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Zur geschichtlichkeit1 der kultur

Im lichte von bild und begriff

Die Welt der klassischen griechischen Philosophie ist eine Welt der inneren, organischen Beziehung zwischen Bild und Begriff. In dieser Beziehung spiegelt sich das Weltbild der Griechen wider. Ihre Kultur ist eine Kultur, in der das Sichtbare, zum Denkbaren führt, allerdings unter der Voraussetzung, daß das Denkbare die ontologische Grundlage des Sichtbaren ist. Gerade weil die griechische Kultur in der einmaligen Geographie des Lichtes eingebettet ist, in der sich alles dem Auge zeigt, geht es der Philosophie darum, zu zeigen, was hinter dem Licht ist, die Bedingung des Lichtes zu denken.

Die klassische griechische Philosophie ist somit reine Spekulation; sie ist die Überwindung des empirischen Lichtes im Lichte des Geistes. Das ist das, was wir gemeinhin in der Tradition Idealismus nennen, seine Grundlage ist die allgemeine Annahme, daß empirische Bestimmungen sowohl Stütze als auch Hindernis der Erkenntnis sind. Am besten führt uns diesen Sachverhalt Platon anhand des Denkmusters, das dem Höhlengleichnis in der Politeia zugrunde liegt, vor. Die Stufen nämlich, die zur Erkenntnis der Idee hinaufführen, sind gleichsam Bilder, die dem Original mehr ähneln, je näher sie ihm sind und deren Standpunkt der erkennende Geist, als einen besonderen beschränkten, jeweils verlassen muß, damit er zu einem höheren allgemeinen hinaufschreiten kann.

Dieser höhere allgemeine Standpunkt ist eine konkrete, nicht abstrakte Allgemeinheit, die in sich die Totalität aller vergangenen Bestimmungen und ihrer Widersprüche enthält. Sie ist das Sehen und Voraussetzung des Sehens von sich selbst und den Anderen und sie ist zugleich sinnlich und übersinnlich; denn sie enthält jene sinnliche Totalität, die die bisherigen Bestimmungen sichtbar macht, oder anders formuliert, sie enthält alle sichtbar sinnlichen Bestimmungen aller bisherigen Stufen und geht gleichzeitig über sie hinaus. Deswegen ist das sichtbar Werden der Wahrheit ihr höchster Standpunkt. Indem sie erkannt wird, wird sie gleichzeitig gesehen. Das Sehen, der König der Sinne, wird vom griechischen Philosophen auch sinnlich gemeint,in einem sinnlich-übersinnlichen Licht, in dem die über das Sinnliche hinausgehende Totalität des Sinnlichen, als konkrete Allgemeinheit, eingehüllt ist. Man kann es auch so formulieren: Sichtbares und Denkbares, als Gegenstände der Erkenntnis, befinden sich bei Platon in einem Verhältnis sowohl ontologischer Differenz als auch Nähe zueinander1.

Was die einzelnen Stufen betrifft, so sind sie, als immer konkreter werdende Bilder, nicht in einem Prozeß der Entsinnlichung begriffen, wie es oft interpretiert wird, sondern nur ihrem Original ähnlicher, konkreter und somit auch mit mehr sinnlicher Bestimmtheit ausgestattet. So ist die Widerspiegelung der Dinge im Wasser mit mehr sinnlicher Bestimmtheit ausgestattet als die Schatten, die die erste abstrakte Negation sind, die, als dunkler Umriß der Körper, sie nur negativ, als räumlich struktuierte Abstraktion und Mangel, andeuten.

In eigenartiger Umkehrung entspricht diese Welt der Schatten, als erste Stufe der Erkenntnis, dem letzten Status des Menschen in der altgriechischen Welt. So ist die Welt der Toten eine Welt der Schatten imHades, d. h. im Reich des Unsichtbaren. Hier ist die äußerste Reduktion, die unter umgekehrten Vorzeichen, als abstrakte Negation und Mangel, auch die abstrakteste Möglichkeit des Anfangs enthält, äußerste Abstraktion und Entleerung von jeder Möglichkeit und Bestimmung.

Symptomatischerweise begegnet uns diese Welt des Bildes, das kein Bild mehr ist, in der äußersten Moderne. Hier ist das Bild leere Abstraktion, ein weißer Umriß wie das Negativ von Photographien, leer wie die Seelen der Toten bei Homer amenena karena2 lebloser Kopf und Schatten von einer Maske.

