Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Deutsche_Stilistik

.pdf
Скачиваний:
268
Добавлен:
11.02.2015
Размер:
2.01 Mб
Скачать

weiteren Stilmitteln durchsetzt (sich steigernde Reihungen, Wortwiederholungen usw.) und erweckt den Eindruck einer lebensvollen Gedrängtheit, die das Gefühl zu überwältigen scheint.

Die Formen der Koppelung von syntaktischen Reihenelementen werden heute oft als selbstverständlich hingenommen. Da jedoch auch hier verschiedene Möglichkeiten genutzt werden können, haben wir es mit einem Stilmittel besonderer Art und Wirkung zu tun.

Die stilistische Bedeutung der Satzarten

Alle vollständigen Sätze gehören bestimmten »Satzarten« (Satztypen) an, Grundformen der Satzgestaltung, die sich aufgrund verschiedenartiger Kommunikationsleistungen in Wortstellung, Lexik und Intonation (bzw. Interpunktion) unterscheiden. Je nach der Art der Stellungnahme eines Sprechers zu einem besonderen Sachverhalt und der davon abhängigen Satzstruktur gliedern wir die Satzarten als Aussage-, Frage-, Aufforderungsund Ausrufesätze. Die auf diese Weise inhaltlich differenzierten Satzarten sind nicht nur für die Grammatik interessant, sondern auch für die Stilistik, handelt es sich doch hierbei um sprachliche Ausdrucksformen, die sich unterschiedlicher stilistischer Mittel bedienen und unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Der gleiche Sachverhalt kann uns ebenso zu sachlichen oder gefühlsmäßig bestimmten Feststellungen im Aussagesatz bewegen wie zu ungeduldigen Erkundigungen im Fragesatz oder zu erstaunten Ausrufen, vielleicht sogar zu entsprechenden Aufforderungen. Die Stellungnahme wird jeweils eine andere sein, ebenso wie die Wirkung der verwendeten Ausdrucksmittel. Der Wechsel der Satzarten kann dementsprechend die Stilwirkung eines Textes erhöhen. Nicht selten nutzen einzelne Autoren diese Tatsache, um die Lebendigkeit ihrer Aussagen zu steigern. Wir suchen dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, indem wir einigen Sätzen des Anfangs von Goethes »Werther« eine Umformung in lauter Aussagesätze gegenüberstellen:32

Original

dich, den ich so liebe und von dem ich

Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester

unzertrennlich war, verlassen habe. Ich

Freund, was ist das Herz des Menschen!

weiiß, du verzeihst es mir. Meine übrigen

Dich zu verlassen, den ich so liebe, von

Verbindungen scheinen vom Schicksal

dem ich unzertrennlich war, und froh zu

ausgesucht worden zu sein, um ein Herz wie

sein! Ich weiß, du verzeihst mir’s. Waren

das meine zu äng-stigen. So auch die arme

nicht meine übrigen Verbindungen recht

Leonore. Doch muß ich gestehen, daß ich

ausgesucht vom Schicksal, um ein Herz

unschuldig war.

wie das meinige zu ängstigen? Die arme

 

Leonore! Und doch war ich unschuldig!

 

Umformung

 

Ich bin froh, daß ich weg bin. Bester

 

Freund, ich frage, was das Herz des

 

Menschen ist. Ich bin so froh, obwohl ich

 

90

Obwohl die Umformung Wortlaut und Gedankenverlauf des Goethetextes zu wahren sucht, kommt sie nicht ohne Umstellungen, Ergänzungen, Umschreibungen und Umwandlungen aus und erreicht bei weitem nicht di suggestive Wirkung des Originals, das den Aussagen, ja selbst einer Frage, die Form von Ausrufen verleiht und die Sätze durch Ellipsen und Fragen auflockert.

