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Deutsche_Stilistik

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auch der Erzählliteratur aus Sätzen dieses Umfangs besteht.19 Hierzu gehören nicht nur einfache erweiterte Sätze, sondern auch nicht zu lange Satzgliedoder Satzreihen sowie nicht zu komplizierte Satzgefüge. Wir schließen hier einige Satzbeispiele dieser Art aus verschiedenen Textsorten an, urn den Umfang dieser mittleren Satzlänge zu verdeutlichen:

Auch die übrige Welt ist sich nicht einig darüber, bei wem die Schuld zu suchen ist. Die einen verdammen Rawalpindi, das erst jahrelang die Brüder in Ostpakistan ausgebeutet hat und dann versuchte, sie brutal und mit Waffengewalt von der Verselbständigung abzuhalten... (Pressebericht) Mühelos und unter Flüstern und Traumdeuten fanden wir ins erste Kellergeschoß und abermals Stufen hinauf. Die roten Positionslichterchen zeigten den Weg zwischen gestapelten Eisblöcken, den Ausgang, das viereckige Licht. Aber Jenny hielt mich zurück. Keiner sollte uns sehen, denn, »wenn sie uns erwischen«, sagte Jenny, »dürfen wir nie mehr hinein«.

(G. Grass, »Hundejahre«) Die Sätze »mittlerer Länge« sind gut geeignet, alle kommunikativ wie poetisch norwendigen Informationen kombinierter Einzelvorstellungen so zu vereinigen, daß keine gedanklich-inhaltlichen Brüche entstehen. Sowohl temporale als auch kausale, konditionale und andere Beziehungsverhältnisse können in Sätzen dieses Umfangs mit den entsprechenden Hauptsatzaussagen kombiniert werden. Im Gegensatz zu den verhältnismäßig relationsarmen Kurzsätzen sind hier auch attributive Satzgliederweiterungen möglich. Dem geübten Leser bleiben derartige Sätze meistens noch überschaubar, besonders dann, wenn sie in sich mehrfach gegliedert sind. Gliederungsfähigkeit wie Umstellbatkeit der Glieder ermöglichen zahlreiche stilistisch wirksame Satzbauvarianten, so daß der Eindruck stereotyper Satzmusterwiederholungen auch ohne Quantitätsveränderungen vermieden werden kann. Der Wechsel zwischen Sätzen dieses Umfangs mit kürzeren oder längeren Sätzen, wie er in vielen Texten anzutreffen ist, schafft zusätzliche Varianten.

Lange Satze

Die Bevorzugung langer Sätze, die über die mittlere Länge hinausgehen, hat ebenso wie die häufige Wahl kurzer Sätze als wichtiges Stilcharakteristikum eines Textes zu gelten. Nur wenige Dichter – wir nannten schon Kleist und Thomas Mann – sind als Liebhaber langer Sätze, zumeist kunstvoll gebauter Perioden, bekannt. Der lange Satz – soweit er nicht, wie bei Kleist, zeitlich und räumlich nahe oder zeitgleiche Einzelgeschehnisse und -gedanken im Nacheinander der syntaktischen Abfolge bündelt – ist vorwiegend für gedankliche Reflexionen geeignet. Er findet sich in politischen, philosophischen und spezialwissenschaftlichen Texten, die größere Gedankenkombinationen in Einzelsätzen erfordern. Sofern poetische Texte derlei Satzumfang bevorzugen, handelt es sich fast ausschließlich um Texte auktorial erzählender Autoren, die mit dem Erzählgeschehen ihre eigene Kommentierung darbieten.20

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Es sind mehrere Formen des langen Satzes üblich: 1) der erweiterte einfache Satz,

2)das erweiterte Satzgefüge (die Periode) mit mehreren Hauptund Nebensätzen,

3)Sätze mir Reihungen mehrerer Satzglieder oder selbständiger Satze.