In der Beziehung zum Bild realisiert sich hier die dialektische Koinzidenz zwischen Frühgeschichte der Zivilisation und ihrer Gegenwart. Im Unterschied zu Platon und der Tradition der Philosophie nach ihm fungiert hier das Bild als bloßer Schein, der, nicht als Widerspiegelung des Geistes, seine Selbstschau und Selbstaufhebung in sich selbst enthält und somit in ontologischer Nähe zum Wort und Begriff steht.

Vor Platon und in den vorphilosophischen Zeiten der griechischen Kultur kann das archaische Denken den Tod, als abstrakte Negativität, nicht ertragen und verbindet ihn mit der Vorstellung des leeren Idols des Toten, als unsichtbare Hülle und Phantasma.

In der Kultur der äußersten Moderne, in der sog. Postmoderne und der Gegenwart ist das Bild nicht Nachahmung und somit dialektische Aufhebung von Wirklichkeit, an deren Stelle es, wie im Film, stellvertretend auftritt; es ist auch nicht Verschleierung, sondern Auflösung in virtueller Beliebigkeit und Spiel. So wird auch die Filmsprache Videosprache ohne Schnitt und die Videosprache virtuelle Computersprache, in der man, wie im Computerspiel, alle Handlungsstrukturen beliebig ändern kann. Spiel ist hier Beliebigkeit des Wandelns.

Somit erscheint auch der Begriff «virtuelle Realität», als usur-patorische Kakophonie, die den alten Anspruch von virtus, als Begründung der ontologischen Ordnung und alte Erinnerung an Platon, im Rahmen der mittelalterlichen analogia entis, desavouiert.

Gerade anhand solcher denkwürdigen Koinzidenz zeigt sich, daß die Beziehung zwischen Sichtbarem und Denkbarem, Bild und Begriff oder, um es allgemeiner in einer Weise, die sowohl Philosophie als auch Theologie und Dichtung impliziert, zu formulieren, Bild und Wort jene Nahtstelle in der Geschichte der Kultur sind, in der sich ihre Geschichtlichkeit zeigt, wenn Geschichtlichkeit der Kultur die universalistische Wandelbarkeit aller Formen menschlichen Handelns ist, die in sich den Anspruch erheben, nicht passives Reagieren auf das Faktische und Vorgefundene zu sein, sondern die Wirklichkeit selbst nach den Regeln ihrer ihnen innewohnenden Gesetze zu begründen und zu konstituieren.

In diesem Sinn ist die Auseinandersetzung mit der Kultur eine philosophische Wissenschaft. Sie begreift sich im Kontext der traditionellen Geschichtsphilosophie der großen identitäts-philosophischen Systeme des XIX Jahrhunderts, in der Tradition Hegels und der philosophischen Begründung der Kultur und Geisteswissenschaften durch Dilthey als «Ganzes». «Das Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstande haben, wird in diesem Werke unter dem Namen der Geisteswissenschaften zusammengefaßt»3, erklärt er in seiner «Einleitung in die Geisteswissenschaften» epigrammatisch.

Die Hervorhebung dieses Aspekts der Totalität, die man als besonderes Verdienst Diltheys bezeichnen kann, ist trotz der philosophiegeschichtlichen Implikationen der Lebensphilosophie vor dem 1. Weltkrieg und der damit verbundenen Einengung der Denkbarkeit von Vernunft in ihrer Objektivität und Einheit mit der Außenwelt des Menschen in Natur und Geschichte, ein wichtiger Hinweis auf die innere Verbindung zwischen den Gegenständen der Geisteswissenschaften und den immanenten Zusammenhang zwischen der inneren Denk- und Erlebniswelt des Menschen und den Formen seines Um-gangs mit dem Geheimnis der ihn umgebenden Welt und der eigenen Existenz.

In diesem philosophiegeschichtlichen Zusammenhang ist auch die treffliche Analyse Diltheys vom Verhältnis zwischen Philosophie und anderen «Zwischengliedern zwischen der Philosophie und der Religiosität, Literatur und Dichtung»4 zu verstehen.

«Die Verwandtschaft der Philosophie mit Religion, Literatur und Dichtung ist stets bemerkt worden. Das innere Verhältnis zu dem Welt- und Lebensrätsel ist allen dreien gemeinsam. So sind die Namen Philosophie und philosophisch oder ihnen verwandte Bezeichnungen sowohl auf geistige Tatbestände im Gebiet der Religiosität als auf solche der Lebenserfahrung, der Lebensführung, des schriftstellerischen Wirkens und der Dichtung übertragen worden»5. Man kann wohl sagen, daß dieser Satz zu Beginn unseres Jahrhunderts formuliert, auch jetzt an seinem Ende seine Gültigkeit behalten hat.

