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Deutsche_Stilistik

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Im umgekehrter Weise können substantivische Ableitungen von Adjektiven (auf -keit, -heit) mit den entsprechenden Adjektiven wechseln (geringe Bedeutungsunterschiede sollen dabei unberücksichtigt bleiben):

Sie wollen frei bleiben. – Sie wollen ihre Freiheit bewahren.

Alle Dinge sind vergänglich. – Die Vergänglichkeit aller Dinge ...

Er war ganz benommen. – In seiner Benommenheit ...

Der abstrakte Charakter, der mit den Adjektivlexemen bereits angedeutet ist, wird durch die Substantivierungen noch gesteigert; insoweit sind die Aussagenpaare nicht ganz kongruent, können jedoch wegen des gleichen Sachbezugs und der semantischen Ähnlichkeit als stilistische Variationen gelten. Die stilistische Substituierbarkeit zwischen Adjektiven und Verben ist weniger ausgebildet. Zwar gibt es die Möglichkeit, bestimmte Adjektivlexeme zur Verbbildung zu nutzen, z.B.: grün → grünen; hell → erhellen, aufhellen; einig → einigen; doch spielen dabei die Aktionsarten der jeweiligen Verben eine besondere Rolle. Adjektivlexeme liegen fast ausschließlich faktitiven oder ingressiven bzw. inchoativen Verben zugrunde, die die Realisierung eines Zustandes oder den Beginn bzw. Verlauf einer Entwicklung anzeigen (ahd. jan- und ên-Verben). Soll eine Bedeutungsgleichheit zwischen Adjektivsätzen und den entsprechenden Verbsätzen erreicht werden, so muß das Verb der Adjektivsätze diese zugrunde liegende Aktionsart ebenfalls ausdrücken (z.B. grün werden: grünen, größer machen: vergrößern).

Da als Verbergänzung der einzelnen Adjektive fast nur semantisch schwache Verben wie »werden« und »machen« in Frage kommen, empfiehlt sich allerdings meistens, bei den abgeleiteten Verben zu bleiben, die gefälliger wirken und das Prozeßhafte des Vorgangs stärker suggerieren.

Stilistische Varianten in der Wortbildung der Wortarten

Der stilistisch bedeutsame Wechsel zwischen den Wortarten erstreckt sich indessen nicht nur auf die drei Hauptwortarten untereinander, sondern auch auf unterschiedliche Wortbildungsweisen innerhalb der einzelnen Wortarten; z.B. sind die semantischen Unterschiede zwischen den nomina agentis (Tätigkeitsbezeichnungen) auf -er und den Partizipien I der entsprechenden Verben so gering, daß beide durchaus als synonyme stilistische Varianten angesehen werden können:

der Schläfer – der Schlafende

Allerdings sind beide Formtypen – vielleicht wegen der entstehenden Redundanz (Uberflüssigkeit) – in der Wortbildung wenig genutzt worden, so daß bisweilen nur semantische Alternativformen existieren:

die Schüler – die Lernenden; die Arbeiter – die Schaffenden

Partizipbildungen finden sich besonders häufig bei intransitiven Verben (die Ankommenden, die Blühende, die Liegenden, die Badenden usw.)

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-er-Bildungen bei transitiven Verben (Käufer, Trinker, Esser, Läufer, Dreher usw.).5

Gelegentlich kommen auch bei anderen Substantivbildungen morphologische Doppelformen vor. So können unterschiedliche Abstraktabildungen als annähernd synonym aufgefaßt und entsprechend verwandt werden: Krankheit – Erkrankung, Bosheit – Boshaftigkeit, sein Kommen – seine Ankunft.

Ähnliche Erscheinungen, die auf den Wechsel der Gültigkeit von Wortbildungstypen zurückgehen und nun stilistische Variationen begünstigen, gibt es bei anderen Wortarten. So treten bei adjektivischen Herkunftsbezeichnungen gelegentlich solche älterer Art auf -isch und jüngere auf -er nebeneinander auf (wobei letztere offenbar aus genitivischen Bewohnerbezeichnungen hervorgegangen sind):

ein schweizerischer Geschäftsfreund – ein Schweizer Geschäftsfreund die Kölnische Rundschau – der Kölner Stadt-Anzeiger

(Zeitungsnamen) der wienerische Charme – der Wiener Charme.

