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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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3.2 Die Vollzugsaufgabe der Sicherung

Die Zielsetzung einer Befähigung des Gefangenen zu einem künftigen legalen 171 Leben enthält bereits die Zweckorientierung eines Schutzes der Gesellschaft vor

der Begehung erneuter Straftaten durch den Verurteilten.120 Die soziale Integration des Täters mittels geeigneter Behandlungsmaßnahmen wird zwangsläufig auch dem Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit gerecht.

In § 2 StVollzG hat der Bundesgesetzgeber die Zielvorgabe der (Re-)Soziali-sierung mit Satz 2 um eine weitere Vollzugsaufgabe ergänzt: den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Diese Sicherungsklausel steht nicht der individualpräventiven Zielsetzung einer Verhinderung von deliktischen Handlun-gen nach der Entlassung des Gefangenen gleich. Die Vollzugsaufgabe des Schut-zes der Allgemeinheit bezieht sich vielmehr auf den Zeitraum der Inhaftie-rung.121

In den Landes-Strafvollzugsgesetzen enthalten § 2 S. 1 JVollzGB I, Art. 2 S. 1 BayStVollzG, § 2 S. 2 HmbStVollzG, § 2 S. 2 u. 3 HStVollzG, § 5 S. 2 NJVollzG Bestimmungen zum Sicherungsauftrag des Vollzugs von Freiheitsstra-fen. Allerdings sind in den landesrechtlichen Vorschriften Behandlungs- und Si-cherungsauftrag überwiegend gleichgestellt. In Bayern wird die Schutzaufgabe von Art. 2 S. 1 BayStVollzG mit Art. 4 BayStVollzG näher umschrieben: „Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten wird durch eine sichere Unter-bringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen, eine gründliche Prü-fung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie geeignete Behandlungsmaßnahmen gewährleistet.“

Der Aspekt der Sicherung gehört schon von seinem Wesen her zu einer Frei- 172 heitsstrafe. Der Anstalt obliegt es, für die Sicherheit Sorge zu tragen, d.h. die Be-gehung von Straftaten während der Strafverbüßung zu verhindern. Dies betrifft zum einen den Schutz der Gesellschaft außerhalb des Vollzugs. Die Aufgabe

des Schutzes der Allgemeinheit umfasst aber zugleich die anstaltsinterne Sicher-heit insoweit, als es um Maßnahmen zur Unterbindung krimineller Handlungen in der Anstalt selbst geht. Denn Teil der zu schützenden Allgemeinheit sind die Vollzugsbediensteten sowie die anderen Gefangenen.

  1. BVerfGE 98, S. 200; BVerfGE 116, S. 85 f.

  1. AK-Feest/Lesting, 2006, § 2 Rdn. 14.

96 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

Soll auch der Schutz von Personal und Mitinhaftierten vor Straftaten bezweckt sein, darf dies nicht verwechselt werden mit dem umfassenderen Begriff der Anstaltssi-cherheit. Dieser bezieht sich nicht nur auf die Begehung deliktischer Handlungen im Vollzug selbst. Im Bereich der „inneren“ Sicherheit der Anstalt geht es zudem um die Abwehr von kriminalitätsunabhängigen Gefahren für Personen oder Sachen. Hin-zu kommt die Gewährleistung des räumlichen Verbleibens der Gefangenen als „äu-ßere“ Anstaltssicherheit, also die Verhinderung von Ausbruch und Entweichung.

