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Indogermanische Sprachen um das Jahr 500

Wie gesagt, sind keine Texte oder Inschriften in proto-indogermanischer Sprache über-liefert; die Schrift existierte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Trotzdem haben Sprachwissen-schaftler den Wortschatz (Lexikon), die Laute (Phoneme) und grammatische Strukturen (Mor-phologie und Syntax) des Indogermanischen zu wesentlichen Teilen rekonstruiert, und sie ver-suchen gelegentlich, kurze Texte in dieser Sprache zu schreiben. Der bekannteste davon ist die sog. Indogermanische Fabel Das Schaf und die Pferde, die zuerst 1868 von August Schleicher verfasst wurde. Danach erschienen mehrfach neuere Fassungen, deren Veränderungen den Erkenntnisfortschritt dokumentieren. Weiter folgt die ursprüngliche Version der Fabel von Schleicher. Schleichers Text basiert auf der Annahme, dass das Proto-Indogermanische vor allem auf der Grundlage von Sanskrit und Avestisch zu rekonstruieren sei; er unterschätzte noch die Bedeutung unter anderem der germanischen Sprachen und des Lateins für die Rekonstruktion des Proto-Indogermanischen.

Indogermanisch (Avis akvāsas ka)

Deutsche Übersetzung (Das Schaf und die Pferde)

Avis, jasmin varnā na ā ast, dadarka akvams, tam, vāgham garum vaghantam, tam, bhāram magham, tam, manum āku bharantam. Avis akvabhjams ā vavakat: kard aghnutai mai vidanti manum akvams agantam. Akvāsas ā vavakant: krudhi avai, kard aghnutai vividvant-svas: manus patis varnām avisāms karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varnā na asti. Tat kukruvants avis agram ā bhugat.

Ein Schaf, das keine Wolle mehr hatte, sah Pferde, eines einen schweren Wagen fahrend, eines eine große Last, eines einen Menschen schnell tragend. Das Schaf sprach: Das Herz wird mir eng, wenn ich sehe, dass der Mensch die Pferde antreibt. Die Pferde sprachen: Höre Schaf, das Herz wird uns eng, weil wir gesehen haben: Der Mensch, der Herr, macht die Wolle der Schafe zu einem warmen Kleid für sich und die Schafe haben keine Wolle mehr. Als es dies gehört hatte, bog das Schaf auf das Feld ein.

Es gibt auch Übertragungen dieser Fabel in die urgermanische Sprache, etwa durch die Linguisten Carlos Quiles Casas (2007) und Wolfram Euler (2009). Nachfolgend die Version von Euler:

Awiz eχwôz-uχe. Awis, þazmai wullô ne wase, eχwanz gasáχwe, ainan kurun waganan wegandun, anþeran mekelôn burþînun, þridjanôn gumanun berandun. Awiz eχwamiz kwaþe: „Χertôn gaángwjedai mez seχwandi eχwanz gumanun akandun.“ Eχwôz kwêdund: „Gaχáusî, awi, χertôn gaángwjedai unsez seχwandumiz: gumô, faþiz awjôn wullôn sez warman westran garwidi; avimiz wullô ne esti.“ Þat gaχáusijandz awiz akran þlauχe.

Urgermanisch

Auf den Mediziner Ludwig Wilser geht die Theorie zurück, dass sich die Urheimat der Urgermanen im heutigen Dänemark und den angrenzenden Teilen Südschwedens und Nord-deutschlands befunden habe. Wilser vertrat diese Theorie ab 1885, zuvor wurde ganz über-wiegend eine mitteleuropäische Urheimat der Vorfahren der Germanen angenommen. Wilsers Theorie wurde ab etwa 1895 durch den prominenten Prähistoriker Gustaf Kossinna übernommen und setzte sich daraufhin durch, sie ist aber bis heute umstritten. Die Stämme, deren Nach-kommen später als Germanen bekannt wurden, waren vermutlich nicht autochthone Einwohner dieser Gebiete; sie waren dorthin aus anderen Teilen Eurasiens zugewandert und hatten sich womöglich mit vorgermanischen Bewohnern dieser Gebiete vermischt (ein größerer Teil – früher meinte man ein Drittel – des germanischen Wortschatzes hat keine indogermanischen Wurzeln). Es ist nicht genau bekannt, seit wann Germanen auf jenen Territorien lebten; generell wird angenommen, dass die Anfänge der prägermanischen Kultur und Sprache bis ins 2. Jahr-tausend v. Chr. zurückreichen.

Südöstlich dieser prägermanischen Gebiete, vermutlich in Böhmen und daran östlich und südlich angrenzenden Gebieten, lebten im 2. Jahrtausend vor Christus ursprünglich die Vor-fahren der späteren Italiker. Direkt südlich und südwestlich des germanischen Gebietes hingegen lebten keltische Stämme beziehungsweise deren Vorfahren. Sprachwissenschaftler stellten einige Gemeinsamkeiten im Wortschatz zwischen germanischen Sprachen und Latein fest, die auf Kon-takte und Nachbarschaftsverhältnisse dieser Völker hinweisen können. So entspricht das Wort Hals (das im Althochdeutschen und Gotischen dieselbe Form hatte: hals) dem lateinischen collus; das althochdeutsche wat (Furt, vgl. waten) dem lateinischen vadum.

Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. zogen die Präitaliker nach Süden und siedelten sich im heutigen Italien an, wo Teile von ihnen später die Stadt Rom und das Römische Reich gründeten. Die einst präitalischen Gebiete wurden von germanischen Stämmen erst ab dem 1. Jahrhundert vor Christus besiedelt. Die Ausbreitung der Germanen im 1. Jahrtausend vor Chris-tus in Mitteleuropa geschah hingegen überwiegend auf Kosten bis dahin keltischer Gebiete. Dies gilt vor allem für die Gebiete zwischen Ems und Rhein und für die Ausbreitung nach Süden bis zum Main und weiter bis zur Donau. Vermutlich in der La-Téne-Zeit wurden die seit jeher bestehenden Kontakte mit den Kelten intensiver, wobei damals die Kelten kulturell und wohl auch militärisch ihren nördlichen Nachbarn zunächst überlegen waren. Kontakte mit keltischen Stämmen in dieser Zeit führten zur Aufnahme vieler neuer Wörter in die urgermanische Sprache, zum Beispiel auf dem Gebiet von Politik (das Wort „Reich“), Gesellschaft (das Wort „Amt“), Technik (das Wort „Eisen“), Bekleidung (das Wort engl. „breeches“ = Hose) und Recht (vgl. altirisches oeth, altsächsisches āth und althochdeutsches eidEid, oder altirisches licud, goti-sches leihwan und althochdeutsches līhanleihen).

Andere Nachbarn der Germanen im Osten waren die Veneter (von denen ein Teil nach Angaben antiker Schriftsteller an der mittleren Weichsel lebte) und die Illyrer. Von den ersten übernahmen die Germanen den Begriff selbst (venetisch sselb-, vergleiche gotisches silba, eng-lisches self, althochdeutsches selb), von den anderen stammt das Wort (Vogel)bauer (byrion war eine illyrische Bezeichnung für Wohnstätte).

Das Ergebnis der Kontakte der Germanen mit slawischen und baltischen Stämmen, die östlich ihrer Gebiete lebten, sind dagegen Wörter wie Gold (germanisches ghḷtóm, vgl. pol-nisches złoto, tschechisches zlato), tausend (gotisches þūsundi, vgl. polnisches tysiąc, litauisches tukstantis).

Die germanische Sprache bildete sich aus dem Indogermanischen im Laufe eines lang-samen Prozesses heraus, der in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends einsetzte und ein bis zwei Jahrtausende dauerte. Die Änderungen, die zur Entstehung des Urgermanischen führten, betrafen vor allem die Phonologie, zum Beispiel Akzentverhältnisse. Während der Akzent bei den Ger-manen, wie in anderen indogermanischen Sprachzweigen, anfangs noch auf unterschiedlichen Silben liegen konnte – was auch Bedeutungsunterschiede bezeichnete – setzte sich bei ihnen später der dynamische Akzent auf der Stammsilbe durch. Meistens war dies die erste Silbe eines Wortes, es gibt aber auch unbetonte Vorsilben. Diese Form des Wortakzents gilt bis heute im Deutschen und in den anderen lebenden germanischen Sprachen. In manchen Sprachen (zum Beispiel im Russischen) blieb der Akzent (wie im Indogermanischen) beweglich, d. h., er kann auf verschiedene Silben morphologischer Formen eines Wortes fallen, dasselbe galt für Latein und Griechisch.

Diese Durchsetzung der Initialbetonung führte allmählich zur Abschwächung von Silben ohne Akzent und bewirkte tiefgreifende Änderungen im Lautsystem, von denen die so genannte Erste Lautverschiebung für die spätere Entwicklung germanischer Sprachen die größten Konse-quenzen hatte. Die Prozesse der Ersten Lautverschiebung, die auch als germanische Lautver-schiebung oder Grimmsches Gesetz bekannt ist, setzten frühestens um 500 v. Chr. ein, um Christi Geburt waren sie abgeschlossen. Sie umfassten drei Änderungen im Konsonantensystem:

  1. Indogermanische stimmlose Verschlusslaute (p, t, k, ) wurden zu stimmlosen Frikativen (f, þ, h, hw).

  2. Indogermanische stimmhafte Verschlusslaute (b, d, g, ) wurden zu stimmlosen Verschlusslauten (p, t, k, ).

  3. Indogermanische aspirierte Verschlusslaute (, , , gʷʰ) wurden zu stimm-haften Frikativen und dann zu stimmhaften Verschlusslauten (b, d, g, gw, dann w).

Die Folgen der germanischen Lautverschiebung im heutigen Deutschen sind nicht immer sichtbar, denn sie wurden zum Teil durch die späteren Prozesse der Zweiten Lautverschiebung (die zur Entstehung des Althochdeutschen führte) verdeckt. Die folgende Tabelle soll eine Über-sicht über die Änderungen im Rahmen der Ersten Lautverschiebung geben:

Erste Lautverschiebung

Wechsel

nicht-germanische / unverschobene B.

germanische / verschobene B.

*p→f

1) Altgr.: πούς (pūs), Lat.: pēs, pedis, Sanskrit: pāda, Russ.: под (pod), Lit.: pėda;

2) Lat.: piscis

1) Engl.: foot, Deutsch: Fuß, Got.: fōtus, Isländ., Färöisch: fótur, Dän.: fod, Norw., Schwed.: fot;

2) Engl.: fish, Deutsch: Fisch,

*t→þ

Altgr.: τρίτος (tritos), Lat.: tertius, Gaelic treas, Irisch: tríú, Sanskrit: treta, Russisch: третий (tretij), Litauisch: trečias

Englisch: third, Althdt.: thritto, Gotisch: þridja, Isländ.: þriðji

*k→χ (χ wurde zu h)

1) Altgr.: κύων (kýōn), Lat.: canis, Gälisch, Irisch:  ;

2) Lat.: capio;

3) Lat.: corde

1) Engl.: hound, Niederl.: hond, Dt.: Hund, Gotisch: hunds, Isländisch, Färöisch: hundur, Dän., Norw., Schwed.: hund;

2) Got.: hafjan;

3) Engl.: heart

*kʷ→hw

Lat.: quod, Gälisch: ciod, Irisch: cad, Sanskrit: ka-, kiṃ, Russisch: ко- (ko-), Litauisch: ką'

Engl.: what, Gotisch: ƕa („hwa“), Dänisch hvad, Isländisch: hvað, Färöisch hvat, Norw.: hva

*b→p

1) Lat.: verber;

2) Lit.: dubùs

Engl.: warp; Schwed.: värpa; Niederl.: werpen; Isländ., Färöisch: varpa, Gotisch wairpan; Got.: diups

*d→t

Lat.: decem, Griech.: δέκα (déka), Gaelisch, Irisch: deich, Sanskrit: daśan, Russ.: десять (des'at), Litauisch: dešimt;

Engl.: ten, Niederl.: tien, Gotisch: taíhun, Isländisch: tíu, Färöisch: tíggju, Dän., Norw.: ti, Schwed.: tio

*g→k

1) Lat.: gelū;

2) Lat.: augeo

1) Engl.: cold, Niederl.: koud, Deutsch: kalt, Isländ., Färöisch: kaldur, Dän.: kold, Norw.: kald, Schw.: kall;

2) Got.: aukan

*gʷ→kw

Litauisch: gyvas

Engl.: quick, Friesisch: quick, queck, Niederl.: kwiek, Gotisch: qius, Altnorw.: kvikr, Norw. kvikk Isländ., Färöisch: kvikur, Schwed.: kvick

*bʰ→b

Lat.: frāter, Altgr.: φρατήρ (phrātēr), Sanskrit: (bhrātā), Russ.: брат (brat), Litauisch: brolis, Altkirchenslaw.: братръ (bratru)

Engl.: brother, Niederl.: broeder, Deutsch: Bruder, Gotisch: broþar, Isländ., Färöisch: bróðir, Dän., Schwed.: broder, Norw. bror

*dʰ→d

Irisch: doras, Sanskrit: dwār, Russ.: дверь (dver'), Litauisch: durys

Engl.: door, Friesisch: doar, Niederl.: deur, Gotisch: daúr, Isländ., Färöisch: dyr, Dän., Norw.: dør, Schwed.: dörr

*gʰ→g

1) Lat.: hostis;

2) Russ.: гусь (gus')

1) Got.: gasts;

2) Engl.: goose, Friesisch: goes, Niederl.: gans, Deutsch: Gans, Isländ.: gæs, Färöisch: gás, Dän., Norw., Schwed.: gås

*gʷʰ→gw→w

1) Sanskrit: gʰarmá

2) [Tocharisch] A: kip, B: kwípe (vulva)

1) Got.: warm

2) Engl.: wife, Proto-Germanisch: wiban (vom vorherigen gwiban), Altsächs., Altfriesisch: wif, Niederl.: wijf, Althochdeutsch: wib, Deutsch: Weib, Altnorw.: vif, Isländ.: víf, Färöisch: vív, Dän., Schwed., Norw.: viv

Die wirklichen Verhältnisse in diesen Veränderungen waren allerdings komplizierter, als es die obige Tabelle darstellt, und kennzeichneten sich durch viele Ausnahmen. Die bekannteste dieser Ausnahmen ist das so ge-nannte Vernersche Gesetz, das zeigt, dass die Erste Lautverschiebung erfolgt sein muss, als der Akzent noch frei beweglich war. Wenn der Akzent auf eine Silbe fiel, die den stimmlosen Verschlusslautenp, t, k, folgte, wandelten sie sich nämlich nicht zu den stimmlosen Frikativen f, þ, h, hw (wie oben dar-gestellt), sondern zu stimmhaften ƀ, đ, ǥ, ǥʷ. Beispiele werden in folgender Tabelle dargestellt, wo griechische Wörter (in denen die indogermanischen Laute nicht verschoben wurden) mit gotischen Wörtern verglichen sind:

Wechsel

Griechische / unverschobene Bsp.

