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Deutsche_Stilistik

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möglichen, stilistisch wichtigen Wortschatzgruppierungen, die bevorzugten Anwendungsbereiche des jeweiligen Wortschatzes und die allgemeinen Stilwirkungen solcher Wörter kennenzulernen.

Der Wortschatz kann verschieden gegliedert werden. Die alphabetischen Anreihungen der großen Wörterbücher20 müssen dabei unbeachtet bleiben, da sie über kein spezielles Gliederungsprinzip verfügen. Nur in Einzelfällen (bei Zusammensetzungen, z.T. auch bei Ableitungen) wird auf den Zusammenhang einzelner Wortfamilien verwiesen, die Wörter mit gleichem Wortstamm umfassen und so die gleiche Etymologie aufweisen, selbst wenn die Wortartendifferenzierung Bedeutungsdifferenzierungen mit sich gebracht hat (vgl. z.B. geben – Gabe – Gift – angeben – Rückgabe usw.).

Eine mehr grammatisch-morphematische Aufgliederung kann nach der Wortbildung und den Wortarten erfolgen. Sie hat innerhalb dieses Bereichs weitere Gruppierungen zu beachten, z.B. Konkreta, Abstrakta, einfache Bildungen, Ableitungen, Komposita usw.

Die häufigste Form der Wortschatzgliederung ist die Differenzierung nach Bedeutungsgruppen. Dabei sind mehrere Ausgangspunkte möglich: die Gliederung der außersprachlichen Wirklichkeit, die Denkund Vorstellungsbereiche und -begriffe, die feldmäßige Gliederung nach bestimmten Leitwörtern, die gruppenmäßige Verwendung sowie die Differenzierung nach Stilwerten.

Eine Wortschatzgliederung nach Sachgruppen21 der außersprachlichen Wirklichkeit ist mitunter schwierig, weil diese nur in Wortbegriffen sprachlich faßbar ist; stilistisch ist allenfalls von Interesse, daß für bestimmte Gegenstände oder Vorgänge mehrere Bezeichnungen üblich sind (begriffliche Synonyme). Diese Erkenntnisse gewinnen wir aus jedem Synonymwörterbuch22, das synonyme oder annähernd synonyme Wörter mit gleichem Sachbezug sammelt, ebenso wie aus Wörterbüchern, die nach Begriffsbereichen aufgeteilt und bis hin zu den Einzelbegriffen bzw. -namen verästelt sind.23

Die Sammlung aller Wörter für bestimmte Sachund Begriffsbereiche hat die Wortforschung zu Einsichten über eine feldmäßige Gliederung des Wortschatzes geführt.24 Innerhalb bestimmter Vorstellungsund Bezeichnungsbereiche (Sinnbezirke) ergaben sich häufig Differenzierungen nach Einzelvorstellungen und Bezeichnungen, die mit der benennungsmäßigen Aufteilung eines Feldes (der Gesamtheit der Wörter des Sinnbezirks) vergleichbar sind und zumeist als Wortfeld bezeichnet werden.

Ein Muster eines solchen, allerdings stilistisch neutralen Wortfeldes ist z.B. in den Farbbezeichnungen gegeben. Sie beruhen auf traditionellen Übereinkünften in der Sprachgemeinschaft, zeigen aber keine scharfe Abgrenzung der Wortbedeutungen, etwa zwischen rot, orange und gelb. Ähnlich verhält es sich bei anderen Wortfeldern. Einige sind reich gegliedert, andere weniger. Eine große Zahl von Wortfeldern setzt sich aus Wörtern von unterschiedlichem Stilwert zusammen, wenn man die Ausdrücke für die gleiche Sache in den verschiedenen Verwendungsschichten

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und -situationen heranzieht. Ein differenziertes, stilistisch interessantes Wortfeld ist z.B. bei den begrifflichen Synonymen für sterben gegeben, die L. Weisgerber25 in drei Schichten einteilte. Die erste enthält die Wörter sterben, verenden, eingeben als Bezeichnungen des Vorgangs der Beendigung des Lebens beim Menschen bzw. beim Tier oder der Pflanze. Eine weitere Schicht charakterisiert diesen Vorgang durch die Nennung der Ursachen und Begleitumstände des Sterbens, z.B.: ertrinken, erfrieren, ersticken, verbrennen, verhungern, verdursten, fallen sowie durch die verhältnismäßig neutralen, ursprünglich metaphorischen Ausdrücke: zugrunde gehen, umkommen, (dem Leiden) erliegen. Zu den beiden genannten Synonymgruppen zählen zumeist stilistisch verhältnismäßig neutrale Ausdrücke, lediglich die drei letzten Verben enthalten bereits eine gewisse Stilisierung, eine subjektive Charakterisierung und Wertung des Geschehens.