Erweiterte Sätze

Bei den erweiterten Sätzen der ersten Form handelt es sich um Aufschwellungen des einfachen, aus Subjekt und Prädikatsteil bestehenden Satztyps. Bekanntlich kann jeder einfache Satz durch weitere Angaben über die mit einem Geschehen oder einer Handlung verbundenen Umstände, Personen, Aspekte u.dgl. bis zur Grenze der Verständlichkeit und der Klarheit erweitert werden. Neben den verschiedenen Erweiterungsmöglichkeiten der prädikativen Aussage (des verbalen Kerns), den Objekten, Umstandsbestimmungen (adverbialen Angaben), Satzadverbien (Modalwörtern) und Partikeln, deren stilistischen Wert wir an anderer Stelle erläutern (vgl. S. 131f.), kommen hier attributive und adverbiale Erweiterungen der nominalen Glieder in Frage. Derartige Satztypen machen bereits einen Großteil der Sätze von mittlerer Länge aus, tauchen aber auch oft bei den »langen« Sätzen auf. Untersuchungen haben gezeigt, daß solche Erweiterungen einfacher Sätze in den verschiedenen Formen zuzunehmen scheinen, jedenfalls als Signum des heutigen »Zeitstils« angesehen worden können. In besonderern Maße gilt dies für die attributiven Erweiterungen von Substantiven (vgl. S. 127).21

Die sprachliche Leistung solcher erweiterten Sätze besteht in. der Kombination mehrerer satzwertiger Informationen in einem Satz, also in einem engen gedanklichen Zusammenhang. Diese komplexen Aussagen sind heute vor allem in Pressemeldungen, politischen, juristischen und wissenschaftlichen Texten verbreitet, wo es auf eine übersichtliche und zusammenfassende Information sowie auf genaue Angaben und Fest1egungen ankommt, ohne daß diese in Einzelsätzen aufgeführt werden müssen. Z.B.:

Die anhand der Jahrgänge 1933 bis 1944 der Zeitschrift der Deutschen Sprach­ vereins geschilderte Entwicklung in einem auf seltsame Weise offiziösen Bereich der Kulturpolitik des Dritten Reiches haben wir zunächst nach politischen Ursachen und Wirkungen zu erklären. (P. v. Polenz, „Sprachpurismus...“)22

Für die Anwendung der Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die gerichtliche Zuständigkeit und die Übernahme, Abgabe oder Überweisung der Untersuchung, Verhandlung und Entscheidung in Strafsachen stehen die in Art. 7 Abs. 1, 2 und 4 genannten Verbrechen und Vergehen den ihnen entsprechenden Verstößen gegen Vorschriften des Strafgesetzbuches gleich.

(StrÄndGes §8) Besonders beliebt sind attributive Erweiterungen des Subjekts in Anfangsstellung (der sogenannten Normalstellung), vielleicht weil auf diese Weise ein großer Teil der Informationsmenge eines Satzes bereits am Satzanfang vermittelt werden kann und die Satzspannung dadurch nicht allzusehr ausgedehnt wird. Stilistisch sind derartige nominale Konstruktionen nur dann

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angemessen, wenn sie übersichtlich und verständlich bleiben. Oft empfiehlt es sich, einzelne Attributionen dieser Art durch Gliedsätze zu ersetzen, um eine bessere Akzentuierung des Wichtigen und eine größere Verständlichkeit zu erreichen; z.B.:

Die Maßnahmen zum Schutze des Trinkwassers, die gestern von den Polizeibehörden eingeleitet wurden, ... anstelle von: Die von den Polizeibehörden gestern zum Schutze des Trinkwassers eingeleiteten Maßnahmen . . .

