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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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3.3.2 Gestaltungswirkung der Schuldschwere?

  1. Ist die Art der Durchführung des Strafvollzugs nach dem Willen der Gesetzgeber auf die Zielvorgabe der sozialen (Re-)Integration und die Sicherungsaufgabe be-schränkt, dürfen über den Ausschluss weiter gehender allgemeiner Präventionsas-

pekte hinaus auch Schuldschwereerwägungen bei Gestaltungsentscheidungen keine unmittelbare Rolle spielen. In § 2 StVollzG, § 2 Abs. 1 JVollzGB I und § 1 JVollzGB III, Art. 2 BayStVollzG, § 2 HmbStVollzG, § 2 HStVollzG, § 5 NJVollzG sind die Kriterien für eine konkretisierende Ausfüllung von Beurtei-lungsspielräumen und eine Ermessensausübung insoweit erschöpfend normiert.141

Trotz dieser eindeutigen positivrechtlichen legislatorischen Vorgabe bereits in dem 1977 in Kraft getretenen Bundes-Strafvollzugsgesetzes fand in der Recht-sprechung der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Rechtsum-bildung142 dahin gehend statt, dass auch bei bestimmten vollzuglichen Gestal-tungsentscheidungen die Gesichtspunkte des gerechten Schuldausgleichs und der Sühnefunktion der Strafe berücksichtigt werden durften. Hierdurch sollte es zu einer Harmonisierung der Strafzwecke des materiellen Strafrechts und des Voll-zugsziels kommen. Diese Entwicklung stieß in der Literatur allerdings nur verein-zelt auf ein positives Echo.143

3.3.2.1 Einschränkung des Vollzugsziels durch Schuldschwereerwägungen

  1. Einfallstor für eine „Korrektur“ der Zielsetzung des Bundes-Strafvollzugsgesetzes durch Tatvergeltungs- und Präventionsaspekte waren für die Rechtsprechung jene wesentlichen Normen, welche dem modernen Behandlungsvollzug gemäß eine Öffnung der Institution ermöglichen und damit Gelegenheiten zu vermehrten Kontakten der Inhaftierten zur Gesellschaft schaffen sollen:

  1. Streng, 2002, Rdn. 198.

  1. Zu § 2 StVollzG: AK-Feest/Lesting, 2006, § 2 Rdn. 3; Bayer et al., 1987, S. 167 ff.; Calliess, 1992, S. 21; Calliess/Müller-Dietz, 2008, § 2 Rdn. 8 ff.; Kaiser/Schöch, 2002,

S. 240 ff.; Laubenthal, 1987, S. 188 f.; ders., 2006, S. 608; Meier P., 1982, S. 202;

Mitsch Chr., 1990, S. 145 ff.; Müller-Dietz, 1984, S. 353 ff.; Peters, 1978, S. 177;

Schüler-Springorum, 1989, S. 262 ff.; Seebode, 1997b, S. 117 ff.; Wagner B., 1986,

S. 640; Walter M., 1999, S. 86 ff.; siehe auch Funck, 1985, S. 137 ff.

142

Peters, 1978, S. 180.

143

Siehe Artloth, 1988, S. 403 ff.; ders., 2008, § 11 Rdn. 13, § 13 Rdn. 15; Dietl, 1988,

S. 55 ff.; Grunau/Tiesler, 1982, § 13 Rdn. 14; Ullenbruch, in: Schwind/Böhm/Jehle/

Laubenthal, 2009, § 13 Rdn. 43; begrenzend nur auf die lebenslange Freiheitsstrafe:

Streng, 2002, Rdn. 197; allein bei Strafen von mehr als drei Jahren im ersten Strafdrittel

hinsichtlich Verlegung in offenen Vollzug und Hafturlaub: Böhm, 2003, S. 33.

3.3 Allgemeine Strafzwecke keine Gestaltungskriterien des Strafvollzugs

101

Die Entscheidungen der Anstaltsleitung über

die Unterbringung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzugs (§ 10 StVollzG),

die Anordnung von Vollzugslockerungen (§ 11 StVollzG), die Gewährung von Urlaub aus der Haft (§ 13 StVollzG).

Ausgangspunkt der Entwicklung stellte eine Entscheidung des OLG Karlsruhe 183 aus dem Jahr 1977 dar.144

Ein zum damaligen Zeitpunkt fast 69 Jahre alter, wegen nationalsozialistischer Tö-tungsverbrechen in einer Vielzahl von Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verur-teilter hatte nach ununterbrochener Verbüßung von mehr als 16 Jahren Haft die Ge-währung eines Hafturlaubs beantragt. Eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr stand einer Beurlaubung nicht entgegen.

