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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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1.2.1.2 Unvollständigkeit des Bundes-Strafvollzugsgesetzes

Als das Bundes-Strafvollzugsgesetz am 1.1.1977 in Kraft trat, war lediglich „ein 22 Torso Gesetz geworden“24. Das einem modernen Behandlungskonzept folgende Gesetz traf auf eine Vollzugsrealität, welche sich überwiegend noch an den Erfor-dernissen einer sicheren Verwahrung der Gefangenen orientierte. Nicht nur das Anstaltspersonal musste sich daher den gesetzlichen Vorgaben gemäß auf ein modifiziertes Organisationssystem einstellen und dem veränderten Vollzugsziel entsprechend neue Verhaltensweisen erlernen, auch die vorhandenen Justizvoll-zugsanstalten waren – teilweise im 19. Jahrhundert errichtet – vorwiegend nach Sicherheitsbelangen konzipiert. Dies gilt vor allem für die panoptische Bauweise, bei der von einem zentralen Punkt aus sämtliche Flügel und die darin befindlichen Zellentüren einsehbar sind. Hatten nach §§ 139, 141 Abs. 1 StVollzG die Bundes-länder zwar verschiedene Anstalten einzurichten, in denen eine auf die divergie-renden Bedürfnisse der Gefangenen abgestimmte Behandlung zu gewährleisten ist, so waren schon aus finanziellen Erwägungen heraus die vorhandenen Anstal-ten weiterhin zu nutzen und den normativen Vorgaben gemäß umzugestalten.

Der Bundesgesetzgeber hat daher wesentliche Problembereiche des Strafvoll-zugs nicht konkretisiert, ungeregelt gelassen oder sie einer späteren legislatori-schen Entscheidung vorbehalten: Dies gilt bereits für den strafvollzugsrechtlichen Behandlungsbegriff, den das Gesetz nicht definiert. Zudem enthält es keinen abge-schlossenen Katalog von Behandlungsmethoden. Der Bundesgesetzgeber wollte insoweit der Übergangssituation des Strafvollzugs Rechnung tragen und die Anwendung unterschiedlicher Behandlungsmaßnahmen offenhalten, „ohne im Einzelnen in methodische Fragen einzugreifen, die der weiteren Entwicklung in Praxis und Wissenschaft überlassen bleiben müssen“25.

Bietet der offene Behandlungsbegriff des Bundes-Strafvollzugsgesetzes gerade 23 die erforderlichen Möglichkeiten zu einer dauerhaften – wissenschaftlich kontrol-lierten – Erprobung und Weiterentwicklung von Behandlungsformen und –metho-den, gefährden andererseits die Vorschriften über das Inkrafttreten einzelner Nor-men (§ 198 StVollzG) sowie die Übergangsregelungen der §§ 199 und 201 StVollzG die faktische Realisierung eines nach Behandlungsgesichtspunkten aus-gestalteten Vollzugs. Denn um die bestehenden Anstalten den gesetzlichen Grundkonzeptionen entsprechend umwandeln zu können, aber auch wegen der

  1. Dazu Schölz/Lingens, 2000, § 5 Rdn. 6.

  1. Müller-Dietz, 1978, S. 76; siehe auch Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, 2009, § 198.

  1. BT-Drs. 7/918, S. 45.

16 1 Grundlagen des Strafvollzugs

hohen Kostenfolgen von Regelungen in den Bereichen Arbeit, Sozialversicherung, Aus- und Weiterbildung, hatte der Bundesgesetzgeber zunächst einen Stufenplan für das Inkrafttreten der im Katalog des § 198 StVollzG aufgezählten Vorschriften aufgestellt und für die Zwischenzeit Übergangsregelungen getroffen (§§ 199 ff. StVollzG). Dabei ist die Legislative jedoch zum Teil ihren eigenen zeitlichen Vorgaben nicht gerecht geworden (z.B. fehlt es an der gem. § 198 Abs. 4 StVollzG bis zum 31.12.1983 zu erfolgenden Entscheidung über das Inkrafttreten der Bestimmung über die Zustimmungsbedürftigkeit bei Beschäftigung von Straf-gefangenen in Unternehmerbetrieben nach § 41 Abs. 3 StVollzG).