Germanische (gotische) / verschobene Bsp.

*p→ƀ

έπτά

sibun (sieben)

*t→đ

πατήρ

fadar (Vater)

*k→ǥ

δεχάς

-tigjus (Zehner)

Außer diesen Unterschieden in der Phonologie kam es im Germanischen zu Änderungen auch in anderen Teilen des Sprachsystems, vor allem im Gebrauch der Verben. Im Indo-germanischen spielte zuerst der Aspekt eine wichtige Rolle. Diese verbale Kategorie, die als imperfektiver Aspekt bzw. perfektiver Aspekt erscheinen kann (vgl. I sang a song und I was singing a song im Englischen, beide Sätze werden ins heutige Deutsch gleich übersetzt: ich sang ein Lied), begann als Sprachkategorie im Germanischen zu verschwinden; aus Formunter-schieden, die sich auf den Aspekt bezogen, wurden allmählich Verbformen, die zeitliche Unter-schiede (Präsens und Präteritum) darstellten.

Eine andere wichtige Änderung im morphologischen System war die Entstehung der schwachen Verben, die heute das Präteritum mit -te bilden (vgl. die modernen Formen ich machte, ich arbeitete im Unterschied zu den starken Verben ich ging, ich kam).

Wenn man die Sprachregeln des Germanischen bespricht, muss man bedenken, dass die urgermanische Sprache seit Anfang ihres Bestehens kein einheitliches System darstellte. Eine germanische Sprache mit festgelegten Regeln, wie das heutige Deutsch, gab es nicht; einzelne Stämme der Germanen sprachen ihre eigenen Stammessprachen.

Diese Differenzierung vertiefte sich noch, als im 2. bzw. 3. Jahrhundert n. Chr. Germa-nische Stämme begannen in andere Gebiete abzuwandern (dies erfolgte noch vor der eigent-lichen Völkerwanderung, die in Europa erst später, mit dem Einfall der Hunnen Ende des 4. Jahrhunderts einsetzte). Im 3. Jahrhundert zogen die Burgunder von ihren Wohnsitzen an der Weichsel und Oder an den Rhein, an ihre Stelle traten später slawische Stämme. Noch früher, nämlich im 2. Jahrhundert, begannen die Goten nach Süden abzuwandern, weshalb sie auf die spätere Entwicklung des Deutschen keinen Einfluss hatten. Im Norden wanderten im 5. Jahr-hundert die Angeln nach Großbritannien ab; mit ihrer Stammessprache trugen sie damit zur Ent-stehung der englischen Sprache bei.

Von den vielen Stammessprachen der Germanen waren es die Sprachen der Alemannen, Bayern, Franken, Thüringer, Sachsen und Friesen, die zur Grundlage des modernen Deutsch wurden.

Durch Kontakte der Germanen mit den Römern, die über den Rhein und die Donau vordrangen, mit germanischen Stämmen Kriege führten und die an das Römische Reich angren-zenden Gebiete mit ihrer Kultur beeinflussten, wurden in die germanischen Sprachen viele lateinische Wörter übernommen. Aus lateinischer Sprache stammen zum Beispiel Wörter aus den Bereichen der Religion (wie opfern, vgl. lat. offerre, altsächsisches offrōn) und des Handels-verkehrs (zum Beispiel kaufen, vgl. lat. caupoSchankwirt, cauponārischachern, gotisches kaupōn; Pfund, vgl. lat. pondo; Münze, vgl. lat. monēta, altnordisches mynt, altsächsisches munita). Aus dem Lateinischen kamen auch Bezeichnungen neuer Handelswaren (Pfeffer, vgl. lat. pīper; Wein, vgl. vīnum), neuer Begriffe aus dem Bauwesen (Mauer, vgl. lat. mūrus; Ziegel, vgl. lat. tēgula, altsächsisches tiagla), Gartenbau (Kohl, vgl. lat. caulis, altnordisches kāl; Kürbis, vgl. lat. curcurbita), Weinbau (Kelch, vgl. lat. calix, altsächsisches kelik; Kelter, vgl. lat. calcatūra), Küche (Kessel, vgl. lat. catinus, angelsächsisches cytel, angelsächsisches ketil; und das Wort Küche selbst, vgl. lat. coquina, angelsächsisches cycene).

Kriege zwischen Römern und Germanen, aber vor allem die Tatsache, dass viele Ger-manen im römischen Heer als Soldaten dienten, führten zu der Übernahme vieler Wörter auch aus diesem Bereich. So entwickelte sich aus dem lateinischen Wort pīlum (das in dieser Sprache Wurfspieß bedeutete) über das altsächsische und das angelsächsische pīl das heutige Wort Pfeil; aus dem lateinischen pālus (Palisade) entstand der heutige Pfahl (im Angelsächsischen, Alt-friesischen und Altsächsischen lautete das Wort pāl).

Aus der Epoche der germanischen Sprache haben wir schon schriftliche Überlieferungen, obwohl sie noch sehr selten sind und meistens nur aus kurzen Inschriften auf Gegenständen bestehen. Sie wurden vor allem in der Runenschrift niedergeschrieben, die bei den Germanen vom 2. bis zum 12. Jahrhundert im Gebrauch war (infolge der Christianisierung germanischer Gebiete wurde sie später durch die lateinische Schrift verdrängt). Man nimmt gewöhnlich an, dass sich die Runenschrift um die Zeitenwende aus den Buchstaben des nordetruskischen Alphabets entwickelte, das von den Germanen auch kurz benutzt wurde. Davon soll insbe-sondere die Inschrift eines Helms zeugen, der 1812 in Negau (heute Negova in Slowenien) gefunden wurde – der Text wurde mit Buchstaben des nordetruskischen Alphabets nieder-geschrieben, aus dem sich die Runen herausgebildet haben sollen.

Von fragmentarischen Runeninschriften abgesehen, ist bis heute nur ein großes Werk erhalten geblieben, das in einer der germanischen Ursprachen niedergeschrieben wurde, nämlich die so genannte Wulfilabibel, die gotische Übersetzung der Heiligen Schrift aus dem 4. Jahr-hundert (allerdings liegen heute von dieser Übersetzung nur der größere Teil des Neuen Testa-ments und Bruchstücke des Alten Testaments, nicht der ganze Text der Bibel, vor). Weiter folgt der Text des Gebets Vaterunser aus dem Matthäusevangelium (Mt 6, 9–13):

Gotisch (Wulfilabibel)

Modernes Deutsch (gegenwärtige ökumenische Fassung)

atta unsar þu ïn himinam

weihnai namo þein

qimai þiudinassus þeins

wairþai wilja þeins

swe ïn himina jah ana airþai

hlaif unsarana þana sinteinan gif uns himma daga

jah aflet uns þatei skulans sijaima

swaswe jah weis afletam þai skulam unsaraim

jah ni briggais uns ïn fraistubnjai

ak lausei uns af þamma ubilin

unte þeina ïst þiudangardi

jah mahts jah wulþus ïn aiwins

amen

Vater unser im Himmel,

Geheiligt werde Dein Name.

Dein Reich komme;

Dein Wille geschehe,

Wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute;

Und vergib uns unsere Schuld,

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

Sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

Und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen

Abschrift der Wulfilabibel

Auch dieser Text wurde von Linguisten in die urgermanische Sprache übertragen. Dies ist relativ sicher möglich, weil der Text außer in einer gotischen Version auch in althoch-deutscher, altenglischer und altisländischer Sprache vorliegt:

Fađer unsere ini χiminai, weiχnaid namôn þînan, kwemaid rîkjan þînan, werþaid weljô þînaz χwê ini χiminai swê anâ erþâi, χlaiban unseran sénteinan gebe unsiz χijô đagô, aflête unsiz, þat skulaniz sîme, swé wez aflêtamiz skulamiz unseraimiz, neχ bringaiz unsiz ini fraistôn, ake lausî unsiz afa ubelai. þînan esti rîkjan, maχtiz, wuþus-uχ ini aiwans.

Althochdeutsch

Analog den Schwierigkeiten mit der Chronologie des Urgermanischen, ist die genaue Datierung der althochdeutschen Sprache, insbesondere in Bezug auf ihre Entstehung, kaum mög-lich. Die Sprachwissenschaftler nehmen nur allgemein an, dass die Prozesse, die zur Heraus-bildung des Althochdeutschen führten, Ende des 5. Jahrhunderts mit der Zweiten Lautverschieb-ung einsetzten. Die Periode des Althochdeutschen in der Geschichte der deutschen Sprache dauerte bis um 1050.

Das 5. Jahrhundert war die Zeit großer Turbulenzen in der europäischen Geschichte. Infolge der Migrationen, die als Völkerwanderung bekannt wurden, brach das Römische Reich endgültig zusammen, und an seine Stelle traten, oft kurzlebige, Stammesstaaten der Germanen, wie das Reich der Ostgoten in Italien oder das Reich der Westgoten in Spanien. Der mächtigste dieser Staaten war das im Jahre 482 von Chlodwig I. gegründete fränkische Reich der Mero-winger, das in folgenden Jahrhunderten auch andere germanische Stämme (zum Beispiel Ale-mannen, Thüringer, Burgunder) unterwarf. Den Merowingern folgten im 8. Jahrhundert die Karolinger, die unter Karl dem Großen ihr Reich bis zur Elbe und Saale im Osten, dem Ebro im Westen und bis nach Rom im Süden ausdehnten. Auf Grund des Vertrags von Verdun kam es aber bald (843) zum Zerfall des Frankenreichs in drei Teile, und der östliche Teil wurde zur Wiege der modernen deutschen Nation. Der erste ostfränkische König war Ludwig der Deutsche (843–876); als die Geburtsstunde der deutschen Nation gilt aber die Machtübernahme im Ost-frankenreich von Heinrich von Sachsen im Jahre 919.

Althochdeutsche Territorialdialekte um 962

Nach dem Chaos, das den Zerfall des Römischen Reichs begleitete, begann bald der Wiederaufbau des kulturellen Lebens, insbesondere durch Christianisierung germanischer Stäm-me, die noch älteren Gottheiten huldigten. Im heutigen Süddeutschland und in der Schweiz be-gann die Christianisierung der Alemannen von irischen Mönchen schon im 6. und 7. Jahrhun-dert. Durch ihre Bemühungen entstand 614 das Kloster St. Gallen und dann (724) das Kloster Reichenau. Im Norden Deutschlands bemühte sich vor allem der heilige Bonifatius um die Chri-stianisierung. Die Klöster, die die Missionare gründeten, waren sehr wichtige Zentren der Aus-strahlung nicht nur des christlichen Glaubens sondern auch der Kultur. Die Sprache der Gottes-dienste war natürlich Latein, die Mönche und die Herrschenden pflegten aber auch die Volks-sprache – in lateinischer Sprache hätten sie der bäuerlichen Bevölkerung neue christliche Ideen nicht näher bringen können. So ordnete Karl der Große 789 im Kapitular Admonitio generalis die Verwendung der Volkssprache in Seelsorge und Predigt an und auf der Synode von Frankfurt im Jahre 794 wurde der Volkssprache der gleiche Rang wie dem Hebräischen, Lateinischen und Griechischen zuerkannt.

Diese Bemühungen der Herrschenden und Geistlichen führten dazu, dass die Volks-sprache, einschließlich ihrer geschriebenen Formen, immer mehr an Bedeutung gewann. Kon-takte zwischen verschiedenen Stämmen und die Tatsache, dass sie in einem Staat lebten, be-wirkten, dass lokale Stammessprachen begannen durch Territorialdialekte ersetzt zu werden. Die Stämme, deren Sprachen bei der Herausbildung dieser Territorialdialekte und des Deutschen die wichtigste Rolle spielten, waren die Alemannen, Bayern, Franken, Thüringer und Sachsen. Die Entwicklung der Dichtung verursachte, dass die Territorialdialekte auch ihre literarischen Vari-anten entwickelten.

Diese Annäherungsprozesse zwischen den Sprachen einzelner Stämme konnten aller-dings nicht verhindern, dass die Sprachen weiter entfernter Stämme begannen auseinander zu gehen. Gemeint sind hier vor allem Unterschiede zwischen dem Ostfrankenreich mit vorwiegend germanischer Bevölkerung und dem Westfrankenreich, dessen Einwohner stark romanisiert waren. Schon im 9. Jahrhundert waren die sprachlichen Unterschiede bei den Bewohnern beider Reiche so groß, dass bei der Straßburger Eide im Jahre 842, als sich Karl der Kahle aus dem Westreich und Ludwig der Deutsche aus dem Ostreich zur gegenseitigen Unterstützung gegen ihren Bruder Lothar verpflichteten, jeder in seiner Sprache schwören musste, um von ihren Heeren verstanden zu werden. Die Dialekte, die sie damals sprachen, entwickelten sich später zum heutigen Deutsch und Französisch; aus dem Ostfrankenreich und dem Westfrankenreich wurden später Deutschland und Frankreich.

Die ältesten Werke in althochdeutscher Sprache, die bis heute überliefert sind, verdanken wir Mönchen in Klöstern, die sie aufgezeichnet und aufbewahrt haben. Interessanterweise war es nicht nur religiöse Literatur, sondern auch weltliche Werke, wie das Hildebrandslied, das bereits im 7. Jahrhundert entstand und Anfang des 8. Jahrhunderts im Kloster Fulda niedergeschrieben wurde. Aus dem 8. Jahrhundert stammen auch erste Glossare – lateinisch-deutsche Wörterbücher – von denen Abrogans, das um 765 in der Domschule zu Freising entstand, das bekannteste ist.