Satzgefüge

Damit gelangen wir zum zweiten Typ der langen Sätze, zu den Satzgefügen, den syntaktischen Gebilden aus unabhängigen Hauptsätzen und abhängigen Gliedsätzen. Unser letztes Beispiel erinnert daran, daß bestimmte komplexe Satzaussagen, besonders bei längeren Informationen, nicht ohne Auflösung in Gliedsätze auskommen. Durch eine solche Umwandlung bestimmter Satzglieder in Gliedsätze wächst der Satz zwar im Umfang, gewinnt aber meistens an Übersichtlichkeit, wenn die Zahl und Form der Gliedsätze nicht zu groß wird. Manche Autoren bilden mit Vorliebe lange Satzgefüge, um die Komplexität bestimmter Sachverhalte möglichst angemessen, d.h. unter Angabe der verschiedenster Umstände und Beziehungen, auszudrücken. Die Form des Satzgefüges ermöglicht es jedoch auch, gegebene Aussagen durch Einflechtung weniger wichtigir Gliedsätze zu verzögern oder einzuschränken. Die Variationsmöglichkeiten, auf die wir im einzelnen noch zurückkommen (vgl. S. 143 ff.), können auf diese Weise je nach der Art der Satzgefüge unterschiedliche Stilwirkungen zeitigen. Die bessere syntaktische Gliederung kommt nicht nur dem Verständnis zugute, sie bietet auch bessere Mögllichkeiten zu rhythmischer Gliederung und rhetorischer Spannungssteigerung. Während der erweiterte einfache Satz keine strukturelle Pausengliederung kennt und nur vom verstehenden Sprecher nach den inhaltlich-logischen Einheiten angemessen vorgetragen werden kann, besitzt das Satzgefüge klar erkennbare strukturelle Zäsuren in den Gliedsätzen, die dem lesenden Sprecher das Aufnehmen erleichtern und dem Redenden eine abgewogene Stimmführung ermöglichen. Überschaubare Satzgefüge eignen sich daher besser zum mündlichen Vortrag als wenig gegliederte lange Sätze.

Satzgefüge werden in vorbereiteten wie unvorbereiteten Reden bevorzugt, ebenso wie in allen dichterischen Texten, soweit sie sich nicht auf kürzere einfache Sätze beschränken. Selbst im Drama erweist sich die Verwendung überschaubarer Satzgefüge neben kurzen Sätzen, vorwiegend in den Dialogen, als sinnvoll, weil der Vortrag der rhythmischen Gliederung und sprachmelodischen Variation bedarf. Allerdings verbietet hier die Notwendigkeit leichten Verstehens zumeist Erweiterungen zu langen Sätzen. Um so häufiger finden sie sich dafür in der dichterischen und wissenschaftlichen Prosa. Heinrich von Kleists Sätze z.B. sind dafür bekannt, daß sie die verbale Satzspannung durch mehrere Gliedsatzeinschübe über bestimmte Umstände, die das Geschehen determinieren, bis zum äußersten steigern und durch diese Form des Retardierens zugleich die inhaltliche Spannung erhöhen:

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Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloß niederstieg, die alte von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf, fragte sie, indem er auf der Stufe stehenblieb, wo der Junker Wenzel von Tronka sei; und da sie ihm mit schwacher zitternder Stimme zur Antwort gab, sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet, so rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ in Ermangelung der Schlüssel den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte Altäre und Bänke um und fand gleichwohl zu seinem grimmigen Schmerz den Junker nicht.

(Kleist, »Michael Kohlhaas«)

Während Kleist in seinem Satzgefüge die Verbindung von Informationsfülle und dramatisch-situativer Spannung liebt, bevorzugt Thomas Mann die kommentierende, differenzierende oder auch ironisch aufhebende Erweiterung bestimmter Anfangsaussagen, Wir wählen ein verhältnismäßig einfach strukturiertes Beispiel dieser Satzgestaltung:

Die muntere Großtante hatte den Tischgenossen, also den Vettern, der Lehrerin und Frau Stöhr, ein Abschiedssouper im Restaurant gegeben, eine Schmauserei mit Kaviar, Champagner und Likören, bei der Joachim sich sehr still verhalten, ja, nur einzelnes mit fast tonloser Stimme gesprochen hatte, so daß die Großtante in ihrer Menschenfreundlichkeit ihm Mut zugesprochen und ihn dabei, unter Ausschaltung zivilisierter Sittengesetze, sogar geduzt hatte. (Th. Mann, »Zauberberg«)

Auch manche Autoren der Gegenwart greifen auf längere Satzgefüge zurück, ohne jedoch die stilistischen Traditionen Kleists oder Thomas Manns fortzusetzen. Das längere Satzgefüge bildet oft nur noch eine Art von Stauung im Strom der kürzeren Sätze, häufig auch eine Kumulation mit Aufreihungen verschiedener Art.