Bei anderen adjektivischen Ableitungen ist ein synonymes Nebeneinander unterschiedlicher Wortbildungstypen recht selten: Es gilt auch nicht in allen Wortverwendungen, man vergleiche z.B.:

schmerzlich – schmerzvoll – schmerzhaft

schaurig – schauerlich, mitternächtig – mitternächtlich ehrfürchtig – ehrfurchtsvoll

ehrbar – ehrlich – ehrenhaft.

Wo früher Synonymität bestand, hat sich der Wortsinn oft im Laufe der Zeit bedeutungsmäßig differenziert: geistig – geistlich, herzig – herzlich, tätig – tätlich.6

Semantisch recht nahe stehen sich auch adjektivisches Grundwort (Simplex) und Ableitung (Derivation), ohne daß hier von Bedeutungsidentität gesprochen werden kann. Synonyme Verwendung ist jedoch in Einzelfällen möglich:

sauber – säuberlich, reich – reichlich

(Er wurde reich beschenkt – er wurde reichlich beschenkt aber: ein reicher Mann und nicht »ein reichlicher Mann«.)

Auch Ableitungssuffixe von Fremdwörtern sind hier zu nennen: vgl.: formal – formell – förmlich.

Derartige mitunter recht feine Bedeutungsnuancierungen erlauben dem geübten Stilisten recht differenzierte Charakterisierungen. So ist z.B. ein dümmliches Mädchen nur im abgeschwächten Sinne als »dumm« anzusehen; erweckt ein ärmliches Kleid nur den Eindruck der Armut.

Im Bereich der Verben sind morphologische Doppelformen noch seltener, weil hier die Vereinheitlichung der bedeutungsdifferenzierenden Ableitungsendungen schon sehr früh eintrat und neuere Bedeutungsdifferenzierungen nur noch durch Vorsilben signalisiert werden.

Manchmal sind die Bedeutungsunterschiede zwischen Grundwort und Ableitung allerdings auch hier recht gering, so daß nahezu synonyme Aussagen vorliegen: 166

Er grüßt ihn. – Er begrüßt ihn.

Er beendete den Lehrgang. – Er beendigte den Lehrgang.

Besonders bei einfachen Verben und Ableitungen auf -ieren ist dies in manchen Wendungen sichtbar:

Er spendete 10 Mark. – Er spendierte 10 Mark. Er erprobte das Rezept. – Er probierte das Rezept.

Häufiger sind dabei grammatische Unterschiede der Kasusrektion oder Verbvalenz, da intransitive Verben durch Vorsilben transitiv werden:

Er riet den Eltern. – Er beriet die Eltern.

Er antwortete auf den Brief. – Er beantwortete den Brief. Er wohnte in dem Zimmer. – Er bewohnte das Zimmer.

Zuweilen entstehen auf diese Weise Modebildungen, die gegenüber älteren Wörtern umständlicher wirken: enthalten – beinhalten (z.B. Seine Antwort enthielt manchen neuen Gedanken. – Seine Antwort beinhaltete manchen neuen Gedanken). Echte Synonymbildungen im verbalen Bereich sind jedoch bei Ableitungen von bestimmten Wörtern und Kombinationen mit dem Grundwort und einem entsprechenden Vorgangsverb gegeben:

Antworten – zur Antwort geben

beenden – zu Ende bringen/führen; anrechnen – zur Anrechnung kommen.

Im Rahmen der gegenwärtig bestehenden Neigungen zahlreicher Sprecher zu nominalen Ausdrucksweisen werden derartige Bildungen häufiger verwendet, selbst dann, wenn eine rein verbale Alternativform zur Verfügung steht. Allerdings darf hierbei nicht verkannt werden, daß durch solche nominalisierenden Ausdrucksweisen auch bestimmte Ausdrucksaspekte (z.B. die ingressive Aktionsart bei in Gang setzen u.ä.) dieser Verben neu belebt werden. In der Stilistik wurden diese »Funktionsverben« lange Zeit als typische Erscheinungen eines unlebendigen Amtsstils betrachtet7, sie nehmen jedoch heute über den funktionalen Stil des öffentlichen Verkehrs hinaus zu (vgl. S. 226).

