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Remarque, Erich-Maria - Liebe Deinen Nchsten

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08.06.2015
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DerTürhüterhobbeideArme.»Jude?Ausgebürgert?Illegalseit Jahren? Dann bekommst du zwei Engel zu deiner persönlichen Bedienung und einen Posaunenbläser dazu.« Er rief in das Tor. »DerEngelderHeimatlosen!«UndeinegroßeGestaltinblauen GewändernmiteinemGesichtwiealleMütterderWelttrathervornebenVaterMoritz.»DerEngelderer,dievielgelittenhaben!« rief derWächter aufs neue,und eine weißgekleidete Gestalt mit einem Krug Tränen auf der Schulter trat auf die andere Seite vonVater Moritz.

»Eine Sekunde«, bat der und fragte den Wächter: »Sie sind sicher,mein Herr,daß da drin nicht …?«

»Keine Sorge. Unsere Konzentrationslager sind weiter unten.«

Die beiden Engel nahmen seineArme,und dann schrittVater Moritz,der alte Wanderer,der Veteran der Emigranten,getrost durch das Tor, auf ein ungeheures Licht zu, über das plötzlich rauschend schneller und schneller farbige Schatten fielen … »Moritz«,sagte Edith Rosenfeld in der Tür.»Hier ist das Baby. Der kleine Franzose.Willst du ihn sehen?«

Es blieb still. Sie trat vorsichtig näher. Moritz Rosenthal aus Godesberg am Rhein atmete nicht mehr.

MARIEERWACHTENOCHeinmal.SiehattedenganzenVormittag ineinerdämmerndenAgoniegelegen.JetzterkanntesieSteiner ganz klar.

»Du bist noch hier?« flüsterte sie erschrocken. »Ich kann hierbleiben,so lange ich will,Marie.« »Was heißt das?«

»Die Amnestie ist herausgekommen. Ich falle darunter. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich bleibe jetzt immer hier.«

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Sie sah ihn grübelnd an.»Du sagst mir das,um mich zu beruhigen,Josef…«

»Nein, Marie. Die Amnestie ist gestern herausgekommen.« Er wandte sich nach der Schwester um,die im Hintergrund des Zimmers herumhantierte. »Nicht wahr, Schwester, seit gestern besteht keine Gefahr mehr für mich,erwischt zu werden?« »Nein« erwiderte die Schwester undeutlich.

»Bitte, kommen Sie doch näher, meine Frau möchte es von Ihnen genau hören.«

DieSchwesterbliebgebücktstehen.»Ichhab’sjaschongesagt.« »Bitte,Schwester!« flüsterte Marie.

Es blieb still. »Bitte, Schwester«, flüsterte die Kranke noch einmal.

Die Schwester schob sich unwillig heran. Die Kranke sah sie angestrengt an. »Nicht wahr, ich darf seit gestern immer hierbleiben?« fragte Steiner.

»Ja«,stieß die Schwester hervor.

»Es besteht keine Gefahr für mich mehr, erwischt zu werden?«

»Nein.«

»Danke,Schwester.«

Steinersah,wiesichdieAugenderSterbendenverschleierten. Sie hatte keine Kraft mehr,zu weinen.»Jetzt ist alles gut,Josef«, flüsterte sie. »Und jetzt, gerade wo du mich brauchen kannst, muß ich weg …«

»Du gehst nicht weg,Marie …«

»Ich möchte aufstehen und mit dir gehen können.« »Wir werden zusammen fortgehen.«

Sie lag eine Zeitlang und sah ihn an.Ihr Gesicht war grau,das Skelett arbeitete sich durch, und das Haar war über Nacht fahl und glanzlos geworden,als sei es erblindet.Steiner sah das alles

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und sah es doch nicht;er sah nur,daß derAtem noch ging;und solangesielebte,warsiefürihnMarie,seineFrau,umgebenvom Schimmer der Jugend und der Gemeinsamkeit.

DerAbend kroch ins Zimmer,und von draußen,von der Tür her,hörte man ab und zu das herausfordernde Räuspern Steinbrenners.MariesAtemwurdeflach,dannkamerstoßweise,mit Pausen.Endlichwurdeerleiseundhörteauf,wieeinschwacher Wind, der einschläft. Steiner hielt ihre Hände, bis sie kalt wurden.Erstarbmit.Alseraufstand,umhinauszugehen,warerein gefühlloser Fremder, eine leere Hülle, die die Bewegung eines Menschenhatte.ErstreiftedieSchwestermiteinemgleichgültigenBlick.DraußenwurdeervonSteinbrennerunddemzweiten inEmpfanggenommen.»ÜberdreiStundenhabenwirauf dich gewartet«,knurrteSteinbrenner.»Darüberwerdenwirunsöfter noch mal unterhalten,da kannst du sicher sein.«

