- •Ich verbeuge mich und will mich verabschieden. Aber bereits hat sie sich's wieder überlegt.
- •In meiner Verlegenheit, rasch dem Gespräch ein Ende zu bereiten, frage ich: »Na — habt's noch Lust auf einen Tarock?«
- •Ich wollte antworten — ich glaube, ich hatte sogar den Mut, ihr die ganze dumme Geschichte von Ferencz und Jozsi zu erzählen. Aber ungestüm befiehlt sie:
- •Ich mußte verneinen. Ich hatte den Namen nie gehört.
- •Ich mußte eine erschreckte Bewegung gemacht haben (wollte er mich gleich bezahlen?), denn er fügte in jener stammeligen Art, die bei ihm jedesmal starke Erregung begleitete, hastig hinzu:
- •Ich erschrak. Es stand also schlimm! Offen und völlig spontan hatte mir Condor die Auskunft gegeben, die ich von ihm erschleichen sollte. In starker Erregung drängte ich nach:
- •Ich habe mit keinem einzigen meiner Kameraden je über Herrn von Kekesfalva gesprochen.«
- •Ich überlegte. »Am besten die ,Tiroler Weinstube' in der Erzherzog-Friedrich-Straße. Die hat kleine Logen, in denen man ganz ungestört bleibt.«
- •Ich mußte aufgefahren sein oder sonstwie äußerste Überraschung verraten haben, denn auf alles war ich gefaßt gewesen, nur auf die nicht. Aber Condor fuhr mit lächelnder Selbstverständlichkeit fort:
- •Ich zögerte. Das neugierige Staunen seines Blicks verwirrte mich.
- •Ich spürte genau das Beleidigende und versuchte, sie zu beschwichtigen.
- •Ich verstand nicht. Wirklich, ich verstand nicht, was sie meinte, und fragte vollkommen naiv:
- •Ich stockte unwillkürlich. Aber sie wiederholte sofort mit gleicher Heftigkeit: »Nun, was ist bei mir...«
- •Ich wollte aufspringen, so quälte mich der Gedanke, wider meinen Willen geliebt zu werden, aber Ilona faßte mich energisch am Handgelenk.
- •Ilona schwieg und sah vor sich hin. Dann seufzte sie.
- •Ich las und las. Immer wieder begann ich von neuem. Die Hände zitterten mir und das Hämmern in meinen Schläfen wurde heftiger vor Grauen und Erschütterung, so verzweifelt geliebt zu sein.
- •In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Condor trat ins Zimmer.
- •In mir regte sich plötzlich ein Widerstand. Mich ärgerte dieses Mich-einbeziehen. Ich war doch gekommen, um mich freizumachen. So unterbrach ich entschieden:
- •Ich schwieg.
- •Ich mußte ganz laut geschrien haben, denn eisern fühlte ich Condors Finger um meinen Arm.
- •Ich holte aus, um zu antworten, aber schon setzte Condor hastig ein:
- •Ich hörte Condor stark aufatmen.
- •Ich verstand sofort, daß Condor mich noch fester binden wollte, indem er mich in Gegenwart dieser anderen Hilflosen verpflichtete; aber ich nahm das Versprechen gern auf mich.
- •Ich erhob mich. Ich hatte in diesem Moment ein Gelöbnis geleistet. Kaum, daß sie das Rücken meines Stuhles vernahm, hob die Blinde die Augen.
- •Ich beugte mich zu ihr nieder und küßte sie mit fliehender Berührung auf die Stirn.
- •Ich blieb mit Ilona allein. Mir war wie einem Menschen, der mit einem Flugzeug abgestürzt ist und aus der Erstarrung des Schreckens sich taumlig erhebt, unwissend, was eigentlich mit ihm geschah.
- •Ich warte. Was meint er? Was tut sie ihnen an? Was denn? Rück endlich heraus! Warum redest du so täuscherisch herum, warum sagst du nicht gerade heraus, was los ist?
- •Ich setzte mich, völlig unbefangen. Denn wie kann man verwirrt, wie verlegen bleiben, wenn jemand einem so hell, so freundlich zuspricht?
- •Ich ärgerte mich und schämte mich. Mich verdroß die lockere, vielleicht beabsichtigt legere Art, mit der er alles mißverstand. So schlug ich die Hacken zusammen:
- •Ich warte. Dasselbe Zimmer, dasselbe Warten wie damals und — gottlob — jetzt von nebenan derselbe leise schleifende Schritt.
- •Ich spüre, sie zweifelt nicht. Abermals tritt sie näher, und ich sehe ihre Hand, wie sie sich unbewußt zu einer Geste formt, als ob sie mich beruhigen und beschwichtigen wollte.
