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Lew Tolstoi. Krieg und Frieden.rtf
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In diesem Augenblick kamen zwei Frauen und ein Mann mit einem weißen Hut auf dem Kopf vom Herrenhaus her.

»Die Rosafarbige gehört mir! Wehe dem, der sie anrührt!« rief Ilin, als er bemerkte, daß eine der beiden Frauen dreist auf ihn zukam. Dies war Dunjascha.

»Sie gehört uns!« sagte Lawruschka, indem er Ilin ein Zeichen machte.

»Was wünschen Sie, meine Schöne?« fragte Ilin lachend.

»Die Fürstin möchte den Namen Ihres Regiments und den Ihrigen erfahren.«

»Hier ist der Graf Rostow, Rittmeister, und ich bin Ihr ganz untertänigster Diener.«

Dunjascha wurde von Alpatitsch begleitet, der schon die Mütze abgenommen hatte.

»Darf ich wagen, Euer Wohlgeboren zu stören?« fragte er, indem er die Hand in seine Weste steckte mit einem Anflug von Geringschätzung, die wahrscheinlich durch die große Jugend des Offiziers hervorgerufen wurde. »Meine Herrin, die Tochter des Generals, Fürsten Nikolai Bolkonsky, der soeben gestorben ist, befindet sich in einer schwierigen Lage, infolge der Wildheit dieser Tiere«, fügte er hinzu, indem er auf die Menge Bauern deutete, die sie umgab. »Sie läßt Sie bitten, sie zu besuchen. Es sind nur wenige Schritte.«

»Nun, was geht hier vor?« rief Rostow, lachend nach den betrunkenen Bauern hinüberblickend.

»Ich habe die Ehre, Euer Exzellenz mitzuteilen, daß diese groben Menschen ihrer Herrin nicht erlauben wollen, das Gut zu verlassen, daß sie drohen, die Pferde auszuspannen. Alles ist eingepackt seit heute morgen, die Fürstin aber kann sich nicht auf den Weg begeben.«

»Unmöglich!« rief Rostow.

»Es ist die reine Wahrheit, Exzellenz!«

Rostow stieg vom Pferde, übergab es seiner Ordonnanz und ging mit Alpatitsch auf das Haus zu, indem er ihn nach den Einzelheiten fragte. Es erwies sich, daß Dron sich entschieden auf die Seite der ungehorsamen Bauern gestellt und die Schlüssel dem Verwalter zurückgegeben hatte, sich aber weigerte, vor ihm zu erscheinen. Als die Fürstin befohlen hatte, die Pferde einzuspannen, hatten sich die Bauern zusammengerottet und ihr sagen lassen, sie würden sie wieder ausspannen, und sie dürfe nicht abreisen, denn es sei verboten, die Wohnung zu verlassen. Vergebens hatte Alpatitsch versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Dron war unsichtbar, aber ein anderer Anführer, Karp, hatte erklärt, sie würden die Abreise der Fürstin nicht zulassen, sie würde den erhaltenen Befehlen zuwiderlaufen, aber wenn sie bleibe, so werden sie, wie bisher, ihr dienen und gehorchen. Die Fürstin hatte jedoch beschlossen, trotz der Vorstellungen von Alpatitsch, der alten Amme und ihrer Dienstleute, um jeden Preis abzureisen, und befohlen, einzuspannen, als plötzlich Rostow und Ilin im Galopp auf der Landstraße herankamen. Alles verlor den Kopf, da man sie für Franzosen hielt, die Kutscher liefen davon, und das ganze Haus war in Verzweiflung. Rostow wurde als Befreier empfangen.

Als er in den Salon trat, war Marie im ersten Augenblick kaum imstande, zu begreifen, wer er sei, aber an seinem Äußeren und seinem ganzen Wesen bemerkte sie sogleich, daß er der feinen Gesellschaft angehörte.

»Welche seltsame Fügung des Schicksals führt mich zu diesem verlassenen und vom Schmerz niedergedrückten Mädchen, das schutzlos den aufständischen Bauern gegenübersteht?« dachte Rostow.