Beispiele religiöser Literatur aus dieser Zeit umfassen das Wessobrunner Gebet oder Muspilli – eine Dichtung vom Weltuntergang aus dem 9. Jahrhundert. Es wurden natürlich auch die Bibel und ihre Fragmente übersetzt bzw. überarbeitet, zum Beispiel die Evangelienharmonie des Syrers Tatian. Ein besonders interessantes Beispiel dieser Literatur ist das altsächsische Epos Heliand, in dem Jesus Merkmale eines germanischen Herrschers aufweist.

Als Zäsur, die zur Entstehung des Althochdeutschen führte, gilt ein Lautwandel im Be-reich des Konsonantismus, der als Zweite Lautverschiebung bezeichnet wird. (Die schon er-wähnte, frühere, Erste Lautverschiebung bewirkte die Trennung des Urgermanischen vom Indo-germanischen.) In der Zweiten Lautverschiebung unterlagen Änderungen die germanischen Ver-schlusslaute p, t, k, die im Althochdeutschen, je nach ihrer Position im Wort, zu den Zischlauten f', s, h, bzw. Affrikaten pf, ts, kh wurden. Eine andere Gruppe der Laute, die dem Wandel unterlag, waren die germanischen Reibelaute ƀ/b, đ/d, ǥ/g, þ, die zu den althochdeutschen Ver-schlusslauten p, t, k, d wurden. Die folgende Tabelle enthält eine Übersicht über diese Ände-rungen, die zur Herausbildung des Althochdeutschen geführt haben. Zur größeren Klarheit wur-den in der Tabelle auch die Änderungen der Ersten Lautverschiebung mit berücksichtigt. (Der Buchstabe G (Grimmsches Gesetz) bedeutet, dass bei der Ersten Lautverschiebung normale Regeln funktionierten; der Buchstabe V (Vernersches Gesetz) weist auf Ausnahmen hin, die auf das Vernersche Gesetz zurückzuführen sind. Diese Erklärung betrifft nur die Erste, nicht die Zweite Lautverschiebung.)

Zweite Lautverschiebung

Erste Lautverschiebung

Ph.

Hochdeutsche Lautverschiebung

Beispiele (Neuhochdeutsch)

G: /*b/→/*p/

1.

/*p/→/f/

1. niederdeutsch: slapen, englisch: sleep -> schlafen; 2. niederdeutsch und englisch: Schipp, ship -> Schiff.

2.

/*p/→/pf/

1. niederdeutsch: Peper, englisch: pepper -> Pfeffer; niederdeutsch: Plauch, englisch: plough -> Pflug; 2. gotisch: hilpan, englisch: help -> althoch-deutsch helpfan -> helfen; niederdeutsch: scherp, englisch: sharp -> althochdeutsch: scharpf -> scharf.

3. angelsächsisch: æppel, englisch: apple -> althochdeutsch: apful -> Apfel.

G: /*d/→/*t/

1.

/*t/→/s/

1. niederdeutsch: eten; englisch: eat -> essen. 2. niederdeutsch: dat, wat; englisch: that, what -> das, was.

2.

/*t/→/ts/

1. niederdeutsch: Tiet, englisch: tide (Flut), schwedisch: tid -> Zeit. 2. niederdeutsch: ver-tellen, englisch: tell -> er-zählen; angelsächsisch: swart -> althoch-deutsch: swarz -> schwarz. 3. angelsächsisch: settian -> althochdeutsch: setzan -> setzen.

G: /*g/→/*k/

1.

/*k/→/x/

1. niederdeutsch und englisch: maken, make -> machen; 2. niederdeutsch: ik, altenglisch: ic -> ich; niederdeutsch: auk -> auch.

2.

/*k/→/kx/

1. Kind -> bairisch: Kchind; 2. altsächsisch: werk -> althochdeutsch: werkch -> Werk. 3. altsächsisch: wekkian -> althochdeutsch: wekchan -> wecken.

G: /*bʰ/→/*b/ V: /*p/→/*b/

3.

/*b/→/p/

Berg, bist -> bairisch: perg, pist.

G: /*d/→/*đ/→

→/*d/ V: /*t/→/*đ/→

→/*d/

3.

/*dʰ/→/t/

niederdeutsch: Dag oder Dach, englisch: day -> Tag; niederländisch: vader -> Vater.

G: /*gʰ/→/*g/ V: /*k/→/*g/

3.

/*g/→/k/

Gott -> bairisch: Kott.

G: /*t/→/þ/ [ð]

4.

/þ/→/d/ /ð/→/d/

englisch: thorn, thistle, through, brother -> Dorn, Distel, durch, Bruder.

Die in der Tabelle dargestellten Prozesse begannen Ende des 5. Jahrhunderts im Alpen-gebiet und breiteten sich allmählich über drei bis vier Jahrhunderte nach Norden aus. Nur bei den Alemannen und Bayern verliefen sie ziemlich konsequent, die von Franken bewohnten Gebiete erfassten sie nur partiell, und im Norden deutscher Gebiete, den die Sachsen bewohnten, hinter-ließen sie nur geringfügige oder gar keine Spuren. Aus diesem Grunde spricht man von der so genannten Benrather Linie, die heute von Aachen über Düsseldorf, Elberfeld, Kassel, Aschers-leben, Magdeburg bis nach Frankfurt an der Oder verläuft. Nördlich der Linie erfolgten die Pro-zesse der Zweiten Lautverschiebung nicht oder nur geringfügig; die Linie stellt somit die Grenze zwischen der hochdeutschen und der niederdeutschen Sprache dar.

Die Benrather Linie teilt das Gebiet der niederdeutschen Dialekte (Gelb) von den Übergangsgebieten (Türkis) zum hochdeutschen Dialekt-Raum ab. Die Speyerer Linie teilt die Übergangsgebiete (Türkis) und den hochdeutschen Dialekt-Raum (Bronzefarben).

Die Zweite Lautverschiebung war die wichtigste Erscheinung, die für die Trennung des Althochdeutschen vom Germanischen von Bedeutung war; in der 2. Hälfte des 1. Jahrtausends erfolgten aber auch andere interessante Prozesse im Sprachsystem.

Der wichtigste Wandel im Vokalismus war der Umlaut des germanischen a zu althoch-deutschem geschlossenem e infolge der Wirkung eines i oder j der Folgesilbe. Als Beispiel kann man hier die Singular-Plural Opposition des Wortes gast angeben. Während im Germanischen die Formen noch gastgasti lauteten, änderten sie sich im Althochdeutschen zu gastgesti (diese Assimilation konnte allerdings durch bestimmte Konsonantenverbindungen, zum Beispiel ht oder hs, verhindert werden).

Im Althochdeutschen erschienen auch zum ersten Mal die Formen des bestimmten und unbestimmten Artikels, die im Indogermanischen noch völlig fehlten. Der bestimmte Artikel ent-wickelte sich aus den Demonstrativpronomina der, das, diu; der unbestimmte aus dem Zahlwort ein. Beide verdanken ihre Existenz der schwindenden Zahl der Kasus und sich vereinfachenden Endungen der Substantive. Die Bedeutung und Beziehungen eines Substantivs zu anderen Wör-tern im Satz im Althochdeutschen konnten nicht mehr so einfach, wie es im Indogermanischen der Fall war, auf Grund der Endungen erkannt werden.

Aus ähnlichen Gründen begannen Personalpronomina häufiger im Satz benutzt zu wer-den. Früher waren sie im Germanischen (wie im Lateinischen) nicht notwendig, denn die Person war an der Personalendung erkennbar. Während die ersten Worte des christlichen Glaubens-bekenntnisses in der Sankt Gallener Fassung aus dem 8. Jahrhundert noch kilaubu in kot fater almahtîcun lauten, so lesen wir in der Version Notkers aus dem 10. Jahrhundert schon: ich keloubo an got, almahtigen fater.

Zu wichtigen Änderungen kam es auch im Tempussystem. Während es im Germanischen nur zwei Tempora – das Präteritum und das Präsens – gab, begannen sich im Althochdeutschen neue, analytische Zeitformen zu entwickeln, bei denen die Zeitverhältnisse mit einem Vollverb und einem Hilfsverb ausgedrückt werden. So finden wir in althochdeutschen Texten schon Bei-spiele des Perfekts (ich habên iz funtan, nu ist er queman), des Futurs (nû willu ih scribanich werde schreiben, vgl. I will im Englischen), des Plusquamperfekts und des Passivs (iz was gino-man).

In der Wortbildung tauchte ein neues Suffix – -āri auf, das aus dem lateinischen -ārius entlehnt wurde und im Mittelhochdeutschen die Form -er annahm. Das Suffix war zuerst auf Wörter lateinischer Herkunft (zum Beispiel mulināri aus lat. molināriusMüller) beschränkt, später dehnte es sich auch auf einheimische Wörter aus.

Die Einflüsse der lateinischen und zum Teil griechischen Sprache, die noch in germa-nischen Sprachen sichtbar waren, verstärkten sich noch mit der Christianisierung deutscher Ge-biete. Die neue Religion erforderte die Einführung neuer Begriffe, die den Germanen bisher fremd waren. Viele dieser neuen Wörter waren Lehnbildungen, bei denen es sich um Nachprä-gungen fremder Wörter mit den Mitteln der eigenen Sprache handelte (bei der Prägung neuer Wörter musste man den Bau und die Etymologie des fremden Wortes kennen). So entstand aus lat. com-mūnio die althochdeutsche gi-meini-da oder aus lat. ex-surgere das althochdeutsche ūf-stān (auferstehen).

Die meisten dieser Neubildungen waren jedoch Lehnbedeutungen, bei denen die Bedeu-tung eines Wortes aus der eigenen Sprache einem neuen Begriff angepasst wurde. Ein gutes Beispiel ist das althochdeutsche Wort suntea, das zuerst im weltlichen Sinne benutzt wurde und ein Verhalten, dessen man sich zu schämen hat, bedeutete. Durch die Christianisierung wurde diese alte Bedeutung durch eine neue (Sünde) verdrängt.

Schließlich wurden sehr viele Wörter direkt aus dem Latein in die deutsche Sprache übernommen, nicht nur aus dem Bereich der Religion, wie klōstar (Kloster, lat. claustrum), munich (Mönch, lat. monachus), sondern auch der Bildung: scrīban (schreiben, lat. scrībere), scuola (Schule, lat. scōla), des Gartenbaus: petersilia (mittelalterliches Latein: pētrosilium) oder der Heilkunst: arzat(er) (Arzt, lat. aus gr.: archiater).

Viele Ortsnamen, die auf -heim (Pappenheim, Bischofsheim) enden, sind wahrscheinlich auch eine Lehnübersetzung zu lat. villa.

In der Periode des Althochdeutschen erschien auch zum ersten Mal das Wort deutsch in seiner heutigen Bedeutung. Das Wort ist germanischer Herkunft; diot bedeutete im Althoch-deutschen Volk und diutiscvolksmäßig, zum eigenen Volk gehörig. Das Wort wurde auch sehr früh in lateinische Quellen in der Form theodiscus übernommen und diente zur Unterscheidung romanischer und germanischer Einwohner des Frankenreiches. Ein interessantes Beispiel seiner Nutzung finden wir im Bericht von einer Reichsversammlung von 788, wo der Bayernherzog Tassilo zum Tode verurteilt wurde. Der Schreiber der Kanzlei erklärte, dies geschah wegen eines Verbrechens, quod theodisca lingua harisliz dicitur (das in der Volkssprache harisliz [Fahnen-flucht] genannt wird). Zuerst wurde das Wort nur in Bezug auf die Sprache benutzt; bei Notker von Sankt Gallen finden wir zum Beispiel um 1000 in diutiscunauf Deutsch. Erst fast ein Jahr-hundert später, im Annolied, das um 1090 im Kloster Siegburg entstand, lesen wir von diutischi liuti, diutschi man oder diutischemi lande.

Aus der Periode des Althochdeutschen sind viel mehr Texte erhalten als aus urger-manischen Sprachen; ihr Spektrum reicht von vorchristlichen, germanischen Heldenliedern bis zu von christlicher Religion geprägten Werken. Weiter folgen nur einige Beispiele althoch-deutscher Literatur:

Hildebrandslied

Hildebrandslied (Althochdeutsch)

Moderne Übersetzung

Ik gıhorta dat ſeggen

dat ſih urhettun ænon muotın •

hıltıbrant entı hadubrant untar herıun tuem •

ſunu fatarungo • ıro ſaro rıhtun •

garutun ſe ıro gudhamun • gurtun ſih • ıro • ſuert ana •

helıdoſ ubar rınga do ſie to dero hıltu rıtun •

hıltıbrant gımahalta herıbranteſ ſunu • her uuaſ heroro man

feraheſ frotoro • her fragen gıſtuont

fohem uuortum • ƿer ſin fater ƿarı

fıreo ın folche … •

Ich hörte das sagen,

dass sich Herausforderer einzeln abmühten:

Hildebrand und Hadubrand zwischen zwei Heeren.

Sohn und Vater bereiteten ihre Rüstung,

richteten ihre Kampfgewänder, gürteten sich ihre Schwerter um,

die Helden, über die Rüstung, als sie zu dem Kampf ritten.

Hildebrand sagte, Heribrands Sohn, er war der ältere Mann,

des Lebens erfahrener, er begann zu fragen,

mit wenigen Worten, wer sein Vater gewesen sei

unter den Menschen im Volke...

Merseburger Zaubersprüche

Merseburger Zaubersprüche (Althochdeutsch)

Moderne Übersetzung

Eiris sazun idisi

sazun hera duoder.

suma hapt heptidun,

suma heri lezidun,

suma clubodun

umbi cuoniouuidi:

insprinc haptbandun,

inuar uigandun.

Einst saßen Frauen,

setzten sich hierher [und] dorthin.

Einige banden Fesseln,

einige hielten das Heer auf,

einige lösten ringsumher

die (Todes)Fesseln:

Entspringe [dem] Fesselband,

entflieh den Feinden.