Es sind geradezu unser Wissen und unsere Erfahrung, die uns am Ende des Jahrhunderts darauf drängen ein Verständnis von Philosophie bei Wahrung ihrer Selbstbestimmung, als Wissenschaft des Denkens, das sich mit sich selbst beschäftigt, als reiner und fundamentaler Spekulation, auch als übergreifender Reflexion über sich und die Welt, sich mit dem ihr Verwandten auseinanderzusetzen, zu entwickeln.

Unsere Erfahrung zeigt uns hier, daß es nicht so sehr die Philosophials solche ist, die darauf drängt, sondern vielmehr der Philosoph selbst in seiner individuellen und endlichen Existenz, die in sich den Widerspruch und gleichzeitig das Bedürfnis der Versöhnung zwischen diesen Disziplinen des Geistes spürt, der Philosoph selbst, der diese Last und die niemals gelingende Totalisierung und Versöhnung der Widersprüche in seinem individuellen Lebensentwurf erreichen kann und somit in seiner Kontingenz trägt und unab-geschloßen zu Ende führen muß, durch den Tod.

Soweit diese philosophische Existenz in einem bestimmten Lebens-zusammenhang von Geschichte und Kultur eingebettet ist, stellt sie gleichzeitig einen überindividuellen Kulturtypus dar; gerade deswegen verlangt von uns die durch Gewalt und enttäuschte Hoffnung geprägte Erfahrung des Jahrhunderts im Umgang mit der philosophischen Existenz, Toleranz und Bedächtigkeit.

Kehren wir aber zu Platon zurück. Seine Philosophie ist in unserem Zusammenhang symptomatisch, denn sie ist stellvertretend für die kulturelle Macht des Bildes und für seine organische Beziehung mit dem Wort. Beide Momente dieser Beziehung stehen in Wechselwirkung zueinander, bedingen und bestimmen sich gegenseitig und werden wiederum von der Beziehung als Ganzes bestimmt.

Die Welt der Bilder und sie selbst als Momente der Erkenntnis sind also für Platon konkrete Entitäten, die einen realen, empirischen Gehalt besitzen und gleichzeitig für die Erkenntnis in ihrer Gesamtheit eine Bedeutung haben, die über ihren realempirischen Gehalt weit hinausgeht. Mit anderen Worten haben sie einen metaphorischen Stellenwert, der sowohl empirische als auch begriffliche Bestimmungen enthält.

Später bei den Neoplatonikern wird die Kraft der Metaphorik und des Bildes durch die Verschärfung einer Tradition der Entsinnlichung, die aus einem auf Platon und seine einseitige Interpretation zurückgeführten Dualismus von Geist und Materie, Körper und Seele, abgeleitet wurde, verblassen.

Der philosophische Gott der hellenistischen Zeit ist, soweit hier mit dem Begriff der Gottähnlichkeit operiert wird, höchste abstrakte Allgemeinheit und absolute Einfachheit, die von jeder konkreten Bestimmung entleert ist.

Vladimir Lossky zeigt das sehr schön in seinen Ausführungen über den Unterschied zwischen christlichem und philosophischem Neoplatonismus anhand des haplosis Begriffs (Ausstreckung) bei Plotin. Hier wird im Unterschied zur Emanationslehre des Pseudodionysius Areopagita gezeigt, daß die Vereinigung der Seele mit Gott als «Einem» bei Plotin nur im Wege einer ontologischen «Verminderung» des Begriffs Gottes, als äußerster, abstrakter Einfachheit, die jeglicher substantieller Bestimmung entleert ist, zustande kommen kann.

«Und indem sie sich also hier vereinigen, werden sie eins, und dann sind sie aber zwei, wenn sie getrennt sind. Und so sprechen wir nun von einem Zweiten. Deswegen ist es schwer das Betrachtete zu verstehen. Denn wie könne man es als zweites bezeichnen, wenn man jenes nicht einmal gesehen hat, und sollte man es gesehen haben als zweites aber mit sich eins (identisches) bezeichnen?»6 Dieses philosophisches Eins Plotins als letzte Stufe eines Abstraktionsprozesses schaltet aus der Reflexion jegliche metaphorische aber auch jede begriffliche Bildhaftigkeit aus. Im Unterschied zur Tradition der Sichtbarkeit und des sichtbar Werdens der Wahrheit und des Gedankens selbst auf der Basis einer fast versteckten, geheimnisvollen und widersprüchlichen Identität zwischen Bild in der altgriechischen Philosophie, die auf einer höheren Ebene aletheia als das nicht lanthanon, also das nicht dem Blick Entgehende im Sinne einer evidenten und über die bloß unmittelbare Evidenz hinausgehenden Wahrheit in Erscheinung treten läßt, zeichnet sich hier also der Beginn einer Geschichte der Entsinnlichung ab, die durch den Körper-Seele Dualismus der abendländischen Metaphysik, bis zur Neuzeit reicht.