Die Beispiele zeigen, daß der gleche Textinhalt den Ausdruck in unterschiedlichen Satzarten zuläßt. Natürlich gilt dies nicht für alle Teste. Emotional gefärbte Ausrufe wären z.B. in wissenschaftlichen Texten, in Gegenstandsbeschreibungen oder Arbeitsanweisungen unangemessen. Aufforderungssatze sind noch weniger in allen Textsorten zulässig, da ihr kommunikativer Spielraum viel enger begrenzt ist. Dagegen sind im Rahmen der Aufforderungsfunktionen auch andere Satzarten einsetzbar, wie wir noch im einzelnen sehen werden. Gerade diese Möglichkeit der Verwendung einzelner Satzarten in anderen als den für sie spezifischen sprechsituationen macht sie als Stilmittel besonders interessant.

Der Aussagesatz

Es gehört zu den Eigenarten der menschlichen Rede, daß in ihr die Formen feststellender Aussagen dominieren. Alles, was wir in der uns umgebenden Wirklichkeit wahrnehmen, was wir in unserer Phantasie ausmalen, als Gefühl empfinden, in unserem Denken entwickeln, folgern oder als Absicht bekunden, können wir in die Form von Aussagesätzen kleiden. Der Anwendungsspielraum des Aussagesatzes ist daher besonders groß.33

Strukturell sind alle Aussagesätze dadurch gekennzeichnet, daß das finite Verb in der Regel als zweites Salzglied des Hauptsatzes erscheint. (Diese Stellung nimmt es allerdings auch in Fragesätzen mit Fragewort ein.) Doch sind auch die meisten Nebensätze Aussagesätze.

Als Grundform des Aussagesatzes ist der sachlich-nüchterne Mitteilungssatz anzusehen, wie er sich in neutralen, emotionsfreien Feststellungen aller Texte des offiziellen Verkehrs, der Wissenschaft, Technik, aber auch in anderen Texten findet. Neben sachlichen Mitteilungssätzen sind aber auch die meisten emotional geprägten Sätze als Aussagesätze aufzufassen. Wir finden solche gefühlshaltigen Aussagesätze häufig in Gesprächen, Briefen, Tagebüchern, Erzählungen, Gedichten u.ä.

Die Unterschiede zwischen sachlichen und stärker emotionalen Aussagesätzen sind vor allem durch die verwendeten lexikalischen Mittel, also durch die inhaltliche Aussage bestimmt. Die Wirkung eines Satzes kann jedoch durch lexikalische wie durch syntaktische Mittel, wie z.B. die Wortstellung, durch Ellipsenbildung u.a. verändert werden. Die Feststellung: Im Zweiten Weltkrieg starben über 30 Millionen Menschen wirkt (auch ohne Intonationsänderung) emotionaler, wenn es heißt: Über 30 Millionen Menschen starben im Zweiten Weltkrieg. Der Form des Ausrufesatzes nähert sich unser Beispiel, wenn es hieße: Über 30 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg, also elliptisch

91

formuliert wäre. Hier hängt es von der Intention des Sprechers ab, ob er einen solchen Kurzsatz durch ein Ausrufezeichen als Ausruf kennzeichnet oder als verkürzte Nachricht in Form einer Schlagzeile auffaßt. Auch normale einfache Sätze können in entsprechenden Situationen (entsprechendem Kontext) sogar ohne Wortumstellungen oder Auslassungen als Ausrufe gelten, z.B.:

Wir kommen wieder. : Wir kommen wieder!

Die Schwankungen im Emotionsgehalt eines Satzes können also Übergänge zu anderen Satzarten begünstigen. Das gilt nicht nur im Verhältnis des Aussagesatzes zum Ausrufesatz, sondern auch zu den übrigen.Satzarten. So kann z.B. eine Aussage durch lexikalische Zusätze wie »vielleicht« in die Nähe einer Frage rücken, können Infinitivsätze mit »sein« oder »haben« zu Aufforderungssätzen werden (z.B. Fehlanzeige ist abzugeben, ... hat zu erfolgen). Der Charakter der Aussage kann aber auch durch den Konjunktiv eingeschränkt werden (vgl. S. 185 ff.).