Robert wollte nicht zum Flugplatz, aber Riebenlamm hatte ihn gefragt, ob er nun zu allem noch feige sein wolle, und da hatte Robert zum erstenmal gemerkt, daß er nicht nur von Trullesand durchschaut worden war, und er war in den Bus gestiegen und hatte erwartet, daß es ihm gehen werde wie Hagen, der Siegfried erschlagen und dem aufgebahrten Toten die Wunde wieder bluten machte durch seine bloße Gegenwart: »dộ kom der künic Gunthệr dar mit sînem man, und auch der grimme Hagene: dar waere bezzer verlân.« (H. Kant, »Die Aula«)

Scheint das längere Satzgefüge auch der Dichtung (bis auf wenige Autoren) zurückzutreten, so wahrt es in zahlreichen politischen, philosophischen und wissenschaftlichen Texten weiterhin seinen Platz. Die Möglichkeit zum Ausdruck bestimmter gedanklicher Beziehungen, die das Satzgefüge bietet, machen es für wissenschaftliche Darlegungen besonders geeignet. Die Grenzen, die Verständnisfähigkeit und Überschaubarkeit dem Satz setzen, werden dabei von den einzelnen Autoren recht unterschiedlich beachtet. Insofern zeigt der funktionale Stil wissen- schaftlich-theoretischer Texte auch gewisse Ausprägungen von Personalstil.

In der didaktischen Stilistik wird häufig vor dem Gebrauch längerer Satzgefüge gewarnt.23 Die Gründe für diese Scheu sind historischer wie empirisch-didaktischer Natur. Längere Satzgefüge tauchen erst im 16.Jh. in verstärktem Maße in deutschen Texten auf24, vermutlich unter dem Einfluß des

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Lateinischen, dessen komplizierte Partizipialkonsruktionen insbesondere von den Humanisten nachgeahmt wurden. Während im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen vorwiegend parataktische vorund nachgestellte Nebensätze (meistens ohne Umstellung des Verbs) üblich sind, seltener eingeschobene Nebensätze25, begegnen nun immer häufiger hypotaktische Satzstrukturen mit Nebensätzen verschiedenster Art in verschiedenen Stellungen sowie mit der Endstellung des Verbs im Nebensatz. Die im Mittelhochdeutschen gewahrte Freiheit der Satzgliedstellung weicht dabei mehr und mehr einer Logisierung des Satzbaus.

Die Blütezeit der weitgespannten Satzgefüge, die nach dem griechischen Vorbild als »Perioden« (aus gr. períodos = Um-Weg, Umwendung) genannt werden, ist im 17. Jh. und frühen 18. Jh. zu sehen. Muster und Regelbeispiele für Variationen dieses Satzbaus lieferte die antike Rhetorik mit ihrer Differenzierung zwischen einem ordo naturalis, der »durchschnittlich sprachüblichen Abfolge der Satzteile im Satz«, und einem ordo artificialis, der »nicht sprachüblichen Abfolge der Satzteile«26, wenn auch der auf besondere Aufmerksamkeit mit Hilfe sprachlicher »Verfremdungen« zielende »ordo artificialis« nicht ohne weiteres mit dem Periodenbau antiker wie neuzeitlicher Autoren gleichgesetzt werden kann.

Während die Rhetoriklehrbücher des frühen 18. Jhs. den langen Satz noch uneingeschränkt verteidigen, setzt im späten 18. Jh. bereits eine Gegenbewegung ein. Sowohl Th. G. von Hippel (1741-1796) als auch J. G. Herder (1744-1803) wenden sich gegen die zwar rhetoriscn formvollendeten, aber oft inhaltsschwächeren Satzgefüge, deren Vorbild in den im Lateinunterricht eingeübten Perioden Ciceros gesehen wird. Die von den Verfechtern des längeren Satzgefüges betonte Angemessenheit der syntaktischen Periode gegenüber der Folge und Komplexität der Gedanken27 weist Herder mit folgenden Worten zurück: »In demjenigen Stil aber, der nur vom Gedanken beherrscht wird, kann die allzu complicierte und gelehrte Perioden-Lagerung, der auch auf der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache viel organisch Hinderliches entgegensteht, fortan kein gültiger Schematismus mehr sein, eben weil sie nichts ist als ein Schematismus.«28 Herder bringt noch ein anderes Argument gegen diese Satzform vor, das auch von anderen Gegnern des Periodensatzes wiederholt wurde: die Andersartigkeit des deutschen Satzes gegenüber dem Satzbau anderer Sprachen. Sie zeigt sich besonders in der Behandlung der Partizipialkonstruktionen und der verkürzten Nebensätze, die im Deutschen weniger häufig und wesentlich umständlicher realisiert werden als beispielsweise im Lateinischen, Französischen, Englischen oder Russischen. Die Versuche deutscher Autoren, informationsreiche Sätze dieser Sprachen in deutschen Perioden nachzubilden, müssen deshalb langatmig und schwerfällig wirken. Wenn nun gar vom Lateinunterricht her der Ehrgeiz bestehe, die Sätze Ciceros nachzuahmen, dessen Stil Theodor Mundt (1808-1861), ein Kritiker der »Periode« im 19. Jh., sogar als einen »Stil der Gesinnungslosigkeit« bezeichnete, als eine »Zungendrescherei der langen und atemlosen Perioden, die aufgeblasene Eitelkeit der Rednerbühne«29, so bedeute dies von vornherein die Gefahr der Schwer-