Wechsel der Kasusrektionen

Vom stilistisch relevanten Wechsel zwischen den Wortarten wenden wir uns den Möglichkeiten des Wechsels in den Kasusrektionen der Substantive zu, der Fähigkeit bestimmter Wortarten (Verben, Adjektive, Präpositionen), bestimmte Kasus abhängiger Substantive oder Pronomina zu bestimmen, zu »regieren«. Die Erfahrungen der Sprachgeschichte lehren indes, daß derartige Zuordnungen nicht für alle Zeiten gelten. Auch heutzutage ist das Nebeneinander älterer und jüngerer Rektionen zu beobachten, das ein Nebeneinander fast durchweg synonymer Ausdrucksformen im Bereich der Verb-

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ergänzungen ermöglicht. Für die Stilwahl und Stilanalyse kann dabei von Interesse sein, für welche der Wahlmöglichkeiten sich der Autor wiederholt entscheidet. Doppelformen entstehen hier vor allem aufgrund der zunehmenden Durchsetzung präpositional eingeleiteter Substantive und Substantivgruppen anstelle reiner Objektskasus. Diese Entwicklung betrifft insbesondere den Genitiv und den Dativ. Die Duden-Grammatik (Nr. 5565) führt etwa 70 Verben mit schwankender Rektion auf, die alternative Kasuszuordnungen erlauben. Manche davon spiegeln ein offenbares Nebeneinander älterer und neuerer Gebrauchsweisen, z.B.:

Er erinnerte sich der vergangenen Zeit. – Er erinnerte sich an die vergangene Zeit.

Es lohnt der Mühe nicht. – Es lohnt die Mühe nicht.

Ich kann mich seiner entsinnen. Ich kann mich an ihn entsinnen.

Bei anderen bestehen häufig (vor allem im mündlichen Sprachgebrauch) Zweifel über die richtige Kasusverwendung:

Es kostet mich zehn Mark. – Es kostet mir zehn Mark. Es kostet für mich zehn Mark.

Das kommt mir teuer zu stehen. – Das kommt mich teuer zu stehen. Die Füße schmerzen mich. – Die Füße schmerzen mir.

In zahlreichen Fällen ist das Nebeneinander längst grammatisch legalisiert:

Ich schreibe ihm/an ihn. Ich sagte ihm/zu ihm. Ich vertraue ihm/auf ihn. Ein Wagen folgte dem anderen/auf den anderen.

Doch auch bei den Verben, denen die Grammatiken noch eindeutige Kasusrektionen zuordnen, tauchen bereits gelegentlich Präpositionalgefüge auf, die das Zuordnungsverhältnis zwischen Objekt und Verb genauer bestimmen:

Er besann sich eines Besseren. – Er besann sich auf Besseres.

Zuweilen wird statt auf ein abgeleitetes Verb, das den Genitiv fordert, auf die Grundform zurückgegriffen, die ein präpositionales Gefüge erfordert:

Es ermangelt des Wassers in der Burg. – Es mangelt an Wasser in der Burg.

Ältere Wendungen mit Genitivrektion wirken gehobener, vornehmer als die häufiger verwendeten akkusativischen oder präpositionalen Wendungen und finden sich daher zumeist in dichterischen Texten traditioneller Art:

Ja, er empfand Zephyrs schmerzenden Neid auf den Nebenbuhler, der des Orakels, des Bogens und der Kithara vergaß, um immer mit dem Schönen zu spielen. (Th. Mann, »Tod in Venedig«)

Grammatische Varianten innerhalb des Verbsystems

Während im Bereich der substantivischen und adjektivischen Flexion Wahlmöglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks nur zwischen älteren und neueren Kasusbindungen oder unterschiedlichen Wortbildungstypen bestehen, alle

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übrigen grammatischen Beziehungen jedoch eindeutige Festlegungen erfordern, ist das Formensystem des Verbs von vornherein auf die Konkurrenz mehrerer Formklassen angelegt, wie sie sich aus den sprachlichen Oppositionen von Indikativ und Konjunktiv, Aktiv und Passiv sowie aus den verschiedenen Tempusformen (Zeitstufen), resthaft auch aus den verschiedenen Formen des Ausdrucks der Aktionsarten, ergeben.