Was Plotin selbst betrifft, so ist uns berichtet worden, daß er symptomatischerweise bildhafte Darstellungen und die Malerei mit besonderer Vehemenz abgelehnt hat und, daß er auch stets abgelehnt hat, sich malen zu lassen, was schließlich ein Schüler von ihm im Verborgenen tat, der den Philosophen insgeheim während seines Unterrichts zeichnete.

Hier ist jedoch anzumerken, daß die Beziehung zwischen Bild und Begriff die griechische Welt auch zur Zeit des Hellenismus entzweit. Denn die Koinzidenz zwischen Logos als Wort und Logos als Bild, zwischen Bild und Begriff ist im Rahmen einer Tradition, in der dieser Koinzidenz eine andere zwischen Dialektik und Dialog zugrundeliegt eine zusätzliche Verstärkung des immanenten Anspruchs der Philosophie allgemein verständlich zu sein; Anspruch auf Wahrheit geht hier mit öffentlicher und nicht zuletzt mündlicher Wahrheitsvermittlung zusammen. Somit zeichnet sich schon in der hellenistischen Welt der Anfang einer Auseinandersetzung über den öffentlichen Gebrauch der Sprache, der im griechischen Raum durch die Auseinandersetzung zwischen koine und antiquiertem attischem Dialekt, als Hochsprache,bis zum Sprachstreit der griechischen Neuzeit aktuell geblieben ist.

«Und wenn die Trompete unklare Töne hervorbringt, wer wird dann zu den Waffen greifen? So ist es mit euch, wenn ihr in Zungen redet, aber kein verständliches Wort hervorbringt. Wer soll denn das Gesprochene verstehen? Ihr redet nur in den Wind»7, schreibt der politisch konsequente Anhänger der koine Paulus im Zeitalter des Übergangs von der spätgriechischen Welt zum Christentum, als letzter Vertreter der griechisch-römischen Ökumene, die er ins Christentum hinüberretten will.

In einer fast brutalen Einfachheit der Formulierung wird nämlich dieThese vertreten, daß der Stellenwert der Sprache, die in verständlicher Form an die Menschen gerichtet wird, höher einzuschätzen ist, als das geheimnisvolle, spekulative Selbstgespräch mit Gott. Diese These ist ein skandalon und das, was Paulus hier betreibt ist schlicht und einfach skandalös. «Denn wer in Zungen redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheimnisvolle Dinge.

Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermutigt, spendet Trost. Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf. Ich wünschte, ihr alle würdet in Zungen reden, weit mehr aber, ihr würdet prophetisch reden. Der Prophet steht höher als der, der in Zungen redet, es sei denn, dieser legt sein Reden aus; dann baut auch er die Gemeinde auf»8.

Hier steht die Sprache im Kontext universeller Dienstbarkeit für die Anderen, für die Gemeinde. Systematisch konsequent ist das im methodischen Aufbau des Textes eingebettet, der sich zunächst mit der Klärung der Prämissen, mit der hierarchischen Bestimmung der Wertigkeiten der Sprache beschäftigt, mit ihrem inneren Zweck. So heißt es zu Beginn des Absatzes: «Jagt der Liebe nach! Strebt aber auch nach den Geistesgaben, vor allem aber, damit ihr prophetisch reden könnt»9. In diesem Zusammenheng ist prophetisch reden, d. h. für die Anderen reden, für die Gemeinde, der in der Wertigkeit wichtigere innere Zweck von pneuma =Geist, d. h. jenes Begriffs, der in der altgriechischenWelt auf der höchsten Stufe der Erkenntnis liegt.