Vollends dominiert eine wertende und damit stilistisch besonders interessante Sicht bei den Verben der dritten Gruppe dieses Wortfeldes, in der so unterschiedlich wirkende Wörter wie: heimgehen, hinübergehen, entschlafen, entschlummern, einschlafen, verscheiden, ableben, erlöschen, verröcheln, abkratzen, draufgehen, verrecken, krepieren u.ä. vertreten sind. Wir haben es hier größtenteils mit metaphorischen Bildungen zu tun, bei denen unterschiedliche Motivationen und Blickweisen angenommen werden müssen: eine religiöse Sichtweise bei heimgehen, hinübergehen, eine euphemistische Ausdrucksweise bei entschlafen, entschlummern, einschlafen, die Sicht des Abschieds bei verscheiden, der Beendigung des Lebens in ableben, das Bild des Lebenslichtes bei erlöschen, während die restlichen Ausdrücke meistens Übertragungen aus dem Bezeichnungsbereich der Tierwelt sind, die, in den menschlichen Bereich übernommen, eine negative, oft brutale Einschätzung und Stilfärbung verraten.

Der gleiche Vorgang kann so stilistisch reche unterschiedlich gekennzeichnet werden. Hier handelt es sich nicht, wie bei grammatischen oder syntaktischen Synonymen oder auch bei stilistisch neutralen Synonymen, um das Nebeneinader gleichwertiger Ausdrücke, sondern um Ausdrucksvarianten, die im einzelnen der stilistischen Entscheidung und Interpretation bedürfen.

Wortfelder sind keineswegs einheitlich differenziert. In einigen decken sich allgemeinere (nullexpressive) und besondere (expressive) Ausdrücke und können einander ersetzen; andere Wortfelder kennen nur das Nebeneinander nichtaustauschbarer Wörter. Manche Synonymbereiche werden durch zahlreiche bildhafte Redewendungen ergänzt, andere hingegen nicht.

Bei einer Reihe von Wortfeldern kommen Synonyme aus den Soziolekten der sozialen Unterschicht oder aus dem Jargon asozialer Gruppen hinzu, so bei Deliktwörtern wie stehlen, betrügen u.ä.

Der Wortschatz der Sondersprache solcher Gruppen wird in der Regel in besonderen Wörterbüchern erfaßt26, teilweise erreicht er über die Umgangs-

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sprache allgemeine Verbreitung und wird deshalb in den Wörterbüchern der Umgangssprache aufgezeichnet.27 Einige Wörter dieser »Sondersprachen« sind über verschiedene Zwischenstufen in die Umgangssprache eingedrungen; so gelangten zahlreiche ursprünglich hebräische Wörter aus der Sprache jüdischer Händler über die »Gaunersprache« und die »Studentensprache« früherer Zeiten oder über Mundarten in die Umgangssprache, zuweilen sogar in die Hochsprache.

Für das hebr. mogal (treulos sein) z.B., das zu nhd. mogeln wurde28 und als Ausdruck unehrlichen Verhaltens bei Karten-, Würfel-, Geschicklichkeitsspielen allgemein bekannt ist, ist dieser Weg nachgewiesen worden. Mitunter haftet solchen Wörtern die Stilfärbung der unterschiedlichen Herkunftbereiche noch an und kommt bei einer inadäquaten Verwendung, etwa in gehobener Sprechweise, um so drastischer zur Geltung-

Beim Wortschatz bestimmter Gruppen haben wir es mit dem regionalen, fachsprachlichen und schichtenspezifischen Wortschatz zu tun, also mit landschaftlich, beruflich und soziologisch bestimmten Herkunftsund Verwendungsbereichen der Wörter. Häufig gehen mit dieser Wortverwendung ähnlich gruppengebundene grammatische Abweichungen von der Hochsprache einher; im Falle des mundartlichen Wortschatzes z.B. mundartliche Lautund Flexionsformen, doch zeichnen sich manche Texte gerade durch den Kontrast von mundartlichem Wortschatz und hochsprachlicher grammatischer Einbettung aus.