Dieser Hinweis auf den Reichtum des deutschen Verbalsystems an stilistischen Variationsmöglichkeiten darf nicht so verstanden werden, als gäbe es keine grammatische Formenstrenge, als seien der subjektiven sprachlichen Entscheidung alle Pforten geöffnet. Der einzelne Sprecher ist auch hier an die Beachtung der Grammatikalität, an die Einhaltung des jeweiligen formal-strukturellen Regelsystems und seine paradigmatischen Gruppennormen gebunden. Eine gewisse stilistisch bedeutsame Freiheit bestitzt er jedoch bei der Wahl der genannten sprachlichen Oppositionen. Es ist von seiner Sicht der Dinge und seiner Darstellungsabsicht abhängig, ob er ein Geschehen in der Form des Indikativs oder des Konjunktivs, im Tempus der Gegenwärtigkeit (Präsens) oder in einer der Vergangenheitsformen erzählt, ob er einen Vorgang als andauernd oder abgeschlossen betrachtet und dementsprechend sprachlich kennzeichnet. Sowohl die Wahl der jeweils dominierenden Formklasse (z.B. Präteritum-Indikativ) als auch einzelne Wechsel in alternative Formklassen (z.B. Präteritum-Konjunktiv) sind somit als stilistische Entscheidungen anzusehen. Allerdings werden, wie die funktionale Stilbetrachtung lehrt, derartige Entscheidungen zumeist mit der Wahl einer bestimmten Textform (Gattung) gekoppelt. Wer sich zur Abfassung einer Erzählung entschließt, wählt oft zugleich das Präteritum als dominierende Tempusform, wer eine Gebrauchsanweisung schreiben will, das Präsens usw. (vgl. S. 280ff.).

Neben diesen kategorialen Stilmöglichkeiten bietet das deutsche Verbsystem manche Möglichkeiten der Variation durch umschreibende Nebenformen (z.B. beim Konjunktiv) sowie durch Übergänge in andere Wortarten (z.B. Partizipien, Infinitivsubstantivierungen).

Möglichkeiten des Wechsels im Tempussystem

Das grammatische Tempussystem ist in letzter Zeit wiederholt Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen geworden8, die besonders auf die engen Beziehungen zwischen der Wahl des grammatischen Tempus und der beabsichtigten Erzählweise eines Autors hingewiesen und somit die stilistische Bedeutung des Tempus unterstrichen haben.9

Als wichtigste Einsicht der verschiedenen Untersuchungen ergab sich, daß grammatische Tempusgruppen und die meßbaren tatsächlichen Zeitstufungen außersprachlicher Wirklichkeitsvorgänge nicht stets einander bedingen oder miteinander konform oder identisch sind. Die von einem Sprecher jeweils gewählten Tempusstufen sind vielmehr von kommunikativen (situativen und gattungsmäßigen) Erfordernissen abhängig und signalisieren dann

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Aussage-Perspektiven des Sprechers, seine Charakterisierung von Geschehnissen durch bestimmte Grade und Relationen von Allgemeingültigkeit, Präsentation, Erwartung, Erleben, Erinnerung, Kontinuität, Sukzession und Abstufung. Der Sprecher kann nicht willkürlich Tempusformen wählen, er ist bei der Wahl weitgehend an bestimmte Grundstufen und Komplementär-Stufen der jeweiligen sprachlichen Darstellungsform gebunden. Er hat aber dazu und darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten der Variation, die ebenso wie die gewählte Grundform bestimmte Aussagewirkungen zeitigen und als individuelle wie funktionale Stileigentümlichkeiten angesehen werden können.