Sie richtete ihre leuchtenden Augen auf ihn und erzählte ihm mit zitternder Stimme, was nach dem Tode ihres Vaters vorgefallen war. Die Aufregung überwältigte sie, aber als sie in den Augen des jungen Offiziers Tränen glänzen sah, richtete sie einen ihrer tiefen, milden Blicke auf ihn, die ihre Häßlichkeit sogar vergessen machten.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, Fürstin, wie sehr ich dem Zufall dankbar bin, der mich hierhergeführt hat! Wenn Sie abreisen wollen, so verspreche ich Ihnen auf meine Ehre, daß niemand es wagen wird, sich im geringsten feindlich gegen Sie zu zeigen. Bewilligen Sie mir nur die Erlaubnis, Sie zu begleiten!« Er grüßte sie mit einer Hochachtung, als ob sie eine Prinzessin des kaiserlichen Hauses gewesen wäre, und wandte sich der Tür zu. Durch diese Hochachtung schien er auszudrücken, daß er glücklich wäre, nähere Bekanntschaft mit ihr zu machen, daß aber sein Zartgefühl ihm nicht erlaube, ihren Schmerz und ihre Verlassenheit zu benutzen, um die Unterhaltung fortzusetzen. So faßte Marie sein Benehmen auf.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, erwiderte sie französisch. »Ich hoffe, daß das alles nur ein Mißverständnis ist, und daß Sie keine Schuldigen vorfinden werden!« Sie brach in Tränen aus.

Rostow verließ den Saal nach einer tiefen Verbeugung.

157

»Ist sie hübsch? O, die meinige, die Rosafarbige, ist entzückend! Sie heißt Dunjascha!« rief Ilin, aber beim Anblick von Rostows Miene verstummte er sogleich. Er sah, daß sein Held und Chef nicht zu Scherzen aufgelegt war und sich rasch in der Richtung nach dem Dorfe zu entfernte. Alpatitsch holte ihn mit Mühe ein.

»Was haben Sie beschlossen?« fragte er ehrerbietig.

»Beschlossen!« rief der Husar, ihn mit den Fäusten bedrohend. »Die Bauern machen Aufstand, und du stehst da und siehst sie an und weißt dir keinen Gehorsam zu verschaffen! Du bist ein Verräter! Ich kenne euch alle und werde euch alle abschlachten lassen!« Darauf setzte er hastig seinen Weg wieder fort. Alpatitsch folgte ihm so gut er konnte und drängte das Gefühl unverdienter Kränkung zurück. Er sagte Rostow, es wäre gefährlich und unklug, bei der sinnlosen Hartnäckigkeit der Bauern sich auf einen offenen Kampf mit ihnen einzulassen, bevor Hilfe von der bewaffneten Macht herbeigeholt sei.

»Ich werde es ihnen zeigen!« erwiderte Rostow. Er ging in heftiger Erregung auf die Menge zu, welche sich bei der Scheune gesammelt hatte. Obgleich Rostow keinen vorbedachten Plan hatte, sah Alpatitsch doch voraus, daß dieses Ungestüm guten Erfolg haben werde. Schon während der Unterhaltung Rostows mit der Fürstin Marie hatte sich unter den Bauern Unschlüssigkeit gezeigt. Mehrere meinten, die Reiter seien wirklich Russen und werden es nicht zulassen, daß man die Fürstin mit Gewalt zurückhalte. Dron war auch dieser Ansicht und äußerte sie laut, aber Karp widersprach ihm sogleich.

»Seit wieviel Jahren hast du die Gemeinde ausgesogen?« schrie Karp. »Du hast gut reden! ... Du hast irgendwo einen Topf mit Geld vergraben und damit gehst du davon; was kümmert's dich, wenn unsere Häuser geplündert werden?«

»Wir wissen, daß es befohlen wurde«, schrie ein anderer, »die Dörfer nicht zu verlassen und nichts fortzubringen, auch nicht ein Getreidekorn! Nun, und doch will sie dort fortfahren!«

»An deinem Sohn war die Reihe, Soldat zu werden, aber das gefiel dir nicht, und deshalb hat man meinen Iwan dafür genommen!« rief zornig ein kleiner Greis.

