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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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3.1 Das Vollzugsziel

  1. Zielsetzung des Vollzugs von Freiheitsstrafe ist die Befähigung der Gefangenen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Diese Zielvorgabe stellt einen verbindlichen Maßstab für die Vollzugsorganisation und deren Personalstruktur dar, an ihr hat sich die Gestaltung der Behandlungsprozes-se zu orientieren. Vollzugsrechtliche Entscheidungen – insbesondere auch solche, die eine Ermessensausübung der Verwaltung voraussetzen – werden vom Leitge-danken des Sozialisationsziels geprägt.

3.1.1 Die (Re-)Sozialisierung

  1. Nicht Besserung bzw. Erziehung des erwachsenen, zu Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen bezeichnen heute die Zielsetzung, sondern die „Resozialisierung“ des Straftäters. Die Strafvollzugsgesetze selbst benutzen allerdings diesen Terminus in § 2 StVollzG, § 1 JVollzGB III, Art. 2 BayStVollzG, § 2 HmbStVollzG, § 2 HStVollzG, § 5 NJVollzG nicht, auch sonst wird er nur sehr zurückhaltend ver-wendet (z.B. in § 9 Abs. 2 S. 1 StVollzG). Divergierende Ansätze der Bezugswis-senschaften erschweren eine Definition dessen, was unter Resozialisierung zu verstehen ist. Dies lässt sich am ehesten noch unter Heranziehung des Vollzugs-

1

2

Calliess/Müller-Dietz, 2008, § 3 Rdn. 1. Arloth, 2008, § 3 Rdn. 1.

3.1 Das Vollzugsziel 77

ziels erfassen: (Re-)Sozialisierung steht für die Summe aller Bemühungen im

Strafvollzug zum Zweck einer Befähigung des Gefangenen, künftig in sozia-ler Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.3 Dabei bietet der (Re-)Sozialisierungsansatz eine Zielperspektive mit Gestaltungsvarianten, welche auf die jeweiligen örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten hin zugeschnitten und konkretisiert werden können.4

Aktuell stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die mit der Aufgabenstellung der

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sozialen Integration zum Ausdruck gekommenen Grundannahmen überhaupt noch mit der Realität in Einklang stehen. So finden sich seit einigen Jahren in den deut-schen Justizvollzugsanstalten Täter- bzw. Gefangenengruppen, bei denen das Errei-chen einer solchen Zielsetzung wenig Erfolg versprechend erscheint bzw. die fakti-sche Vollzugsgestaltung nicht oder nur wenig mit den Sozialisationsvorstellungen übereinstimmt.5 Dies betrifft etwa die große Gruppe der ausländischen Inhaftierten6, die infolge ihrer Bestrafung eine Ausweisung zu erwarten haben. Sie befinden sich ebenso überwiegend in einem bloßen Verwahrvollzug wie die eine Integration in den Behandlungsvollzug prinzipiell ablehnenden Spätaussiedler7 insbesondere aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Hinzu kommt eine Fülle von Kurzzeitinhaftier-ten, die ihre sehr kurzen bzw. Ersatzfreiheitsstrafen ohne Zugang zu Behandlungsan-geboten verbüßen. Weitgehend behandlungsresistent sind nicht nur Täter aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität oder sog. wandernde Straftäter (z.B. Drogen-kuriere). Es betrifft auch jene Gefangenen, deren Entscheidung für ihr kriminelles Verhalten das Resultat eines individuellen Nutzen-Risiko-Kalküls darstellt und die eine utilitaristisch-kalkulierende Einstellung gegenüber Strafrechtsnormen besitzen.8 Die Problematik wird verstärkt durch eine dem Behandlungsvollzug wenig entspre-chende tatsächliche Vollzugssituation mit überfüllten Justizvollzugsanstalten, Knappheit auf der Personalebene und prinzipiellen Sparzwängen. Eine vermehrte Be-rücksichtigung ökonomischer Sichtweisen in der kriminalpolitischen Auseinander-setzung hat längst auch den Bereich des Strafvollzugs erreicht9, der sich zudem mit erhöhten Ansprüchen der Gesellschaft im Hinblick auf eine möglichst lückenlose Si-cherheit auch durch das Strafrecht und dessen Unrechtsreaktionen10 konfrontiert sieht.

All diese Erscheinungsformen bestätigen die These11, wonach der Strafvollzug die allgemeinen gesellschaftlichen Probleme unter den verschärften Bedingungen des zwangsweisen Freiheitsentzugs gleichsam erbt. Er stellt letztlich ein gewisses Spie-gelbild der sozialen und ökonomischen Bedingungen dar. Im Rahmen der vorgege-benen Möglichkeiten bemühen sich die im Vollzug Tätigen allerdings um eine best-

3 Dazu Kaiser/Schöch, 2002, S. 159 f.; Seebode, 1997b, S. 99 ff.; Walter M., 1999, S. 270; siehe auch Böhm, 2002a, S. 807 ff.; Leyendecker, 2002, S. 34 ff.

  1. Walter M., 2001, S. 25 ff.

  1. Dazu Böhm, 2002, S. 92 ff.; Koepsel, 1999, S. 81 ff.; Maelicke B., 2002, S. 11 ff.; Müller-Dietz, 2000, S. 232 f.; Preusker, 2001, S. 12 ff.; Seebode, 2001, S. 55 f.; Was-sermann, 2003, S. 328.