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fälligkeit, Unübersichtlichkeit und eher nur äußerlichen Satzbauordnung.

Während Herder eine Rückführung der Sätze auf die Grenzen des akustisch und visuell Erfaßbaren sowie einen inhaltlich geprägten Wechsel längerer und kürzerer Sätze empfiehlt und Th. Mundt eine Nachahmung des bewegteren taciteischen Stils mit seinen Ellipsen, Anakoluthen und anderen der mündlichen Sprache nahestehenden Elementen fordert, sehen neuere Stilisten, wie schon erwähnt, in der Meidung der Perioden und der Bevorzugung des kurzen Satzes ein stilistisches Heilmittel. Die Bildung umständlicher Satzgefüge ist im 20. Jh. wohl deshalb zurückgegangen, weil die Teilnahme weiterer Volksschichten (ohne lateinische Stilschulung) an der Schriftund Lesekultur eine stärkere Einwirkung mündlicher Redestrukturen auf die Schriftsprache begünstigte, und zum anderen, weil geänderte Stilideale in der Dichtersprache seit dem 18. Jh. einen natürlichen Sprachstil bevorzugten. Die nunmehr weniger geläufige Periodenbildung konnte so für darin wenig Geübte zur sprachlichen Falle werden, indem sie leicht zu verunglückten Saizbildungen führte. Die Warnung der neueren didaktischen Stilistik vor längeren Satzgefügen erwächst sowohl aus der Auffassung vom »undeutschen« Charakter der Satzperioden als auch aus der Erfahrung häufigen sprachlichen Versagens; sie verkennt dabei jedoch leicht, daß sich diese Form des langen Satzes in jahrhundertelanger schriftsprachlicher Tradition innerhalb der deutschen Sprache einen Platz als vorzügliches Stilmittel gesichert hat, das bei richtiger Handhabung besondere kommunikative und stilistische Aufgaben erfüllen kann und in der künstlerischen wie wissenschaftlichen Literatur auch erfüllt. Wir werden auf die Bildungsweise solcher Satzgefüge noch gesondert zurückkommen (vgl. S. 147ff.).

Satzund Satzgliedreihungen

Die dritte Form des langen Satzes ist die Reihung von mehreren Wörtern im gleichen Satzglied oder mehreren Satzgliedern, Hauptoder Gliedsätzen in einem Satzganzen, also die Form der Aufzählung im Satz. Im Umfang sind solchen Reihungen allein durch die Übersichtlichkeit und kommunikative Verständlichkeit Grenzen gesetzt. Natürlich können auch kürzere oder mittellange Sätze Reihungen aufweisen. Innerhalb der Sätze sind nur die wichtigeren Satzglieder (Substantive, Verben, Adjektive, seltener Pronomina oder Adverbien), alle Teilsätze und alle Arten von Sätzen für derartige Reihungen geeignet.

Beliebt sind Reihungen attributiver Adjektive (vgl. auch S. 122ff.).:

... und sie sagte, ihr sei nicht nach seinen blöden, abgeschnackten, geschnacklosen, albernen, idiotischen, penetranten, gräßlichen, widerwärtigen Witzen, ihr sei nach Hängen und Würgen zumute, nach Mord und Totschlag und Halsabschneiden. (H. Kant, »Die Aula«)

Reihungen von Substantiven als präpositionale Attribute:

Pfui über allen Tod! Durch Schwert, durch Feuer, durch Gift, durch Strick, durch Pfeil! Pfui allem Tod!