»Es bleibt uns nichts mehr übrig als zu sterben! ... Ja, sterben!«

»Man hat mich noch nicht abgesetzt!« erwiderte Dron.

»Ja, ja, man hat dich noch nicht fortgejagt, aber das wird bald geschehen.«

Sobald Karp Rostow, begleitet von Ilin Lawruschka und Alpatitsch kommen sah, ging er ihnen entgegen, die Finger in den Gürtel gesteckt, mit lächelnder Miene, Dron aber verbarg sich in den hintersten Reihen.

»Heda! Wo ist der Älteste?« fragte Rostow.

»Der Älteste? Was wollen Sie von ihm?« fragte Karp. Kaum hatte er seine Worte beendigt, als er einen so heftigen Schlag erhielt, daß seine Mütze in die Luft flog.

»Die Mützen ab, ihr Halunken!« rief Rostow mit wilder Stimme. »Wo ist der Älteste?« wiederholte er.

»Der Älteste! Er fragt nach dem Ältesten! Dron, dich meint er!« sagten mehrere Stimmen, während die Mützen nacheinander abgenommen wurden.

»Wir machen keinen Aufstand, wir gehorchen den erhaltenen Befehlen«, begann Karp.

»Wir haben nach dem Rat der Alten gehandelt.«

»Ihr wagt es, mir zu antworten, Bande?« rief Rostow, indem er den großen Karp am Kragen faßte. »Da nehmt ihn und bindet ihn!«

Lawruschka sprang auf ihn zu und faßte seine Arme von hinten.

»Soll ich die Unsrigen rufen«, rief er, »welche dort am Bergabhang stehen?«

»Das ist überflüssig!« erwiderte Alpatitsch. Er rief zwei der Bauern mit Namen und befahl ihnen, ihre Gürtel abzunehmen, um den Gefangenen damit zu binden.

Die Bauern gehorchten schweigend.

»Wer ist der Älteste?« sagte Rostow.

Dron entschloß sich endlich, mit bleichem Gesicht zu erscheinen.

»Du bist's? Binde ihn auch, Lawruschka!« rief Rostow gebieterisch, als ob dieser Befehl keinem Widerstand begegnen konnte. Und wirklich traten noch zwei Bauern hervor, und Dron nahm selbst seinen Gürtel ab, um sich die Hände binden zu lassen.

»Jetzt hört ihr da«, fuhr Rostow fort, »ihr kehrt im Augenblick nach Hause zurück, und nun kein Wort mehr!«

»Wir haben nichts Böses getan, es war nur Dummheit, nichts weiter!«

Nun folgten gegenseitige Vorwürfe.

»Ich habe es vorher gesagt«, murmelten mehrere Bauern zu gleicher Zeit.

»Habe ich euch nicht gleich gesagt, daß das sehr schlecht von euch ist, Kinder?« rief Alpatitsch, welcher fühlte, daß er wieder im Vollbesitz der Gewalt war.

»Ja, Jakob Alpatitsch, wir sind dumm gewesen!« erwiderten die Bauern, und die Menge zerstreute sich ruhig, während man die Gefangenen nach dem Herrenhause führte.

Zwei Stunden später standen die Wagen angespannt vor dem Haus und die Bauern luden die Sachen auf unter Aufsicht von Dron, welcher auf die Bitte der Fürstin freigelassen worden war.

»Achtung!« rief einer der Bauern, ein junger Bursche mit einnehmender Miene seinem Genossen zu, der eine Kassette aus den Händen der Kammerzofe empfing. »Sie ist kostbar! Wirf sie nicht achtlos in eine Ecke! Siehst du so, man legt sie sorgfältig ins Heu!«

»Ach, wieviel Bücher! Wieviel Bücher!« sagte ein anderer, der einen Schrank der Bibliothek herausschleppte. »Stoßt mich nicht, Kinderchen! Himmel, wie schwer das ist! Was für schöne Bücher!«

Rostow wollte sich der Fürstin nicht aufdrängen und erwartete ihre Abreise im Dorf. Als die Wagen sich in Bewegung setzten, stieg er zu Pferd und begleitete sie zwölf Werst weit bis Jankowo, das von unseren Truppen besetzt war. Dann nahm er respektvoll Abschied von ihr und küßte ihr die Hand zum erstenmal.

