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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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2.5 Der bundesdeutsche Strafvollzug

  1. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs leitete die Kontrollratsdirektive Nr. 19 vom 12.11.1945 „Grundsätze für die Verwaltung der deutschen Gefängnisse und Zuchthäuser“ eine Neuordnung des Strafvollzugs ein. Erziehung und Besserung sollten wiederum zu Grundlagen der Ausgestaltung des Freiheitsentzugs werden. Die Verflechtung des Strafvollzugs mit der jeweiligen Staatsform und Gesell-schaftsordnung führte jedoch infolge der Teilung Deutschlands zu einer divergie-renden Entwicklung des Vollzugswesens.

2.5.1 Dienst- und Vollzugsordnung von 1961

  1. In der Bundesrepublik kam es nach Beseitigung der Überreste des nationalsozia-listischen Abschreckungs- und Vernichtungskonzepts zu einer Rehumanisierung. Zunächst knüpften Vollzugspraktiker vor allem aus kriminalpädagogischer Per-spektive an die Weimarer Reformtendenzen an. Damit einher gingen Forderungen nach der Verrechtlichung des Strafvollzugs durch ein Bundesgesetz123, maßgeblich begründet mit Gesichtspunkten der Rechtseinheit und -gleichheit sowie der Not-wendigkeit einer normativen Regelung der Rechtsstellung des Gefangenen und der Eingriffsbefugnisse des Staates.

119 Zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager: Benz/Distel, 2005; Herbert/Orth/Diehmann, 1988; Sofsky, 1993, S. 41 ff.

  1. Broszat, 1994, S. 388 ff.; siehe etwa auch Gilsenbach, 1988, S. 11 ff.; Grau, 1993; zum Beitrag der damaligen Kriminalbiologie an der nationalsozialistischen Vernichtungspo-litik: Hohlfeld, 2002, S. 56 ff.; Laubenthal, 2007b, S. 155 ff.; Streng, 1993, S. 141 ff.

  2. Sofsky, 1993, S. 47.

  1. Dazu Gutmann, 1993; Hilberg, 1990, S. 927 ff.; Sofsky, 1993, S. 51 f.

  1. Vgl. Müller-Dietz, 1970, S. 24.

2.5 Der bundesdeutsche Strafvollzug 67

Die Realisierung eines Strafvollzugsgesetzes blieb auch in den fünfziger und sechziger Jahren noch aus. Dies beruhte zum einen auf dem Vorrang einer Erneue-rung des materiellen Strafrechts gegenüber einer vollzugsrechtlichen Regelung, so dass die erheblichen Verzögerungen der Strafrechtsreform dann zwangsläufig zu einer Verschiebung der Vollzugsgesetzgebung führten; zum anderen behauptete sich die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis. Danach waren alle für Zwe-cke der Strafanstalt notwendigen Maßnahmen zu Lasten des Inhaftierten ohne eine gesetzliche Eingriffsgrundlage legitimiert.124 Da die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG aber auch den Bereich eines besonderen Gewaltverhältnisses umfasst, kam es für den Strafvollzug in den fünfziger Jahren in Vollzugssachen zu einer unterschiedlichen Bejahung der sachlichen Zuständigkeit von Strafgerichten bzw. von Verwaltungsgerichten.125 Seit 1961 normieren die durch § 179 VwGO als Ausführungsbestimmungen zu Art. 19 Abs. 4 GG in das EGGVG eingefügten §§ 23 ff. die Kontrolle von Justizverwaltungsakten. Damit war bis zum Inkrafttre-ten des Strafvollzugsgesetzes für Fragen der Rechtsstellung des Gefangenen sowie der Vollzugsgestaltung der Rechtsweg zu den Oberlandesgerichten eröffnet.

Stellten Anstaltszweck und besonderes Gewaltverhältnis nach damals verbreite- 125 ter Auffassung eine zureichende Grundlage für Rechtseinschränkungen dar, be-durfte es nicht notwendigerweise einer gesetzlichen Legitimation. Um jedoch der Gefahr einer Auseinanderentwicklung in den einzelnen Bundesländern entge-genzuwirken und zu einer Vereinheitlichung beizutragen, vereinbarten die Justiz-minister und -senatoren am 1.12.1961 die Dienst- und Vollzugsordnung (DVollzO), welche am 1.7.1962 in Kraft trat.

Die – mit mehrfachen Änderungen – bis Ende 1976 geltende DVollzO spiegelte den überkommenen Zielkonflikt zwischen Abschreckung, Vergeltung sowie Sicherheit auf der einen und Besserung zur sozialen Reintegration auf der anderen Seite wider. Einem Zweckpluralismus ohne eindeutige Prioritäten folgend legte Nr. 57 Abs. 1 DVollzO als Vollzugsziel fest:

„Der Vollzug der Freiheitsstrafe soll dazu dienen, die Allgemeinheit zu schützen, dem Gefangenen zu der Einsicht zu verhelfen, dass er für begangenes Unrecht einzu-stehen hat und ihn wieder in die Gemeinschaft einzugliedern. Der Vollzug soll den Willen und die Fähigkeit des Gefangenen wecken und stärken, künftig ein gesetzmä-ßiges und geordnetes Leben zu führen.“

Die DVollzO126 regelte die Vollzugsorganisation (Nr. 1 ff.), die personelle Aus-stattung der Anstalten (Nr. 12 ff.), die Berufspflichten der Bediensteten (Nr. 34 ff.) sowie die Stellung des Gefangenen (Nr. 44 ff.). Sie sah kein System des Progressiv-strafvollzugs mehr vor. Die Erkenntnisse einer Persönlichkeitserforschung zu Beginn der Strafverbüßung sollten die Grundlage einer differenziert ausgestalteten Behand-lung sein, deren Schwerpunkte in der Erziehung zu Arbeit und Ordnung, in der Er-wachsenenbildung und in der Fürsorge durch soziale Hilfen lagen.

  1. Blau, 1988, S. 20; Schneider R., 2010, S. 17.

  1. Vgl. Kaiser/Schöch, 2002, S. 47.

  1. Dazu umfassend Grunau, 1972.

68 2 Historische Entwicklung

  1. Die normative Einordnung der DVollzO war umstritten127: Als Verwaltungs-abkommen hatte sie weder den Charakter eines Gesetzes noch einer Rechtsver-ordnung. Einerseits wurde sie als nur innerdienstlich bindende Verwaltungsanord-nung aufgefasst, andererseits ihr Rechtssatzcharakter als eine das Verhältnis von Gewaltunterworfenen und Gewaltinhaber regelnde Vorschrift betont. Unabhängig von der Auseinandersetzung über die Rechtsqualität betrachteten Gerichts- und Vollzugspraxis die DVollzO als maßgebliche Rechtsgrundlage des bundesdeut-schen Strafvollzugs. In Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG erfolgte die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Vollzugsmaßnahmen anhand der DVollzO. Dabei gab die Rechtsprechung überwiegend den Erfordernissen von Sicherheit und Ordnung der Anstalt den Vorzug vor Reintegrationsbedürfnissen des Gefangenen.128 Dement-sprechend konnte sich ein sicherheitsorientierter Verwahrvollzug behaupten.

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