Als herkunftsbedingte Sondergruppe sind die Fremdwörter anzusehen, Wörter aus anderen Sprachen, die ohne lautliche und grammatische Umformung in deutsch geschriebenen bzw. gesprochenen Texten verwendet werden. Nach dem unterschiedlichen Alter und Häufigkeitsgrad lassen sich die Gruppen der seltener gebrauchten Archaismen und der Neologismen unterscheiden. Auch sie können stilbestimmend sein.

Schließlich ist noch auf die große Zahl von Wortbildern (Vergleichen, Metaphern) und bildhaften Wendungen hinzuweisen, die als wichtige semantische Stilmittel die stilistischen Möglichkeiten des Wortschatzes bereichern.

Wortbildungstypen als Stilmittel

Nach der Bildungsweise unterscheiden wir drei Gruppen von Wörtern im deutschen Wortschatz: die einfachen Wörter (Simplicia), die Ableitungen (Derivata) und die Zusammensetzungen (Komposita)29. Die Simplicia machen die ältesten Schichten des Wortschatzes aus. Sie sind die Grundelemente (freie Morpheme), auf denen die beiden übrigen Wortbildungsgruppen aufbauen. Heute treten kaum noch Neubildungen einfacher Wörter auf, allenfalls als Übernahmen aus fremden Sprachen (z.B. Test) oder aus Eigennamen (röntgen).

Einfache Wörter (aus Wortlexem und Flexionsendung) überwiegen in der 206

erzählenden, stärker in der lyrischen Dichtung. Sie verleihen den Texten Schlichtheit und Klarheit und meiden Abstraktionen (bis auf die Funktionswörter wie »sein«, »haben« u.ä. und die Konjunktionen und Präpositionen):

Auf die Erde voller kaltem Wind Kamt ihr alle als ein nacktes Kind, Frierend lagt ihr alle ohne Hab, Als ein Weib euch eine Windel gab.

(Brecht, »Von der Freundlichkeit der Welt«)

Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten nichts als eine Hütte. Der Mann war ein Fischer, und wie er einmal am Wasser saß und sein Netz ausgeworfen hatte, da fing er einen goldenen Fisch ...

(Grimms Märchen, »Goldkinder«) Das letzte Beispiel verdeutlicht bereits, daß nur wenige Texte aus einfachen Wörtern (Lexemen + Flexionsendungen) bestehen. Sie werden vielmehr oft durch abgeleitete Wörter ergänzt (Fischer, ausgeworfen). Ableitungen entstehen aus einfachen Wörtern, deren Form und Bedeutung durch ein bedeutungstragendes unselbständiges Element (Morphem, Affix) modifiziert wird. Aus Glück wird durch Zufügen der Adjektivnachsilbe (des Suffixes) -lich: glücklich, aus Kind durch das Diminutiv-(Verkleinerungs-)Suffix -chen: Kindchen, aus trag und dem Eignungssuffix -bar: tragbar, aus ein und dem Abstraktionssuffix -heit: Einheit usw.

Einige Ableitungen können durch neue Zusätze verändert werden: froh: fröhlich: Fröhlichkeit.

Wenn auch die Ableitungssilben in den meisten Fällen wenig eigensemantischen Wert besitzen, so verändern sie doch die Wortbedeutung, unterstreichen die Gruppenzugehörigkeit eines Wortes und bringen in die Wortverwendung mitunter einen Zug zur Abstraktion hinein. Am stärksten ist dies natürlich bei den Abstraktionssuffixen: -heit, -keit, -tum, -scba.fi u. dgl.

Ableitungen ermöglichen eine umfangreiche Erweiterung des Wortschatzes. Neben die wenigen Einzelwörter treten so Wortfamilien oder Wortsippen mit mehr oder weniger großer Ausdehnung. Vom Lexem des Verbums ziehen gibt es allein rund 200 Ableitungen und etwa 800 Zusammensetzungen.30

Es versteht sich von selbst, daß Ableitungen den größten Teil der Wortbildung bestreiten, besonders in rein kommunikativen Texten, die sorgfältige Bedeutungsdifferenzierungen verlangen, also Berichten, Kommentaren, Erörterungen, wissenschaftlichen Darstellungen. Aber auch ein großer Teil der erzählenden Literatur und der Werbung bevorzugt abgeleitete Wörter.