Mittelhochdeutsch

Die Anfänge der mittelhochdeutschen Sprache werden auf das Jahr 1050 datiert; diese Entwicklungsphase der deutschen Sprache dauerte bis zirka 1350 und entspricht in der Mediävis-tik ungefähr der Epoche des Hochmittelalters. Wie bei allen sprachlichen Erscheinungen sind diese zeitlichen Rahmen nur grob angegeben; die Prozesse, die zur Entstehung des Mittelhoch-deutschen und dann seines Nachfolgers, des Frühneuhochdeutschen führten, verliefen in ver-schiedenen Regionen des deutschen Sprachgebiets unterschiedlich schnell; wie in den sonstigen Epochen war die deutsche Sprache auch räumlich weitgehend differenziert.

In der politischen Geschichte Deutschlands begann um 1050 die politische Zersplitterung des Staates; die Herrscher einzelner Territorien machten sich von dem Kaiser immer unabhän-giger, was schließlich dazu führte, dass die Macht des Kaisers nur illusorisch war und das deutsche Kaiserreich zu einem Konglomerat praktisch unabhängiger Staatsgebilde wurde. Ein anderer Faktor, der zur Differenzierung der deutschen Sprache beitrug, war die Ostexpansion einzelner Herrscher und der deutschen Bevölkerung, die sich in westlichen Gebieten Polens (zum Beispiel in Schlesien und Böhmen) ansiedelte.

Das geistig-kulturelle Leben im hochmittelalterlichen Deutschland war nicht auf ein Zen-trum beschränkt, sondern konzentrierte sich an Höfen des Kaisers und einzelner Herrscher. Von besonderer Bedeutung war der süddeutsche (bayrische, österreichische und alemannische) Raum. Im Einflussbereich der Welfen in Bayern entstanden solche Dichtungen wie das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht oder die deutsche Übertragung des Rolandslieds des Pfaffen Konrad. Den Höhepunkt erreichte das hochmittelalterliche literarische Schaffen an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert am Hof der staufischen Kaiser und der Babenberger in Wien. Meist nach fran-zösischem Vorbild entstanden hier solche Epen wie der Erec und der Iwein von Hartmann von Aue, der Parzival von Wolfram von Eschenbach oder der Tristan von Gottfried von Straßburg.

Das literarische Schaffen entwickelte sich auch im Norden Deutschlands – im nieder-rheinisch-maasländischen Gebiet und in Thüringen, wo Ministeriale schufen, die antike Stoffe verarbeiteten. Der bekannteste Dichter aus diesem Kreis ist Heinrich von Veldeke, Autor des Eneasromans; in diesem Umkreis entstanden auch das Liet von troye von Herbort von Fritzlar und die Übersetzung der Metamorphosen des Ovid von Albrecht von Halberstadt.

Diese Entwicklung der Literatur in verschiedenen Zentren im deutschen Sprachraum be-wirkte auch, dass wir von keiner einheitlichen literarischen deutschen Sprache sprechen können. Es gab verschiedene Varianten der Literatursprache, die auf Territorialdialekten basierte; die wichtigsten waren die bairische Variante, die westmitteldeutsch-maasländische Variante und die bedeutsamste von ihnen – die so genannte mittelhochdeutsche Dichtersprache des alemannisch-ostfränkischen Raums, die im Einflussbereich staufischer Kaiser entstand. In dieser Sprache ver-fassten ihre Werke Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und der unbekannte Autor des Nibelungenlieds.

Die Änderungen im phonologischen System des Mittelhochdeutschen gegenüber dem Althochdeutschen waren nicht so einschneidend, wie es im Fall des Althochdeutschen im Ver-gleich zum Urgermanischen war – die mittelhochdeutsche Sprache ist wesentlich näher dem modernen Deutschen, obwohl mittelhochdeutsche Texte unübersetzt nur mit Mühe verständlich sind. Trotzdem kam es im Mittelhochdeutschen zu einigen wichtigen Änderungen im konsonan-tischen und vokalischen System.

Die wichtigste Änderung im phonologischen System des Mittelhochdeutschen war die Abschwächung unbetonter Silben. Der Grund dieses Wandels war der starke dynamische Akzent, der schon im Germanischen und Althochdeutschen auf die Stammsilbe fiel. Dieser starke Akzent bewirkte schließlich, dass sich Vokale in unbetonten Endsilben zum Schwa-Vokal ([ə]), der e geschrieben wurde, entwickelten. So wurde aus dem althochdeutschen boto der mittelhochdeutsche bote, aus dem althochdeutschen hōran das mittelhochdeutsche hœren. Eine andere wichtige Erscheinung im Vokalismus war der Umlaut, der zwar schon im Althoch-deutschen begann aber erst jetzt zur vollen Entfaltung kam und jetzt auch lange Vokale und Diphthonge umfasste. So entwickelten sich ahd. sālida zu mhd. sælde, ahd. kunni zu mhd. künne, ahd. hōhiro zu mhd. hoeher, ahd. gruozjan zu mhd. grüezen.

Es kam auch zu wichtigen Änderungen im Konsonantismus. Die Konsonanten b, d, g und h begannen zu verschwinden, wenn sie zwischen Vokalen standen. So entwickelte sich ahd. gitragidi zu mhd. getreide, ahd. magadi zu mhd. meit, ahd. habēn zu mhd. hān. In manchen Fällen setzten sich später allerdings die alten Formen wieder durch (vgl. Magd, haben). Der alt-hochdeutsche Konsonant z, der sich aus dem germanischen t entwickelte (vgl. ezzan – engl. eat) fiel mit dem alten, noch aus dem Germanischen stammenden, Konsonanten s zusammen – ezzan“ wurde zu essen. Die althochdeutsche Lautverbindung sk wurde zu sch. So entstand zum Beispiel aus dem althochdeutschen Wort scōni die mittelhochdeutschen schōne und schœne (bei-de Wörter – schon und schön – haben im heutigen Deutschen dieselbe Herkunft). Der Konsonant s wandelte sich zu sch, wenn er vor l, m, n, w, p, t stand. Diesem Wandel verdanken wir solche mittelhochdeutschen (und heutigen) Formen wie schwimmen, schmerz, schlange, schnē, die aus den althochdeutschen swimmen, smerz, slange und snē entstanden. In der Rechtschreibung war diese Änderung allerdings nicht sofort sichtbar: zuerst wurde im Mittelhochdeutschen zum Bei-spiel swimmen geschrieben und schwimmen gesprochen. Bei den Buchstabenverbindungen st und sp ist der Unterschied zwischen der Aussprache und Schreibweise bis heute geblieben – vgl. die Aussprache der Wörter stehen, spielen.

Änderungen im morphologischen System der mittelhochdeutschen Sprache waren weitgehend vom phonologischen System abhängig. Von entscheidender Bedeutung war hier die Abschwächung der Vokale in unbetonten Endsilben zum Schwa-Vokal ([ə]). Dieser Wandel führte zu einschneidenden Änderungen in der Deklination der Substantive – es kam zu der for-malen Übereinstimmung früher unterschiedlicher Kasusformen. Als Beispiel kann man hier die Deklination des mittelhochdeutschen Wortes bote (aus dem althochdeutschen boto) angeben:

Kasus

Althochdeutsch

Mittelhochdeutsch

Nominativ Singular

boto

bote

Genitiv Singular

botin

boten

Dativ Singular

botin

boten

Akkusativ Singular

botun

boten

Nominativ Plural

boton/botun

boten

Genitiv Plural

botōno

boten

Dativ Plural

botōm

boten

Akkusativ Plural

boton/botun

boten

Durch diese Entwicklung erhielt der Artikel (der im Althochdeutschen schon existierte) große Bedeutung (zum Beispiel des Boten, dem Boten) – ohne ihn wäre die Identifizierung des Kasus unmöglich.

Die Abschwächung der vollen Vokale zum Schwa-Laut bewirkte auch Änderungen im System der Konjugation der schwachen Verben, die heute das Präteritum mit dem Suffix -te bilden (zum Beispiel ich machte, wir antworteten). Im Althochdeutschen bestanden noch drei Unterklassen dieser Verben mit den Suffixen -jan (zum Beispiel galaubjan), -ôn (salbôn) und -ên (sagên). Nach der Abschwächung lauteten die genannten Verben: glauben, salben, sagen; die alten drei Suffixe verschmolzen zu einem -en.

Bei den Verbformen kam es im Mittelhochdeutschen zur weiteren Differenzierung des Tempussystems. Analytische Tempora, wie das Perfekt, das Plusquamperfekt und das Futur (die schon im Althochdeutschen bestanden) wurden häufiger. So können wir zum Beispiel im Nibe-lungenlied lesen:

Swaz der Hiunen mâge / in dem sale was gewesen, Der enwas nu keiner / dar inne mê genesen.

Die Struktur der Sätze war noch nicht zu kompliziert, in der Syntax dominierte noch das Prinzip der Nebenordnung, was das nächste Fragment aus dem Nibelungenlied zeigt:

Dō stuonden in den venstern / diu minneclīchen kint. Ir schif mit dem segele / daz ruorte ein hōher wint. Die stolzen hergesellen / die sāzen ūf den Rīn. Dō sprach der künec Gunther: / wer sol nu schifmeister sīn?

Vereinzelt tauchen aber in mittelhochdeutschen Texten auch ausgebaute Strukturen (Satz-gefüge mit Nebensätzen) auf, die es schon in der früheren Periode gab.

Die deutsche Kultur des Hochmittelalters wurde stark durch die französische Kultur beeinflusst, was in der großen Zahl der Entlehnungen aus dem Französischen zur Erscheinung kam. Diese Entlehnungen kamen nach Deutschland oft über Flandern. Den französischen Ent-lehnungen im Mittelhochdeutschen verdanken wir zum Beispiel solche Wörter wie Turnier (mhd. turnei), Palast (mhd. palas), Kissen. Aus dem Französischen stammen auch bestimmte Lehnprägungen, die nach dem Vorbild dieser Sprache geformt wurden. Dazu gehören zum Bei-spiel die Wörter hövesch (höfisch), das nach dem altfranzösischen courtois gebildet wurde, und ritter (aus dem altfranzösischen chevalier). Französischer Abstammung sind auch bestimmte Suffixe, wie -ieren (studieren, marschieren), das aus dem Französischen -ier entstand, und -ei, das sich aus dem mittelhochdeutschen -īe entwickelte (zum Beispiel zouberīeZauberei, erzenīeArznei. Kontakte der Deutschen mit ihren slawischen Nachbarn im Osten führten auch zur Übernahme bestimmter Wörter, obwohl die Zahl dieser Entlehnungen viel weniger als beim Französischen war. So stammen aus dem Polnischen solche Wörter wie Grenze (mhd. grenize, poln. granica) und Jauche (mhd. jûche, poln. jucha).

Textproben:

Der arme Heinrichvon Hartmann von Aue

Der arme Heinrich (Mittelhochdeutsch)

Moderne Übersetzung

Ein ritter sô gelêret was,

daz er an den buochen las,

swaz er dar an geschriben vant:

der was Hartmann genannt,

dienstman was er zouwe.

Es war einmal ein Ritter, der so gebildet war,

dass er alles, was er in den Büchern geschrieben fand,

lesen konnte.

Er hieß Hartmann

und war Lehnsmann zu Aue.

Nibelungenlied

Nibelungenlied (Mittelhochdeutsch)

Moderne Übersetzung

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit

von helden lobebæren, von grôzer arebeit,

von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,

von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.

Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,

daz in allen landen niht schœners mohte sîn,

Kriemhilt geheizen: si wart ein scœne wîp.

dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.

Uns wurde in alten Erzählungen viel Wundersames gesagt

von ruhmreichen Helden, von großem Leid,

von Freuden, Festen, von Weinen und von Klagen,

vom Kampf kühner Recken sollt ihr nun Wunder hören sagen.

Es wuchs in Burgund ein sehr feines Mädchen heran,

dass in allen Ländern kein schöneres sein konnte,

Kriemhild geheißen: Sie wurde eine schöne Frau.

Deswegen mussten viele Kämpfer ihr Leben verlieren.

Frühneuhochdeutsch

Nach populärer Auffassung ist Martin Luther der Schöpfer der modernen deutschen Spra-che. Obwohl seine Verdienste für die deutsche Kultur unbestreitbar sind, stimmt die noch im 19. Jahrhundert von Sprachwissenschaftlern vertretene Meinung, Luthers Bibel-Übersetzung sei bahnbrechend für die Entwicklung des Deutschen gewesen, mit den Ergebnissen der modernen Forschung nicht überein. Die Entwicklung des heutigen Deutsch begann schon um 1350, als sich die frühneuhochdeutsche Sprache herauszubilden begann. Die frühneuhochdeutsche Periode in der Entwicklung der deutschen Sprache dauerte bis zirka 1650.

Im Spätmittelalter wurden in der Innenpolitik des Deutschen Reiches die Tendenzen, die zur Dezentralisierung des Staates und Abschwächung der Kaisergewalt führten, fortgesetzt. Im Jahre 1356 wurde das Reichsgesetz, die Gol-dene Bulle Karls IV., erlassen, in der das politische System in Deutschland endgültig geregelt wurde – das Deutsche Reich wurde zu einem Wahlkönigtum, in dem der Kaiser von Kurfürsten gewählt wurde. Trotz der großen Ze-rsplitterung des Reichs und der immer größeren Unabhän-gigkeit der Fürsten, weltlicher und geistlicher Herrscher ein-zelner Staaten im Reich, vertiefte sich das nationale Be-wusstsein der Deutschen weiter – 1442 tauchte zum ersten Mal die Bezeichnung Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation auf.

Handel und Manufakturen erlebten im Spätmittel-alter eine Blüte, besonders im Nordwesten des Reichs – in Flandern und Brabant, deren Städte Brügge, Gent und Antwerpen schon seit Mitte des 13. Jahr-hunderts führende wirtschaftliche Zentren waren. Im 15. Jahrhundert büßten flandrische Städte an Bedeutung ein, und der Schwerpunkt des Handels ging auf den Norden über, wo die Hanse der wichtigste Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung und Ausstrahlung des Deutschtums war. Handelskontakte, die weit über die Grenzen lokaler Territorien hinausgingen, förderten die Ent-wicklung einer einheitlichen, genormten Sprache, die nicht an Dialekte gebunden war.