(Grillparzer, , »Ein treuer Diener seines Herrn«)

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Reihungen von Verben in prädikativer Stellung (hier neben der Subjektreihung):

Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals – das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen!

(Lessing, , »Minna von Barnhelm«) Schließlich die Reihungen von erweiterten Satzgliedern:

Sie gingen eingehängt zum Boulevard St. Michel, überquerten den Platz, hielten an der Boulangerie. Trabten weiter. Stießen auf d’Harcourt, passierten, liefen zur Bar, standen vor der Luxembourg-Fontäne, gingen in die Source, trieben heraus. (K. Edschmid, »Die Achatnen Kugeln«)

Und die Reihungen ganzer Sätze:

Da tat die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eineMixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. (J. P. Hebel, »Schatzkästlein«)

Solche Satzreihungen sind besonders im volkstümlichen und mündlichen Erzählen üblich. Aber auch die neue Literatur bevorzugt oft Verbindungen von mehreren Sätzen:

Ich setzte mich auf ihr Bett, an die andere Ecke, zündete eine Zigarette an, gab sie ihr, und sie rauchte die erste Zigarette ihres Lebens, ungeschickt; wir mußten lachen, sie blies den Rauch so komisch aus ihrem gespitzten Mund, daß es fast kokett aussah, und als er ihr zufällig einmal aus der Nase herauskam, lachte ich: es sah so verworfen aus.

(H. Böll, , »Ansichten eine Clowns«)

Die Stilwirkung der Wortund Satzreihungen ist zumeist vom Kontest abhängig. Die Zusammenfassung mehrerer gleicher Elemente im Satzganzen bewirkt zunächst den Eindruck des engeren Zusammenhangs und einer rascher drängenden Abfolge der Einzelheiten. Diese Wirkung kommt vor allem dann zustande, wenn auch inhaltlich eine Bewegungsfolge oder eine resultative Darstellung geboten wird.

Die Wirkung des Stilmittels der Reihung im Satz kann durch Kumulation (Häufung) mit anderen Stilmitteln dieses Satzbaus verstärkt werden. Dabei gibt es unterschiedliche Arten der Reihung und unterschiedliche Formen der Koppelung der Einzelglieder, die sowohl in kurzen als auch in mittleren wie langen Sätzen auftreten können. Bereits in anderem Zusammenhang wurden die Zwillingsformeln erwähnt, die in verschiedener Zuordnung begegnen: als Wortpaare synonymer Zuordnung (z.B. klar und deutlich, Kind und Kegel), polarer Zuordnung (z.B. schön und gut), antithetischer Verknüpfung (z.B. gut und böse), als Aufspaltung einer Vorstellung in zwei Wörter (das sog. Hendiadyoin, z.B. bitten und flehen), als Korrektur der Erstbezeichnung durch eine zweite Kennzeichnung (z.B. ein schönes, ein herrliches Gefühl).

Ein Beispiel einer geschickten Charakterisierung durch Wortpaare in unterschiedlichcr Kombination sei aus Thomas Manns , »Lotte in Weimar« angeführt:

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Weimar hat die Fehler und Schattenseiten des Menschlichen, - kleinstädtischer Menschlichkeit vor allem. Borniert und höfisch verklatscht möchte das Nest wohl sein, dünkelhaft oben und dumpfsinnig unten, und ein rechtlicher Mann hat es schwer hier wie überall – vielleicht noch etwas schwerer als überall; die Schelme und Tagediebe befinden sich wie üblich – und wohl noch etwas entschiedener als üblich – obenauf. Aber darum ist es jedoch ein wackeres, nahrhaftes Städtchen – ich wüßte längst nicht mehr, wo anders ich leben wollte und könnte ...

Auf Kombinationen von drei zusammengehörigen Wörtern, Satzgliedern oder Sätzen (Tricolon), wie sie in der klassischen Rhetorik als Steigerungen (gradatio) in aufsteigender oder absteigender Folge (Klimax, Antiklimax) beliebt waren, häufig mit Erweiterungen des dritten Gliedes oder einem vierten Glied als »Achtergewicht« wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen (vgl. S. 64ff.).

Für die klassische Rhetorik war nicht nur die Gruppierung von Aussageelementen in bestimmten Reihungen von Bedeutung, sondern auch die Koppelung dieser Elemente. Dabei wurden zwei Formen unterschieden, die der »syndetischen« und der »asyndetischen« Verbindung {syndeton und asyndeton).