Der Ausrufesatz

Der Ausrufesatz steht formal dem Aussagesatz am nächsten; unterscheidet sich jedoch von ihm durch die stärkere Emotionalität und die Vorliebe für verkürzte Satzformen (Ellipsen, Aposiopesen). In der mündlichen Rede ist die innere Anteilnahme des Sprechers, die den Ausrufesatz in unterschiedlicher Weise trägt (Begeisterung, Freude, Zorn, Trauer, Schrecken, Ironie, Drohung u.ä.), durch Situation, Kontext und Intonation (Betonung) signalisierbar. In geschriebenen Texten ersetzt das Ausrufezeichen (das aber auch bei imperativischen Sätzen erscheint) die Intonation. Auch vollständige Sätze können auf diese Weise als Ausrufe erscheinen (s.o.). Charakteristisch für alle Ausrufe ist jedoch die Kürze der Sätze oder Satzsignale, die bis auf einzelne Ausrufewörter (Interjektionen) reduziert werden können:

Ah! Aha! O! Ach! Wehe! Huh! Ei! Au! Pfui! Ha! Hei! Hurra! He! Na!

Der Aussagewert solcher Interjektionen ist wiederum vom situativen wie verbalen Kontext abhängig, der eine ähnliche Gestimmtheit wie die auftauchende Interjektion haben sollte. Ein »Ha!« z.B. kann ein Ausruf der Freude, des Spottes, der Begeisterung, der Drohung oder der Angst sein.

Neben Interjektionen bieten vorangestellte Feststellungen in Form von Pronomina und Vergleichsformeln häufig Hinweise auf den Ausrufcharakter eines Satzes:

Wie herrlich leuchtet mir die Natur! (Goethe, »Mailied«)

0 du, des Himmels Botin! Wie lauscht ich dir! (Hölderlin, »Geh unter ...«} Dies ist der Tag... !

Auch vorangestellte und nachgestellte Appositionen besitzen oft zusammen mit ihrem Bezugswort Ausrufcharakter, insbesondere gilt dies für Anreden

92

von Personen und Gegenständen, Begriffen u.ä., die auch als einzelne Ausrufe erscheinen können:

Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium! (Schiller, »An die Freude.) O heilig Herz der Völker, o Vaterland! (Hölderlin)

Der Anwendunsbereich des Ausrufesatzes ist recht begrenzt. Das Gespräch und die Ansprache (und ihre literarischen Spiegelungen), der persönliche Brief und der Briefroman sowie die hymnische Lyrik sind die wichtigsten Textformen, in denen Ausrufe vorkommen. In anderen Texten, z.B. denen des öffentlichen Verkehrs, der Wissenschaft und Techniik, fehlen sie fast völlig. Innerhalb der Literaturgeschichte sind der »Sturm und Drang« und der Expressionismus Epochen, die den emotional erfüllten Ausrufesatz und seine Kurzformen besonders bevorzugten. In der Gegenwartssprache tritt diese Form der sprachlichen Expressivität dagegen zurück.

Der Aufforderungssatz

Der Aufforderungsoder Heischesatz, zu dem wir auch Begehrens-, Wunsch-und Befehlssätze zählen, kann gelegentlich mit dem Ausrufesatz verwechselt werden, weil er oft emotional geprägt ist und zudem durch Ausrufezeichen gekennzeichnet wird. Inhaltlich ist der Aufforderungssatz jedoch durch den Ausdruck einer Willensäußerung bestimmt, die sich als Wunsch oder Befehl auf ein erwartetes Geschehen und an einen bestimmten Redepartner richtet:

Komm her! Laßt uns gehen! Schreib ihm doch bitte! Rauchen erboten! Links um! Stillgestanden! Heraus zur Protestdemonstration gegen Preiserhöhungen! Er lebe hoch! Nieder mit dem Krieg!

Die Beispiele verdeutlichen, daß es offenbar mehrere grammatische Kategorien zum Ausdruck von Aufforderungen gibt, die unterschiedliche stilistische Wirkungen hervorrufen. Die Formenskala der Willensäußerungen, die auf diese Weise, nach dem Grad der Höflichkeit abgestuft, vorgebracht werden können, reicht von der höflich fragenden Bitte (die jedoch keine Verneinung erwartet) bis zum schroffen Befehl:

Würden Sie so freundlich (gut, nett) sein, mir das Buch zurückzugeben? Würden (könnten) Sie mir bitte das Buch zurückgeben?