Einer gemeinsamen Sprache bedurfte auch die Kaiserkanzlei zur Verfassung amtlicher Dokumente. Der Kaiserhof im spätmittelalterlichen Deutschland wechselte im Laufe der Zeit seinen Sitz, was auch auf die Entwicklung der deutschen Sprache Einfluss nahm. Karl IV. aus der Dynastie der Luxemburger residierte im 14. Jahrhundert in Prag, was zu einem starken An-teil bairischer und ostfränkischer Elemente in der an seinem Hofe gebrauchten Kanzleisprache führte. Als die Dynastie der Habsburger die Macht übernahm, wurde die kaiserliche Kanzlei im 15. Jahrhundert nach Wien verlegt, und in der Kanzleisprache gewannen ostoberdeutsche Ele-mente die Vorrangstellung. Im Osten Deutschlands (vor allem im heutigen Sachsen und Thürin-gen) gewannen dagegen seit dem 15. Jahrhundert die Wettiner an Bedeutung. Dies führte dazu, dass um 1500 in Deutschland zwei Varianten der Gemeinsprache miteinander konkurrierten: die ostmitteldeutsche Variante der meißnisch-sächsischen Kanzlei (Sächsische Kanzleisprache) und die oberdeutsche Variante der kaiserlichen Kanzlei (Maximilianische Kanzleisprache, die sich später zur Oberdeutschen Sprache entwickelte), die sich auf unterschiedliche Territorialdialekte stützten. Diese beiden Varianten, wie früher die Sprachen der flandrischen Handelszentren und der Hansestädte, wurden nicht nur im Herrschaftsbereich der Wettiner und Habsburger ange-wandt, sondern fanden auch in anderen Teilen des Reichs Anerkennung.

Im Nordwesten des Reichs kam es dagegen Ende des 16. Jahrhunderts es zu der weiteren Emanzipation der Provinzen der heutigen Niederlande. Im Jahre 1588 schlossen sich sieben Pro-vinzen dieses Raums zu der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen zusammen, die heute das Königreich der Niederlande bilden. Obwohl die Republik zuerst im Rahmen des Heiligen Römischen Reichs der Deutschen Nation blieb und sich erst auf Grund des Westfälischen Frie-dens im Jahre 1648 vom Reich trennte, vertiefte ihre Gründung die Emanzipationsprozesse der niederländischen Sprache. Im Mittelalter noch ein niederfränkischer Dialekt der deutschen Spra-che, entfaltete sie sich Ende der frühneuhochdeutschen Periode zu einer selbstständigen Sprache.

Das Spätmittelalter war durch die Entwicklung der Wissenschaft und Bildung charakte-risiert. Zu nennen ist hier vor allem die Gründung der ersten Universitäten auf deutschem Boden im 14. Jahrhundert. Die erste Hochschule in den Reichsgrenzen war die Universität Prag, ge-gründet von Kaiser Karl IV. im Jahre 1348; ihr folgten die Universität Wien (1365) und die Universität Heidelberg (1386). Obwohl der Unterricht an den Universitäten in lateinischer Spra-che geführt wurde, trugen die Hochschulen zur Vertiefung des Interesses für allgemeines Wissen und somit die deutsche Sprache bei.

Kultur und Bildung wurde auch durch das sich schnell bereichernde und emanzipierende Bürgertum gefördert. Aus dem 15. Jahrhundert datiert die Tradition der Meistersinger, und um 1400 entstand Der Ackermann aus Böhmen von Johannes von Tepl, ein Werk, in dem frühhuma-nistische Konzepte zu finden sind, einhundert Jahre bevor sie in die deutsche Kultur allgemein übernommen wurden.

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Kultur und des Schrifttums war die Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg um 1446. Diese Erfindung eröffnete ganz neue Perspektiven für die Sprachentwicklung – Bücher waren jetzt preiswerter und erreich-ten einen viel breiteren Bevölkerungskreis als früher. Die Mehrheit der in der frühneuhoch-deutschen Zeit gedruckten Bücher war immer noch in latein-ischer Sprache verfasst (die Zahl der deutschen Drucke über-traf die der lateinischen erstmals 1681), die Bedeutung der deutschen Sprache im Verlagswesen wuchs aber ständig, zumal die Auflagen deutscher Bücher gewöhnlich größer als die der lateinischen waren. Großer Beliebtheit erfreuten sich Volksbücher, wie Till Eulenspiegel (1515) und Historia von D. Johann Fausten (1587). Noch größere Auflagen hatte die Luthersche Bibelübersetzung, von der in den Jahren 1534 bis 1584 ungefähr 100.000 Exemplare gedruckt wurden. Auto-ren, die mit ihren Büchern landesweit auf Leser zielten, konnten nicht in lokalen Dialekten schreiben, sondern mus-sten eine Standardsprache gebrauchen, die überall verständ-lich war. Anfangs gab es noch mehrere Varianten dieser Standardsprache, in denen in verschiedenen Gebieten des deutschen Sprachraums Bücher gedruckt wurden; im 16. Jahrhundert begannen sie sich anzugleichen.

Das Spätmittelalter war die letzte Epoche, in der im phonologischen System der deutschen Sprache wichtige Änderungen erfolgten – gerade diese Änderungen ermöglichten die Herausbildung des Frühneuhochdeutschen aus der mittelhochdeutschen Sprache. Diese Änderun-gen sind in verschiedenen deutschen Dialekten in unterschiedlichem Maß durchgeführt worden. Insbesondere am südwestlichen Rand des deutschen Sprachraums gibt es alemannische Dialekte, wo keine dieser Änderungen Eingang gefunden haben.

Quantitative Änderungen in der Länge der Vokale, die um 1200 im Niederdeutschen einsetzten und sich allmählich nach Süden ausdehnten. Kurze offene Vokale, die in betonter Position standen, wurden gedehnt. So wurden zum Beispiel die mittelhochdeutschen Wörter lěben, gěben, trăgen, bŏte, lĭgen zu frühneuhochdeutschen lēben, gēben, trāgen, bōte, lī(e)gen, welche Aussprache bis heute erhalten blieb. Lange Vokale, denen mehrere Konsonanten folgten, wurden dagegen gekürzt. Aus den mittelhochdeutschen Wörtern dāhte, hērre, klāfter entstanden zum Beispiel die frühneuhochdeutschen Formen dăchte, hěrr, klăfter.

Qualitative Änderungen der Haupttonsilben, die die Diphthongierung und Monophthon-gierung betrafen. Stammsilbenvokale ī, ū, iu wurden zu Diphthongen ei, au, eu. So entwickelten sich zum Beispiel aus den mittelhochdeutschen Wörtern wīse, mūs und triuwe die frühneuhoch-deutschen Formen weise, maus und treue, und zum Beispiel Leute, die in ein neues Haus einzogen, sprachen jetzt nicht über mīn niuwez hūs sondern mein neues haus. Diese Änderung tauchte zuerst im 12. Jahrhundert im Ostalpengebiet auf und breitete sich nach Nordwesten aus. Der niederdeutsche und südwestliche alemannische Raum blieb allerdings davon unberührt; deshalb spricht man heute in der Schweiz nicht Schweizer Deutsch sondern Schwizer Dütsch. Gleichzeitig mit der Diphthongierung verlief die Monophthongierung, ein umgekehrter Prozess, in dem sich die Diphthonge ie, uo, üe, die in betonten Positionen standen, zu den langen Mono-phthongen ī, ū, ü entwickelten. Im Ergebnis des Prozesses wurden die mittelhochdeutschen Wör-ter miete (im Mittelhochdeutschen wurde das Wort [ˈmiə̯tə] ausgesprochen), bruoder und güete zu frühneuhochdeutschen mī(e)te, brūder und güte; und jemand, der Geschwister hatte, konnte sie jetzt nicht liebe guote brüeder sondern lī(e)be gūte brüder nennen. Diese Neuerung breitete sich im mitteldeutschen Raum aus. Im oberdeutschen Raum werden die Diphthonge bis heute verwendet, während der niederdeutsche Raum diese Diphthonge überhaupt nie entwickelt hatte. Einem Wandel unterlagen auch zwei mittelhochdeutsche Diphthonge: ei und ou, wobei zu bemerken ist, dass die erste Buchstabenverbindung im Mittelhochdeutschen nicht wie jetzt ([ai]) sondern [ei] (wie im englischen say) ausgesprochen wurde. Die Diphthonge ei [ei] und ou wur-den im Frühneuhochdeutschen zu ei [ai] und au; zum Beispiel aus stein [stein] entstand die heu-tige Form stein, aus roubraub.

Änderungen im morphologischen System des Frühneuhochdeutschen waren nicht so einschneidend wie in der Phonologie oder Morphologie der früheren Epochen. Änderungen kamen vor allem beim Numerus vor, bei dem verschiedene Mittel zur Kennzeichnung des Plu-rals in Gebrauch kamen. Eine größere Bedeutung gewann der Umlaut, der jetzt auch dort auf-tauchte, wo es, phonologisch gesehen, keine Berechtigung hatte. In der frühneuhochdeutschen Epoche entstanden solche Singular-Plural-Oppositionen wie hof/höfe, stab/stebe, nagel/negele, sohn/söhne. Häufiger wurde der Plural jetzt auch mit Hilfe des Lauts r gebildet, der früher nur ganz selten bei der Pluralbildung benutzt wurde. Während es im Mittelhochdeutschen noch die Formen diu buoch, diu wort (ohne jegliches Suffix) gab, begegnen wir in frühneuhochdeutschen Texten schon den Formen die bücher und die wörter.

Neue Suffixe waren auch für Ableitungen charakteristisch. In der frühneuhochdeutschen Periode erschienen zum ersten Mal die Suffixe -heit, -nis und -unge – die mit ihrer Hilfe gebildeten Wörter waren oft Verdeutschungen lateinischer abstrakter Begriffe, zum Beispiel hōhheit (lat. altitudo), wunderheit (lat. miraculum). Von den Präfixen wurden solche wie be-, ent-, er-, ver-, zer-, abe-, ane-, ūf-, umbe-, uz- und in- oft gebraucht. Neue Suffix- und Präfix-bildungen kamen besonders in der mystischen Literatur dieser Zeit vor, die immer nach neuen Mitteln suchte, abstrakte Begriffe und Gefühle auszudrücken. Der Gebrauch der Suffixe und Präfixe schwankte auch je nach Region des Schreibers oder Sprechers. Während zum Beispiel Luther in seinen Schriften die Präfixe ver-, zer- bevorzugte (die sich später durchsetzten), waren in der frühneuhochdeutschen Sprache, besonders in ihrer ostmitteldeutschen Variante, auch vor-, zu- (zubrochen) geläufig. Von den Suffixen wurde zum Beispiel, insbesondere in der ober-deutschen Variante der deutschen Sprache, das Abstraktsuffix -nus (erkenntnus) gebraucht, das erst später durch das ostmitteldeutsche nis verdrängt wurde.

Die syntaktische Struktur frühneuhochdeutscher Texte kennzeichnet sich durch größere Komplexität als in früheren Epochen; die Sätze wurden länger, mit einem größeren Anteil der Satzgefüge. Diese Tendenz wurde in den nächsten Jahrhunderten fortgesetzt und führte in der Schriftsprache, besonders im 17. Jahrhundert, schließlich dazu, dass literarische und offizielle Texte in ihrer Komplexität und barocken Ornamentik kaum überschaubar waren. Im Frühneu-hochdeutschen war auch schon die moderne Wortfolge der deutschen Sprache erkennbar – mit dem Verb in der Zweitstellung und der Reihenfolge anderer Satzglieder entsprechend ihrer Wichtigkeit im Satz – dem wichtigsten Satzglied am Ende.

Wie in den anderen Entwicklungsstufen des Deutschen kam es im Frühneuhochdeutschen oft zum Bedeutungswandel, der geänderte gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelte. Hier sind nur drei Beispiele dieser Änderungen angegeben:

FrauJungfrauWeibMagd: In der mittelhochdeutschen höfischen Dichtung wurde das Wort vrouwe nur für adlige Herrinnen und Ehefrauen von Feudalherren benutzt (ent-sprechend bedeutete juncvrouwe junge Edeldamen). Normale Bezeichnungen für Frauen waren wīp und (in Bezug auf junge Mädchen) maget. Im Frühneuhochdeutschen war das Wort wīp schon, wie heute, als ein Schimpfwort empfunden, maget änderte seine Bedeutung und bedeutete nun „Dienstmagd“, vrouwe wurde zu der neutralen Bezeichnung, und im Wort juncvrouwe wur-de die Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit zum wichtigsten Bedeutungsbestandteil.

Edel: Im Mittelhochdeutschen war das Wort neutral und bezeichnete lediglich adlige Her-kunft bzw. Dinge aus der Lebenssphäre des Adligen. Jetzt wurde das Wort bei der Beschreibung geistiger und moralischer Qualitäten benutzt.

Eine ähnliche Bedeutungserweiterung erfuhr auch das Wort leie. Seit der Periode des Frühneuhochdeutschen bedeutet es nicht nur „Nicht-Geistlicher“ sondern auch jemand, der auf einem Gebiet keine Fachkenntnisse hat („Laien“ waren zum Beispiel gebildete Bürger, die ihre Ausbildung nicht einem Studium an einer Universität verdankten).

Im Spätmittelalter (im 13. und 14. Jahrhundert) wurden schließlich in Deutschland feste Familiennamen eingeführt. Immer größere Bevölkerungszahlen in Städten bewirkten, dass Ruf-namen nicht mehr ausreichten, um die Einwohner zu identifizieren. Die Familiennamen stamm-ten sehr oft von Berufen (Hofmeister, Schmidt, Müller) aber auch von Eigenschaften der Men-schen (Klein, Lang, Fröhlich), ihrer Herkunft (Beier, Böhme, Schweizer) oder Wohnstätte (An-germann, Bachmann).