»Sie beschämen mich«, erwiderte er errötend auf ihre lebhaften Dankesworte, »jeder Landpolizeimeister hätte dasselbe getan. Wenn wir nur Bauern zu bekämpfen hätten, so wäre der Feind nicht so tief ins Land gekommen«, fügte er mit etwas verlegenem Ton hinzu, um das Gespräch abzulenken. »Ich bin glücklich, die Ehre gehabt zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen. Leben Sie wohl, Fürstin, empfangen Sie meine besten Wünsche für die Zukunft und erlauben Sie mir, die Hoffnung auszusprechen, daß wir uns unter günstigeren Umständen wiedersehen werden.«

Die Miene der Fürstin Marie strahlte in lebhafter Erregung und Rührung. Sie fühlte, daß sie ihm den größten Dank schuldig war. Was wäre ohne ihn aus ihr geworden? Wäre sie nicht unfehlbar zum Opfer der aufständischen Bauern geworden oder den Franzosen in die Hände gefallen? Hatte er sich nicht den größten Gefahren ausgesetzt, um sie zu retten? Und welche zarte Rücksicht hatte er für ihre Lage und ihren Schmerz gezeigt! Seine guten, ehrlichen Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, als sie mit ihm gesprochen hatte, und das Andenken daran blieb in ihrem Herzen eingegraben. Als sie ihm Lebewohl sagte, hatte sie eine seltsame Regung empfunden, und sie fragte sich, ob sie ihn nicht schon liebe. Ohne Zweifel widerstrebte es ihr, sich einzugestehen, welchen Eindruck ein Mann auf sie gemacht hatte, welcher sie vielleicht nicht einmal liebte, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß niemand es erfahren werde, und daß es kein Verbrechen sei, im geheimen das ganze Leben lang denjenigen zu lieben, der zum ersten- und letztenmal ihr Herz erregt hatte.

»Es mußte so sein, daß er nach Bogutscharowo kam, um mich zu befreien, es mußte sein, daß seine Schwester meinem Bruder absagte«, dachte sie. Sie sah den Finger Gottes in dieser Verkettung der Umstände und hegte dann ganz im Verborgenen die Hoffnung, daß dieses Glück, das sie kaum kennengelernt hatte, eines Tages Wirklichkeit werden könne.

Auch sie hatte einen milden Eindruck auf Rostow gemacht, und als seine Kameraden, welche von seinem Abenteuer Wind erhalten hatten, sich erlaubten, ihn ironisch zu beglückwünschen dafür, daß er nach Heu ausgeritten sei und dabei das Verständnis gehabt habe, eine der reichsten Erbinnen Rußlands zu entdecken, wurde er ernstlich zornig. Im Grunde seines Herzens aber gestand er sich, daß er nichts besseres wünschen könnte, als die sympathische Fürstin Marie zu heiraten. Diese Heirat konnte sein Glück und das seiner Eltern machen, und wie er unwillkürlich fühlte, auch das des sanften Wesens, das ihn seinen Retter nannte. Und andererseits hätte ihr großartiges Vermögen auch die Möglichkeit geboten, auch das Vermögen seines Vaters wiederherzustellen. Aber Sonja – der er sein Wort gegeben hatte? Die Erinnerung daran war es eben, was ihn so aufbrachte, wenn seine Kameraden über seinen Streifzug nach Bogutscharowo scherzten.