Dennoch erachtete das OLG Karlsruhe eine Versagung der beantragten Vollzugs-lockerung für rechtsfehlerfrei. Das Gericht hielt es für zulässig, im Rahmen des den Strafvollzugsbehörden zustehenden Ermessens auch den hohen Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten und damit die sich hieraus ergebende Schwere der Schuld zu berücksichtigen. Die Definition des Vollzugsziels unter dem Gedanken der Resozia-lisierung bedeute nicht, „dass die weiteren zu der Resozialisierung im Sinne einer po-sitiven Spezialprävention hinzutretenden Zwecke, die mit der Verhängung der Frei-heitsstrafe verfolgt werden, mit dem Beginn des Vollzuges wegfielen und damit zwischen der Verhängung der Strafe und ihrem Vollzug in dem Sinne ein Bruch be-stünde, dass die Verhängung und Bemessung der Strafe anderen Zwecken dienen würde als ihr Vollzug.“ Bei Maßnahmen mit Außenwirkung wie dem Hafturlaub „wird der Gedanke, dass Strafe auch Sühne für begangenes Unrecht sein und dem ge-rechten Schuldausgleich dienen soll, stärker in den Vordergrund treten.“

Das OLG Karlsruhe begann damit, die explizit zukunftsgerichtete vollzugliche Zweckbeschreibung der Befähigung zu einem zukünftigen Leben in sozialer Ver-antwortung ohne Straftaten durch das nur retrospektiv erfassbare Kriterium der Schuldschwere zu überlagern. Dem folgten weitere Oberlandesgerichte145 in ver-gleichbaren Fällen, welche zunächst nur die eng begrenzte Tätergruppe der wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen zur Lebenszeitstrafe Verurteilten betra-fen. Den Anwendungsbereich einer Berücksichtigung von Schuldschwerekriterien bei vollzuglichen Entscheidungen dehnte die Rechtsprechung aber schon bald auf alle mit lebenslanger Freiheitsstrafe Sanktionierten aus.146

Gefördert wurde diese Entwicklung zunächst noch durch das Bundesverfas- 184 sungsgericht147, welches Beschlüsse des OLG Frankfurt148 für verfassungswidrig

  1. OLG Karlsruhe, JR 1978, S. 213.

  1. OLG Frankfurt, NJW 1979, S. 1173; OLG Nürnberg, ZfStrVo 1980, S. 122; OLG Frankfurt, NStZ 1981, S. 157; OLG Hamm, NStZ 1981, S. 495.

  1. OLG Nürnberg, ZfStrVo 1984, S. 114; OLG Stuttgart, NStZ 1984, S. 525; OLG Karlsruhe, NStZ 1989, S. 247.

  2. BVerfGE 64, S. 261 ff. (m. abw. Meinung Mahrenholz).

  1. OLG Frankfurt, NStZ 1981, S. 117.

102 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

erklärte, weil dieses ausschließlich aus Schuldschwereerwägungen Lebenszeitge-fangenen die Gewährung von Hafturlaub versagt hatte. Darüber hinaus konstatier-te das BVerfG:

„Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Justizvollzugsanstalt bei der Entscheidung über die Gewährung von Urlaub aus der Haft für einen zu le-benslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen auch die besondere Schwere der Tatschuld berücksichtigt.“

  1. Das BVerfG begründete damit aber keinerlei Verpflichtung der Vollzugsbe-hörde, bei Entscheidungen die Schuldschwere als ein Abwägungskriterium zu berücksichtigen. Das Gericht stützte sich damals in seiner Begründung u.a. auf die Vorschrift des § 13 Abs. 3 StVollzG, wonach ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter (der sich noch nicht im offenen Vollzug befindet) erst beurlaubt wer-den kann, wenn er sich zehn Jahre im Vollzug aufhält. Gerade diese Zehn-Jahres-Frist weist nach damaliger Ansicht des Verfassungsgerichts auf das Hineinwirken auch anderer Aspekte als der mit § 2 StVollzG benannten in den Strafvollzug hin.

  • 13 Abs. 3 StVollzG bringe zum Ausdruck, dass unter den Gesichtspunkten von Schuldausgleich und Sühne für geraume Zeit ein ununterbrochener Strafvollzug notwendig sei.149

Eine Bestimmung des Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe durch die Schwere der Tatschuld wurde zudem von Instanzgerichten150 aus § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB hergeleitet. Danach ist ausnahmsweise der Rest einer Lebenszeitstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, wenn die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet.

Blieb die Beschränkung des Vollzugsziels durch Schuldschwereerwägungen zunächst auf Lebenszeitinhaftierte begrenzt, erfolgte in den achtziger Jahren des

  1. Jahrhunderts eine Ausdehnung auf die zeitige Freiheitsstrafe.151 Selbst Lo-ckerungsentscheidungen im Vollzug der Jugendstrafe waren schließlich von dieser Rechtsprechung betroffen.152 Ihr schlossen sich auch einige Landesjustiz-verwaltungen an, indem sie durch Allgemeinverfügungen die Berücksichtigung der Schuldschwere bei der Gewährung von Lockerungen im Vollzug lebenslangen und zeitigen Freiheitsentzugs für erforderlich erachteten.153

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