Im einzelnen kennt die deutsche Sprache zwei synthetisch gebildete (d.h. Lexem und Morphemzeichen in einem Wort verbindende) Tempora (Präsens und Präteritum bzw. Imperfekt) und vier analytisch (d.h. aus zwei «Wörtern« gebildete) grammatische Tempora (Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II). Daneben kann die Tempusform des Textes durch zusätzliche oder (neben tempusneutralem Präsens) ausschließliche Tempusadverbien bzw. temporale adverbiale Angaben ausgedrückt werden.

Nur wenige Textformen lassen das Nebeneinander mehrerer Tempora im gleichen Text zu, die meisten beschränken sich auf ein Haupttempus und erlauben allenfalls bestimmte »Nebentempora«.

Der Wechsel der Tempusformen im Deutschen

Soweit es sich bei den grammatischen Tempora um Kennzeichen bestimmter Aussageperspektiven mit unterschiedlicher zeitbezogener Abstufung handelt, sind hier auch geregelte Abfolgen einzelner Tempora möglich. Sie beziehen sich sowohl auf die Tempusverhältnisse einzelner Sätze im gleichen Text als auch auf die Tempusverhältnisse zwischen Hauptund Nebensatz im Satzgefüge. Hier gelten noch in begrenztem Maße die aus dem Lateinischen übernommenen Regeln der consecutio temporum (Zeitenfolge) mit den Verhältnissen der Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit.

Der Begriff der Gleichzeitigkeit besagt, daß zwei im Textkontakt und gleichem Tempus stehende Ereignisse als in der gleichen Zeitstufe sich vollziehend aufgefaßt werden; er bedeutet aber keine absolute Synchronie. Die Verben der beiden Sätze:

Das Mädchen lag im Bett, schlief und träumte und Das Mädchen legte sich ins Bett, schlief ein and träumte, stehen im Verhältnis der Gleichzeitigkeit, obwohl die drei Vorgänge des ersten Satzes simultan, die des zweiten Satzes sukzessiv vor sich gehen. Heißt es jedoch: Das Mädchen hatte sich ins Bett gelegt, ich lief nun und träumte, so steht das erste Verb zu den beiden folgenden im Verhältnis der Vorzeitigkeit. Ebenso wenn es heißt: Das Mädchen hat sich ins Bett gelegt und schläft und träumt (jetzt).

Verhältnisse der Gleichund Vorzeitigkeit können unter anderem Aspekt auch als solche der Nachzeitigkeit erscheinen, wenn das im untergeordneten Satz ausgedruckte Sein oder Geschehen dem im übergeordneten Satz folgt, z.B.: Das Kind spielt (spielte) im Bett, bis es einschläft (einschlief). – Das Kind

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wird im Bett spielen, bis es einschläft u.ä. Wird ein Sein oder Geschehen als dauernd gültig oder als sich wiederholend empfunden, so erscheint es in einer tempusneutralen (atemporalen) Präsensform unabhängig von der Zeitenfolge, z.B.

Er sah den Berg, der über dem Dorf aufragt. – Er wird den Berg sehen, der über dem Dorf aufragt.

In Tabellenform ergeben die Regeln der Zeitenfolge diese Ordnung (seltener gebrauchte Kombinationen in Klammern):

 

 

 

Zeit A

Zeit B

Beispielsatz

(übergeordn.)

(untergeordn.)

 

 

 

 

Vorzeitigkeit:

 

Wir freuen uns, daß er gekommen ist.

Präsens

Perfekt:

Präterit.

Pl.qu.perf.:

Wir freuten uns, daß er gekommen war.

(Perfekt)

(Perfekt):

Ich habe gesehen, daß er es getan hat.

(Pl.qu.perf.)

(Pl.qu.perf.):

Er hatte ihn erkannt, obwohl er

 

 

ihn vorher nie gesehen hatte.

Perfekt

Pl.qu.perf.:

Er hat mit ihm gesprochen,

 

 

sobald er ihn erreicht hatte.

(Futur I)

(Präsens):

Er wird nicht reisen, bevor er es weiß.

(Futur I)

(Perfekt):

Er wird nicht reisen, bevor er es

 

 

gesehen hat.

Gleichzeitigkeit:

Wir freuen uns, wenn er kommt.