Die syndetische Reihung (bei mehr als zwei Gliedern: polysyndetisch) verbindet die einzelnen Glieder durch Konjunktionen (und, oder, auch, ferner, aber usw.), die asyndetische verzichtet darauf und stellt die einzelnen Glieder unverbunden und nur durch Komma getrennt nebeneinander.

Während im heutigen Deutsch die Normalform der Reihung in einer Kombination beider Formen besteht, wobei die ersten Glieder asyndetisch verknüpft werden und nur das vorletzte Glied mit dem letzten durch und oder oder verbunden wird, werden häufig um der besseren Wirkung willen auch rein syndetische und rein asyndetische Koppelungen vorgenommen oder andere Reihungen verwendet.

Die asyndetische Reihung kann den Eindruck einer ruhigen und sachlichen Aufzählung erwecken:

Der Zug hält in Köln, Düsseldorf, Duisburg, Oberhausen, Essen, Dortmund. Sie kann jedoch auch eine emotional gefärbte Aussage verstärken:

Für ganz Bestimmte? Demnach für Esoterische, Zersetzte, Klüngel, Destruktive, Abgespaltene, Asoziale, Einzelgänger, Intellektualisten, Gezeichnete? (G. Benn, »Weinhaus Wolf«)

O Erd, o Sonne, o Glück, o Lust ... (Goethe, »Mailied«)

Asyndetische Reihungen, besonders von Verben der Bewegung, können aber auch den Eindruck der Hast unterstreichen:

... Kochend wie aus Ofens Rachen Glühn die Lüfte, Balken krachen, Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren. Tiere wimmern

Unter Trümmern

Alles rennet, rettet, flüchtet... (Schiller, »Das Lied von der Glocke«) 88

Asyndetische Verknüpfungen liegen auch vor, wenn kausale, temporale, konditionale oder andere Konjunktionen ausgespart werden:

Er konnte nicht kommen; (denn) er war krank. Haben wir schönes Wetter, gehen wir spazieren.

Die polysyndetische Verknüpfung suggeriert oder verstärkt dagegen die Wirkung der Zusammengehörigkeit der Teile:

Einigkeit and Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.

(Hoffmann v. Fallersleben) Die polysyndetische Reihung kann auf diese Weise auch auseinanderliegende Ereignisse in ein enges Nebenoder Nacheinander einordnen.

Erinnert sei auch an die häufigen und im volkstümlichen oder kindlichen Erzählen (vgl. S. 57), durch die der Sprecher sich und den Zuhörern den Handlungszusammenhang zu verdeutlichen sucht, indem er mögliche Pausen durch ständige »und«-Verbindungen überspielt.

Diese Form der Verknüpfung wurde insbesondere von manchen Balladendichtern zur Spannungssteigerung benutzt:

Und es wallet und siedet und brauset und zischt.. . (Schiller, »Der Taucher«)

Die intensive Eindruckswirkung der Pausenlosigkeit wurde schließlich in unserer Zeit von der Werbung in ähnlicher Weise aufgegriffen:

Er läuft und läuft und lauft... (VW-Werbung)

Die Verknüpfung mit und ist die häufigste Form der polysyndetischen Bindung, nur die Konjunktion oder wird ebenfalls zur Reihung mehrerer Elemente verwendet.

In der umgangssprachlichen wie in der dichterischen Sprache werden allerdings oft Kombinationen von beiden Verknüpfungsformen angewendet, sofern auf diese Weise die Wirkung der Aussagen nicht eingeengt, vielmehr gesteigert wird. Wir fügen zum Schluß ein Musterbeispiel einer sowohl syndetisch als auch asyndetisch verknüpften Gliedsatzreihung an, das schon von den Zeitgenossen des Dichters als stilistische Leistung bewundert wurde:31

Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohem Grase am fallenden Bach liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des AllLiebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! wenn’s dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhen wie die Gestalt einer Geliebten – dann sehn’ ich mich oft und denke... (Goethe, »Die Leiden des jungen Werthers«)

Die Reihung syndetisch und asyndetisch verbundener konditionaler Gliedsätze (deren Interpunktion hier Ausdruck subjektiver Zäsuren ist) ist mit

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