  1. § 2 S. 2 StVollzG, § 2 S. 1 JVollzGB I, Art. 2 S. 2 BayStVollzG, § 2 S. 2 HmbStVollzG, § 2 S. 2 u. 3 HStVollzG, § 5 S. 2 NJVollzG sind Generalklauseln, die den Schutz vor Straftaten innerhalb und außerhalb der Institution als eine Auf-gabe des Vollzugs normieren und damit die Sicherungsfunktion der Freiheitsstrafe im Kontext der Vollzugsgestaltung verankern.122 Die Gesetzgeber haben diese Maxime an einigen Stellen der Strafvollzugsgesetze ausdrücklich konkretisiert. So wird die Gefahr von Rechtsbrüchen zu einer Schranke bei der Gewährung von Maßnahmen, bei denen der Verurteilte vermehrt in persönliche Kontakte mit der Außenwelt tritt: Beispielsweise setzt eine Unterbringung im offenen Vollzug vo-raus, dass ein Missbrauch der Möglichkeiten dieser Vollzugsgestaltung zu Strafta-ten nicht zu befürchten ist. Gleiches gilt für die Vollzugslockerungen Außenbe-schäftigung, Freigang, Ausführung und Ausgang sowie für die Beurlaubung aus der Haft. Die Missbrauchsgefahr muss ferner z.B. bei der Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt beachtet werden. Darüber hin-aus kann – ohne dass dies jeweils speziell geregelt wird – ein Schutz der Rechts-güter Dritter auch bei anderen Behandlungsmaßnahmen angezeigt sein. Dies gilt etwa, wenn ein Angehörigenbesuch, ein Briefverkehr oder der Besitz von Gegen-ständen zur Begehung von strafbaren Handlungen genutzt werden soll. In solchen Fällen erlangen § 2 S. 2 StVollzG, § 2 S. 1 JVollzGB I, Art. 2 S. 1 BayStVollzG, § 2 S. 2 HmbStVollzG, § 2 S. 2 u. 3 HStVollzG, § 5 S. 2 NJVollzG Bedeutung.123 Denn § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG, § 3 Abs. 2 JVollzGB I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Bay-StVollzG, § 5 Abs. 3 S. 2 HmbStVollzG, § 6 Abs. 1 S. 2 HStVollzG, § 3 S. 2 u. 3 NJVollzG lassen bei Fehlen besonderer gesetzlicher Regelung Beschränkungen zu, wenn diese zur Aufrechterhaltung der Sicherheit unerlässlich sind. Dabei ist unter der Anstaltssicherheit auch diejenige der Allgemeinheit vor Straftaten des Inhaftierten während der Verbüßung der Freiheitsstrafe zu verstehen.124

  1. § 2 S. 2 StVollzG beschränkt im Geltungsbereich des Bundes-Strafvollzugs-gesetzes die Vollzugszielbestimmung der (Re-)Sozialisierung als „Ultima-Ratio-Klausel bei Straftatenrisiko“125. Zwar besteht damit eine Antinomie von Sozialisa-tionszweck einerseits und Sicherheitsaufgabe andererseits.126 Die klare Hervorhe-bung des § 2 S. 1 StVollzG als alleiniges Vollzugsziel verdeutlicht die Priorität der Bemühungen um soziale Integration vor anderen Aufgabenstellungen. Die Befähigung zu sozial verantwortlicher Lebensführung ohne weitere Straftaten

  1. Walter M., 1995, S. 198.

  1. Kaiser/Schöch, 2002, S. 237 f. zu § 2 S. 2 StVollzG.

  1. Dazu auch unten Kap. 3.5.2.2.

  1. Kaiser/Schöch, 2002, S. 237.

  1. Dazu Kudlich, 2003, S. 704 ff.

3.3 Allgemeine Strafzwecke keine Gestaltungskriterien des Strafvollzugs

97

erfordert daher im Einzelfall das Eingehen vertretbarer Risiken. Allerdings neigt die Vollzugspraxis im Konflikt zwischen Erreichung der Zielvorgabe des § 2 S. 1 StVollzG und dem Schutz der Allgemeinheit eher dazu, die Sicherheitsaufga-be in den Vordergrund zu stellen.127 Dies geht einher mit der seit einigen Jahren – auch kriminalpolitisch – gestiegenen Bedeutung der Sicherheitsfrage und deren Auswirkung auf die praktische Vollzugsgestaltung.128

Angesichts der Gleichstellung von Behandlungs- und Schutzauftrag in Landes-Strafvollzugsgesetzen ist insoweit für die Zukunft nicht auszuschließen, dass von den Vollzugsbehörden angenommene Erfordernisse des Gesellschaftsschutzes den Alltag in den Vollzugseinrichtungen dort noch nachhaltiger prägen werden.

Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Inhaftierten ist eine Selbstverständlichkeit des Vollzugs. Die Gesellschaft hat zu ihrer eigenen Sicher-heit einen Anspruch auf (Re-)Sozialisierungsbemühungen. Die Sicherungsaufgabe besitzt eine dieser (Re-)Sozialisierung dienende Funktion.129 Gesetzlich konkreti-siert wird diese Aufgabe, indem Behandlungsmaßnahmen unter dem Vorbehalt einer zu verneinenden Missbrauchsgefahr stehen. Damit sind die Vollzugsbehör-den nachhaltig zu einem den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gerecht wer-denden Strafvollzug angehalten. Deshalb bedeutet eine Gleichsetzung130 des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten mit der (Re-)Sozialisierung als Vollzugsziel letztlich eine symbolische Instrumentalisierung im Gesamtzusam-menhang mit aktuellen kriminalpolitischen Bestrebungen, die sich mit Argumen-ten zur objektiven Sicherheitslage nicht begründen lassen.131

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