Würden Sie mir das Buch zurückgeben? (!) Ich bitte Sie, mir das Buch zurückzugeben! Bitte, geben Sie mir das Buch zurück!

Ich wünsche das Buch zurück!

Ich muß darauf dringen, mir das Buch zurückzugeben! Ich will das Buch zurückhaben!

Geben Sie mir das Bach zurück! Das Buch ist zurückzugeben! Das Buch zurückgeben!

Das Buch zurück (her)!

93

Die Wahl der jeweiligen Aufforderungsform kennzeichnet das Verhältnis der Redepartner zueinander und bewirkt so stilistische Differenzierungen. Der größere Grad der Höflichkeit findet sich hier irn größeren Wortreichtum gespiegelt, der größere Grad der energischen Bestimmheit im geringeren Redeaufwand.

Die Beispiele zeigen auch, daß sich nur wenige Aufforderungsformen der grammatischen Form des Imperativs bedienen (Geben Sie ...!), daß vielmehr höflichere Umschreibungen mit Hilfe von Modalverben im Konjunktiv II (werden, können, aber auch: sollen, müssen, wünschen, lassen) ebenso wie verkürzte Aufforderengen mehr Variationen zulassen. Die hier aufgezeigten Möglichkeiten der Aufforderung können noch durch Variationen in Stimmführung und Kontext abgewandelt werden. Die freundlichste Bitte kann z.B. barsch oder zynisch vorgetragen werden, der knappste Befehl liebenswürdig und freundlich klingen und wirken. Zwar entsprechen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungsnormen unterschiedliche Heischeformen, ein Vergreifen in der Form, mitunter nicht nur aus gesellschaftlicher Unkenntnis, sondern durch Verstimmung, Verärgerung, Zorn oder Rücksichtslosigkeit motiviert, kann zur Verstimmung, Verärgerung, Beleidigung oder Angst anderer führen oder im Falle der Überhöflichkeit den Eindruck von Servilität oder Spott erwecken.

Von Bedeutung für die stilistische Wirkung ist daneben der Grad der persönlichen Ansprache an den Adressaten der Aufforderung. Aufforderungen in der Wir-Form, zuweilen auch in der Ihr-Form, wirken z.B. vertraulicher als in der Sie-Anrede und werden daher auch bei politischen und anderen Kollektivierungsversuchen häufig vewandt (Laßt uns Schluß machen mit der Politik des Kalten Krieges! - Vergessen wir nicht den 17. Juni 1953!). Die Sie-Anrede in Aufforderungen wahrt höfliche Distanz, respektiert den Angesprochenen, kann aber auch im Kontrast zwischen Anrede und Kontext oder unvermittelt Rucksichtslosigkeit und Unhöflichkeit offenbaren (vgl. Schließen Sie bitte die Tür! : Machen Sie die Tür zu!). Während in Werbung und Geschäftsverkehr die Formen der höflichen Sie-Aufforderungen dominieren (wenn auch in der Werbung ohne konjunktivische Umschreibungen), überwiegen im Bereich der Verwaltung und Exekutive, bei Militär und Bahn Aufforderungen in infinitiver oder partizipialer Form (Der Betrag ist einzuzahlen bis ... , Nicht hinauslehnen! Wegtreten! Aufgepaßt!), die neben dem Vorzug der Kürze den Nachteil der Anonymität aufweisen.

Der Fragesatz

Irn Gegensatz zum Aussagesatz, der einen Sachverhalt als gegeben oder möglich berichtet, zeigt der Fragesatz die Offenheit einer Situation an und fordert zur Klärung in einer Antwort oder zumindest zur Suche danach auf. In diesem Aufforderungscharakter steht er dem Aufforderungssatz nahe, zeigt sogar manche strukturelle Übereinstimmung mit ihm, drängt allerdings weniger auf ein Handeln als vielmehr auf Wissensbereicherung. Das gilt nicht