Vor allem die Adjektive und Substantive sind recht ableitungsaktiv. Verben wurden in früher Zeit durch Suffixe gestaltund bedeutungsmäßig differenziert; heute erfolgt dies fast ausschließlich durch Vorsilben (be-, ent-, zer-, ver-, ge-, über-, unter-, aus- usw.). Die adjektivischen Ableitungen werden dagegen durch Anfügen von Nachsilben gebildet: z.B. -ig, -lich, -isch, haft, -weise, -artig, -sam, -bar, -en. Ihre Leistung liegt in der Zuordnung und Dif-

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ferenzierung bestimmter Eigenschaften und Verhältnisse. Während einige Suffixe heute unproduktiv sind (z.B. -sam), werden andere häufig zu Neubildungen genutzt, hauptsächlich in der adjektivfreudigen Werbesprache: fruchtig (analog zu saftig), flauschig weich (analog zu flaumig), frischwärts (analog zu vorwärts).

Hier handelt es sich vor allem um die Gruppen der Abstrakta (mit -heit, -keit, -schaft, -tum, -e, -nis, -sal), der Kollektiva (ge-, -heit, -schaft),

Geschehensbezeichnungen (nomina actionis mit -ung, -ei, -e usw.), Berufsund Tätigkeitsbezeichnungen (-er, -e, -ler, -in), Instrurnentalbezeichnungen (-er-, -el, -ung), Diminutiva (-chen, -lein, -el, -ken). Im einzelnen ist der Stilwert der Wortbildungsgruppen recht verschieden.

Der stilistische Eindruck, den ein stark diminuierender Text mit häufigen -chen oder -lein hinterläßt, wird, unabhängig vom Inhalt, ein anderer sein als der eines Textes mit wiederholten Abstrakta-Endungen. Die mehrfache Wiederholung gleicher Ableitungsendungen, die in manchen Texten den Gesamteindruck verstärkt (z.B. Diminutiva in Märchen), wird in anderen Texten als störend empfunden (z.B. Verbalsubstantive auf -ung).

Einige Ableitungen können einen satirischen oder abwertenden Eindruck hervorrufen, der auf der Gruppenanalogie und individuellen Abweichungen beruht (vgl. Lehrling, aber: Mietling, Schreiberling; Gerenne: Getue, Geschreibsel).

Den größten Variationsreichtum weisen die Zusammensetzungen (Komposita) auf. Sie sind vor allem im Bereich der Substantive recht zahlreich und scheinen in jüngster Zeit stark zuzunehmen. Von der Ableitung unterscheiden sich die Zusammensetzungen durch die mögliche Selbständigkeit der vorhandenen Teile. Ein Kompositum wie butterweich enthält die Elemente Butter und weich, die auch in einem Vergleich wie weich wie Butter erscheinen könnten. Das vorangesetzte erste Glied eines solchen Kompositums modifiziert die Bedeutung des nachfolgenden Gliedes (der nachfolgenden Glieder) irn Verhältnis der Subordinierung (Determinativkomposita) oder der Koordinierung (Kopulativkomposita).31 Die Wortbildungslehre kennt zahlreiche Untergruppen dieser beiden Grundtypen, die auch für die Stilbetrachtung wichtig sind. Denn es zeigt sich, daß manche Autoren m unterschiedlichem Maße und in unterschiedlicher Weise diese Bildungsmöglichkeiten stilistisch nutzen. Dabei sind zunächst die formalen Kompositionsmuster zu beachten, z.B. die Verbindungen:

Substantiv + Substantiv

(Totenglocke, Hubschrauberlandeplatz)

Adjektiv + Substantiv

(Schönwetterfront, Linksabweichler)

Verb + Substantiv

(Wachtraum, Studierzimmer)

Partikel + Substantiv

(Übermensch, Wohlstand)

Substantiv + Adjektiv

(dornenvoll, straßengerecht)

Adjektiv + Adjektiv

(feuchtfröhlich, einzigartig)

Verb + Partizip/Adj.