»Ich bin sicher, Steinbrenner, dieser Dinge bin ich bei dir sicher.«

SteinbrennerlecktesichdieLippen.»Duweißtjawohl,daßdie Anrede für mich ›Herr Wachtmeister‹ ist, glaube ich, was? Sag ruhigweiter›Steinbrenner‹und›Du‹zumir…aberfürjedesmal wirst du wochenlang blutige Tränen weinen,mein Liebling.Ich hab’ja jetzt Zeit mit dir.«

Sie gingen die breite Treppe hinunter, Steiner zwischen den beiden Wächtern. Es war ein milder Abend, und die bis zum BodenreichendenFensterderovalgeschwungenenAußenwand warenweitgeö net.EsrochnachBenzinundeinerAhnungvon Frühling.

»IchhabejasounendlichvielZeitmitdir«,erklärteSteinbrennerlangsamundvergnügt.»DeinganzesLeben,meinSüßer.Und unsereNamenpassensoschön…SteinerundSteinbrenner.Mal sehen,was wir daraus noch machen können.«

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Steiner nickte nachdenklich. Das schräg geschnittene o ene Fensterwurdegrößer,kamheran,ganznahe,ergabSteinbrenner einenStoßgegendasFensterhin,spranggegenihn,überihnund stürzte mit ihm zusammen ins Leere.

»SIEKÖNNENDASGeldruhignehmen«,sagteMarillzerstörtund traurig.ErhatesmirausdrücklichfürSiebeidehiergelassen.Ich sollte es Ihnen geben,wenn er nicht zurückkommt.«

Kern schüttelte den Kopf. Er war gerade angekommen und saßschmutzigundabgerissenmitMarillinderKatakombe.Von DijonauswareralsBeifahrerundGehilfeeinesLastwagenzuges gefahren.

»Er kommt wieder«,sagte er.»Steiner kommt wieder.«

»Er kommt nicht wieder!« erwiderte Marill heftig.»Herrgott, machen Sie es einem doch nicht noch schwerer mit Ihrem dauernden: er kommt wieder! Er kommt nicht wieder! Hier, lesen Sie das!«

ErzogeinzerknittertesTelegrammausderTascheundwarfes auf den Tisch.Kern nahm es und glättete es.Es war aus Berlin und an die Wirtin des Verdun gerichtet. »Herzliche Wünsche zum Geburtstag,Otto«,las er.

Er sah Marill an.

»Was heißt das?« fragte er.

»Das heißt, daß er geschnappt worden ist.Wir hatten das so verabredet.EinerseinerFreundesolltedasTelegrammschicken. Es war vorauszusehen.Ich habe es ihm gleich gesagt. Und nun nehmen Sie endlich diese dreckigen Lappen!«

ErschobdasGeldzuKernhinüber.»Essindzweitausendzweihundertvierzig Francs«, erklärte er. »Und hier ist noch etwas!« Er holte seine Brieftasche hervor und nahm zwei kleine Hefte heraus. »Das sind Fahrkarten von Bordeaux nach Mexiko. Mit

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der›Tacoma‹.PortugiesischerFrachtdampfer.FürSieundRuth. Fährt amAchtzehnten.Wir haben sie gekauft von dem übrigen Geld.DieshieristderRest.Visasindschonbesorgt.Liegenbeim Flüchtlingskomitee.«

Kern starrte die Hefte an.»Aber …«,sagte er völlig verständnislos.

»Nichts aber!« unterbrach Marill ihn ärgerlich.»Machen Sie keine Schwierigkeiten, Kern! Hat Mühe genug gekostet, das alles! Verdammter Zufall! Kam vor drei Tagen heraus. Das Flüchtlingskomitee hat von der mexikanischen Regierung die Erlaubnis bekommen, hundertfünfzig Emigranten hinüberzuschicken. Voraussetzung, daß sie die Überfahrt bezahlen können.EinesderWunder,dieabundzupassieren.Klassmann kam damit an.Wir haben sofort gebucht für Sie beide, bevor allesüberzeichnetist.GeldfürdieReisewarjada,jetztgerade. Na,und …«

Er schwieg.

»Yvonne,bringen Sie mir einen Kirsch«,sagte er dann zu der dicken Kellnerin aus dem Elsaß.

YvonnenickteundschaukeltemitwiegendenHüftenzurKüche hinüber.

»Bringen Sie zwei!« rief Marill ihr nach.

