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Stefan_Zweig_-_Ungeduld_des_Herzens.doc
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12.11.2019
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Ich überlegte. »Am besten die ,Tiroler Weinstube' in der Erzherzog-Friedrich-Straße. Die hat kleine Logen, in denen man ganz ungestört bleibt.«

»Famos! Wird schon das Richtige sein«, antwortete er und beschleunigte neuerdings seinen Schritt.

Ohne ein weiteres Wort gingen wir die Landstraße zu Ende. Bald machten die ersten Häuser der Stadt im blanken Mondlicht Spalier, und ein freundlicher Zufall wollte, daß wir in den schon ganz verlassenen Gassen keinem einzigen meiner Kameraden begegneten. Ich weiß nicht warum, aber es wäre mir unangenehm gewesen, hätten sie mich am nächsten Tage nach meinem Begleiter gefragt. Seit ich in jene sonderbare Verstrickung geraten, verbarg ich ängstlich jeden Faden, der einen Zugang weisen konnte in das Labyrinth, von dem ich fühlte, daß es mich in immer neue und geheimnisvollere Tiefen verlockte.

Jene »Tiroler Weinstube« war ein gemütliches kleines Lokal mit einem leisen Stich von Anrüchigkeit. Abseits in einer altertümlich krummen Gasse gelegen, gehörte sie zu einem Gasthof zweiten oder dritten Ranges, der in unseren Kreisen besonders geschätzt war wegen der nachsichtigen Vergeßlichkeit des Portiers, der geflissentlich unterließ, Gäste, die ein Zimmer mit Doppelbett — auch mitten unter Tags — verlangten, mit dem polizeilich vorgeschriebenen Meldezettel zu behelligen. Eine weitere Sicherung der Diskretion für kurze oder längere Schäferstunden bedeutete der wohlberechnete Umstand, daß man, um zu jenen Liebesnestern zu gelangen, nicht den auffälligen Eingang (eine Kleinstadt hat tausend Augen) benützen mußte, sondern unbefangenerweise von der Schankstube aus direkt zur Treppe und damit an das diskrete Ziel gelangen konnte. Untadelig waren dagegen in diesem dubiosen Lokal die körnigen Terlaner und Muskateller, die man in jener unteren Stube ausschenkte; allabendlich saßen hier behaglich die Bürger an den schweren, ungedeckten Holztischen beisammen und beredeten bei einigen Vierteln mehr oder minder heftig die obligaten Gemeinde- und Weltangelegenheiten. Rings um diesen rechteckigen, etwas vulgären Raum, der den biederen Trinkern zugehörte, die nichts anderes hier suchten als ihren Wein und ihr dumpfes Beisammensein, war, um eine Stufe erhöht, eine Galerie von sogenannten »Logen« eingebaut, die gegeneinander durch ziemlich dicke und schalldichte, überflüssigerweise auch mit Brandmalerei und einfältigen Trinksprüchen geschmückte Holzwände isoliert waren. Nach dem Mittelraum hin deckten dicke Portieren die acht Kojen so völlig ab, daß man sie beinahe als Chambres séparées ansprechen konnte, und diesem Zwecke dienten sie auch bis zu einem gewissen Grade. Wenn die Offiziere oder Einjährigen der Garnison mit ein paar Mädeln aus Wien unbeobachtet sich amüsieren wollten, ließen sie sich eine dieser Logen reservieren, und einem Vernehmen gemäß hatte sogar unser Oberst, der sonst scharf auf Zucht hielt, diese weise Maßnahme ausdrücklich gebilligt, weil sie den Zivilisten allzuviel Einblick in die heiteren Stunden seiner jungen Leute verwehrte. Diskretion waltete auch in den internen Gebräuchen als oberstes Gesetz: auf ausdrückliche Anordnung des Besitzers, eines Herrn Ferleitner, hatten die in Tiroler Landestracht gekleideten Kellnerinnen strengen Auftrag, niemals die geheiligten Portieren ohne vorheriges heftiges Räuspern zu heben oder sonst auf irgendeine Weise die Herren Militärs zu stören, ehe sie nicht durch die Klingel ausdrücklich heranbefohlen wurden. So blieb die Würde der Armee zugleich mit ihrem Vergnügen auf das vortrefflichste geschützt.

Daß man eine solche Loge bloß zu ungestörtem Gespräch benutzen wollte, dürfte sich in den Annalen jener Weinstube nicht oft ereignet haben. Aber mir war es peinlich, bei den verheißenen Aufklärungen Doktor Condors durch den Gruß oder die Neugier eintretender Kameraden gestört zu werden oder beim Kommen eines Ranghöheren gehorsamst aufspringen zu müssen. Schon die Schankstube gemeinsam mit Condor zu durchschreiten, wurde mir unbehaglich — was wird das morgen für eine Spöttelei geben, wenn ich mich mit einem fremden, dicklichen Herrn allein in so intime Absonderung schleiche! — aber gleich beim Eintreten stellte ich hochbefriedigt fest, daß im Lokal jene Öde herrschte, wie sie das Monatsende in einer kleinen Garnison zwangsläufig verschuldet. Niemand von unserem Regiment war anwesend, und sämtliche Logen standen uns zur Auswahl bereit.

Offenbar um jedes weitere Kommen der Kellnerin auszuschalten, bestellte Condor unverzüglich einen Doppelliter hellen Weins, bezahlte ihn sofort und warf dem Mädchen ein so kräftiges Trinkgeld hin, daß es mit einem dankbaren »Wohl bekomm's« für immer verschwand. Die Portiere sank nieder, und nur ganz undeutlich klatschten ab und zu von den Mitteltischen ein paar laute Worte oder ein Lachen herüber. Wir waren in unserer Zelle völlig abgedichtet und gesichert.

Condor schenkte ein, zuerst mir eines der hohen Stutzengläser, dann sich ein Glas; an einer gewissen Besinnlichkeit in seinen Bewegungen bemerkte ich, daß er alles, was er mir sagen (und vielleicht auch, was er mir verschweigen) wollte, innerlich vorausdisponierte. Als er sich mir dann zuwandte, war das Schläfrige und Behäbige, das mich früher an ihm so verdrossen hatte, völlig gewichen, sein Blick war ganz konzentriert.

»Am besten, wir fangen am Anfang an und lassen zunächst den adligen Herrn Lajos von Kekesfalva vollkommen aus dem Spiel. Denn den gab es damals noch gar nicht. Es gab keinen Gutsbesitzer im schwarzen Rock und mit goldener Brille, keinen Edelmann oder gar Magnaten. Es gab nur, in einem jämmerlichen Dorf an der ungarisch-slowakischen Grenze, einen engbrüstigen, scharfäugigen, kleinen Judenjungen, der Leopold Kanitz hieß und den man, glaube ich, allgemein nur Lämmel Kanitz nannte.«

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