  1. Von zeitlich begrenzten Übergangsvorschriften sind solche zu unterscheiden, hinsichtlich deren Inkrafttreten erst durch ein weiteres Gesetz befunden werden sollte. Das Bundes-Strafvollzugsgesetz beinhaltet insoweit eine legislatorische Besonderheit: In § 198 Abs. 3 StVollzG werden – auch ohne zeitliche Festlegun-gen – die Länderhaushalte belastende Regelungen (etwa die Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung, Leistungen an Gefangene) bis zum Erlass eines besonderen Bundesgesetzes zurückgestellt. Es ist aber keine der in § 198 Abs. 3 StVollzG benannten Normen durch ein derartiges Bundesgesetz in Kraft gesetzt worden. Damit hat sich der Weg einer Fortschreibung der ursprünglich angestrebten Reformen durch Selbstverpflichtung des Gesetzgebers26 nicht be-währt; die Vollzugsreform blieb insoweit ein letztlich unverbindlicher Programm-satz.27 Unbeschadet der Frage nach dem Rechtscharakter dieses legislatorischen Vorgehens – Schaffung einer Norm, deren Inkrafttreten ohne inhaltliche Bin-dungswirkung einer zukünftigen gesetzlichen Regelung vorbehalten bleibt – be-stand allerdings Einigkeit darüber, das erforderliche Bundesgesetz nicht auf unab-sehbare Zeit hinauszuschieben.28 Denn der Bundesgesetzgeber selbst hat durch die Schaffung von Übergangsfassungen diese nur als Provisorien konzipiert.

  1. Übergangsbestimmungen für sog. Altanstalten, deren Errichtung schon vor In-krafttreten des Bundes-Strafvollzugsgesetzes begonnen hatte, enthält § 201 StVollzG.29 Damit sollte der damals bestehenden baulichen, personellen und orga-nisatorischen Situation Rechnung getragen werden.

So konnte bis zum 31.12.1985 die Unterbringung der Inhaftierten abweichend von § 10 StVollzG ausschließlich im geschlossenen Vollzug erfolgen, wenn die konkrete Anstaltssituation es erforderte. Die zeitliche Befristung dieser das Differenzierungs-prinzip des § 141 StVollzG tangierenden Übergangsregelung wurde durch Art. 22 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22.12.198130 gestrichen. Lassen räumliche, personelle und organisatorische Gegebenheiten in einer Justizvoll-zugsanstalt, deren Bau vor dem 1.1.1977 begonnen hat, keine offenen Vollzugsfor-men zu, kommt es dort weiterhin zur Unterbringung aller Gefangenen im geschlos-senen Vollzug.

  1. AK-Feest, 2006, § 198 Rdn. 5.

  1. Böhm, 2002, S. 94.

  1. Siehe AK-Feest, 2006, § 198 Rdn. 5; Calliess/Müller-Dietz, 2008, § 198 Rdn. 3; Lau-benthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, 2009, § 198.

  1. Dazu BGH, NStZ 2006, S. 57; KG, NStZ-RR 2003, S. 125.

  1. BGBl. I 1981, S. 1523.

1.2 Gesetzliche Regelungen

17

Ein solches Zurücktreten der Realisierung wesentlicher Behandlungsmaßnah-men hinter fiskalischen Sachzwängen hat das Sozialisationspotenzial des Behand-lungsvollzugs reduziert. Dies gilt vor allem auch für die Justizvollzugsanstalten in den neuen Bundesländern, hinsichtlich derer es immer noch erheblicher Aufwen-dungen bedarf, um diese zumindest dem vorhandenen westlichen Standard anzu-passen.31

Die Vorschriften der §§ 198 ff. StVollzG – verbunden mit dem ergebnislosen Verstreichenlassen bestimmter Zeitpunkte zum Inkrafttreten einzelner Normen und damit einem bloßen Fortbestand des Status quo mangels Initiative zum Erlass eines besonderen Bundesgesetzes i.S.d. § 198 Abs. 3 StVollzG – beeinträchtigten nicht nur das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der staatlichen Selbstbindung.32 Infolge knapper finanzieller Ressourcen blieb der „Torso“ Strafvollzugsgesetz von 1977 eine „Ruine“.33 Mit dem Gesetz konnte nur ein Teilerfolg bei den lang an-dauernden Bemühungen um eine umfassende gesetzliche Grundlage des Strafvoll-zugs in Deutschland erzielt werden.34

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