In dem Maß der allgemeine pneuma Begriff als Inbegriff der Erkenntnis der prophetischen Rede, als Rede für die Anderen, als seinem inneren Zweck dient, vollzieht sich bei Paulus auch eine entscheidende Umkehrung des traditionellen Verhältnisses zwischen pneuma und nous, der hier auch richtig als Verstand übersetzt wird. «Es gibt wer weiß wie viele Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun den Sinn der Laute nicht kenne, bin ich für den Sprecher ein Fremder, wie der Sprecher für mich. So ist es auch mit euch. Da ihr nach Geistes-gaben strebt, gebt euch Mühe, daß ihr damit vor allem zum Aufbau der Gemeinde beitragt. Deswegen soll einer, der in Zungen redet, darum beten, daß er es auch auslegen kann. Denn wenn ich nur in Zungen bete, betet zwar mein Geist aber mein Verstand bleibt unfruchtbar»10.

In dem Maß der pneuma Begriff der prophetischen Rede, angesichts ihrer praktischen Bedeutung untergeordnet wird, wird er auch dem nous Begriff, hier nicht im platonisch-aristotelischen Sinn als allgemeine und höchste Vernunft, sondern als «praktisches Situationsvermögen» (wie Habermas phronesis bezeichnet)11, als politisch-praktischem Alltagsverstand unterge-ordnet, der seinerseits seine Wahrheit aus dem pneuma Begriff ableitet. Wir haben also mit einem Konzept von nous, als politischer Vernunft, zu tun, das ab jetzt dem Modell christlicher Zivilisation zugrundegelegt wird. Das ist eine entscheidende Zäsur in die Richtung einer politischen Theologie, deren Strukturen sich in und durch die Trinitätsdialektik entwickeln, d. h. ge-schichtlich nach Paulus auf einer Basis, die durch ihn schon die äußerste Verdichtung des Widerspruchs und gleichzeitig der Verschmelzung zwischen der griechischen und der jüdischen Welt darstellt.

Der historische Boden, auf dem die geschichtsphilosophischen Vor-aussetzungen für die Herstellung dieser neuen Dialektik von pneuma und nous entstehen, ist aber der Untergang der griechischen polis, in deren Rahmen, als institutionelle Sittlichkeit nach Platon, höchstens Gerechtigkeit (als Verteilung dessen, was einem zusteht), und als kollektive Tugend für die Massen, nur Besonnenheit (als Zufriedenheit der Gesinnung), sein konnte12. Das gesellschaftliche Gleichgewicht von moira aktiv und moira passiv gefaßt, ist nun endgültig zerstört und der alte kreisförmige Zeitbegriff durch die jüdische Gerade der prophetischen Zeit durchbrochen.

Waren bei Platon Denkbares und Sichtbares im Verhältnis ontologischer Nähe und gleichzeitig Differenz zueinander befindlich, so drängt die Welt des Späthellenismus dort, wo das Konzept der übergreifenden und gleichzeitig zurückhaltenden Vernunft in der polis, wie es bei Platon war, oder auch wie später bei Plotin, Gott als Quintessenz absoluter Einfachheit, die zur reinen Abstraktion wird, auf die Erscheinung des Denkbaren, das gleichzeitig ein Undenkbares ist, auf seine Sichtbarkeit, die auf die Geradelinigkeit des jüdischen Zeitbegriffs projiziert, sich dort in der ungeheuerlichen Spannung der Offenbarungsreligion verdichtet, wo Ewigkeit und Geschichte aufein-andertreffen, damit sie nachher als Bild Erinnerung wird.

Die Griechen wollten immer sehen, was die Juden immer gehört und einmal gesehen haben, sie wollten es immer in die Beharrlichkeit der Erinnerung versetzen. So wie die Theologie nach der Offenbarung eigentlich ein unendlicher griechischer Kommentar ist, ein Sprechen über das, was die Welt einmal gesehen hat, so ist die Theologie des Bildes, die «Offenbarung des Verborgenen»13 einmal und immer. Sie ist das Bild des Bildes, als Erinnerung, Gegenwart und Zukunft und gleichzeitig Sprache, die Bild geworden ist. Die griechische Theologie hat von dem gesprochen, was die Juden gehört haben und das abgebildet, von dem sie selbst gesprochen hat. Das ist nicht mehr die distanzierte Vermittlung Platons zwischen Denkbarem und Sichtbarem; die Metapher ist in sich selbst das verdoppelte Abbild von Bild und Begriff. Origenes hat es in seiner allegorischen Bibel interpretation begriffen.

