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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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3.1.3 Täter-Opfer-Ausgleich als ein Lernfeld sozialer Verantwortung

  1. Neben den Bestrebungen um eine Vermittlung sozialer Kompetenz auf der Seite des Gefangenen ist der Zielvorgabe der (Re-)Integration das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich inhärent.105

Nach den viktimologischen Untersuchungen zum Tatbeitrag des Opfers und der An-bindung der Viktimologie an die Kriminologie rückte das Verbrechensopfer vermehrt in das Blickfeld der kriminalpolitischen Diskussion. In Ergänzung seiner strafprozes-sualen Rechtsstellung kam es zur Entwicklung des Täter-Opfer-Ausgleichs. Hiermit werden Bemühungen bezeichnet, unter Leitung eines Vermittlers die nach der Bege-hung einer oder mehrerer Straftaten zwischen Täter und Verletztem bestehenden Probleme, Belastungen und Konflikte zu reduzieren oder gänzlich zu bereinigen. Im Mittelpunkt solcher Gespräche stehen die Aufarbeitung der Tat und deren Folgen sowie die Vereinbarung von Wiedergutmachungsleistungen an den Verletzten.106 Angesichts positiver Erfahrungen mit dem Täter-Opfer-Ausgleich (vor allem im Ju-gendstrafrecht107) wurde dieser durch Art. 1 Nr. 1 VerbrBekG 1994108 als eine Reak-tionsform in das allgemeine Strafrecht eingefügt (§ 46a StGB). Ebenso wie derjenige des Jugendstrafrechts i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 7 JGG findet der Täter-Opfer-Ausgleich des Erwachsenenstrafrechts nach § 46a StGB aber regelmäßig nicht in der Phase des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Sanktion statt.

166 Soll der Vollzug von Freiheitsstrafe den Verurteilten zu sozial verantwortlicher Lebensführung befähigen, so kommt einer Erfahrung der Tat und ihrer Auswir-kungen für das Opfer Bedeutung als ein wichtiger Anknüpfungspunkt für sozia-les Lernen zu.109 Denn die persönliche Begegnung mit dem Leid des Opfers ver-mag Erkenntnisprozesse einzuleiten. Diese können dazu führen, dem in einer bestimmten Situation gescheiterten Straftäter für die Zukunft sozial akzeptierte

  1. Laubenthal, 1983, S. 33 ff., 170 f.

  1. Calliess/Müller-Dietz, 2008, § 2 Rdn. 29.

  1. Schreckling, 1991, S. 1.

  1. Siehe Laubenthal/Baier/Nestler, 2010, S. 261 ff.

  2. BGBl. I 1994, S. 3186 ff.

  1. Dazu Matt/Winter, 2002, S. 128 ff.

3.1 Das Vollzugsziel 93

Formen einer Konfliktlösung bzw. des Zusammenlebens insgesamt zu vermitteln. Aus der Einsicht in die Situation des Verletzten vermag sich dann der Entschluss abzuleiten, ein Leben ohne weitere Straftaten zu führen.110

Das Bundes-Strafvollzugsgesetz selbst lässt das Deliktsopfer jedoch fast gänz-lich unberücksichtigt. Lediglich nach § 73 StVollzG ist der Gefangene in seinem Bemühen zu unterstützen, „seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen, namentlich

... einen durch seine Straftat verursachten Schaden zu regeln“. Dies wird dem Täter-Opfer-Ausgleich als einer Behandlungsmaßnahme kaum gerecht.

Zwar kann die Einbeziehung der Opferperspektive, zumal eine opferbezogene 167 Aufarbeitung der Tat, verhaltens- und einstellungsändernd wirken und einen wich-tigen Weg zur Erreichung des Vollzugsziels darstellen. Der Strafvollzug an sich

darf jedoch nicht derart opferbezogen geprägt sein, dass die Institution das Ver-hältnis von Täter und Opfer zu einem allgemeinen vollzugsinternen Gestaltungs-kriterium qualifiziert.111 Vielmehr bleibt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und wie die Behandlung unter Einbeziehung des Opfergedankens zu planen ist.112 Denn eine Realisierung des Täter-Opfer-Ausgleichs erfordert nicht nur eine entspre-chende Haltung des Täters, sondern auch eine Ausgleichsbereitschaft des Ver-letzten. Eine solche fehlt, wenn es sich auf der Seite der Tatopfer nicht um natür-liche Personen handelt.

Zwar kommt die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Einzelfall 168 nicht nur bei leichten Vergehen, sondern auch bei Verbrechen gem. § 12 Abs. 1 StGB in Betracht.113 Eine Akzeptanz des Täter-Opfer-Ausgleichs ist jedoch vor allem bei den Opfern schwerer Straftaten kaum zu erwarten. Interesse und Bereit-schaft zu einer Kommunikation mit dem Täter bleiben bei Gewaltopfern be-grenzt: Diese sind regelmäßig sogar dankbar, dass das staatliche Gewaltmonopol

in Form des Strafrechts sie von der Verpflichtung befreit, noch einmal in unmit-telbaren Kontakt mit dem Täter treten zu müssen. Das gilt insbesondere, wenn die Tat zugleich den Endpunkt einer krisenhaften Täter-Opfer-Beziehung darstellt.114 Gerade bei Opfern von Gewaltdelikten vermindern zudem öffentlich-rechtliche Leistungen (z.B. nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalt-taten) das Interesse an einem Ausgleich.