  1. Dazu Kap. 5.1.7.

  1. Dazu Kap. 3.4.2.4 (5).

  1. Siehe Kunz, 2008, S. 122 f.

  1. Walter M., 2001a, S. 966 ff.

  1. Dazu Heinz, 2009, S. 233 ff.

  1. Siehe Müller-Dietz, 1998, S. 1012.

78 3 Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien

mögliche Erfüllung der gesetzlichen Zielvorgaben. Auch wenn der Strafvollzug man-chem insgesamt als ein bloßer humaner Verwahrvollzug erscheinen mag12, ist es dennoch nicht angebracht, sich von der (Re-)Sozialisierung als Vollzugsziel zu ver-abschieden.13 Defizite und Mängel können kein Grund sein, als richtig erkannte Ziel-setzungen14 aufzugeben und faktische Zustände zu legitimieren.15 Letztlich gibt es von Rechts wegen keine Alternative zum (Re-)Sozialisierungsmodell, zumal dieses seine Grundlagen in der Verfassung findet.16

  1. (Re-)Sozialisierungsbemühungen zur Erreichung der Zielvorgabe implizieren, dass die in der Justizvollzugsanstalt eine Freiheitsstrafe verbüßenden Personen regelmäßig unfähig sind, ein straffreies Leben in sozialer Verantwortung zu füh-ren, und sie diese Fähigkeit im Strafvollzug erwerben können. Unterstellt werden insoweit die Lernbedürftigkeit des Inhaftierten, seine Lernfähigkeit sowie Lern-willigkeit.17

  1. Zum Schlüsselbegriff wird die Sozialisation. Hierunter versteht man das schon in der Kindheit beginnende Erlernen eines an der Umwelt und an den Mitmen-schen orientierten Sozialverhaltens; eine eigenverantwortliche Persönlichkeitsent-faltung, verbunden mit einem Sichaneignen der Werte jener Kultur, welche das Individuum umgibt. Folgen die Strafvollzugsgesetze dem Grundgedanken einer (Re-)Sozialisierung, so kommt dies einer Interpretation der den Freiheitsstrafen zugrunde liegenden Kriminalität als Mangel an Sozialisation gleich.18 Soll im Vollzug dieses Defizit durch R e -Sozialisierung behoben werden, setzt das vo-raus, dass der Gefangene in seinem bisherigen Leben schon einen Sozialisations-prozess im Sinne der gültigen Sozial- und Rechtsordnung durchlaufen hat, was bei zahlreichen Verurteilten aber nicht oder nur unvollständig der Fall ist. Zum Ziel des Vollzugs der Freiheitsstrafe wird damit häufig erst das Bemühen um ein Nachholen der Sozialisation – eine Ersatz-Sozialisation.19 Die Justizvollzugsan-stalt muss daher je nach den Erfordernissen des einzelnen Inhaftierten ein mög-lichst umfassendes und differenziertes Sozialisationsangebot20 machen, demnach als Sozialisationsinstanz in der Freiheit unterbliebene oder gescheiterte Lernpro-zesse in Unfreiheit ersetzen.21 Zu kurz würde es deshalb greifen, diesen (Re-)Sozialisierungsgedanken durch eine Art Neukonzeptionalisierung im Sinne eines allgemeinen bloßen sozialen Wiedereingliederungsziels zu modifizieren.22

  1. Dazu Böhm, 2002, S. 92 ff.; Koop, 2002, S. 5.

  1. So auch Arloth, 2001, S. 322; zur Übereinstimmung der öffentlichen Meinung mit dem Vollzugsziel: Klocke, 2004, S. 89 ff.

  2. Siehe auch Arloth, 2010, S. 350; Seebode, 2001, S. 55.

  1. Walter M., 2000, S. 60.

  1. Dazu Kap. 3.1.1.1.

  1. Haberstroh, 1982, S. 619.

  1. Schneider H. J., 1983, S. 296.

  1. Schüler-Springorum, 1969, S. 160 ff.

  1. Müller-Dietz, 1978, S. 78.

  1. Dazu Cornel, 1995, S. 26 ff.

  1. In jenem Sinne jedoch Matt, 2004, S. 140.

3.1 Das Vollzugsziel 79

Ein nicht geringer Teil derjenigen, die heute ihre Freiheitsstrafen zu verbüßen haben, bedarf durchaus Maßnahmen der Ersatz-Sozialisation.

Dabei soll allerdings eine Personalisation und Enkulturation innerhalb einer 144 von der Gesellschaft weitgehend abgesonderten, künstlich gebildeten Gemein-schaft stattfinden, in der die Gemeinsamkeit der darin lebenden Personen vor allem in der Begehung von Straftaten und deren Verurteilung liegt. Dies stellt nicht nur die faktische Realisierbarkeit des Vollzugsziels der sozialen (Re-)Integration in Frage. Folge des Anstaltsmilieus ist vielmehr auch ein negati-

ver Sozialisationsprozess: die Anpassung an das Anstaltsleben, verbunden mit einer Akkulturation an die devianten Normen der Subkultur.23

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