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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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2.4.2 Weimarer Zeit: Progressivstrafvollzug und Bemühen um normative Regelung

  1. Nach dem Ersten Weltkrieg begann sich in der Weimarer Zeit der Erziehungs-und Besserungsgedanke durchzusetzen. Förderung erfuhr diese Entwicklung

  1. Müller-Dietz, 1970, S. 10.

  1. Siehe dazu: Dünkel F., 1983, S. 32 f.; Müller-Dietz, 1970, S. 9; Walter M., 1999, S. 33.

  1. v. Liszt, abgedruckt 1905, S. 126 ff.

  1. Freudenthal, abgedruckt 1955, S. 157 ff.

  1. v. Liszt, 1905, S. 171 f.

2.4 Entwicklung vom Inkrafttreten des RStGB 1871 bis zum Jahr 1945 63

durch das Jugendgerichtsgesetz 192395, das nicht nur die Vollstreckung der Ju-gendstrafe in gesonderten Anstalten anordnete96, sondern auch erstmals auf gesetz-licher Grundlage die Erziehung des jungen Straffälligen zum zentralen Vollzugs-ziel erklärte.

Wesentliche Bedeutung als Mittel zur praktischen Verwirklichung eines die 117 Persönlichkeit des Verurteilten in den Vordergrund stellenden Erziehungsvoll-zugs erlangte im Weimarer Gefängniswesen97 das Progressivsystem nach engli-schem und irischem Vorbild.98 Die im Jugendgefängnis Wittlich begonnene indi-vidualisierende Behandlung der Inhaftierten durch Einteilung in differenzierende Gruppen wurde vor allem in Bayern, Hamburg und Thüringen weiter erprobt und fortentwickelt. Engagierte Vollzugspraktiker wie Albert Krebs in der Landesstraf-anstalt Untermaßfeld bei Meiningen99 oder die Hamburger Sozialpädagogen Curt Bondy und Walter Herrmann im Jugendgefängnis Hahnöfersand führten Versuche über die Ausgestaltung des Stufensystems durch. Dabei betrachteten sie die Pro-gression verschiedener Haftarten als die organisatorische Grundlage des Erzie-hungsstrafvollzugs100: von Einzelhaft in den ersten Monaten zur Besinnung über Gemeinschaftshaft, anschließende Zwischenanstalt zur Vorbereitung auf die Wie-dereingliederung hin zur bedingten Entlassung.

Bestärkt wurden jene praktischen Reformbestrebungen von Gustav Rad- 118 bruch.101 Dieser hatte schon 1911 – von der absoluten Unvergleichlichkeit der Lebensbedingungen in der Gefängniszelle mit denjenigen in der Freiheit ausge-hend – eine Sozialisation des Gefangenen gefordert durch Vergesellschaftung „mit seinen Mitgefangenen zu einer nach dem Modell der bürgerlichen Gesellschaft gebauten Assoziation“.102 Unter Abkehr vom Einzelhaftsystem („Die Einzelhaft verbessert, aber sie verbessert nur für die Anstalt, nicht für das Leben.“103) strebte

er eine schrittweise Anpassung der Anstaltsverhältnisse an das Leben in der Frei-heit an.

Als Reichsjustizminister konnte Radbruch kriminalpolitische Reformbestre-bungen aktiv fördern. Auf seine Anregung hin wurden zunächst anstelle eines angestrebten Reichsstrafvollzugsgesetzes die Bundesratsgrundsätze von 1897 im Wege der Ländervereinbarung durch die Reichsratsgrundsätze von 1923104 er-setzt. Diese „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ waren geprägt vom Vollzugsziel der erzieherischen Einwirkung auf die Inhaftierten zum Zweck der Rückfallverhütung (§ 48). Den damaligen Vorstellungen entsprechend sollte ein einheitlicher Progressivstrafvollzug (§§ 130 f.) eingeführt werden und im Vollzug

  1. Dazu Laubenthal/Baier/Nestler, 2010, S. 15.

  1. Zur geschichtlichen Entwicklung des Jugendstrafvollzugs: Cornel, 1984, S. 48 ff.

  1. Siehe hierzu auch Wachsmann, 2002, S. 411 ff.

  1. Dazu Schattke, 1979, S. 129 ff.

  1. Krebs, 1930, S. 69 ff.

  2. Bondy, 1925, S. 90 f.

  1. Vgl. Einsele, 2001, S. 27 ff.

  1. Radbruch, 1911, S. 351.

  1. Radbruch, 1911, S. 353.

104 RGBl. II 1923, S. 263 ff.; siehe auch Müller-Dietz, 1994c, S. 11 f.; Schenk, 2001, S. 98 ff.

64 2 Historische Entwicklung

eine verstärkte Differenzierung nach Personengruppen und Sanktionsarten erfol-gen. Gegen Maßnahmen des Strafvollzugs stand dem Gefangenen das Beschwer-derecht zu (§ 147) . Soweit nicht Vorschriften der Strafprozessordnung maßgebend waren, hatte über die Beschwerde der Anstaltsvorsteher zu entscheiden (§ 152 S. 1).

119 War der Strafvollzug in Art. 7 Nr. 3 der Weimarer Verfassung von 1919 erst-mals als Materie der (konkurrierenden) Gesetzgebung ausdrücklich benannt, kam es jedoch erst 1927 – gekoppelt an den gerade aktuellen Entwurf eines Strafge-setzbuches – zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative. 1927 legte die Reichsre-gierung den „Amtlichen Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes nebst Begrün-dung“105 vor.

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Strafvollzugs knüpfte dieser an die Reichsrats-grundsätze von 1923 an. Leitprinzipien stellten eine Vertiefung des Erziehungsge-dankens sowie die Verstärkung der rechtlichen Garantien des Inhaftierten dar.106 Vollzugsziel blieb die Rückfallverhütung (§ 64); am System des Strafvollzugs in Stu-fen wurde festgehalten (§§ 162 ff.). Nicht inhaltliche Kritik, sondern vor allem eine Verknüpfung von Strafrechts- und Strafvollzugsreform bewirkte jedoch, dass mit dem parlamentarischen Scheitern der sog. Reichstagsvorlage eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1927 auch der Versuch einer gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs sein vorläufiges Ende fand.

  1. Mit dem während der Weimarer Zeit praktizierten Stufenstrafvollzug als Er-ziehungsmittel war das Ziel der „sittlichen Hebung“107 verbunden. Im Wege der Vergünstigungsprogression erfolgte bei fortschreitender „innerer Wandlung“ eine Milderung des Anstaltsaufenthalts durch schrittweise Lockerungen zur Vorberei-tung des Übergangs in die Freiheit. In der Praxis kam die Gewährung von Ver-günstigungen aber in erster Linie einer Belohnung für Anpassung und Wohlver-halten gleich. Das System des Progressivstrafvollzugs brachte damit weniger erzieherische Erfolge mit sich – es entwickelte sich vielmehr zu einem Mittel anstaltsinterner Disziplinierung.108 Damit einher ging eine zunehmende Vernach-lässigung der Rechtsschutzgarantien. Es setzte sich die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis durch, wonach die Rechte des Inhaftierten auch ohne ein förm-liches Gesetz eingeschränkt werden konnten, soweit dies durch den Zweck des Strafvollzugs geboten war.

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