(sehgestört, wandermüde)

Adverb+adverb

(frühmorgens)

Subst.+Verbpartizip

(furchterweckend, leidgeprüft)

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Adjektiv + Verb

(kleinkriegen, fernsteuern)

Verb + Verb

(klopfsaugen, saugbohnern)

Für die stilistische Entscheidung des Autors sind daneben die inhaltlichen Kombinationen der Wortglieder von Interesse. Dabei sind folgende Zuordnungen möglich32:

Differenzierung des Grundwortes durch den Wortzusatz: Großwild, Schlafzimmer, halblaut,

Sinnähnlichkeit: Höhlengrüfte (Goethe), Regenhaubenmütze (Liliencron) Gegensatz: Talgebirg, helldunkel, Wachtraum

Metapher: Nebelkleid (Goethe), Blitzdrähte (Nietzsche)

Grund und Folge: Scherzgeschrei, Lustgejauchze (Goethe), Liebeschschauerlust

(Mörike)

Täter und Tat: Flügelflatterschlagen, Führertritt (Goethe)

Täter und Objekt: Seeleneinkäufer (Jean Paul), Schleuderstein, Stern-Zertrümmerer

(Nietzsche)

Vergleich: totenstill, freudehell

Objekt und Zustand: geisteskrank, tatenlos

Tätigkeit und Richtung: Heimreise, Vorgehen, zurückgewandt

Die Leistung der Komposita, mehrere Vorstellungen miteinander zu verschmelzen, wirkt sich stilistisch darin aus, daß die Aussagen komprimierter und klanglich wie vorstellungsmäßig kumuliert erscheinen. Eine bloße Zusammenstellung der Einzelwörter kann diese Wirkung kaum erreichen, ebensowenig wie die Ergänzung eines Wortes durch Beiwörter. Einige Komposita drängen sogar Hauptund Nebensätze in einem Wort zusammen. Die stilistische Brauchbarkeit der Komposita wird durch den Umstand erhöht, daß hierbei auch kontextoder situationsgebundene Bildungen neben wiederholbaren festen Reihenund lexikalischen Einzelbildungen möglich sind. Gerade in solchen überraschenden Neubildungen sehen viele Autoren, besonders Lyriker, die Möglichkeit zur klischeefreien Aussage.

Diese Tendenz setzt in der Literatur schon früh ein. Bereits in der satirischen Dichtung des 16. Jhs. finden sich Häufungskomposita, z.B. Erzschantschelme, Jungfraugramm, Hauindschramm (J. Fischart, »Flöh Hatz«).

Einzelne Lyriker der Barockzeit bevorzugen die sinnund klangkumulierende Wirkung der Komposita in den verschiedensten Kombinationsweisen:

Freuderfüller, Früchtebringer, vielbeglückter Jahreskoch, Grünung-, Blühund Zeitungsziel, werkbeseeltes Lustverlangen.

(C. R. v. Greiffenberg, »Auf die fruchtbringende Herbstzeit«)

hellglänzendes Silber, weitstreifende Schatten, sanftkühlend-geruhige Lust, kunst-ahmende Pinsel. (J. Klaj, »Spazierlust«)

In der Mitte des 18. Jhs. ist es Klopstock, der die stilistischen Möglichkeiten der Zusammensetzung in seiner Lyrik und im »Messias« wirkungsvoll zu nutzen versteht und darin auf die Dichtersprache des Sturm und Drang und der Empfindsamkeit einwirkt. Besonders beliebt sind bei ihm Zusamrnensetzungen eines Substantivs in instrumentalem Sinn mit einem Partizip (blütenumduftet, flammenverkündend, wahnsinntrunken, fußbeflügelt33, Verbindungen aus Adverb und Partizip (schnellherschmetternd, stillanbetend,

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bangzerrungen), Verbindungen von Richtungsadverbien und Verben (entgegenjauchzen, sich entgegensehnen), Substantivische Komposita werden von Klopstock oft genutzt, um auf diese Welse neue ausdrucksstarke »Machtwörter« zu gewinnen (Sphärengesangeston, Bardenliedertanz). In der Lyrik des jungen Goethe finden sich zahlreiche Komposita, die den Musterbildungen Klopstocks folgen, z.B.:

Sternenblick, Marmorfelsen, schlangenwandelnd, heiligglühend, entgegenglühen, entlangrauschen

In der Sprache der Klassik dauert die Beliebtheit neuartiger Zusammensetzungen fort. Nach Behagel34 stehen im »Faust« etwa 1200 Zusammensetzungen für 2200 einfachen Wörtern gegenüber. Durch die OdysseeÜbersetzung von Voß (1781) kommen vor allem Partizipkomposita mit Adverbien und Substantiven in Mode (fernabdonnernd, tieferschütternd, nachtbedeckt, neidgetroffen). Als Besonderheit Goethes seien noch Kombinationen von Verblexemen mit dem dazugehörigen Subjekt genannt:

Glitzertand, Lächelmund, Flatterhaare (»Faust«).35

Im 19. Jh. sind Heine, Liliencron und Nietzsche als Autoren zu nennen, die das Kompositum künstlerisch zu nutzen suchten. Bei Heine kommen hauptsächlich ironisch wirkende Zusammensetzungen vor:

Perlentränentröpfchen, Dolchgedanken, blumenkeusch, blitzäugig, Adressenfloskel, transzendentalgrau u.ä.36

Nietzsches Komposita (wie andere seiner neuartigen Wortbildungen) stammen größtenteils aus seinen kulturkritischen Schriften und zielen auf satirischparadoxe Wirkungen: z.B. die Abwandlungen vertrauter Wörter:

christlicher Monotonotheismus, Wehetäter (: Wohltäter), Nächstenhaß (:

Nächstenliebe), Vielsamkeit (: Einsamkeit), Speichelleckerei – Schmeichelbäckerei u. dgl.37.

Mit der Vorliebe der impressionistischen Dichter für einen nominalen Dichtungsstil verbindet sich ihre Neigung zu nominalen Komposita. So koppelt Liliencron gern Adjektiva miteinander oder Substantive mit Partizipien oder Adjektiven, um durch diese Kumulation den Eindruck zu steigern; er wirkt aber oft gerade dadurch »verunklarend«38:

dünndämmeriger Morgenhimmel, trennungstraurig, rutenbiegsam, sommerglanzumwoben, jagdgierzitternd.39

Daneben finden sich hier seltsame substantivische Neubildungen, die weniger gelungen sind und oft nur der Reihenfolge wegen geschaffen zu sein scheinen:

Zigarrendampfverschwimmung, Gesprächserklimmung (zu: Stimmung), Lockenkranzgekröne, Kleingesinnungsart, Frühlingsnachtallee u. dgl.40

Auch Rilke zeigt zeitweise eine Vorliebe für kompositionelle Neubildungen; sie treten bei ihm nicht so häufig auf, besitzen aber besonderen Stellenwert:

o schweres Zeitverbringen (»Kindheit«), warmwallend, Flügelmühlen (»Abend in Skåne«), Luftgewürze (»Geburt Christi«), Ölgelände, Staubigsein, die SichVerlaufenden (Ölbaumgarten«), o Brunnen-Mund, Marmor-Ohr (»Römische Fontänen«).

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Die Sprache der expressionistischen Dichtung konzentriert sich dagegen überwiegend auf kurze Aussagen und Wörter. Doch verdienen gerade deshalb ungewöhnliche Komposita Beachtung, die zur Steigerung der dynamisch-ekstatischen Wirkung gewählt wurden, z.B. aufsternen, umrätseln bei Däubler, angrellen bei A. Döblin, klangsuchig, wehklagig, schamzerpört (für: vor Scham empört) bei August Stramm.

In der Gegenwartsliteratur greift vor allem G. Grass gelegentlich zu eigenwilligen längeren Kompositabildungen; so begegnen in der »Blechtrommel«:

jazzwiederkäuend, Kolonialwarenhändlerinsünden, Familienvatersorgenfalten, Bindfadenknotengeburten, Hausputzbackwaschundbügelsonnabend, feuerzündgockelrot.41