Yvonne wandte sich um. »Hätte ich sowieso gemacht, Herr Marill«,erklärte sie.

»Gut.Wenigstens eine verständige Seele.«

MarillwandtesichwiederKernzu.»Verstanden,inzwischen?« fragte er. »Etwas überraschend, das alles, ich gebe es zu.Wenn Sie die Fahrkarte und das Visum auf der Präfektur vorzeigen, bekommen Sie eine Aufenthaltserlaubnis für Frankreich bis zu dem Datum, an dem das Schi ausfährt.Auch wenn Sie illegal eingereist sind. Das Flüchtlingskomitee hat das erreicht. Sie

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können morgen gleich hingehen.Es ist die einzige Möglichkeit für Sie,’rauszukommen aus dem Dreck.«

»Ja. Beim erstenmal einen Monat, beim zweitenmal sechs Monate Gefängnis.«

»Sechs Monate, ja. Und irgendwann wird man immer zum zweitenmalgeschnappt,todsicher!«Marillsahauf.Yvonnestand vor ihm und stellte ein Tablett mit zwei Gläsern auf den Tisch. EineswareinnormalesGlas;daszweiteeinWasserglas,bisoben mit Kirschgeist gefüllt.

»DasistfürSie!«erklärteYvonnegrinsendundzeigtemitdem Daumen auf dasWasserglas.»Zum selben Preis!«

»Danke! Sie sind ein vernünftiges Kind.Viel zu schade,um in einer Ehe zur unvermeidlichen Xanthippe zu werden. Oder zu einer braven Märtyrerin.Prost!«

Marill trank auf einen Schluck das halbe Glas aus. »Prost, Kern!« sagte er.»Weshalb trinken Sie denn nicht?«

Er stellte das Glas auf den Tisch und sah Kern zum erstenmal vollinsGesicht.»Dasfehltnoch«,sagteerdann,»daßSieanfangen zu heulen! Mann,haben Sie denn gar keinenAnstand?« »Ich heule nicht!« erwiderte Kern. »Und wenn ich heule, so ist es scheißegal! Aber verdammt,all die Zeit habe ich gedacht, Steinerwärewiederhier,wennichzurückkäme,undnunpacken SiemirdaGeldhinundFahrkarten,undichbingerettet,weiler verloren ist,das ist doch eine verfluchte Schweinerei,verstehen Sie das denn nicht?«

»Nein!Verstehe ich nicht! Sie reden sentimentalen Quatsch! Ist gar nichts daran zu verstehen. Geht doch immer so! Und nun trinken Sie das da aus! So wie … nun, wie er es ausgetrunken hätte. Zum Teufel, meinen Sie, es geht mir nicht an die Knochen?«

»Ja …«

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Kern trank das Glas aus. »Ich bin wieder beieinander«, sagte er.»Haben Sie eine Zigarette,Marill?«

»Natürlich.Hier …«

KernatmetedenRauchtief ein.Ersahplötzlich,imHalbdunkelderKatakombe,SteinersGesicht.Etwasironisch,vorgeneigt, beschienen vom flackernden Kerzenlicht,wie damals vor einer Ewigkeit im Gefängnis in Wien, und ihm war, als hörte er die ruhige,tiefe Stimme:»Na,Baby?« Ja,dachte er,ja,Steiner!

»Weiß Ruth es?« fragte er. »Ja.«

»Wo ist sie?«

»Ich weiß nicht.Wahrscheinlich beim Flüchtlingskomitee.Sie wußte nicht,daß Sie kämen.«

»Nein. Ich wußte ja selbst nicht genau, wann ich ankommen würde.Kann man in Mexiko arbeiten?«

»Ja.Was,weißichnicht.AberSiebekommeneineAufenthaltsundArbeitserlaubnis.Das ist garantiert.«

»IchkannkeinWortSpanisch«,sagteKern.»Odersprichtman da Portugiesisch?«

»Spanisch.Sie müssen es eben lernen.« Kern nickte.

Marill beugte sich vor. »Kern«, sagte er mit plötzlich veränderter Stimme: »Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber ich sage euch:fahrt ab! Denkt nicht nach! Fahrt ab! Macht,daß ihr aus Europa ’rauskommt! Weiß der Teufel, was hier noch werden wird! So eine Chance kommt nicht leicht wieder. Und so viel Geld werdet ihr auch nie wieder zusammenkriegen! Fahrt ab, Kinder! Hier …«

Er trank den Rest seines Glases aus. »Fahren Sie mit?« fragte Kern. »Nein.«

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»Reicht das Geld nicht für drei? Wir haben doch auch noch etwas.«

»Darauf kommt es nicht an. Ich bleibe hier. Ich kann Ihnen nicht erklären, warum. Ich bleibe. Ganz gleich, was wird. Man kann das nicht erklären.Man weiß es,fertig.«

»Ich verstehe«,sagte Kern.

