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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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3.1.1.1 Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die Sozialisationsaufgabe folgt zwei zentralen Verfassungsgrundsätzen, dem 145

Gebot zur Achtung der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip:

Aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. l GG ergibt sich das Gebot, den Strafvollzug auf die (Re-)Sozialisierung der Gefangenen hin auszurichten.24

Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG verpflichten den Staat, die notwendigen Res-sourcen zur Realisierung von Sozialisationsbemühungen zur Verfügung zu stel-len.25

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem sog. Lebach-Urteil die Re- 146 sozialisierung oder Sozialisation des Verurteilten – den positiven Teil der Spezial-prävention – als das herausragende Ziel des Vollzugs einer Freiheitsstrafe be-zeichnet:

Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Le-bensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingun-gen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chan-cen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“26

Aufgabe eines so verstandenen Vollzugs ist es nach der verfassungsgerichtli-chen Rechtsprechung, die Grundlagen für die Sozialisation zu schaffen, wobei dies dem „Selbstverständnis einer Gemeinschaft“ zu entsprechen hat, welche „die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozial-staatsprinzip verpflichtet ist ... Als Träger der aus der Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährenden Grundrechte muss der verurteilte Straftäter die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen.“27 „Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen alles vergangen haben, was die Wertordnung der Verfassung unter

  1. Siehe Kap. 3.4.2.4.

  1. BVerfGE 45, S. 239; BVerfG, NStZ 1996, S. 614; BVerfGE 98, S. 200; BVerfGE 116, S. 85.

  1. BVerfGE 35, S. 236.

  1. BVerfGE 35, S. 235; siehe auch BVerfGE 33, S. 8; BVerfGE 98, S. 200.

27 BVerfGE 35, S. 235 f.; zum Ganzen: Benda, 1984, S. 307 ff.; Schneider R., 2010, S. 55 ff.

80 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

ihren Schutz stellt.“28 Der Verfassungsrang des Vollzugsziels „beruht einerseits darauf, daß nur ein auf soziale Integration ausgerichteter Strafvollzug der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde jedes Einzelnen und dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit staatlichen Strafens entspricht. Mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Gebot, den Menschen nie als bloßes Mittel zu gesellschaftlichen Zwe-cken, sondern stets auch selbst als Zweck … zu behandeln und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Freiheitsstrafe als besonders tiefgreifender Grund-rechtseingriff nur vereinbar, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer gesellschaftli-chen Schutzfunktion konsequent auf eine straffreie Zukunft der Betroffenen ge-richtet ist.“29 „Der Täter darf nicht zum bloßen Objekt der Verbrechens-bekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden. Die grundlegenden Vorausset-zungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen erhalten bleiben. Aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist daher – und das gilt insbesondere für den Strafvollzug – die Verpflichtung des Staates herzu-leiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst möglich macht.“30

  1. Neben der Herleitung des Vollzugsziels der (Re-)Sozialisierung aus dem Acht-ungsanspruch des Individuums steht somit diejenige aus dem Sozialstaatsprinzip als gestaltender Staatszielbestimmung. Dieses verlangt „staatliche Vor- und Für-sorge für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind; dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen.“31 Der Staat hat deshalb den Strafvollzug so einzurichten, wie es zur Erreichung des Vollzugsziels notwendig ist.32 Insbesondere muss er die erforderli-chen Mittel für die personelle und sachliche Ausstattung der Anstalten bereitstel-len.33 Die Lebensbedingungen im Strafvollzug und die Einwirkungen auf den Gefangenen sind so zu gestalten, dass sie die Chancen einer sozialen Wiederein-gliederung verbessern und zur Verwirklichung einer künftigen Lebensführung ohne weitere Straftaten geeignet erscheinen. Hierzu gehört auch die Verpflichtung zur Begrenzung der dem Strafvollzug inhärenten Negativwirkungen einer sozialen Stigmatisierung sowie individuell möglicher Persönlichkeitsbeeinträchtigungen. Der einzelne Inhaftierte hat somit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein grundrechtlich geschütztes Recht darauf, dass der vollzuglichen Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt wird.34