Präsens

Präsens:

Präteritum

Präteritum:

Wir freuten uns, als er kam.

(Perfekt)

(Perfekt):

Wir sind zu Hause geblieben,

 

 

während es geregnet hat.

(Perfekt)

(Präteritum):

Wir haben uns gefreut, als er kam.

Futur I

Präsens:

Wir werden um freuen, wenn er kommt,

Nachzeitigkeit:

 

Ich warte, bis er kommt.

Präsens

Präsens:

Präteritum

Präteritum:

Ich wartete, bis er kam.

Perfekt

Präteritum:

Ich habe gewartet, bis er kam.

Präteritum

Pl.qu.perf.:

Ich wartete, bis er eingeschlafen war.

Perfekt

Pl.qu.perf.:

Ich habe gewartet, bis er einge-

 

 

schlafen war.

Pl.qu.perf.

Präteritum:

Er hatte warten müssen, bis ihn

 

 

jemand abholte.

Futur I

Präsens:

Ich werde so lange warten, bis

 

 

ich ihn sehe.

Präsens

Futur I:

Wir bleiben zu Hause, weil es

 

 

regnen wird.

(Futur I)

(Perfekt):

Ich werde warten, bis ith ihn

 

 

gesehen habe.

(Futur II)

(Präsens):

Ich werde dort gewesen sein,

 

 

bevor er kommt.

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Die Übersicht zeigt, daß mehr Kombinationen zulässig sind, als die Angaben der meisten Grammatiken ahnen lassen. Darüber hinaus finden sich im Sprachgebrauch auch bei bedeutenden Schriftstellern Abweichungen von den hier aufgezeigten Möglichkeiten, z.B. wenn im Nebensatz ein längeres (vorzeitiges) Geschehen bezeichnet wird:

Heute in acht Tagen muß ich das Leben, das mein Freund in Paris führte, ...

kennen. (W. Jens)

Oder wenn ein größerer Zeitabstand zwischen einem vorzeitigen Ereignis und der Gegenwart der Schilderung besteht:

Wie ich eben in ihren Notizen blättere, finde ich noch einen Zettel, den ich früher übersehen hatte. (Chr. Wolf, »Nachdenken über Christa T.«)

Bei Vermutungen und Kennzeichnungen bloßer Möglichkeiten werden übliche Ternpusverhältnisse ebenfalls gern durchbrochen (wie auch die Entwicklung des Futur II, besonders der 3.Person, zeigt):

Aber Gott kann doch nicht, als er den Menschen bastelte, schon mit der Erfindung der Photographie gerechnet haben. (M. Walser, »Halbzeit«)

Ähnliches gilt für Bewußtseinsinhalte wie für manche Inhaltssätze:

Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind. (M. Frisch, »Homo Faber«) Tatsächlich, ich bin stolz darauf gewesen, daß mir das mit der Kohle eingefallen war. (G. Gaber, »Schlußball«)

Beim Gebrauch des atemporalen Präsens zum Ausdruck zeitlos gültiger oder sich wiederholender Angaben können alle übrigen Tempora in allen Zeitenfolgeverhältnissen mit dem Präsens kombiniert werden:

In Neu-Spuhl sprach man davon, was die Sachen kosten. (G. Gaiser, »Schlußball«)

Der halbe Pionier schwoll and schwoll wie ein ungeheuerer Schwamm, der sich mit bleiernem Blut vollsaugt. (H. Böll, »Die Essenholer«)

Er hatte gesehen, wie ein Mensch stirbt.

Wir werden ihn dort treffen, wo das Denkmal steht.

Die aufgeführten Möglichkeiten der Zeitenfolge sollten allerdings nicht zu dem Schluß führen, daß hier Regellosigkeit herrscht, sie zeigen jedoch an, daß manche stilistischen Variationen zulässig sind.

Die stilistische Bedeutung und Eigenart der einzelnen Tempusformen wird auch bei einem Überblick über Besonderheiten dieser Formen sichtbar.

