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Klaus Laubenthal-Strafvollzug 6. Auflage (Sprin...docx
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2.2 Erste Ansätze modernen Besserungsvollzugs

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging der allmähliche Ersatz von Leibes- 91 und Lebensstrafen durch einen zeitlich begrenzten Freiheitsentzug einher mit Veränderungen der Funktionsbestimmung: Die Besserung des Gefangenen sowie das Bestreben um seine soziale Wiedereingliederung wurden zu grundlegenden Zielen der modernen Freiheitsstrafe. Dennoch vermochte sich diese nicht von Elementen zu lösen, welche den Körper selbst in Mitleidenschaft zogen, so dass

ihr ein „peinlicher“ Rest verblieb.18

Dass sich die Entwicklung zu einem Besserungsvollzug gerade zu jener Zeit anbahn-te, lässt sich im Wesentlichen auf die soziale, religiöse und wirtschaftliche Situation zurückführen:

Vor allem die sozialen Entwurzelungsprozesse als Folge der Kreuzzüge, aber auch eine Verarmung der Landbevölkerung bedingten in Europa das Auftreten um-herziehender Bettler, deren Vagabundentum sich zu einem Massenphänomen auswei-tete. Der damit verbundenen Kleinkriminalität konnte man nicht mehr nur mit der Vollstreckung von Leibes- und Lebensstrafen Herr werden.19 Das wachsende Heer der Bettler – darunter viele Kinder und Jugendliche – erforderte eine andere Reakti-onsform. Im Zusammenhang mit der Armenfürsorge kam es zu einem Umdenken:

  1. Eisenhardt, 1978, S. 25; Freudenthal, 1914/15, S. 83.

  1. Schmidt Eb., 1965, S. 193.

  1. v. Hippel, 1928, S. 9; Schmidt Eb., 1965, S. 193.

  1. Foucault, 1981, S. 24 f.

  1. Krohne, 1889, S. 14.

52 2 Historische Entwicklung

Bewältigung der Besorgnis erregenden Entwicklung durch „Umwandlung des sozia-len Schädlings in einen brauchbaren Menschen“.20 Zur gleichen Zeit gingen sozial-religiöse Impulse vom Calvinismus aus. Die calvinistische Berufs- und Arbeitsethik verlangte eine strenge Bekämpfung des Bettlertums, der Armut und des Diebstahls mittels Disziplinierung in Form von nützlicher Arbeit. Da im Müßiggang etwas Gott Zuwidergehendes lag, sollte der Delinquent durch harte Arbeit „in den Zustand eines rechten Verhältnisses zu Arbeit und Berufspflichten und damit zu Gott gezwungen werden.“21 Ein sich entwickelndes merkantilistisches Denken erkannte in den Ge-fängnisinsassen schließlich ein großes Potential an preiswerten Arbeitskräften. Ließ sich Arbeit anstaltsmäßig organisieren, konnten die Gefangenen auch mit wirtschaft-lichem Erfolg zwangsverpflichtet werden.22

  1. Eine dementsprechend veränderte Funktionsbestimmung von Freiheitsentzug findet sich erstmals in England. Dort richtete die Stadt London in dem ihr von König Eduard VI. geschenkten Schloss Bridewell im Jahr 1555 ein Arbeitshaus ein, dem in der Folgezeit in den Grafschaften die Eröffnung einer Vielzahl sog. „houses of corrections“ folgte. In diesen Arbeits- und Werkhäusern sollten Bettler, Landstreicher, Prostituierte und kleine Diebe mit dem Ziel ihrer gesellschaftlichen Integration zur Arbeit erzogen werden.

  1. Während die englischen Korrektionshäuser mehr der Bekämpfung bestimmter sozialer Auffälligkeiten dienten, wurde der Gedanke des Besserungsvollzugs ge-rade für Straftäter 1595 in Holland mit der Gründung des Amsterdamer Tucht-huis realisiert.

Das Amsterdamer Zuchthaus für Männer, 1597 um die Errichtung eines „Spinhuis“ für Frauen ergänzt, gilt als die erste Strafvollzugsanstalt im modernen Sinne.23 In ihr lebten etwa 150 Personen aus dem „zuchtlosen“ Volk in kleinen Gemeinschaftsräu-men. Tagsüber waren sie mit Holzraspeln bzw. Spinnereiarbeiten sowie mit seelsor-gerischem Unterricht beschäftigt. Durch harte Arbeit und Religion als „Zuchtmittel“ sollten sie gebessert und an das soziale Leben gewöhnt werden, damit sie wieder brauchbare Mitglieder der Gesellschaft darstellten.24 Wegen der stigmatisierenden Folgen einer Bestrafung, welche die Zielsetzung einer gebesserten Rückkehr der Verurteilten in die soziale Gemeinschaft erschwerten, kam der Unterbringung im Zuchthaus im Gegensatz zu anderen Strafen keine entehrende Wirkung zu. Die Insas-sen erhielten für ihre Arbeit Prämien, deren Auszahlung teilweise erst bei ihrer Ent-lassung erfolgte.25 Die Disziplin wurde allerdings mit Prügelstrafen und anderen kör-perlichen Züchtigungen aufrechterhalten.26