94

nur für die Form der Ergänzungsfragen, die mit Fragewörtern (wer? was? wo? wie? usw.) eingeleitet werden, sondern auch für die Entscheidungsfragen, die durch die Voranstellung des finiten Verbs den Imperativsätzen ähneln, und eine Anwort in der Form von bejahenden oder verneinenden Partikeln (ja, nein, doch u.ä.) oder Aussagesätzen verlangen. Grundsätzlich können alle Aussagehauptsätze in Fragesätze umgewandelt werden, Nebensätze nur nach der Umwandlung in Hauptsätze (selbständige Stellung), meistens unter Verzicht auf die einleitende Satzkonjunktion. Auch erweiterte Sätze und Satzgefüge sind als Fragesätze bei Umstellung des Hauptsatzverbs verwendbar. Da sich jedoch Fragen zumeist nur auf wenige Informationen richten, werden kürzere Fragesätze bevorzugt. Die kommunikative Funktion der Fragesätze bedingt, daß sie meistens mit Aussagesätzen kombiniert erscheinen. Daß mehrere Fragen zugleich gestellt werden, ist seltener. Es spiegelt einen besonderen Grad der Erregung (s.u.) und steigert die Unruhe, die jede Frage auslöst.

Die häufigste Verwendungsform ist die unmittelbare Frage im zwischenmenschlichen Verkehr, wie sie dem Gespräch (und seinen literarischen Spiegelungen) eigen ist. Mit der explorativen Funktion der Informationsermittlung ist häufig eine agierende Funktion verbunden, da durch erfragte Sachverhalte und Entscheidungen das jeweilige Geschehen vorangetrieben werden kann. Die Spannung der Informationserwartung verbindet sich dabei mit der Spannung der Handlungserwartung. Diese Stilwirkung des Fragesätzes wird besonders im dramatischen Dialog genutzt. Das sei an einer kurzen Szene aus Kleists »Der Prinz von Homburg« verdeutlicht, in der Natalie vom Kurfürsten die mögliche Freilassung Homburgs zugesichert erhält:

Der Kurfürst (in äußerstem Erstaunen):

Nun, meine teuerste Natalie,

Unmöglich in der Tat?! – Er fleht um Gnade? Natalie: Ach hätt’st du nimmer, nimmer ihn verdammt!

Der Kurfürst: Nein sag': er fleht um Gnade? – Gott im Himmel! Was ist geschehen, mein liebes Kind? Was weinst du?

Du sprachst ihn?

Natalie (an seine Brust gelehnt):

In den Gemächern eben jetzt der Tante...

Der dramatische Dialog kennt seit der Antike verschiedene Gestaltungsformen. Zu den ältesten zählt die Stichomythie, der zeilengebundene Redewechsel zwischen zwei Sprechern, der neben anderen Satzarten auch häufig Fragen enthält und so die Lebendigkeit dieses dialogischen »Schlagabtausches« noch mehr erhöht. Wir führen als Beispiel einen stichomythischen Dialog aus Schillers »Die Braut von Messina« an, in dem Beatrice erkennen muß, daß ihre sich befehdenden Freier ihre Brüder sind:

Isabella: Ich bin's ja selbst! Erkenne deine Mutter! Beatrice: Was sagst du? Welches Wort hast du geredet? Isabella: Ich, deine Mutter, bin Messinas Fürstin. Beatrice: Du bist Don Manuels Mutter und Don Cesars?

95

Isabella: Und deine Mutter! Deine Brüder nennst du! Beatrice: Weh, weh mir! O entsetzensvolles Licht! Isabella: Was ist dir? Was erschüttert dich so seltsam?...

Auch in den Abwandlungen der Stichomythie, der Hemistichomythie (dialogischen Halbzeilenrede) und der im deutschen Drama häufigen Antilabe (beliebig großen dialogischen Zeileneinteilung) wird durch die Einbeziehung von Fragen eine zusätzliche Spannungssteigerung erreicht, die oft mit der Kürze der Sätze zunimmt.

Gelegentlich finden sich ähnliche Beispiele in der dichterischen Prosa. Ein Textstück aus Thomas Manns »Zauberberg« sei hier der Kuriosität halber eingefügt. Hier verzögert der Autor ironischerweise die eigenen Erzählangaben, indem er einen fiktiven Leser die auktoriale Darstellung unterbrechen läßt:

Mynheer Peeperkorn blieb im Hause Berghof während des ganzen Winters...

so daß es zuletzt noch zu einem denkwürdigen gemeinsamen Ausflug (auch Settembrini und Naphta waren dabei) ins Flüelatal und zum dortigen Wasserfall kam... Zuletzt noch? Und danach blieb er also nicht länger? – Nein länger nicht. – Er reiste ab? – Ja und nein. – Ja und nein? Bitte keine Geheimniskrämerei! ...