Somatische, psychische und pneumatische Ebene enthalten jeweils Elemente der anderen in sich und sind ihre Überwindung und Bereicherung14. Die erste Stufe enthält die anderen, weil sie sie potentiell vorwegnimmt. Ohne Buchstaben keine Bibel und keine Interpretation; auf der dritten Stufe aber, auf der pneumatischen, offenbart sich sowohl der alles umfassende und über alles hinausgehende Sinn dessen, wovon die Hl. Schrifft berichtet, als auch bleibt in geheimnisvoller Weise die empirische Wahrheit und Faktizität des Berichtes aufrecht.

Kehren wir nun zu Paulus zurück, zu der Dialektik von pneuma und nous als praktischem Verstand. Als Zäsur zur politischen Theologie (genauer gesagt, als wichtige Stufe und Zäsur auf dem Weg zur Bildung der politischen Theologie des Christentums) stellt diese Dialektik in ihrer Umkehrung des Verhältnisses zwischen pneuma und nous, Sprache und ihrer Dienstbarkeit und in der Dienstbarkeit des Wortes für die Gemeinde, die alle Anderen sind, schon die Vorwegnahme der Ikonen Theologie dar, die wiederum in der grie-chischen Trinitätsdialektik enthalten ist, als die eigentliche politische Theologie des byzantinischen Christentums.

In dem Maße das Neue Testament das Bild der geoffenbarten Wahrheit ist, weil sich uns der geoffenbarte Logos selbst gezeigt hat, selbst ein Bild des Vaters und seiner eigenen Ewigheit, und somit als Neuer Bund die Ergänzung und Überwindung des Alten Testaments ist, ist es auch nicht nur die einfache Überwindung des Bildverbots der Juden, sondern seine dialektische Aufhebung. Moses hört nur die Stimme Gottes von der Ferne und im Nebel sieht er von hinten seinen Schatten. Im A. Testament ist Gott Kraft, Wirksamkeit, Weisheit, Warnung, Ahnung und Vorwegnahme, Stimme. Im Neuen Testament ist der Sohn des Menschen Bild Gottes selbst. Sein Leben und sein Tod haben für die Menschen exemplarischen Charakter. Also ist nicht nur das alttestamentarische Bilderverbot die Voraussetzung für seine neutestamentarische Aufhebung (wie Ouspensky schreibt), sondern ist geradezu das N. Testament die Aufforderung Gott in Bildern zu verehren15.

In dem Maße das N. Testament Bild Gottes ist (als schriftliche Abbildung seines Wortes und als Bild seines Bildes und als Neuer Bund, als neuer ontologischer Status der Welt dort wo die Heilsgeschichte in die Weltgeschichte eingreift, Bild selbst), stellt sich für Paulus die Frage nach der logisch-ontologischen Rangordnung des Wortes, der Sprache und ihrer Dienstbarkeit gar nicht. Auch das menschliche Wort ist, soweit es der Wahrheit verpflichtet ist, Wort für andere, das selbst Bild des Menschen als Person ist, die selbst ihre Wahrheit im Geheimnis individueller Einmaligkeit besitzt.

Die ontologische Begründung und gleichzeitig sozialphilosophische Vermittlung dieser Verhältnisse mit der Politik findet im Begriff der Trinität statt.

Eine Passage aus der Darstellung der inneren Trinitätsdialektik bei Johannes von Damaskus, ist hier, meines Erachtens, besonders auf-schlußreich: «Wir sagen, jeder von den dreien hat eine vollkommene Hypostase, damit wir nicht eine aus drei unvollkommenen (Hypostasen) zusammengesetzte vollkommene Natur annehmen, sondern eine in drei vollkommenen Hypostasen bestehende einzige, einfache, übervollkommene und vor-vollendete Wesenheit»16. In geheimnisvoller Weise ist das Wesen der Trinität selbst übervollkommen und vor-vollendet, d. h. noch nicht vollendet, gleichzeitig.

Gott selbst und die Trinität, als seine ontologische Wirklichkeit, ist nach Johannes von Damaskus, dem großen Heiligen und noch immer offiziellen Dogmatiker und genauestem Formulierer des orthodoxen Dogmas und ich meine, das sieht man im Gesamtkontext der orthodoxen Theologie überhaupt, gleichzeitig übervolkommen und vor-vollendet, noch potentiell vollendet, er ist noch nicht vollkommen vollendet, wie er vollkommen vollendet in der Zukunft sein wird.