  1. Freudenthal, 1914/15, S. 85.

  1. Schmidt Eb., 1960, S. 7.

  1. Eisenhardt, 1978, S. 31.

  1. v. Dolsperg, 1928, S. 46 ff.; Freudenthal, 1914/15, S. 85; v. Hippel, 1898, S. 437 ff.; Mittermaier W., 1954, S. 17; Radbruch, 1950, S. 116; Seggelke, 1928, S. 40 ff.; dage-gen ordnet Deimling, 1995, S. 72, sowohl Bridewell als auch die Amsterdamer Einrich-tung noch den Institutionen der Armenpflege zu.

  1. Bienert, 1996, S. 142 ff.; v. Hippel, 1898, S. 51.

  2. v. Hippel, 1928, S. 10 f.

  1. Tak, 2001, S. 1085; siehe auch Hallema, 1958.

2.2 Erste Ansätze modernen Besserungsvollzugs

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Der Amsterdamer Besserungsvollzug erlangte bald Vorbildfunktion27 für die 94 Errichtung von Strafanstalten in anderen Staaten Europas. Dem holländischen Mo-dell entsprechend kam es Anfang des 17. Jahrhunderts zur Gründung von Zucht-häusern in den mit Amsterdam in Verkehrsbeziehungen stehenden Hansestädten Bremen, Lübeck, Hamburg28 und Danzig. Andere deutsche Städte wie Spandau und Berlin folgten; gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestanden in Deutschland etwa 60 Zucht- und Arbeitshäuser.29

Neben den auf Erziehung und Besserung ausgerichteten Zuchthäusern existierte jedoch weiterhin der am bloßen Vergeltungsgedanken orientierte Freiheitsentzug fort. Dieser hatte sich nach der Zurückdrängung von Leibes- und Lebensstrafen aus der vormaligen Untersuchungs- und Exekutionshaft entwickelt und stellte zunehmend eine regelmäßig verhängte Sanktionsform dar.30 Tatsächlich hatte ihr grausamer Vollzug ohne Arbeit in Kerkern und Verliesen aber den Charakter einer mit der Inhaftierung verbundenen Leibesstrafe.

Auch bei den Zuchthäusern selbst setzte schon im 17. Jahrhundert ein deutli- 95 cher Verfallsprozess ein. Dieser war in Deutschland zum einen Folge der Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Wesentliche Bedeutung für die Verschlechterung der Anstaltsverhältnisse – verbunden mit einem Zurückweichen des Besserungsge-dankens – hatte zudem die Mehrfachfunktion der Einrichtungen als Arbeits-, Ar-men-, Waisen- und Irrenhäuser. Merkantilistisches Denken führte schließlich dazu, dass der ursprüngliche Vollzugszweck der Besserung durch Arbeit hinter alleinigen ökonomischen Interessen zurücktrat. Zuchthäuser wurden an Privatun-ternehmer verpachtet, denen es auf Gewinnerzielung ankam und nicht auf Förde-rung von Maßnahmen zur sozialen Integration Gefangener.31 Hinzu kam eine all-gemeine Überfüllung der Anstalten, in denen Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder zusammen auf engstem Raum in unhygienischen Verhältnissen unterge-bracht waren.

Ende des 17. Jahrhunderts wird damit ein Bedeutungswandel sichtbar: Die als 96 nicht entehrende Maßnahme zur erzieherischen Beeinflussung des Rechtsbrechers konzipierte Zuchthausstrafe gilt nunmehr gegenüber dem Carcer als die schwerere Sanktionsform. Im 18. Jahrhundert ist das Gefängnis schließlich „Kloake, Verbre-cherschule, Bordell, Spielhölle und Schnapskneipe, nur nicht eine Anstalt im Dienste des Strafrechts zur Bekämpfung des Verbrechens“.32 Eine konsequente Durchführung des Besserungsvollzugs findet zu jener Zeit nur noch in einigen wenigen Einrichtungen statt. Zu diesen zählen etwa das 1703 von Papst Cle-mens XI. in San Michele bei Rom gegründete „Böse-Buben-Haus“ sowie das 1775 in Gent eröffnete „Maison de Force“.33

  1. Krohne, 1889, S. 27.

  1. Dazu Hensel, 1979, S. 25 ff.

  1. Freudenthal, 1914/15, S. 86.

  1. Schmidt Eb., 1965, S. 193 f.

  1. Schwind, 1988, S. 6; siehe dazu auch Rusche/Kirchheimer, 1974, S. 38 ff.

  1. Krohne, 1889, S. 22.

  1. Wahlberg, 1888, S. 88.

54 2 Historische Entwicklung

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