Eine Wiedergutmachungsleistung zum Ausgleich materieller oder immateri-eller Schäden wird zwangsläufig auch dann nicht in Betracht kommen, wenn der Verurteilte leistungsunfähig und überschuldet ist. Angesichts der nicht leistungs-gerechten, niedrigen Entlohnung von Gefangenenarbeit fehlt es – auch bei Aus-gleichswilligkeit von Gefangenen – häufig an den materiellen Voraussetzungen

  1. Rössner, 1990, S. 25.

  1. Zur Einbeziehung von Opferaspekten in das Bundes-Strafvollzugsgesetz siehe Bau-mann u.a. 1992; Bannenberg/Uhlmann, 1998, S. 28 ff.; Dölling/Heinz/Kerner/Rössner/ Walter, 1998, S. 485 f.; Eisenberg, 2005, S. 503 f., 513; Heinrich M., 1995, S. 81; Kas-par, 2005, S. 86; Steffen, 2005, S. 218 ff.

  1. Kaiser/Schöch, 2002, S. 233; Wulf, 1985, S. 67 ff.

  1. Zur Deliktsstruktur der Anwendungsfälle siehe Bundesministerium der Justiz, 2005, S. 31 ff.

  1. Streng, 1994, S. 147.

94 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

für eine akzeptable Wiedergutmachungsleistung.115 Schließlich dürfte ferner die in den Vollzugsanstalten gegebene Personalknappheit in der Praxis den häufig zeit-aufwendigen Ausgleichsbemühungen entgegenstehen.

  1. Da im Hinblick auf das Tatopfer keinerlei Einwirkungskompetenz der Justiz-vollzugsanstalt besteht, muss eine opferbezogene Vollzugsgestaltung auf geeigne-te Einzelfälle beschränkt bleiben. Vor allem darf eine Berücksichtigung der Op-ferperspektive und die damit verbundene Tatfolgen ausgleichende Wiedergutma-chung seitens des Täters keiner Rückkehr zu Tatschuld vergeltenden Vollzugs-zwecken gleichstehen.116 Eine fehlende Bereitschaft des Gefangenen zur Mitwir-kung an einer opferbezogenen Vollzugsgestaltung kann zudem kein Entschei-dungskriterium bei einer Versagung von Vollzugslockerungen sein.117 Anderen-falls wären schon deshalb Ungleichbehandlungen zu erwarten, weil nicht alle Delikte ausgleichbar sind.

Soweit möglich, hat die Institution die Motivation für einen Täter-Opfer-Ausgleich zu schaffen. Dabei ist auch der noch vorherrschenden Einstellung vieler Verurteilter entgegenzuwirken, die ihre Schuld (auch dem Opfer gegenüber) durch das „Erleiden“ der Kriminalstrafe als getilgt betrachten.118 Die Bereitschaft eines Inhaftierten könnte dadurch gefährdet werden, dass ein durchgeführter Täter-Opfer-Ausgleich bzw. die Leistung einer Schadenswiedergutmachung eine recht-liche Würdigung erfährt. Dies ist bislang bei der Entscheidung über einen Antrag auf vorzeitige Entlassung gem. § 57 Abs. 1 StGB möglich. Nach S. 2 dieser Vor-schrift zählt „das Verhalten des Verurteilten im Vollzug“ zu den prognose-relevanten Aspekten.119

  1. In den Landes-Strafvollzugsgesetzen wird dem Opfergedanken im Vollzug der Freiheitsstrafe mehr Bedeutung zugemessen als im Bundes-Strafvollzugs-gesetz. In Baden-Württemberg legt § 2 Abs. 5 JVollzGB I einen Behandlungs-grundsatz fest, wonach zur Erreichung des Vollzugsziels die Einsicht in die dem Opfer zugefügten Tatfolgen geweckt und geeignete Maßnahmen zum Ausgleich angestrebt werden. In Bayern ist in Art. 3 S. 2 BayStVollzG festgelegt, dass die vollzugliche Behandlung der Strafgefangenen sowohl der Prävention als auch dem Opferschutz dient. Art. 78 Abs. 2 BayStVollzG hebt im Rahmen der Vorschriften über die sozialen Hilfen diesen Opferschutz besonders hervor, in dessen Interesse die Einsicht der Inhaftierten in ihre Verantwortung für die Tat geweckt werden soll. Die Anstalt hat zur Schadenswiedergutmachung zu motivieren. Die Durch-führung eines Täter-Opfer-Ausgleichs bleibt in geeigneten Fällen anzustreben. In § 3 S. 2 HmbStVollzG wird der Opferschutz ebenfalls als Behandlungszweck benannt. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 HmbStVollzG zählen in Hamburg Schadensaus-gleich und Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs zu den Mindestangaben, zu denen der Vollzugsplan Aussagen enthalten soll. Als einen Grundsatz

vollzuglicher Maßnahmen i.S.d. § 5 HStVollzG normiert für das Land Hessen Abs. 2 der Vorschrift: Dem Gefangenen sollen gezielt Maßnahmen angeboten

  1. Siehe auch Kawamura, 1994, S. 3 ff.

  1. So auch Rixen, 1994, S. 219.

  1. Eisenberg, 2005, S. 513.

  1. Korn-Odenthal, 2002 S. 37; Rössner, 1990, S. 25.

  1. Siehe auch Steffen, 2005, S. 219.

3.2 Die Vollzugsaufgabe der Sicherung

95

werden, die ihm die Möglichkeit eröffnen, das Unrecht der Tat und die beim Op-fer verursachten Tatfolgen einzusehen und dadurch geeignete Anstrengungen zum Ausgleich der Tatfolgen zu unternehmen. In Niedersachsen bestimmt § 69 NJVollzG über die Hilfen im Vollzug in Abs. 2 S. 2 u. 3, dass die Strafgefangenen in dem Bemühen um Schadensregulierung zu unterstützen sind; in geeigneten Fällen sollen ihnen zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs Stellen bzw. Einrichtungen benannt werden.

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