Rege Handelskontakte der deutschen Städte mit dem Ausland trugen in der frühneuhoch-deutschen Periode, wie in früheren und späteren Epochen, zur Aufnahme vieler fremdsprach-licher Wörter bei. Im Spätmittelalter kam dem Italienischen besondere Bedeutung zu – auf dem Gebiet des Geld- und Handelsverkehrs war Italien anderen europäischen Staaten weit überlegen. Aus dem Italienischen stammen zum Beispiel solche Wörter wie Bank, Risiko, Golf, Kompass, Kapitän. In der Zeit der Renaissance wurden italienische Einflüsse fortgesetzt, zum Beispiel im Bereich der Musik (Bratsche, Cembalo). Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchten aber auch im Deutschen immer mehr französische Wörter auf, was Ausdruck der Ausstrahlung der französischen Kultur und der absolutistischen Politik Frankreichs war, deren Vorbildern der deutsche Adel und die deutschen Fürsten zu folgen versuchten. Aus dem Französischen über-nahm man Wörter aus den Bereichen des Hoflebens (Ball, Ballett, Promenade), der Küche (Kompott, Kotelett, Marmelade), der Mode (Frisur, Garderobe, Kostüm) oder des Militärwesens (Armee, Leutnant, Offizier).

Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts begannen nach Deutschland in starkem Maße die Ideen der Renaissance und des Humanismus durchzudringen. Obwohl diese Strömungen gewöhnlich mit der Rückkehr zum klassischen Latein und der griechischen Sprache der Antike assoziiert werden, trugen sie auch zur Entwicklung der deutschen Sprache bei. Immer mehr Gelehrte verfassten ihre Werke in deutscher Sprache, zum Beispiel Paracelsus, Autor der Schrift Die große Wundarznei (1536). In deutscher Sprache wurden auch historische Werke, wie Ger-mania oder Chronica des ganzen teutschen Landes (1538) von Sebastian Franck, und schließlich theologische Schriften, insbesondere nach Einbruch der Reformation im Jahre 1517, verfasst.

In das 16. Jahrhundert fallen auch Anfänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der deutschen Sprache, obwohl die die sprachwissenschaftlichen Themen erörternden Werke oft noch in lateinischer Sprache verfasst waren. Die Frucht humanistischer Interessen deutscher Gelehrter waren deutsch-lateinische Wörterbücher, wie Dictionarium latino-germanicum (1535 von Petrus Dasypodius, das erste nach wissenschaftlichen Prinzipien erarbeitete Wörterbuch der deutschen Sprache), oder das gleichnamige Wörterbuch von Johannes Frisius aus dem Jahre 1541. Aus dem 16. Jahrhundert stammen auch erste theoretische Abhandlungen über die deutsche Sprache: Grammatiken (zum Beispiel Ein Teutsche Grammatica von Valentin Ickelsamer aus 1534) und Handbücher der Rechtschreibung (zum Beispiel Orthographia von Fabian Frangk aus dem Jahre 1531).

Nach dem Muster ausländischer Gesellschaften (zum Beispiel der italienischen Acca-demia della Crusca) entstanden in Deutschland auch Sprachgesellschaften, die sich die Pflege der nationalen Sprache und Literatur zum Ziel nahmen. Die erste und bekannteste von ihnen war die 1617 in Weimar gegründete Fruchtbringende Gesellschaft. Die Mitglieder dieser Gesell-schaften sowie Dichter (wie Martin Opitz, Andreas Gryphius, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen) kämpften gegen fremde Einflüsse in der deutschen Sprache und setzten sich für die Verdeutschung von Fremdwörtern ein. Oft waren die von ihnen vorgeschlagenen Foren erfolgreich: aus dem 17. Jahrhundert stammen solche Wörter wie Durchmesser und Erblasser, die die älteren Wörter Diameter und Testator ersetzten. Manchmal wurde das neue, deutsche Wort in das Allgemeingut übernommen, ohne dass das fremde Wort verdrängt wurde (zum Beispiel Bruchstück, Briefwechsel, die anstelle von Fragment und Bibliothek vorgeschlagen wurden); manchmal schlugen aber auch die Vorschläge fehl, wie die Wörter Tageleuchter und Zitterweh, die die Wörter Fenster und Fieber (beide lateinischer Herkunft) ersetzen sollten.

Den Bemühungen der Sprachgesellschaften verdanken wir auch deutsche Entspre-chungen grammatikalischer Begriffe, wie Fall (in der Bedeutung „Kasus“), Geschlechtswort („Artikel“), Hauptwort („Substantiv“) und Rechtschreibung („Orthographie“).

In die Zeit des Frühneuhochdeutschen fallen auch erste Versuche der Formulierung orthographischer Regeln. Zu nennen ist hier vor allem die Frage der Großschreibung der Sub-stantive. Die Annahme der Regel, dass alle Substantive groß geschrieben werden sollen, war ein langwieriger Prozess, der noch in der mittelhochdeutschen Periode eingesetzt hatte, über die ganze Periode des Frühneuhochdeutschen dauerte und erst in der nächsten Periode (im Neu-hochdeutschen – Mitte des 18. Jahrhunderts) weitgehend abgeschlossen war. Anfangs waren nur bestimmte Wörter, insbesondere aus der religiösen Sphäre, durch Setzung in Versalien (zum Beispiel GOtt) hervorgehoben. Der Prozess wurde im 16. und 17. Jahrhundert fortgesetzt; es gab aber hier keine klaren Regeln – Schreiber hoben durch Großschreibung diese Substantive hervor, die sie für wichtig hielten. Die folgende Tabelle zeigt Unterschiede in der Großschreibung in zwei Übersetzungen des Psalms 17:

Luthers Übersetzung (1523)

Übersetzung von 1545

Er ist gleich wie eyn / lewe, der des raubs begerd

wie eyn iünger lewe / der ym verborgen sitzt.

Herr mach dich auff vnd / kom yhm zuor und

krume yhn / errette meyne seele von

den gottlosen / deyns schwerd

Gleich wie ein Lewe / der des Raubs begert

Wie ein junger Lewe / der in der hüle sitzt.

Herr mache dich auff / vberweldige jn, vnd

demütige jn / Errette meine Seele von

dem Gottlosen / mit deinem schwert

Der frühneuhochdeutschen Periode verdanken wir auch die Anwendung der ersten Satz-zeichen, die im Mittelhochdeutschen grundsätzlich noch fehlten. Zuerst bediente man sich nur des Punktes am Ende der Sätze. Um die Atempausen beim Lesen zu betonen, begann man im 16. Jahrhundert auch die so genannten Virgeln (Schrägstriche) anzuwenden, wie in dem folgenden Zitat vom Sendbrief vom Dolmetschen Martin Luthers aus 1530 ersichtlich ist:

den man mus nicht die buchstaben inn der lateinischē sprachen fragē / wie man sol Deutsch redē / wie diese esel thun / sondern / man mus die mutter jhm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen mā auff dem marckt drumb fragen / vn den selbigē auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es den / vn mercken / das man Deutsch mit jn redet.

Die Schrägstriche wurden durch die heutigen Kommas erst Ende des 17. Jahrhunderts, also schon in der nächsten (neuhochdeutschen) Periode, verdrängt. In die Zeit des 17. Jahrhun-derts fallen auch erste Beispiele der Anwendung des Ausrufezeichens (!), des Fragezeichens (?) und des Semikolons (;).

Nach populärer Auffassung gilt Martin Luther als der Schöpfer der neuzeitlichen deutschen Sprache. Diese Betrachtungsweise geht zum Teil auf die Ansichten und Einschätzung der Rolle Luthers von den Sprachwissenschaftlern im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. So behauptete zum Beispiel Wolfgang Jungandreas im Jahre 1947, dass: Luther überall die entscheidenden Schritte zum Neuhochdeutschen hin gemacht hat, dass wir ihn also mit vollem Recht als den Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ansehen können. Die moderne Forschung schätzt die Rolle Luthers anders ein. Aus der obigen Dar-stellung ist sichtbar, dass die Entwicklung der frühneuhochdeutschen Sprache viel früher, also vor Luther (Mitte des 14. Jahrhunderts) begann; das moderne Neuhochdeutsch datiert dagegen erst seit um 1650, die heutige Entwicklungsstufe des Deutschen begann also ein Jahrhundert nach Luthers Tode.

Andererseits muss der enorme Beitrag Luthers für die deutsche Kultur anerkannt werden, in der seine Bibelüber-setzung auch eine sehr große Rolle spielte. Luther popu-larisierte viele Sprichwörter und bildhafte feste Wendungen (obwohl sie von ihm selbst nicht erfunden waren). Dank Luthers Schriften verwenden wir jetzt zum Beispiel solche Redewendungen wieStein des Anstoßes, ein Dorn im Auge, sein Licht unter den Scheffel stellen. Durch Luthers Schriften und seine Übersetzung setzten sich auch viele Wörter aus dem ostmitteldeutschen Raum durch, die ihre Entsprechun-gen aus anderen Territorialdialekten verdrängten. Dank ihm sagen wir jetzt zum Beispiel Heuchler, Hügel, Scheune, Kahn – diese von Luther verwandten ostmitteldeutschen For-men ersetzten ihre oberdeutschen Entsprechungen Gleißner, Bühel, Scheuer und Nachen, die heute nur landschaftlich und in der Dichtersprache zur Anwendung kommen. Bei Luther finden wir auch Beispiele der ersten Verwendung von Wör-tern in neuen Bedeutungen, die späte in die Standardsprache übergingen. Dazu gehören zum Beispiel anfahren (in der Be-deutung „in heftigem Ton zurechtweisen“), verfassen („schriftlich nieder-legen“) oder fromm (das früher „tüchtig, rechtschaffen“ bedeutete und erst bei Luther in der Bedeutung „gläubig, religiös“ benutzt wurde).

Luthers Beitrag für die Entwicklung der deutschen Sprache ist also unbestreitbar, obwohl die Betrachtungsweise seiner Bibelübersetzung – als eine neue Epoche eröffnend – dem Stand der modernen Forschung nicht mehr standhalten kann.

Ende der frühneuhochdeutschen Periode begannen, nicht zuletzt dank der Arbeit und Bemühungen der Wissenschaftler, Dichter und Humanisten, die Unterschiede zwischen verschie-denen Literatursprachen, die in verschiedenen Regionen Deutschlands im Gebrauch waren, zu verschwinden. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts existierten in Deutschland zwei Varianten der Standardsprache – die im Einflussbereich der Wettiner im mittleren Osten und die im Ein-flussbereich der Habsburger im Südosten – die auch in anderen Teilen des Landes Anerkennung fanden. Ende des Jahrhunderts war schon die Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Sprache sichtbar, unter anderem dank der Reformation, die in dieser Region ihren Anfang nahm und sich dort besonders gut entfaltete. Die Literatursprache des Wettiner Raums gewann immer mehr an Bedeutung; sie eroberte allmählich sowohl den katholischen Süden, als auch den Norden Deutschlands, wo sie zur Sprache der Bildung und der Literatur wurde, im Gegensatz zu den niederdeutschen Mundarten, die von den dort lebenden Einwohnern vor allem im Alltagsleben benutzt wurden (und werden). Schließlich wurde die ostmitteldeutsche Sprache auch in der Lite-ratursprache der Schweiz akzeptiert, obwohl das erst in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolg-te. Die obigen Entwicklungstendenzen waren natürlich viel komplizierter, als hier dargestellt. Trotz der Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Variante kann man nicht feststellen, dass sie Ende der frühneuhochdeutschen Periode schon völlig die Funktion der Gemeinsprache der Deutschen in dem heutigen Sinne des Wortes übernahm.

Die Zahl erhaltener frühneuhochdeutscher Texte ist sehr groß und übersteigt die aus früheren Perioden weit. Dies war unter anderem dank der Druckerfindung möglich, wodurch Bücher und Flugschriften in großen Auflagen verlegt wurden. Weiter folgen nur zwei Beispiele frühneuhochdeutscher Literatur.

Der Ackermann aus Böhmenvon Johannes von Tepl (um 1400)

Grimmiger tilger aller lande, schedlicher echter aller werlte, freissamer morder aller guten leute, ir Tot, euch sei verfluchet! got, ewer tirmer, hasse euch, vnselden merung wone euch bei, vngeluck hause gewaltiglich zu euch: zumale geschant seit immer! Angst, not vnd jamer verlassen euch nicht, wo ir wandert; leit, betrubnuß vnd kummer beleiten euch allenthalben; leidige anfechtung, schentliche zuversicht vnd schemliche verserung die betwingen euch groblich an aller stat; himel, erde, sunne, mone, gestirne, mer, wag, berg, gefilde, tal, awe, der helle abgrunt, auch alles, das leben vnd wesen hat, sei euch vnholt, vngunstig vnd fluchend ewiglichen! In bosheit versinket, in jamerigem ellende verswindet vnd in der vnwiderbringenden swersten achte gotes, aller leute vnd ieglicher schepfung alle zukunftige zeit beleibet! Vnuerschampter bosewicht, ewer bose gedechtnuß lebe vnd tauere hin on ende; grawe vnd forchte scheiden von euch nicht, wo ir wandert vnd wonet: Von mir vnd aller menniglich sei stetiglichen vber euch ernstlich zeter geschriren mit gewundenen henden!

Vorrede Martin Luthers zu seiner Übersetzung des Neuen Testaments(1522)

Es were wol recht vnd billich, das dis buch on alle vorrhede vnnd frembden namen außgieng, vnnd nur seyn selbs eygen namen vnd rede furete, Aber die weyl durch manche wilde deuttung vnd vorrhede, der Christen synn da hyn vertrieben ist, das man schier nit mehr weys, was Euangeli oder gesetz, new oder alt testament, heysse, fodert die noddurfft eyn antzeygen vnd vorrhede zu stellen, da mit der eynfelltige man, aus seynem allten wahn, auff die rechte ban gefuret vnd vnterrichtet werde, wes er ynn disem buch gewartten solle, auff das er nicht gepott vnnd gesetze suche, da er Euangeli vnd verheyssung Gottis suchen sollt.

Darumb ist auffs erste zu wissen, das abtzuthun ist der wahn, das vier Euangelia vnd nur vier Euangelisten sind, vnd gantz zuverwerffen, das etlich des newen testaments bucher teyllen, ynn legales, historiales, Prophetales, vnnd sapientiales, vermeynen damit (weyß nicht wie) das newe, dem alten testament zuuergleychen, Sondern festiglich zu halten, das gleych wie das allte testament ist eyn buch, darynnen Gottis gesetz vnd gepot, da neben die geschichte beyde dere die selben gehallten vnd nicht gehallten haben, geschrieben sind, Also ist das newe testament, eyn buch, darynnen das Euangelion vnd Gottis verheyssung, danebe auch geschichte beyde, dere die dran glewben vnd nit glewben, geschrieben sind, Also das man gewisß sey, das nur eyn Euangelion sey, gleych wie nur eyn buch des newen testaments, vnd nur eyn glawb, vnd nur eyn Gott, der do verheysset.