»Da kommt Ruth«, erwiderte Marill. »Und ebenso wie ich hierbleibe,fahren Sie ab,verstehen Sie das auch?«

»Ja,Marill.« »Gott sei Dank!«

Ruth blieb eine Sekunde an der Tür stehen. Dann stürzte sie auf Kern zu.»Wann bist du gekommen?«

»Vor einer halben Stunde.«

RuthhobdenKopfauseinerUmarmung,dieendlosundkürzer als ein Herzschlag war.»Weißt du …?«

»Ja.Marill hat mir alles gesagt.«

Kern sah sich um.Marill war nicht mehr da. »Und weißt du auch …?« fragte Ruth zögernd.

»Ja,ichweißes.Wirwollennichtdavonsprechenjetzt.Komm, wirwollenhierheraus!LaßunsaufdieStraßegehen.Nachdraußen.Ich möchte hier weg.Laß uns auf die Straße gehen.« »Ja.«

SIE GINGEN ÜBER die Champs-Elysées. Es war Abend, und der halbe Mond stand blaß am apfelgrünen Himmel. Die Luft war silbernundklarundsomilde,daßdieKa eehausterrassenvoller Gäste waren.

Sie gingen schweigend, eine lange Zeit. »Weißt du eigentlich, wo Mexiko liegt?« fragte Kern schließlich.

Ruth schüttelte den Kopf. »Nicht genau. Aber ich weiß auch nicht mehr,wo Deutschland liegt.«

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Kern sah sie an.Dann nahm er ihren Arm.»Wir müssen uns eine Grammatik kaufen und Spanisch lernen,Ruth.«

»Ich habe vorgestern schon eine gekauft.Antiquarisch.« »So,antiquarisch…«Kernlächelte.»Wirwerdenschondurchkommen,Ruth,was?«

Sie nickte.

»Auf jeden Fall sehen wir etwas von derWelt.Das hätten wir sonst nicht gehabt,zu Hause.«

Sie nickte wieder.

Sie gingen weiter, am Rond point vorüber. An den Bäumen drängte sich das erste junge Grün.Im Licht der frühen Lampen sah es aus wie ein flackerndes Elmsfeuer,das aus der Erde kam und die Äste und Zweige der Kastanien entlang loderte. Die ErdederAnlagenwarumgegraben.IhrstarkerDuftmischtesich sonderbarmitdemGeruchvonBenzinundÖl,derimmerüber die breite Straße wehte. An einigen Stellen hatten die Gärtner bereits blühende Narzissenbeete eingesetzt.Sie schimmerten in derDämmerung.EswardieStunde,wodieGeschäftegeschlossen wurden, und der Verkehr war so dicht, daß es schwer war, vorwärts zu kommen.

Kern sah Ruth an.»Wie viele Menschen es gibt«,sagte er. »Ja«,erwiderte sie.»Furchtbar viele Menschen.«

NACHWORT

»Man braucht ein starkes Herz,um ohneWurzel zu leben –«

I.

Das ist das Motto, das Erich Maria Remarque im Manuskript seinem Roman voranstellt und das in der US-Erstausgabe vom April 94 in englischer Übersetzung steht:

To live without roots takes a stout heart.

Bislang fehlte das Motto,das ein so bezeichnendes Licht auf die Situation des Autors selbst wie auf seine ins Exil gehetzten Romanfigurenwirft,inallendeutschenAusgabendesRomans. RemarqueschreibtLiebeDeinenNächstenimExil,inseinembereits93 erworbenen Haus, der Casa Monte Tabor, in Porto Ronco amLagoMaggioreimSchweizerTessin,nachderFertigstellung derUmarbeitungvonDreiKameradenundderExil-Publikation des Romans 937/38.2

EssolltennochdreiweitereExil-Romanefolgen:ArcdeTriom- phe, 946; Die Nacht von Lissabon, 963; Schatten im Paradies,

97 (nach dem Tode Remarques, 970,von derWitwe Paulette Goddard verö entlicht).

Es liegt nahe anzunehmen,daß das Jahr seinerAusbürgerung938auchderBeginnseinerdannfolgenden32jährigenBeschäf- tigungmitdemExil-Themaist.NochimTodesjahr 970arbeitet eraufdemKrankenbettintensivanderFertigstellungdesletzten Exil-Romans Schatten im Paradies.

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