Das will nicht heißen, daß er nicht gleichzeitig in aller Ewigkeit übervollkommen ist, das heißt nur, daß die Dialektik der Trinität methodisch eine ewige Vermittlung in sich zwischen ontologischer und geschichts-philosophischer Ebene, so etwas wie ewiges Werden, auf beiden miteinander vermittelten Ebenen enthält und, daß dieses ewige Werden auf geschichts-philosophischer Ebene den eschatologischen Kern des künftigen Reichs Gottes enthält. Gott ist selbst nur dann nicht mehr vor-vollendet, sondern vollendet, wenn nach der parusie das künftige Reich kommt.

So schließt sich aber der Kreis der Berührung und des Eingreifens von der Heilsgeschichte auf die Weltgeschichte, wie wir das bei Paulus in der Beziehung zwischen pneuma und nous gesehen haben, zu. Denn das künftige Reich ist in dieser Tradition, «wie im Himmel, so auch auf Erden» konzipiert.

Zurück zum Individualmenschen. Als «telos» und Begründung der Natur, als Realisierung und Mikrokosmos der ganzen Schöpfung, als Bild des Bildes, sowohl Natur als auch das Andere der Natur, ist der Mensch auch dynamei (potentiell) empirische Fülle und über die empirische Fülle hinausgehende Ewigkeit des Begriffs. Als der eigentliche lebendige Begriff selbst, ist der Mensch die potentielle Vermittlung zwischen der Fülle seiner empirischen Existenz und seiner eigenen Ewigkeit.

Das verhält sich aber so in einem Prozeß möglicher Vervollkommnung eingebettet, der mit Weltgeschichte vermittelt ist. Nur so erhält die paulinische Metapher Sinn: «Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin»17.

Daß dieses Erkennen und erkannt Werden nur in und durch die Totalität der Liebe möglich ist, widerspricht nicht dem Konzept der Vermittlung mit der Weltgeschichte, soweit Liebe über bloße Solidarität hinausgehend die Rangordnung der Beziehung zwischen pneuma und nous bei Paulus begründet. Der Mensch ist also die Vermittlung zwischen sich selbst, als natürliches und soziales Wesen und seiner eigenen Ewigkeit, er ist die sinnlich-übersinnliche Vermittlung selbst. Er ist die dreifache Vermittlung: Natur und ihr Anderes, ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und über beides hinausgehendes, beide Momente vereinigendes und sie übersteigendes Wesen, unendliche, unabgeschlossene Nostalgie, die sich nach Erkenntnis von Angesicht zu Angesicht sehnt.

(Wenn Gott ein Gesicht ist, ein prosopon, ist er der Sehende, der mir gegenüber steht.) D. h., daß der Mensch in der Weltgeschichte eingebettet, gleichzeitig auch das Andere der Weltgeschichte ist; denn er will sich selbst erkennen, über die Weltgeschichte hinaus. Deswegen ist der «Alte der Tage»18 bei Pseudodionysius Areopagita ein Alter mit jungem Gesicht.

Er ist alt über jede Geschichte hinaus, älter als jede Vergangenheit und sie gleichzeitig auch als empirische Fülle enthaltend und zugleich ist er ewig jung, das immer über alles Hinausgehende, die Geschichte Überwindende, alles Vorwegnehmende, ewig Neue.

Daher heißt es auch bei Symeon d. Neuen Theologen: «Die Kenntnis Gottes wird zur Ursache und Grund der Nichtkenntnis sowohl von allen anderen Dingen als auch Gottes selbst und die Kraft (die Menge, das Viele) seiner Ausstrahlung zur vollständigen Blindheit und die über jede Empfindung (aisthesis) hinausgehende übervollständige Empfindung (wird) zur Empfindungslosigkeit aller außerhalb von ihr seienden»19.

Hier zeichnen sich, im Rahmen der negativen Theologie d. byz. Tradition, Denkstrukturen, die im Rahmen der Dialektik d. Renaissance zu einem Konzept des Widerspruchs, als Basis und Grund d. dialektischen Bewegung führen. (Man denke etwa an die coincidentia oppositorum von Nicolaus Cusanus oder den mundus unus et multus von Marsilio Ficino.)

Im Unterschied zu der Dialektik der Renaissance, ist die Fassung des Widerspruchs in der byzantinischen Tradition der negativen Theologie so, daß, in Übereinstimmung mit der Metapher von Paulus, der interpersonale Charakter der Erkenntnis nicht von einer sich selbst erkennenden Dialektik des Begriffs, nicht von einer sich selbst erkennenden Wirklichkeit, ersetzt werden kann.