Denn Euangelion ist eyn kriechisch wortt, vnd heyst auff deutsch, gute botschafft, gute meher, gutte newzeytung, gutt geschrey, dauon man singet, saget vnd frolich ist, gleych als do Dauid den grossen Goliath vberwand, kam eyn gutt geschrey, vnd trostlich newtzeyttung vnter das Judisch volck, das yhrer grewlicher feynd erschlagen, vnd sie erloset, zu freud vnd frid gestellet weren, dauon sie sungen vnd sprungen vnnd frolich waren, Also ist dis Euangelion Gottis vnnd new testament, eyn gutte meher vnd geschrey ynn alle wellt erschollen durch die Apostell, von eynem rechten Dauid, der mit der sund, tod vnnd teuffel gestritten, vnd vberwunden hab, vnnd damit alle die, ßo ynn sunden gefangen, mit dem todt geplagt, vom teuffel vberweldiget gewesen, on yhr verdienst erloset, rechtfertig, lebendig vnd selig gemacht hat, vnd da mit zu frid gestellet, vnd Gott wider heym bracht, dauon sie singen, dancken Gott, loben vnd frolich sind ewiglich, ßo sie des anders fest glawben, vnd ym glawben bestendig bleyben.

Lutherbibel Luther-Bibel, Ausgabe aus 1567

Neuhochdeutsch

Die Entwicklung der modernen deutschen Sprache datiert seit um 1650, also seit Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Im phonologischen und morphologischen System erfolgten in dieser Zeit nur geringfügige Änderungen – die Sprache der 2. Hälfte des 17. und des 18. Jahrhunderts ist grundsätzlich dieselbe, die wir heute sprechen. Größeren Wandel erfuhr in dieser Periode von etwa 350 Jahren der Wortschatz der deutschen Sprache, und zwar durch kontinuierliche Ände-rungen im politischen und gesellschaftlichen Leben und durch den enormen Fortschritt der Wiss-enschaft und Technik. Neue Wörter wurden geprägt oder sie änderten ihre Bedeutung, Fremd-sprachen übten auch Einfluss auf die deutsche Sprache aus.

Die deutsche Sprache von 1650 bis Ende des 18. Jahrhunderts

In der neuhochdeutschen Periode kam es endlich zur Entstehung der einheitlichen deutschen Literatursprache mit überlandschaftlichem Charakter, und das trotz der großen politi-schen und konfessionellen Zersplitterung deutscher Gebiete nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Zum großen Teil basierte diese Gemeinsprache auf der ostmitteldeutschen Variante des Deutschen, für die noch im 17. Jahrhundert zum Beispiel Martin Opitz und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und im 18. Jahrhundert Johann Christoph Gottsched plädierten. Diese Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Variante bedeutete natürlich nicht, dass andere Varianten, zum Beispiel die oberdeutsche Variante, für die sich zum Beispiel süddeutsche Gelehrte aussprachen, völlig verdrängt wurden. In Wirklichkeit war die Literatursprache ein Konglomerat verschiedener Dialekte und Varianten der deutschen Sprache. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich auch verschiedene Umgangssprachen, die sich aus Territorialdialekten heraus-bildeten, in einem größeren Gebiet gesprochen wurden und eine Zwischenstellung zwischen der Literatursprache und den Dialekten einnahmen. Sie gewannen erst später, im 19. und 20. Jahr-hundert, an Bedeutung, als große Menschenmassen auf der Suche nach Arbeit in andere Re-gionen auszuwandern begannen.

Im Bereich der Phonologie erfolgten im Neuhochdeutschen keine wesentlichen Änderun-gen mehr, obwohl es natürlich immer noch Unterschiede in der Aussprache in einzelnen Regio-nen gab – eine standardisierte, landesweit bindende Aussprache gab es noch nicht.

In der Morphologie wurden Tendenzen fortgesetzt, die auf die klare Unterscheidung der Singular- und Pluralformen zielten. Zu diesem Zweck wurde häufiger der Umlaut (zum Beispiel HahnHähne, BogenBögen) und das -r Suffix (zum Beispiel Männer, Geister, Würmer, die die mittelhochdeutschen Formen manne, geiste, würme verdrängten) benutzt. In der Flexion ent-stand ein ganz neues Deklinationsmuster, in dem die so genannte starke Deklination (mit -s im Genitiv) mit der schwachen (mit -n) zusammenfiel. Im Singular werden Wörter dieser Klasse (zum Beispiel Auge, Bett, Ohr) stark und im Plural schwach dekliniert: das Auge die Augen, des Auges der Augen, dem Auge den Augen, das Auge die Augen. Im Präteritum der starken

Verben kam es zur endgültigen Angleichung der Singular- und Pluralformen. Während sie im Mittelhochdeutschen oft noch unterschiedlich (ich sangwir sungen, ich fandwir funden) waren, setzte im Frühneuhochdeutschen der Prozess ihrer Anpassung ein, der jetzt im Neuhochdeutschen zum Schluss kam – sowohl die Singular-, als auch die Pluralform haben jetzt den gleichen Vokal im Verbstamm (ich sangwir sangen). Zu einer Angleichung kam es auch beim Perfektpartizip, das unter anderem zur Bildung des Perfekts dient. Noch im 16. Jahrhundert bildeten manche Verben (werden, kommen, finden, bringen) das Perfektpartizip ohne das Präfix ge- (vgl. darum bin ich kommen und taufe im Wasser); im Neuhochdeutschen werden schon geworden, gekommen, gefunden, gebracht angewandt. Als Relikt der frühneuhochdeutschen Periode ist bis heute nur worden in passivischen Sätzen im Perfekt (wie im Satz er ist nach Berlin versetzt worden) erhalten geblieben.

Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung, war das Zeitalter der Anfänge der modernen Wissenschaft, was auch auf den Wortschatz der deutschen Sprache Einfluss hatte. Neue Wörter wurden geprägt (zum Beispiel Sauerstoff, nach Vorbild des französischen oxygène gebildet); die Präzision des Ausdrucks wurde wichtig, was zu Versuchen der klaren Abgrenzung des Bedeutungsumfangs der Wörter führte. Die Sprache der Wissenschaft beeinflusste aber auch die Gemeinsprache, die viele Wörter aus dem Fachwortschatz einzelner Wissenschaftsgebiete übernahm. Aus dem Wortschatz der Philosophie wurden solche Wörter wie Bedeutung, Bewusst-sein, Verhältnis, Verständnis übernommen, aus dem Bereich der Mathematik Abstand, Schwer-punkt, Spielraum (viele dieser philosophischen und mathematischen Begriffe stammen vom Uni-versitätsgelehrten, Philosophen und dem Mathematiker Christian Wolff).

Wie in früheren und späteren Perioden wurde die deutsche Sprache durch Fremd-sprachen, besonders Französisch, beeinflusst. Aus der französischen Sprache übernahm man Wörter, die sich auf die Mode bezogen, aber auch Verwandtschaftsbezeichnungen: solche Wör-ter wie Onkel, Tante, Cousin, Cousine sind alle französischer Herkunft. Viele Dichter und Wissenschaftler versuchten, gegen diese fremden Einflüsse zu kämpfen. Zu nennen ist hier vor allem Joachim Heinrich Campe, der bekannteste Sprachpurist dieser Zeit, der in seinem schon im nächsten Jahrhundert (1801–1804) erschienenen Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke nach der Verdeutschung dieser Fremd-wörter rief. Von Campe stammen solche Wörter wie Erdgeschoss (das er für Parterre vor-schlug), Hochschule (Universität) oder Stelldichein (Rendezvous). Auch Dichter dieser Zeit trugen zur Bereicherung der deutschen Sprache durch Neuprägungen bei, durch welche sie frem-de Wörter zu ersetzen versuchten. Von Johann Christoph Gottsched stammen solche Wörter wie angemessen (für adäquat), Begeisterung (Enthusiasmus), von Friedrich Gottlieb Klopstock – Einklang (Harmonie), von Johann Wolfgang von Goethe – beschränkt (für borniert) und hochfahrend (arrogant) und von Friedrich Schiller – Gaukelbild (für Phantom).

Das 17. und 18. Jahrhundert war eine Periode, in der das wissenschaftliche Interesse für die deutsche Sprache vertieft wurde. Wörterbücher wurden verlegt, darunter Großes Teutsch-Italienisches Dictonarium, oder Wort- und Red-Arten-Schatz der unvergleichlichen Hoch-teutschen Grund- und Hauptsprache von Matthias Kramer (1700)), Teutsch-Lateinisches Wör-terbuch von Johann Leonhard Frisch (1741) und vor allem der fünfbändige Versuch eines voll-ständig grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Ver-gleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen von Johann Christoph Adelung (1774–1786), mit dem der Verfasser ein normatives Werk für alle, die deutsch sprechen und schreiben, zu schaffen versuchte. Der letzte Autor verfasste auch Werke aus dem Bereich der Grammatik, wie Deutsche Sprachlehre (1781) oder Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache (1782). Früher (1748) erschien die Grundlegung einer Deutschen Sprach-kunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts von Johann Christoph Gottsched, der sich auch für die Einfachheit, Klarheit und Sachlichkeit im Geiste der Aufklärung einsetzte.

Joachim Heinrich Campe Christian Freiherr von Wolff

Die deutsche Sprache im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Industriellen Revolution in deutschen Ländern und deren politischen Aufstiegen, die in der Vereinigung Deutschlands 1871 gipfelten. Vor allem der Fortschritt der Wissenschaft und Technik beeinflusste die Entwicklung der deutschen Sprache durch Neubildung von Wörtern und neue Bedeutungen der Wörter; neue gesellschaft-liche Prozesse kamen in der Sprache auch zum Ausdruck.

Das 19. Jahrhundert war die erste Epoche, in der es zur schnellen Entwicklung des Fach-wortschatzes kam – wegen des raschen Fortschritts auf dem Gebiet der Wissenschaft und Tech-nik. Die Notwendigkeit, neuen Erfindungen und Entdeckungen einen Namen zu geben, führte zur Entstehung solcher neuen Wörter wie elektrisch, Elektrizität (lateinischer Herkunft) und vieler neuer Komposita wie Waschmaschine, Nähmaschine, Gasanstalt, Eisenbahn. Neuer Wör-ter bedurften auch neue Erscheinungen aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben, wie Reichsgesetz, Streik. Viele der neuen Wörter waren fremder, meist englischer oder französischer Herkunft (Lokomotive, Telegramm, Perron, Coupé, Conducteur, Billet), was aus dem wirtschaft-lichen Übergewicht dieser Länder Anfang des 19. Jahrhunderts resultierte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie, unter anderem wegen der nationalistischen Stimmungen im damaligen Deutschland, zum Teil durch deutsche Wörter (Bahnsteig, Abteil, Schaffner, Fahrkarte) ver-drängt.

Der allgemeine wissenschaftliche Fortschritt erfasste Anfang des 19. Jahrhunderts auch die Sprachwissenschaft. Seit dieser Zeit datiert die Linguistik in dem heutigen Sinne des Wortes, deren Vertreter sich nicht auf Erarbeitung bestimmter Normen, Sprachpflege oder Bekämpfung von Fremdwörtern (wie im 17. und 18. Jahrhundert), sondern auf die Untersuchung der Ge-schichte und Gegenwart des bestehenden Sprachsystems konzentrieren.

Die führenden Sprachwissenschaftler dieser Zeit waren die Brüder Grimm, Autoren des Deutschen Wörterbuchs, dessen erster Band 1854 erschien (das Wörterbuch wurde erst 1960 vollendet), und vieler anderer Werke auf dem Gebiet der Germanistik, zum Beispiel der histo-risch-vergleichenden Deutschen Grammatik von Jacob Grimm aus 1819.

Den Brüdern Grimm, die als Begründer der modernen Germanistik gelten, folgten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die so genannten Junggrammatiker, die sich auch vor allem für die historische Entwicklung der deutschen Sprache und Indogermanistik interessierten. Zu den Vertretern dieser Richtung gehörten Wilhelm Scherer, Autor des Werks Zur Geschichte der deutschen Sprache (1868) und Hermann Paul, Autor der Prinzipien der Sprachgeschichte. Ihre Forschungen und Vergleichsversuche indogermanischer Sprachen brachten sie zu der Formu-lierung der These von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Der Versuch der Bestätigung dieser These führte zum Beginn der Arbeiten am Sprachatlas des Deutschen Reiches von Georg Wenker im Jahre 1876, die bis heute fortgesetzt werden (der Versuch widerlegte übrigens auch diese Hypothese und zeigte, dass sprachliche Prozesse viel komplizierter sind, als sich dies die Junggrammatiker vorstellten).

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die deutsche Rechtschreibung nicht normiert in dem Sinne, dass es keine amtlichen, für alle verbindlichen orthographischen Regeln gab. Die Situation auf diesem Gebiet sah ähnlich aus wie im heutigen Englischen, wo es keine über-geordnete Behörde gibt, die über die Fragen der orthographischen Richtigkeit entscheidet, und wo verschiedene Schreibweisen eines Wortes (zum Beispiel realiserealize) zulässig sind. So kamen zum Beispiel außer den Formen Hilfe, Silbe auch Hülfe, Sylbe vor, beim Suffix -ieren waren auch die Formen ohne e (studierenstudiren) zulässig, auch bei Fremdwörtern konnte man verschiedenen Schreibweisen (MedizinMedicin, KanalCanal) begegnen.

Erst 1880 versuchte Konrad Duden die Fragen der deutschen Rechtschreibung zu regeln, als er in diesem Jahr sein Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache herausgab. Die Vorschläge Dudens wurden weitgehend auf der Orthographischen Konferenz im Jahre 1901 angenommen, auf der erstmals in der Geschichte der deutschen Sprache die deutsche Rechtschreibung amtlich festgelegt wurde. Die Regeln, die damals angenommen wurden, galten bis zur Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996.

Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte auch die Normierung der deutschen Aussprache. Zum Standardwerk wurde hier Die Deutsche Bühnenaussprache (1898) von Theodor Siebs.