  1. Begründet die Zielvorgabe der (Re-)Sozialisierung einen (nicht unmittelbar einklagbaren) Anspruch des Verurteilten hierauf35, führt eine dem Sozialstaats-prinzip folgende Ausgestaltung des Strafvollzugs aber nicht nur zu Angeboten des

  1. BVerfG, JZ 1986, S. 849.

  1. BVerfGE 116, S. 85 f.

  1. BVerfGE 45, S. 228 f.

  1. BVerfGE 35, S. 236.

  1. BVerfGE 98, S. 200.

  1. BVerfGE 40, S. 284.

  1. BVerfGE 98, S. 200.

  1. BVerfGE 45, S. 239.

3.1 Das Vollzugsziel 81

Staates und Leistungsbegehren des Gefangenen. Sie beinhaltet vielmehr auch eine soziale Inpflichtnahme36 des Inhaftierten. Zwar ist dieser gem. § 4 Abs. 1 StVollzG, § 3 Abs. 1 JVollzGB III, Art. 6 Abs. 1 BayStVollzG, § 4 HStVollzG, § 6 Abs. 1 NJVollzG nicht zu einer (aktiven) Mitarbeit an seiner Behandlung verpflichtet37, jedoch kann ein auf Reintegration und Rückfallvermeidung ausge-richteter Vollzug „unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich sind, um die inneren Voraussetzungen für eine spä-tere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern.“38 Diese Möglichkeit zur Rechtsbeschränkung aus Gründen einer Gefährdung von Sozialisationsbemü-hungen39 haben die Gesetzgeber in mehreren Normen des jeweiligen Strafvoll-zugsgesetzes eröffnet (z.B. bei der Einschränkung des Besitzes von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung gem. § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG, § 58 Abs. 2 Nr. 2 JVollzGB III, Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 BayStVollzG, § 53 Abs. 2 HmbStVollzG, § 67 Abs. 2 S. 2 NJVollzG). Eine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung an vollzugs-zielorientierten Behandlungsmaßnahmen darf deshalb – auch zur indirekten Ein-wirkung auf einen nicht zureichend an seiner Behandlung mitarbeitenden Inhaf-tierten mit dem Ziel der Teilnahme an Behandlungsangeboten – entsprechende Einschränkungen zur Folge haben.40

Die Zielvorgabe der Befähigung, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, erlangt Geltung für alle Gefangenen. Auch bei Langstrafigen ist der Strafvollzug auf eine soziale Wiedereingliederung hin ausge-richtet.41 Selbst dem Lebenszeitgefangenen bleibt das Vollzugsziel der Vorberei-tung auf die Rückkehr in die Freiheit nicht verschlossen.42 Auch der zu lebenslan-ger Freiheitsstrafe Verurteilte ist in das Sozialisationskonzept einbezogen.43 Die Gesetze lassen insoweit keinerlei allgemeine Ausnahmeregelung für die Lebens-zeitstrafe erkennen. Die Diskrepanz zwischen der Verhängung von Freiheitsent-zug auf Lebenszeit einerseits und dem vollzugsrechtlichen Sozialisationsziel der Reintegration andererseits ist spätestens seit Inkrafttreten des § 57a StGB (Ausset-zung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe zur Bewährung) beseitigt. Da dem Lebenszeitgefangenen grundsätzlich eine Chance bleibt, seine Freiheit wie-derzuerlangen, steht auch ihm ein Anspruch auf (Re-)Sozialisierung zu.44

  1. Calliess/Müller-Dietz, 2008, Einl. Rdn. 34.

  1. In Hamburg wird zwar in § 5 Abs. 1 S. 1 HmbStVollzG von einer Verpflichtung der Gefangenen ausgegangen, wobei eine Mitwirkungsverweigerung aber nicht disziplina-risch geahndet werden darf (§ 85 S. 2 HmbStVollzG).

  1. BVerfGE 40, S. 284 f.

  1. Dazu Hoffmann, 2000, S. 9 ff.

  1. Laubenthal, 2000a, S. 171.

  1. BVerfGE 98, S. 200.

  1. A.A. noch Röhl, 1969, S. 93.

  1. BVerfG, NStZ 1996, S. 614; Laubenthal, 1987, S. 109.

  1. BVerfGE 45, S. 239.

82 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

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