Die stilistischen Besonderheiten der einzelnen Tempusformen

Präsens (Gegenwartsform, 1. Stammform)

Das Präsens ist die Tempusform, mit deren Hilfe der Sprecher einen Sachverhalt als gegenwärtig seiend oder geschehend oder als allgemeingültig empfunden beschreibt. »Ablaufendes, Bestehendes, Geltendes faßt der Sprecher mit der (1. Stamm-)Form des Präsens als bewußtseinsnahe ›Gegen-wart‹ = das ihm Entgegenund Zugewandte, mit dem er es zu tun hat.10« Es kann

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sich dabei um die Kennzeichnung einer vorhandenen oder möglichen gleichzeitigen Gegenwärtigkeit eines außersprachlichen Faktums handeln, wie z.B. in der Fernsehansage: Es ist genau 20 Uhr 15. Wir schalten um nach Frankfurt, oder einen gegebenen oder möglichen andauernden oder sich wiederholenden Zustand:

Er ist krank. München liegt an der Isar. Jeden Morgen geht die Sonne auf. Bronze ist eine Metallegierung. Dreimal drei ist neun.

Die genannten Beispiele lassen eine aktuale (momentane) und eine atemporale (ständige) Bedeutung des Präsens erkennen.11 Beide Bedeutungen treten meistens alternativ auf und werden dabei durch die Wortwahl (perfektive oder durative Verben), die Situation (Er ist [z.Z.] krank – er ist [immer] krank) oder durch temporale Adverbien (jetzt, nun, immer) näher charakterisiert. Während das atemporal verwendete Präsens alleiniges Tempus bestimmter Aussagen ist, steht das aktuale Präsens, das die subjektive Einschätzung der Gegebenheiten ausdrückt, in Opposition zu den anderen Tempora, durch die das Geschehen als in anderen Zeitrelationen gegeben betrachtet werden kann. Das Präsens kann deshalb auch als «temporale Nullform« bezeichnet werden.

Die genaue Zeitdauer oder der Zeitabstand der ausgedrückten Sachverhalte wird nicht durch die sprachlichen Formen, sondern nur durch ihre Inhalte gekennzeichnet. Sachverhalte wie Es blitzt und Die Erde existiert rund drei Milliarden Jahre haben die gleiche Tempusform, entsprechen aber extrem verschiedenen Zeitdimensionen. Die Wahl der Präsensform durch den Sprecher bringt davon nur die für ihn gegenwärtige Gültigkeit zum Ausdruck. Das Präsens ist somit – wie alle Tempusformen im Deutschen – eine perspektivischegozentrische grammatische Kategorie.12

Trotz dieser subjektiven Gebundenheit des Präsens (das freilich auch zum Ausdruck von als objektiv geltenden und nachweisbaren Gegebenheiten erscheint) wird es in zahlreichen unterschiedlichen Textsorten als durchgängige Tempusfarm gebraucht. Diese ließen sich nach der aktualen und nach der atemporalen Präsensverwendung weiter differenzieren. Das aktuale Präsens findet sich in Reportagen, bestimmten Gegenwartsnachrichten, Erzählberichten und Reden in Politik und Wirtschaft, das atemporale Präsens dagegen in Texten der Wissenschaft, Gesetzgebung, in Kommentaren, in Inhaltsangaben, in bestimmten Werbetexten imperativischer wie konstatierender Art, Gebrauchsanweisungen, Lehrtexten, Sprichwörtern, Aphorismen, Essays und in einigen Dichtungsformen.

Die Tempusformen der Dichtung bedürfen dabei einer differenzierteren Betrachtung. Die meisten literarischen Aussageforrnen (bis auf Lehrdichtungen u.ä.) weisen in unterschiedlichem Maße Tempusdifferenzierungen auf, vergegenwärtigen bestimmte Situationen, Handlungen, Vorgänge, die als Erzählgegenwart, -vergangenheit, -zukunft »repräsentiert« werden können. Unter diesem Aspekt wäre eine Auffassung der hier begegnenden Präsensformen als aktuales Präsens gerechtfertigt. Andererseits besitzt gerade die »Repräsentation« von Dichtung einen Wirklichkeitscharakter eigener Art. Die Wiederholbarkeit des Erlebens von Dichtung rückt ihre Tempusformen in den Bereich des Atemporalen.13

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