Die Lebendigkeit des Fragesatzes kommt auch außerhalb des Dialogs in den Formen der monologischen Fragen zur Geltung. Neben der Ich-Frage, die zur Selbstbesinnung aufruft (Wie konnte ich das tun?), ist hier die sogenannte rhetorische Frage zu berücksichdgen. In beiden Fällen wartet der Fragende nicht auf die Antwort eines Dialogpartners, sondern verzichtet darauf oder gibt sie selbst, entweder weil sich auf dieseFrage keine Antwort geben läßt (Wer zählt die Völker, nennt die Namen?) oder weil die Frage vor einer Feststellung eine besondere Spannung schaffen oder die eigentliche Problematik bewußt machen soll:

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Ei ist der Vater mit seinem Kind;

(Goethe, »Erlkönig«)

Kehren wir zum Abschluß zu der eingangs gestellten Frage zurück: Inwieweit vermögen erziehungsgeschichtliche Untersuchungen Aufschlüsse über aktuelle pädagogische Probleme von öffentlichem Interesse zu bieten? Wir wollten diese Frage nicht generell, sondern an einem Beispiel beantworten.

(W. Klafki u.a., »Funkkolleg Erziehungswissenschaft«, III, S. 169)

Manchmal dient eine rethorische Frage der Kennzeichnung der Situation des Sprechers und steht anstelle eines Aussagesatzes:

Weh! Steck ich in demKerker noch? (Goethe, »Faust«)

Recht wirkungsvoll ist auch die Auflösung einer Aussage in eine Frage-Antwort- Folge:

Welchen Leser ich wünsche? den unbefangensten, der mich,

Sich und die We1t vergißt und in dem Buche nur lebt. (Goethe-Schiller, »Xenien«)

96

Ein besonderer Effekt wird auch durch die Folge von Frage-rhetorischer Gegenfrage-Antwort erreicht, die besonders im volkstümlichen Gesprach üblich ist:

Hör an mein Sohn, sag an mir gleich: Wie ist dein Farbe blaß und bleich? – Und sollt' sie nicht sein blaß und bleich? Ich traf in Erlenkönigs Reich.

(Herder, »Erlkönigs Tochter«)

Schließlich sei auf die Frageformen der erlebten Rede hingewiesen, die darin der rehetorischen Frage ähneln, daß sie keine Antwort erwarten, da es Fragen sind, die im Bewußtsein der handelnden Personen entstehen:

Was waren denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze beständen aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen? (F. Kafka, »Der Prozeß«)

Erwähnung verdienen noch die verkürzten indirekten Fragesätze, wie sie in Gesprächen und in erlebter Rede vorkommen, und die eingekleideten indirekten Fragen. Während verkürzte indirekte Fragesätze vom Typ: Ob ich ihn wohl fragen soll? ohne weiteres als Fragesätze anzusehen sind, handelt es sich bei den indirekten Fragesätzen vom Typ: Ich wußte nicht, ob ich ihn fragen sollte. um Aussagesätze mit eingeschobenem Frageansatz anstelle des Akkusativobjekts, die jedoch in abgeschwächter Form die Stilwirkung des Fragesatzes zeitigen.

Die Wortstellung im Satz als stilistisches Mittel

Die deutsche Sprache gehört zu den Sprachen, die die einzelnen Fälle (Kasus) der Substantive durch Artikel und Deklinationsendungen noch verhältnismäßig klar unterscheiden. Die syntaktische Funktion der Substantive im Satz braucht daher nicht durch eine feste Wortstellung angezeigt zu werden, wie dies beispielsweise im Englischen erforderlich ist. Die deutsche Sprache verfügt somit über gewisse Freiheiten in der Wortstellung, genauer in der Satzgliedfolge, die als stilistische Varianten zur zur Modifizierung bestimmter Ausdrucksabsichten genutzt werden können. Zwar gibt es auch im Deutschen bestimmte Grundregeln der Wortstellung, die von der Grammatikforschung ermittelt werden, doch können sie durch eine Reihe von fakultativen Variationsmöglichkeiten durchkreuzt werden. Die Wortstellung ist daher ein Bereich, der Grammatik wie Stilistik in gleichem Maße angeht.34