158

Kutusow hatte das Oberkommando der Armee angenommen. Er erinnerte sich des Fürsten Andree und berief ihn ins Hauptquartier. An dem Tage, als Kutusow eine große Parade abhielt, kam Fürst Andree in Zarewo-Saimischtsche an. Er setzte sich vor dem Pfarrhause auf eine Bank und erwartete Seine Durchlaucht, wie man jetzt den Obergeneral nannte. Zwei Leute von der Dienerschaft Kutusows, ein Kurier und ein Haushofmeister, benutzten einen Augenblick der Muße, um frische Luft zu schöpfen. In diesem Augenblick kam zu Pferd ein Husarenoberstleutnant von kleinem Wuchs, mit braunem Gesicht und mächtigem Schnurrbart und fragte Fürst Andree, ob hier Seine Durchlaucht wohne, und ob man ihn von der Revue bald zurückerwartete.

Andree erwiderte, er gehöre nicht zum Generalstab des Fürsten und sei erst seit wenigen Minuten hier. Der Husar wandte sich darauf an einen der Diener, welcher auf seine Frage mit der Herablassung antwortete, welche gewöhnlich die Leute des Oberkommandierenden tieferstehenden Offizieren gegenüber zeigen.

»Wer? Seine Durchlaucht? Wird gleich hier sein! Was wünschen Sie?«

Der Oberstleutnant lachte über diese Dreistigkeit, stieg vom Pferd, warf den Zügel seiner Ordonnanz zu und näherte sich grüßend Bolkonsky. Fürst Andree erwiderte seinen Gruß und machte ihm Platz neben sich auf der Bank.

»Sie erwarten auch den Oberkommandierenden?« sagte der Husar. »Man sagt, er sei zugänglich, das ist sehr glücklich! Wenn man mit diesen Wurstessern, den Deutschen, zu tun hätte, gäbe es kein Ende. Jermolow tat recht daran, als er den Kaiser bat, ihn zum Deutschen zu ernennen! Aber jetzt werden auch die Russen zum Wort kommen! Der Teufel weiß, was das werden soll mit diesen ewigen Rückzügen! Haben Sie den Feldzug mitgemacht?«

»Ich habe nicht nur dieses Vergnügen gehabt«, erwiderte Fürst Andree, »sondern auch verloren, was mir am teuersten war, meinen Vater, der aus Kummer starb, und dann auch mein Gut! Ich bin aus dem Gouvernement Smolensk.«

»Ah, Sie sind wahrscheinlich Fürst Bolkonsky? Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen! Ich bin Oberstleutnant Denissow! Ich habe davon gehört.«

Fürst Andree kannte Denissow aus den Erzählungen Natalies. Erinnerungen, welche in den letzten Monaten in seinem Gedächtnis sich verwischt hatten, erwachten aufs neue und verursachten ihm Schmerz und Freude zu gleicher Zeit. Auch in Denissow erweckte der Name Bolkonsky poetische Erinnerungen an den Abend, wo er, ohne zu wissen, wie, der kleinen, fünfzehnjährigen Natalie eine Liebeserklärung gemacht hatte. Er lachte, indem er sich an diesen Roman erinnerte, kam dann aber sogleich auf das Thema, das ihn jetzt allein interessierte. Es war ein Feldzugsplan, den er entworfen hatte, während er bei dem Vorposten stand. Er hatte ihn Barclay de Tolly übersandt und wollte ihn auch Kutusow vorlegen. Seinem Plan lagen folgende Gedanken zugrunde. Die Operationslinie der Franzosen war viel zu lang, man konnte also, während man ihrem weiteren Vorrücken sich entgegenstellte, zugleich ihre Verbindungen unterbrechen. »Sie können eine so große Operationslinie nicht halten«, sagte er sich, »mit fünfhundert Mann werde ich sie durchbrechen ... Mein Ehrenwort, nur der kleine Krieg kann jetzt zum Ziele führen.«

Denissow hatte sich erhoben, um sein Projekt mit größter Lebhaftigkeit darzulegen, als er von den Hurrarufen und von Musik, welche näher kamen, unterbrochen wurde.

»Das ist er!« rief ein Kosak, der am Eingang des Hauses stand.

Andree und Denissow erhoben sich. Am Ende der Straße bemerkten sie Kutusow auf einem kleinen Pferd, der in Begleitung eines zahlreichen Gefolges von Generalen näher kam. Barclay de Tolly ritt neben ihm. Kutusow grüßte nach rechts und links, indem er die Hand an seine weiße Mütze ohne Schirm legte.