Die Brüder Wilhelm (links) und Jacob Grimm Konrad Duden

Die deutsche Sprache im 20. und frühen 21. Jahrhundert

In der Entwicklung der deutschen Sprache im 20. Jahrhundert wurden viele Tendenzen fortgesetzt, die noch im vorigen Jahrhundert begonnen hatten; hinzu kamen die Einflüsse von zwei totalitären Ideologien (Nationalsozialismus und Kommunismus), unter deren Zeichen das 20. Jahrhundert stand. Wie im 19. Jahrhundert, betrafen die Änderungen vor allem den Wort-schatzbereich und Ende des Millenniums, wie vor einhundert Jahren, kam es auch zu einem neuen Streit über die Frage der Reform der deutschen Rechtschreibung.

Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, in dem Sprachwissenschaftler die Sprache in ihren historischen (diachronischen) Aspekten untersuchten, verschob sich das Interesse der Linguistik im 20. Jahrhundert auf die Erforschung der Gegenwart (Synchronie) der Sprache. Zu der domi-nierenden Richtung in der Sprachwissenschaft wurde der Strukturalismus, der von dem schweiz-erischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure und seinen nach seinem Tode herausge-gebenen Vorlesungsschriften Cours de linguistique générale (1916) begründet wurde. De Sau-ssure lehnte historische Forschungen der Sprache ab; er und andere Strukturalisten glaubten, die Beschreibung des Sprachsystems in seinen aktuellen Zusammenhängen soll die einzige Aufgabe der Linguistik sein; de Saussure war auch der erste, der zwischen der Sprache als System von Zeichen (langue) und dem Sprechakt (parole) unterschied. Auf Grund der Ansichten de Sau-ssures entwickelten sich später verschiedene Richtungen im Strukturalismus, der heute ein Kon-glomerat verschiedener, oft weit voneinander entfernter Strömungen in der Sprachwissenschaft und anderen Wissenschaftszweigen ist.

Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers wurde die deutsche Sprache, wie andere Lebenssphären des Deutschen Reichs, in den Dienst der Nazipropaganda gestellt. Die Jahre 1933 bis 1945 waren die erste Epoche in der deutschen Geschichte, in der mit der Sprache Missbrauch in solch einem Umfang getrieben wurde. Die von der Propaganda genutzten Wörter wider-spiegelten die nationalistische und rassistische Ideologie des Dritten Reichs: in Gebrauch kamen zum Beispiel solche Komposita wie Rassenbewusstsein, Rassenschande, Arier, Halbjude. Inte-ressant ist es, dass nur wenige dieser Wörter von den Nationalsozialisten geprägt wurden; die meisten wurden aus der Sprache der nationalistischen Ideologie vom Anfang des 20. oder noch Ende des 19. Jahrhunderts übernommen. Das Dritte Reich hat die wenigsten Worte seiner Spra-che selbstschöpferisch geprägt., – behauptete Victor Klemperer in seiner Abhandlung über die Sprache des Dritten Reichs (LTI – Notizbuch eines Philologen)

Besonders nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 wurden in der deutschen Sprache auch immer mehr militärische Ausdrücke, auch in Bezug auf das zivile Leben, gebraucht. Dazu gehören zum Beispiel Komposita mit Schlacht (Arbeitsschlacht) oder solche Wörter wie kämpferisch, Einsatz, marschieren.

Die von den Nazis benutzten Wörter waren oft Euphemismen oder Verhüllungen. Das bekannteste Beispiel ist die Endlösung der Judenfrage für die Ausrottung der jüdischen Bevölk-erung in Deutschland und den besetzten Gebieten Europas. Andere Beispiele sind die Heimkehr der Ostmark ins Reich für die Annexion Österreichs (die Nutzung des Namens Österreich war in Deutschland verboten), oder die Rückgliederung des Sudetengaus für die Annexion der tsche-choslowakischen Gebiete nach dem Münchner Abkommen im Jahre 1938.

Antisemitische Propaganda im Nazi-Deutschland

Eine besondere Entwicklung erfuhr auch die deutsche Sprache während des Bestehens der DDR, wofür die Keime bereits in der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1949 gelegt worden sind. Die alles übergreifende sogenannte Vergesellschaftung im Staat, in dem die SED das Machtmonopol beanspruchte (gemäß Verfassung war ihre führende Rolle festgeschrieben), erzwang die Bildung neuer Wörter und Wortverbindungen, die die neue Wirklichkeit wider-spiegelten, wie Plansoll, Neuererbewegung, Arbeitsbrigade. Mit den sich ebenfalls in der DDR immer verändernden Verhältnissen verschwanden solche Wörter auch manchmal nach einigen Jahren des Gebrauchs, zum Beispiel Neubauer, Aufbauhelfer oder Arbeiter-und-Bauern-Fakul-tät. Viele der Neuprägungen waren Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen aus dem Russi-schen, wie Kulturhaus, Wandzeitung, Pädagogischer Rat (in der Bedeutung „Gesamtheit der Lehrkräfte einer Schule“), Brigade („Arbeitsgruppe in einem Produktionsbetrieb“) oder Lager (das sozialistische Lager).

Wie im Nazi-Deutschland war die deutsche Sprache in der DDR in besonderem Maße zu Propagandazwecken benutzt worden; dabei gebrauchte man ähnliche Methoden zur Verhüllung der wahren Zustände im politischen und gesellschaftlichen Leben. So wurden zum Beispiel der Aufstand des 17. Juni 1953 als gescheiterter konterrevolutionärer Putschversuch und der Bau der Berliner Mauer als Sicherung der Staatsgrenze bezeichnet, wobei in offiziellen Texten (bzw. Reden) die Mauer selbst nie als solche benannt wurde. Dagegen war sie in der DDR-Propaganda meist nur der antifaschistische Schutzwall.

Einen interessanten Einblick in die propagandistische Funktion der Sprache (sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR) geben die Bezeichnungen für die beiden deutschen Staaten, die besonders in den Medien und im öffentlichen Leben im Gebrauch waren. Der offizielle Name der DDR war in vielen Milieus in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit ignoriert. Stattdessen sprach und schrieb man von der Sowjetischen Besatzungszone, Ost-zone oder sogar Mitteldeutschland (was den deutschen Charakter der nach 1945 zugunsten Polens und der Sowjetunion abgetretenen Gebiete östlich der Oder und Neiße implizierte). Noch Ende der 1980er Jahre wurde die DDR in der Zeitung »Die Welt« in Anführungszeichen („DDR“) geschrieben. Ähnliche Versuche der Diskreditierung des anderen deutschen Staates gab es in der DDR. Deutschland war ein historischer Begriff, und seine Nutzung in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland (wie es im westlichen Teil Deutschlands üblich war) war aus-geschlossen. Die Bezeichnung Bundesrepublik alleine kam in DDR-Medien ganz selten vor; man bevorzugte die Abkürzung BRD, weshalb diese in der Bundesrepublik Deutschland selbst ver-mieden wurde.

Die formale Kodifizierung der Regeln der deutschen Rechtschreibung auf der Ortho-graphischen Konferenz 1901 setzte den Diskussionen über die mögliche Vereinfachung und Ver-einheitlichung der deutschen Orthographie kein Ende. Auf einer der nächsten Orthographie-konferenzen im Jahre 1954 formulierte man die so genannten Stuttgarter Empfehlungen, in denen unter anderem die Kleinschreibung aller Substantive mit Ausnahme der Eigennamen (wie in anderen europäischen Sprachen) postuliert wurde. Wegen des Widerstands der Schriftsteller, Journalisten und anderer Kreise wurden diese Empfehlungen abgelehnt.

Seit 1954 wurde das Duden-Wörterbuch separat in der Bundesrepublik Deutschland (im Bibliographischen Institut in Mannheim) und in der DDR (im gleichnamigen staatlichen Verlag in Leipzig) verlegt. Abgesehen von den Unterschieden im Wortschatz, die die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den beiden deutschen Staaten widerspiegelten, gab es nur geringfügige Unterschiede in der Rechtschreibung der Wörter, sie beschränkten sich auch meistens auf fremde Namen (zum Beispiel Costa Rica in der Bundesrepublik Deutschland und Kostarika in der DDR) und manche Entlehnungen (zum Beispiel Woiwodschaft in der BRD und Wojewodschaft in der DDR für den polnischen Verwaltungsbezirk).

In den Achtzigerjahren begannen erneut Diskussionen über die Reform der orthogra-phischen Regeln. Es wurden verschiedene Vorschläge zu der Vereinheitlichung und Verein-fachung der Regeln gemacht; schließlich kam es im Jahre 1995 zur Beschlussfassung der Kultus-minister der deutschen Länder über die Einführung der Änderungen zum 1. August 1998 mit einer Übergangsphase bis zum 31. Juli 2005. Eine entsprechende Verpflichtung anderer deutsch-sprachiger Länder zur Reform der deutschen Rechtschreibung (Österreich, Schweiz, Liechten-stein) folgte im nächsten Jahr (1996).

Seit dem Moment der Annahme der neuen Regelungen stießen sie auf heftige Kritik seitens der Schriftsteller, Intellektuellen, aber auch gewöhnlicher Menschen, die die Änderungen (vor allem den Ersatz von ß mit ss vor kurzen Vokalen) für zu weitgehend hielten. Manche Zeit-ungen, Zeitschriften und Verlage (wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung) lehnten die Neurege-lungen ab, dann entschieden sich einige Verleger und Medien für die so genannte Hausortho-graphie, in der manche Regeln der neuen Orthographie angenommen und manche abgelehnt wurden. Auf Grund dieser Kontroversen wurden die neuen Rechtschreibregeln 2006 wieder modifiziert, vor allem in Bezug auf die Groß- und Kleinschreibung und Zusammen- und Ge-trenntschreibung; manche alten Formen, deren Schreibweise geändert worden war (zum Beispiel es tut mir leid, sogenannte) sind jetzt wieder zulässig.

Der Duden

Trotz der Festlegung der Ausspracheregeln von Theodor Siebs noch Ende des 19. Jahr-hunderts werden immer neue Tendenzen in der deutschen Aussprache sichtbar. Ein Beispiel ist das Verdrängen des Zungenspitzen-r durch das Zäpfchen-r und das Reibe-r, das schon lange her von Sprachwissenschaftlern akzeptiert wurde. Nicht akzeptiert bleibt dagegen noch immer die Aussprache des Buchstaben ä, das von den meisten Deutschen wie das lange, geschlossene e im Wort sehen ausgesprochen wird (dabei gibt es zum Beispiel keinen Unterschied zwischen der Aussprache der Wörter Ähre und Ehre), obwohl die Regel, dass ä offen ausgesprochen werden soll, praktisch nicht mehr befolgt wird.

Im Bereich der Morphologie ist die häufigere Nutzung des Suffix -s, besonders in Ab-kürzungen (PKWs, LKWs) zu beobachten, was wahrscheinlich zum Teil durch die englische Sprache beeinflusst wird. Kurzformen der Wörter erfreuen sich ebenfalls immer größerer Be-liebtheit, was auch auf den Einfluss des Englischen und der Umgangssprache zurückzuführen ist. Dazu gehören solche Formen wie Uni (anstatt von Universität), Akku (Akkumulator), Labor (Laboratorium), die im täglichen Sprachgebrauch (besonders im gesprochenen Deutsch) die längeren Formen praktisch schon völlig verdrängt haben.

Eine andere Erscheinung ist die Umschreibung der Konjunktivformen durch das Wort würde mit Infinitiv. Der Grund dieser Tendenz ist oft der Wille der Unterscheidung zwischen Konjunktiv und Indikativ. Im Paar ich läse und ich lese können zum Beispiel beide Sätze leicht verwechselt werden; bei schwachen Verben gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen den Formen des Konjunktivs und des Indikativs (vgl. den Satz im Konjunktiv: er hoffte, dass sie diese Gelegenheit nutzte). Die Formen mit würde können jetzt auch in Nebensätzen stehen (wenn du kommen würdest…), was noch in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts als inkorrekt empfunden wurde.

Im Bereich der Syntax ist die immer häufigere Benutzung der Funktionsverbgefüge (der so genannten Streckformen) zu beobachten. Statt erklären wird zum Beispiel eine Erklärung abgeben, statt anzeigenzur Anzeige bringen (er brachte den Diebstahl zur Anzeige) gebraucht. Der Grund für die Beliebtheit solcher Konstruktionen sind kommunikative Vorteile, die sie an-bieten: die Endstellung des Substantivs betont die Handlung selbst (die normal mit dem Verb ausgedrückt wird) und nicht das Objekt und kann somit besser auf die Bedeutung des Satzes hinweisen (vgl. der Ministerpräsident erklärt heute seinen Rücktritt und der Ministerpräsident gibt heute zu seinem Rücktritt eine Erklärung ab).

Wie im 19. Jahrhundert, sorgen der rasche Fortschritt der Wissenschaft und Technik und Änderungen im gesellschaftlichen Leben für die Bereicherung der deutschen Sprache um viele Fachausdrücke und Wörter für neue Erfindungen, Erscheinungen und Prozesse, wie Radio, Stereoanlage, Raumschiff, Minirock, fernsehen. Viele dieser neuen Wörter sind englischer oder amerikanischer Herkunft, zum Beispiel Computer, Job, Team, Comeback, Petticoat, Bikini.

Durch die immer größere Zahl der Wörter und Wortverbindungen ist die stilistische Differenzierung möglich: der gleiche Gedanke kann mit verschiedenen Wörtern auf verschie-denen Stilebenen (gehoben, umgangssprachlich, amtlich usw.) ausgedrückt werden (vgl. seinen Geist aushauchen, entschlafen versus abkratzen; bzw. Automobil, Personenkraftwagen, Auto versus Kiste, Karre). Andererseits wird die Gemeinsprache (im Sinne der Standardsprache) auch mit Wörtern aus verschiedenen Jargons und Gruppensprachen (Soziolekten), wie der Jugend-sprache, durchdrungen, zum Beispiel toll (in der Bedeutung „großartig“), total („völlig“) oder spinnen („Unsinniges sagen“). Besonders in Medien, die das Interesse des Lesers, Zuschauers oder Zuhörers wecken wollen, werden Wörter aus verschiedenen Stilebenen gebraucht.

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