Das Kompositum ist in der Lyrik ein wichtiges Stilmittel, das geeignet ist, die sprachliche Konzentration, die allem lyrischem Sprechen eigen ist, noch mehr zu erhöhen. Die Tendenz zur Informationskonzentrierung findet sich aber auch in verschiedenen Funktionalstilen, besonders in wissenschaftlich-technischen, juristischen und wirtschaftlichen Texten. Sie entspricht hier den gerade in neuerer Zeit häufiger zu beobachtenden Bemühungen um sprachliche Ökonomie.42 In den meisten Fällen handelt es sich um feste, bereits lexikalisierte Bildungen, die jedoch stets durch sachlich berechtigte Neubildungen ergänzt werden. Vor allem im Bereich der Technik, wo neue Patente und Produkte Benennungen fordern43, wird von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch gemacht. Mit der zunehmenden Allgemeininformation und Allgemeinbildung dringen zahlreiche Komposita aus den Fachsprachen in die Umgangssprache; man greife nur einmal einige Beispiele aus einer »Fachsprache«, wie die der Psychologie heraus. Wörter wie

Minderwertigkeitskomplex, Kontaktschwierigkeiten, Reizüberflutung, Kurzschlußhandlung, Schrecksekunde sind heute in aller Munde.

Neben solchen verhältnismäßig festgewordenen Komposita gibt es täglich unzählige Neuprägungen, besonders in den Texten der Presse, Werbung und Politik. Da die meisten Zusammensetzungen das Verständnis nicht erschweren, sondern eher erleichtern, bevorzugen manche Autoren diese Wortformen, um bestimmte Sachverhalte prägnanter zu formulieren oder eindrucksvoller zu charakterisieren. Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« kennt z.B. bestimmte Komposita, die als ein konstituierendes Element seines »Stils« gelten können.44 Wir greifen einige solcher Ad-hoc-Komposita heraus:

Parteiwechsler, CDU-Edelreservist, Zwei-Drittel-Sieg, Hardthöhen-Staatssekretär, Entschuldigungskatalog, Grünkohl-Stadt, Blattmacher, Schreibtischbauen, Marktführer, Polit-Häftling u.ä.

Einige dieser Kombinationen dienen sprachökonomischen Einsparungen, andere, vor allem Personencharakterisierungen (meistens mit nachfolgendem Eigennamen), entbehren nicht des satirischen Beiklangs, der durch die Erhebung eines einmaligen Vorgangs (z.B. Parteiwechsel) zum nomen agentis, zum Berufsnamen, entsteht. Der »Spiegelstil« setzt so Gepflogenheiten fort, die schon im satirischen Journalismus Heines anzutreffen waren. Daß derartige Bildungen manchen kommunikativen Verengungen eigen sind, die also

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kaum als empfehlenswerte Wortformen gelten können, sollte nicht verschwiegen werden. Daß ein »Blattmacher« ein Zeitungsredakteur und nicht ein Sägeblatthersteller ist, kann nur der Kontext verdeutlichen. Insofern gehören solche Bildungen in den Bereich der Metonymien und Metaphern. Sie sind Stilmittel und können kaum Muster für Kommunikationsformen abgeben.

Erwähnung verdienen hier auch die Bindestrich-Komposita, die von einigen Autoren bevorzugt werden, wenn weniger feste oder weniger subordinierte bzw. determinierte Kombinationen vorliegen45, aber auch bei substantivierten Syntagmen46 auftreten (vgl. oben: Zwei-Drittel-Sieg; Industrie-und- Handelskammer, das Ineinander-Hinüberleben [Heine]; das In-den-Tag-hinein- Leben [Nietzsche]). In den meisten Fällen handelt es sich um spontane nominalisierende Neubildungen. Kommunikativ sind sie nützlich, stilistisch weniger empfehlenswert.

Von der syntaktisch verkürzenden Zusammensetzung, deren Wortbildungseigenheiten hier nicht weiter erörtert werden können, ist es nur ein kleiner Schritt zu den Abkürzungen, die man gewissermaßen als »symbolische Komposita« ansehen kann, da die Einzelglieder meist durch Kurzsilben oder Buchstaben angedeutet werden. Die hier vorwaltende sprachliche und graphische Ökonomie, die schon in antiken wie mittelalterlichen Texten auftaucht und heute noch in zahlreichen »stilistischen« Abkürzungen (wie: z.B., usw., etc., u.a.m.) fortlebt, macht sich besonders bei Kurzbenennungen von politischen und wirtschaftlichen Organisationen, Institutionen und bei quantitativen Bezeichnungen (KG, km usw.) bemerkbar.