»Auf Wiedersehen, meine Herren«, sagte er und ritt durch die Pforte in den Hof. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich in die Arme der Kosaken und Adjutanten gleiten, die ihn unterstützten. Als er wieder auf den Beinen war, warf er einen Blick um sich und bemerkte Fürst Andree, aber ohne ihn zu erkennen. An der Haustür sah er nochmals nach Fürst Andree, und wie es bei Greisen öfter vorkommt, brauchte er einige Augenblicke, um den Namen dieser Gestalt zu finden, die ihm aufgefallen war.

»Ach, guten Tag, Fürst! Mein Freund, komm her!« sagte er mit Anstrengung und stieg mühsam die Stufen hinauf, welche unter seinem Gewicht krachten. Dann knöpfte er die Uniform auf und setzte sich auf eine Bank.

»Was macht dein Vater?« fragte er.

»Gestern erhielt ich die Nachricht von seinem Tod«, erwiderte Fürst Andree kurz.

»Friede sei mit ihm!« rief Kutusow, nahm die Mütze ab und bekreuzigte sich. »Ich habe ihn geschätzt und geliebt«, fügte er nach kurzem Schweigen mit einem Seufzer hinzu, umarmte den Fürsten Andree und drückte ihn lange an seine breite Brust.

»Nun, komm zu mir! Wir wollen ein wenig sprechen«, sagte er.

In diesem Augenblick stieg Denissow, der in Gegenwart seiner Vorgesetzten ebenso kühn war wie vor dem Feind, entschlossen die Treppenstufen hinauf und trat auf Kutusow zu, ungeachtet der Einreden der Adjutanten, nannte seinen Namen und erklärte, er habe dem Durchlauchtigsten etwas von hoher Wichtigkeit für das Wohl des Vaterlandes vorzulegen.

Kutusow kreuzte mit verdrießlicher Miene seine Arme über der Brust und wiederholte: »Für das Wohl des Vaterlandes, sagst du? Was kann das sein? Sprich!«

Denissow errötete, aber er begann seinen Plan mit größtem Eifer zu entwickeln. Kutusow sah zur Erde und warf zuweilen einen Blick nach der gegenüberliegenden Hütte, als ob er von dort etwas Unangenehmes erwarte. Bald erschien daselbst ein General mit einer großen Mappe unter dem Arm und kam auf Kutusow zu.

»Was gibt's?« fragte Kutusow mitten in der Rede Denissows. »Schon fertig?«

»Ja, Durchlaucht«, erwiderte der General.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«, sagte Denissow, »daß ich die Verbindungslinie Napoleons unterbrechen werde.«

»Höre einmal«, fragte plötzlich Kutusow, »ist Ciril Denissow von der Intendantur ein Verwandter von dir?«

»Er ist mein Onkel«, erwiderte Denissow.

»Wir waren Freunde«, erwiderte Kutusow heiter. »Sehr gut, mein Freund, bleibe beim Generalstab, morgen werden wir weiter darüber sprechen.« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und griff nach den Papieren, welche Konownizin gebracht hatte.

Ein Adjutant erschien auf der Schwelle mit der Nachricht, das Zimmer für den Oberkommandierenden sei bereit.

»Nein«, erwiderte dieser, »bringt mir hierher einen kleinen Tisch, und du da, gehe nicht fort!« wandte er sich an Fürst Andree. Während der General vom Dienst den Bericht machte, wurde das Rauschen eines seidenen Kleides hörbar. Fürst Andree erblickte eine junge, hübsche Frau in rosafarbigem Kleid mit einem seidenen Tuch um den Kopf, welche ein Tragbrett in der Hand hielt. Der Adjutant erklärte Fürst Andree leise, daß das die Frau des Priesters sei, der den Durchlauchtigsten schon mit dem Kreuz in der Hand empfangen habe, sie wolle ihn mit Salz und Brot willkommen heißen.

»Sie ist sehr hübsch«, bemerkte der Adjutant lächelnd.

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