Ich erschrak. Es stand also schlimm! Offen und völlig spontan hatte mir Condor die Auskunft gegeben, die ich von ihm erschleichen sollte. In starker Erregung drängte ich nach:
»Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber Sie werden verstehen, daß mich das beunruhigt ... ich hatte doch keine Ahnung, daß es so schlecht steht mit Edith ...«
»Mit Edith?« Condor wandte sich mir ganz erstaunt zu. Er schien zum erstenmal zu bemerken, daß er zu einem andern gesprochen. »Wieso mit Edith? Ich hab doch kein Wort von Edith geredet ... Sie haben mich völlig mißverstanden ... Nein, nein, bei Edith ist der Zustand wirklich ganz stationär — leider noch immer stationär. Aber er macht mir Sorge, Kekesfalva, und immer mehr Sorge. Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie sehr er sich in den letzten paar Monaten verändert hat? Wie schlecht er aussieht, wie er von Woche zu Woche mehr verfällt?«
»Ich kann das natürlich nicht beurteilen ... ich habe erst seit einigen Wochen die Ehre, Herrn von Kekesfalva zu kennen und ...«
»Ach so — richtig! Verzeihen Sie ... dann konnten Sie's natürlich nicht konstatieren ... Aber ich, der ich ihn seit Jahren kenne, war für mein Teil heute ehrlich erschrocken, als ich zufällig auf seine Hände sah; ist Ihnen nicht aufgefallen, wie durchsichtig und knöchrig die sind — wissen Sie, wenn man viele Hände von Toten gesehen hat, dann bestürzt einen immer die gewisse Art bläulicher Farbe an einer lebendigen Hand. Und dann... seine rasche Rührseligkeit gefällt mir nicht: bei dem geringsten Gefühl werden ihm die Augen feucht, bei dem kleinsten Sich-Ängstigen lischt ihm die Farbe aus. Gerade bei Männern, die früher so griffig und energisch waren wie Kekesfalva, wirkt ein solches Sich-Nachgeben bedenklich. Leider, es bedeutet nichts Gutes, wenn harte Menschen mit einmal weich werden — ja sogar, daß sie plötzlich gütig werden, seh ich nicht gern. Etwas klappt, etwas hält dann innen nicht mehr zusammen. Natürlich — ich nehm's mir schon lang vor, ihn einmal gründlich zu untersuchen — ich trau mich nur nicht recht an ihn heran. Denn, mein Gott, wenn man ihn jetzt noch auf den Gedanken brächte, daß er selber krank ist, und gar auf den Gedanken, er könnte sterben und sein Kind lahm zurücklassen, das war überhaupt nicht auszudenken! Er unterminiert sich ohnehin schon mit diesem ewigen Drandenken, mit dieser rasenden Ungeduld ... Nein, nein, Herr Leutnant, Sie haben mich mißverstanden — nicht Edith, sondern er bereitet mir die Hauptsorge ... ich fürchte, der alte Mann macht es nicht mehr lang.«
Ich war ganz niedergeschmettert. Daran hatte ich nie gedacht. Ich war damals fünfundzwanzig Jahre alt und hatte noch keinen nahen Menschen sterben sehen. So konnte ich den Gedanken gar nicht gleich erfassen, jemand, mit dem man eben zu Tisch gesessen, mit dem man gesprochen, getrunken, könne morgen schon starr liegen in seinem Leichenlaken. Gleichzeitig spürte ich an einem feinen plötzlichen Stich in der Herzgegend, daß ich diesen alten Mann wirklich liebgewonnen hatte. In meiner ergriffenen Verlegenheit wollte ich nur irgend etwas entgegnen.
»Entsetzlich«, sagte ich, ganz benommen, »das wäre ja ganz entsetzlich. Ein so vornehmer, ein so großzügiger, ein so gütiger Mensch — wirklich der erste echte ungarische Edelmann, dem ich begegnet bin...«
Aber da geschah etwas Überraschendes. Condor blieb mit so jähem Ruck stehen, daß auch mir unwillkürlich der Fuß stockte. Er sah mich starr an, die Augengläser blitzten im brüsken Herüberwenden. Erst nach ein oder zwei Atemzügen fragte er ganz verblüfft:
»Ein Edelmann? ... Ein echter noch dazu? ... Kekesfalva? Verzeihen Sie, lieber Herr Leutnant... aber meinen Sie das ... wirklich im Ernst ... das mit dem echten ungarischen Edelmann?«
Ich begriff die Frage nicht ganz. Ich hatte nur das Gefühl, etwas Törichtes gesagt zu haben. So äußerte ich verlegen:
»Ich kann ja bloß von mir aus urteilen, und zu mir hat sich Herr von Kekesfalva bei jeder Gelegenheit von der vornehmsten und gütigsten Seite gezeigt ... man hatte uns beim Regiment die ungarische Gentry immer als besonders hochfahrend geschildert... Aber ... ich ... ich bin nie einem gütigeren Menschen begegnet... ich... ich ...«
Ich verstummte, weil ich spürte, daß Condor mich noch immer von der Seite mit Aufmerksamkeit betrachtete. Sein rundes Gesicht schimmerte im Mond, übergroß blitzten die beiden Gläser, hinter denen ich die suchenden Augen nur undeutlich wahrnahm; das gab mir das unangenehme Gefühl, als sei ich wie ein zappelndes Insekt unter eine schneidend scharfe Lupe genommen. Mitten auf der Landstraße einander gegenüberstehend, müßten wir, wäre sie nicht vollkommen menschenleer gewesen, ein sonderbares Bild geboten haben. Dann senkte Condor den Kopf, begann wieder auszuschreiten und murmelte wie zu sich selbst:
»Sie sind aber wirklich ... ein merkwürdiger Mensch — verzeihen Sie, ich meine das durchaus nicht im üblen Sinne. Doch das ist in der Tat merkwürdig, das müssen Sie mir selbst zugeben, sehr merkwürdig ... Sie kommen jetzt, wie ich höre, schon einige Wochen ins Haus. Sie leben außerdem in einer Kleinstadt, in einer Hühnersteige und einer gewaltig gackernden dazu — und nehmen Kekesfalva für einen Magnaten ... Haben Sie denn niemals unter Ihren Kameraden gewisse ... ich will nicht sagen abfällige — nun, immerhin Bemerkungen gehört, daß es mit seinem Edelmannstum nicht so weit her ist? ... Irgend etwas muß man Ihnen doch zugetragen haben.« »Nein«, erwiderte ich energisch und spürte, daß ich begann, zornig zu werden (es ist kein angenehmes Gefühl, sich als »merkwürdig« und »sonderbar« bewerten zu lassen). »Bedaure — ich habe mir von niemandem etwas zutragen lassen.