Wörter mit gleichem Wortstamm als Stilmittel

Eine der wichtigsten Formen der Wortschatzgruppierung ist die Wortsammlung nach etymologisch zusammengehörigen Bildungen oder Wortfamilien bzw. Wortsippen.47 Die Abwandlung einzelner Stammelemente der Wörter (Lexeme) oder ihre Kombination mit anderen, zumeist unselbständigen Elementen (gebundenen Morphemen) führt zu einer gewaltigen Vergrößerung des Wortschatzes, wobei sich größere und kleinere Wortfamilien abzeichnen, die sich über unterschiedliche Wortarten erstrecken. Die sachlichen und stilistischen Bedeutungsdifferenzen sind hier durch die verschiedenen Bildungszusätze bedingt (vgl. z.B. die Schrift – die Schreibe – das Geschreibsel).

Bereits in der Antike wurde die lexematisch-etymologische Verwandtschaft verschiedener Wörter in den Stilmitteln des Polyptoton (Wiederholung des gleichen Wortes in verschiedenen Flexionsformen), der Annominatio (Abwandlung in der gleichen Wortfamilie) und der figura etymologica (Verbindung von Verb und Objekt oder Attribut und Substantiv aus der gleichen Wortfamilie) genutzt. Wir haben auf diese Formen anläßlich der Wiederholung bereits hingewiesen (vgl. S. 60ff.) und nennen hier nur noch wenige Beispiele:

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Polyptoton: möchte ich gerne Kirschen

in Kirschen als Kirschen erkennen. (G. Grass, »Kirschen«)

Annominatio: ... setzt’ er den Krug mal hin auf das Gesims!

Ersetzen!

Den Krug, der kein Gebein zum Stehen hat, Zum Liegen oder Sitzen hat – ersetzen!

(Kleist, »Der zerbrochene Krug«)

figura etymologica: Was ob fern ein Blaffer blaffte, Ob ein Flunkrer flunkert? Was, ob fern ein Pfaffe pfaffte, Und ein Junker junkert?

(J. H. Voß, »Der gute Wirt«)48

Auch in der Gegenwartssprache kommen Wortoder Lexemwiederholungen a1s Stilmittel vor. Durch sie kann erreicht werden, daß sich die Wörter leichter einprägen; damit wird auch die Bedeutung gesteigert, sie gewinnt einen stärkeren Gefühlswert: so finden sich in der Werbung genügend Beispiele für gleiche und abgewandelte Wiederholungen (vgl. S. 59f.);

Braun-Geschenke haben Persönlichkeit – und unterstreichen die Persönlichkeit ihres Besitzers. (Uhren-Werbung)

Herzkirschen sind Kirschen fürs Herz. (Pralinenwerbung)

Das letzte Beispiel kann als eine moderne Variante etymologisierender Deutungen gelten, wie sie sich dann und wann in philosophierenden Traktaten finden. In neuerer Zeit ist diese Form der Deutung mit ihren stilistisch relevanten Wortstammabwandlungen durch Martin Heidegger genutzt worden. Wir fügen nur zwei Beispiele dieser Art an, ohne uns in die Diskussion über den Sinn derartiger Deuteleien einzulassen49:

Das blaue Wild hat, wo und wann es west, die bisherige Wesensgestalt des Menschen verlassen. Der bisherige Mensch verfällt, insofern er sein Wesen verliert, d.h. verwest.

Die Dichtung spricht aus einer zweideutigen Zweideutigkeit.

Günter Grass hat derlei Bildungen in seinem Roman »Hundejahre« parodistisch nachgeahmt:

Die Hergestelltheit Berlins. Die V erendlichung. Das Ende. Aber der Himmel über der Endstruktur verdunkelte sich daraufhin nicht.

Die Wortarten als Stilmittel

Die Wortarten sind sprachliche Einheiten mit unterschiedlicher Leistung, Form und Verwendung. Gekennzeichnet durch das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Bildungsweisen und Formensysteme, festgelegt durch bestimmte sprachliche Kombinationen und Stellungen im Satz und ausgezeichnet durch bestimmte inhaltlich-semantische und begrifflich-bezügliche Leistungen im Satzganzen, gehören sie zu den wichtigsten grammatischen Kategorien. Ihre unterschiedliche Verwendbarkeit, Leistung und Wirkung macht

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