Auch für die byzantinische Tradition ist die Anschauung ohne Begriff blind und der Begriff ohne Anschauung leer, bei Aufrechterhaltung der Vermittlung mit der Wirklichkeit der Natur und der Geschichte ist aber der Prozeß, der zur Erkenntnis führt, ein geheimnisvoller Weg, der zum sichtbar Werden des Unsichtbaren führt, das uns bei Aufrechterhaltung der ontologischen Differenz wie ein Gesicht im Licht erscheint.

Dieser Weg führt durch den Menschen in seiner Beziehung zum Anderen als Bild des Bildes und Mikrokosmos und sinnlich-übersinnliche Einheit und Vermittlung selbst.

In ihrer geschichtsphilosophischen Fassung, als Gegenstand einer «politischen Theologie», begründet die Dialektik der Trinität ebenfalls die sie selbst begründende und gleichzeitig in ihr begründete Einmaligkeit der Person und des individuellen Menschen, als sinnlichübersinnliche Einheit auch in bezug auf Gemeinde und Weltgeschichte.

Sehr schön zeigt sich das, wenn wir es anhand der Quintessenz des bürgerlichen Ideals von Politik darzustellen versuchen, anhand des französischen Revolutionsideals von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, dessen noch nicht realisierte universelle Gültigkeit in der, von der bürgerlichen Gesellschaft dominierten Welt, gleichzeitig Ideal und Zeichen ihrer Unzulänglichkeit bleibt.

Freiheit

Gleichheit

Brüderlichkeit

Ewigkeit d. Menschen

Gleich miteinander weil der Sohn Logos als Mensch uns gleich geworden ist

Vater

Sohn

Reich d. Freiheit Universalität

d. Liebe

Man kann nicht sagen, welches dieser Ideale wichtiger ist. Sie begründen und bedingen sich gegenseitig, bleiben für sich aufrecht und gehen getrennt (wie bei der perichorese) ineinander ohne Verschmelzung über.

In der spätbürgerlichen Welt bleibt dieses französische Revolutionsideal, als Begriff der Freiheit, unrealisiert, während vielmehr die dunkle Metapher, die dem Mythos des Prometheus zugrundeliegt, als doppelte Fassung der von innen und der von außen kommenden Bewegung, im Marxschen allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, als Dialektik des Verhältnisses zwischen Zentralisation und Akkumulation aufrechterhalten bleibt.

Mündet noch immer die Geschichte der Emanzipation durch Produktivität in der bürgerlichen Gesellschaft als «der ungeheueren Macht, die den Menschen an sich reißt, von ihm fordert, daß er für sie arbeite, und daß er Alles durch sie sey und vermittels ihrer thue»20, in die Sklaverei durch Produktivität und kann somit für sie, als Welt des zu sich selbstgekommenen Begriffs, die Vorstellung des Paradieses «kein Park für die Tiere» sein, («Das Paradies ist ein Park, wo nur die Tiere und nicht die Menschen bleiben können»)21, erzählt uns Johannes von Damaskus auf die Frage nach der Beschaffenheit des Paradieses noch in der Zeit einer vorbürgerlichen Welt: «Einige nun stellten sich das Paradiese sinnlich vor, andere geistig. Meine Ansicht jedoch ist die: Wie der Mensch sinnlich und geistig zugleich geschaffen worden war, so war auch dessen hochheiliger Tempel sinnlich und geistig zugleich, er hatte somit eine doppelte Seite»22. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zusammenfassung

Сквозь всю историю греческо-византийской традиции проходит идея связи между образом и понятием и одновременно самоосмысления как основный мотив, который может рассматриваться как историко-философский топос этой культуры. У Платона образ и понятие близки друг к другу и одновременно различны. Отсюда возникает мыслимое, которое может быть самоочевидно явлено через чувственность как слово, логос, образ и понятие и одновременно скрыто, и которое будет утверждено в реальности диалога и в пророчески-политической речи апостола Павла.

Таким образом, в христианстве продолжается платоновская традиция выявления и политизации логоса, нус (разум) будет здесь подчинен пневме (духу). Единое актализируется в рамках образной теологии, в греческом комментарии к откровению, священному преданию и еще раз должно быть вновь открыто.

Взаимное соприкосновение онтологической спекуляции о троице и историко-философско-эсхатологической рефлексии в византийской тринитарной диалектике поможет нам в понимании своеобразной близости этой диалектики к бюргерскому революционному идеалу свободы, равенства и братства и одновременно к пророчески революционным ценностям византийской антропологии в добуржуазную эпоху.

В. В. Дудкин

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