Als wichtigstes Kriterium hat die Stellung des finiten Verbs im Satz zu gelten. Nach der Verbstellung lassen sich die Satzarten differenzieren, und zwar steht in der Regel das finite (flektierte) Verb im Aussagesatz und bei Ergänzungsfragen an zweiter Stelle, im imperativischen Aufforderungssatz, irrealen Wunschsatz, Konditionalund Konzessivsatz ohne Einleitewort und

97

in selbständigen Entscheidungsfragen an erster Stelle und im Nebensatz (Gliedsatz) an letzter Stelle:

Der Wind weht durch die Wälder. – Durch die Wälder weht der Wind.

Gib mir das Buch! – Sahst du ihn dort? – Käme er doch endlich! Er kam heute nicht, weil er krank war. – Er ist es, den ich dort gesehen habe.

Allerdings können diese Grundregeln in der mündlichen Rede durch die Intonation überspielt werden. So kann ein Aussagesatz durch verstärkte Betonung in der Anrede zum Imperativsatz (Sie gehen jetzt!), durch verstärkte Betonung (Tonerhöhung) des Satzschlusses zum Fragesatz werden (Sie sind jetzt angekommen?).

Die Endstellung des finiten Verbs im Gliedsatz gilt nicht im irrealen Vergleichssatz mit »als« (Er tat so, als hätte er nichts gewußt), in konditionalen und konzessiven Nebensätzen ohne Einleitungswort (Pfeift der Wind, so weint das Kind) sowie in manchen älteren Gliedsatzformen (... welche sind seine Zeugen an das Volk

[Luther]), da das Mittelhochdeutsche (vor 1500) keine Endstellung des Verbs im Nebensatz kannte.36

Selbst die »Zweitstellung« des finiten Verbs im Aussagesatz gilt nicht uneingeschränkt. Zunächst ist dabei zu beachten, daß mit der Zweitstellung die Stellung des Verbs als primäres, d.h. unabhängiges Satzglied gemeint ist. Den »primären« Satzgliedern stehen die von ihnen abhängigen sekundären Satzglieder gegenüber. Zwischen dem ersten »primären« Satzglied und dem zweiten »primären« Satzglied, dem finiten Verb, können weitere, »sekundäre« Satzglieder eingefügt werden, so daß das finite Verb erst recht spät im Satz erscheint, wie das folgende Beispiel zeigt:

Eine der Hauptursachen für die Unklarheiten gewisser kunstsoziologischer Betrachtungen und für ihre Verdünnung zur bloßer Sozialphilosophie oder gar Pseudosoziologie liegt im Übersetzen der ersten Regel...

(A. Silbermann, »Kunstsoziologie«)

Da die meisten Satzglieder auch durch Gliedsätze ersetzbar sind, kann als erstes Glied vor dem Hauptverb ein Gliedsatz stehen:

Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.

Selbst Erweiterungen durch zusätzliche Gliedsätze anstelle von Attributen zu einem Substantiv der Satzeinleitung sind möglich:

Trotz der im Verlauf der Geschichte der Künste immer wieder auftretenden Versuche, entemotionalisierte Kunst zu produzieren und zu propagieren, steht im Vordergrund die Auffassung... (A. Silbermann, »Kunstsoziologie«)

Zu große Erweiterungen des Satzbeginns können allerdings die Übersichtlichkeit der Sätze gefährden. Sprachökonomische Tendenzen zur Konzentration von Informationen auf den Satzanfang, wie sie in der Wirtschaftsund Wissenschaftssprache der Gegenwart zu beobachten sind, geraten hier in Konflikt mit den kommunikativen Erfordernissen der Überschaubarkeit und Verständlichkeit. Bei der Zweitstellung des finiten Verbs dürfen einige satzeinleitende Kon-

98

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]