eigentlich haben Sie recht, Edith«, sagte ich so warmherzig, als es mir mit hämmerndem Herzen möglich war. »Einen guten Gesellschafter kriegt's ihr wirklich nicht an mir, wenn ich dermaßen abgeschunden herauskomm; die ganze Zeit spür ich's selber, daß ich Sie heute gründlich angeödet hab! Aber Sie sollten die paar Tage auch mit einem so abgerackerten Kerl vorliebnehmen. Wie lang wird's denn noch sein, daß ich zu euch kommen darf? Auf ja und nein wird das Haus leer sein und ihr alle fort. Ich kann's mir noch gar nicht ausdenken, daß wir im ganzen nur mehr vier Tage zusammen sein sollen, vier Tage oder eigentlich nur dreieinhalb Tage, ehe ihr ...«

Aber da zuckte ein Lachen drüben auf, scharf und schrill, wie wenn ein Tuch durchreißt.

»Ha! Dreieinhalb Tage! Haha! Bis auf den halben Tag hat er sich's ausgerechnet, wann er uns endlich los wird! Hat sich wahrscheinlich eigens einen Kalender gekauft und rot angezeichnet: Feiertag, unsere Abfahrt! Aber geben Sie nur acht! Man kann sich auch einmal gründlich verrechnen. Ha! Dreieinhalb Tage, drei und ein halb, ein halb, ein halb ...«

Sie lachte immer heftiger, uns gleichzeitig mit hartem Blick anblitzend, aber sie zitterte, während sie lachte; es war eher ein böses Fieber, das sie schüttelte, als eine richtige Heiterkeit. Man merkte, am liebsten wäre sie aufgesprungen, was ja auch die natürlichste, die normalste Bewegung gewesen wäre bei solch aufrüttelnder Erregung; aber mit ihren hilflosen Beinen konnte sie nicht von ihrem Sessel weg. Diese gewaltsame Gebanntheit gab ihrem Zorn etwas von der Bösartigkeit und tragischen Wehrlosigkeit eines eingegitterten Tiers.

»Gleich, ich hole schon Josef«, flüsterte ihr ganz blaß Ilona zu, seit Jahren gewohnt, jede ihrer Bewegungen zu erraten, und sorglich trat der Vater an ihre Seite. Aber seine Angst erwies sich als überflüssig, denn wie jetzt der Diener eintrat, ließ sich Edith von ihm und Kekesfalva wortlos hinausführen, ohne sich mit einem Wort zu verabschieden oder zu entschuldigen; erst an unserer Betroffenheit war sie offenbar gewahr geworden, welche Verstörung sie verschuldet hatte.

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