
Die Nöte der jungen Deutschen
W
as
ist mit den jungen
Erwachsenen los? Sie sind
Verunsichert, haben Angst sich
festzulegen, gehen zum Therapeuten
und leiden unter Burnout, schreibt
Nina Pauer (29), Journalistin bei der „Zeit“. Nie fühlten sich junge Leute in dieser „Ich-Gesellschaft“ so vereinzelt und auf sich gestellt, sagt die Publizistin Katja Kullmann (42). Zwei Frauen mit ihrem speziellen Blick auf die Gegenwart – die eine schreibt von Gefühlen, die andere übers Geld.
Wir stehen am Ende einer „Zwangs-Entsolidarisierung“, weil die Arbeitswelt in befristete Jobs, Leih- und Teilzeitarbeit zerfallen ist. Echtleben oder warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben heißt Kullmanns Buch, Wir haben ‚keine‘ Angst. Gruppentherapie einer Generation nennt Nina Pauer ihre Bestandsaufnahme.
Pauer stellt klar, dass sie nicht eine „Generation“ untersucht hat, sondern die durchaus privilegierten jungen Menschen aus Akademikerhaushalten mit einem vorwiegend geisteswissenschaftlichen Studium, die „heranwachsende Mittelklasse“ (Pauer). Ihre beiden Prototypen – Anna und Bastian – stehen für zwei Haltungen. Die einen geben alles, bis zum Burnout. Die anderen lavieren sich durch, treten gar nicht erst zum Wettbewerb an und sind nicht bereit, etwas zu riskieren. Beide haben von ihren liberalen Eltern von Kind auf gelernt: „Alles ist möglich“. Das ist zugleich Segen und Fluch, weil es nichts anderes bedeutet als: Alles liegt an dir, du musst selbst für alles einstehen, und wenn du es versiebst angesichts all der supertollen Möglichkeiten, dann bist du ganz allein der Versager.
„Tatsächlich ist die Gesellschaft nicht halb so durchlässig wie behauptet, Ressourcen werden wie eh und je vererbt.“ Nach ihrer Erfahrung leben die jungen Erwachsenen in einer „Zweiklassen-Bohème“. Es gibt Menschen, „die in marginale Beschäftigungsverhältnisse gezwungen werden“, wenn sie sich behaupten wollen. Und andere, die sich nicht entscheiden können, welches Studium sie sich von ihren Eltern bezahlen lassen wollen oder die eine Software-Schmiede von ihrem Erbe gründen. Beide – so Kullmann – begreifen das, „was wir Freiheit nennen“, total unterschiedlich.
„Gestörte Stressmenschen“
A
uf
die große Verunsicherung reagieren die jungen Leute, die Nina Pauer
meint, mit Distanz zu sich selbst. Ihre Anna, die in ihrer
Werbeagentur kurz vor dem Burnout steht, ist Tag und Nacht mit nichts
anderem beschäftigt als ihr Bild nach außen zu pflegen. Sie spielt
ihre Rolle in einer gespenstischen Selbstverwirklichungsshow, die die
Autorin wie eine Castingshow mit Heidi Klum beschreibt. „Anna, wir
haben dir jede Woche gesagt, dass du nicht so ängstlich gucken
darfst“, ermahnt sie die imaginäre Heidi Klum. „Noch merken nur
wir das, aber auf Dauer wird der Kunde das auch sehen.“
Für Pauer ist Ironie in dieser Generation das Mittel, sich nicht festzulegen. Wer seinen Berufseinstieg mit den Worten „Ich bin ja jetzt auch eines von diesen Apple-Opfern“ kommentiert, möchte zeigen, wie distanziert, wie cool, wie wenig ernst ihm das Ganze ist. Es könnte ja auch sein, dass man sich noch völlig anders entscheidet. Pauer beschreibt, wie sich eine solche Haltung auf die Arbeitswelt, auf Liebe und Freundschaft, auf das Verhältnis zur Politik auswirkt. „Wir sind nicht gegen das System“, schreibt sie. „Aber auch nicht so richtig dafür. Dafür passiert es einfach viel zu weit weg von uns …“. Und sogar ihrem Therapeuten begegnet Anna mit Ironie: „Wir müssen Sie wirklich fertigmachen, oder? Wir gestörten Stressmenschen mit unseren Luxusproblemen.“
Keine Zeit für Utopien
F
ür
Nina Pauer sind ihre Protagonisten zu sehr mit sich selbst
beschäftigt, um sich noch für eine Idee zu engagieren. Wobei sie
zugesteht, dass ihr Buch entstand, bevor die Occupy-Bewegung auf den
Plan trat. Ihrer Kollegin Katja Kullmann zufolge haben viele unter
den 20- bis 30-Jährigen den „sogenannten Pragmatismus zutiefst
verinnerlicht“. „Es herrscht ein ungeheurer Drang, funktionieren
zu wollen, gut durchzukommen – für Utopien, wirklich neue Entwürfe
gibt es kaum Raum.“ Ihr Rat an junge Kreative: „Wenn Du
durchkommen willst, schmink’ Dir Deine Ideale ab und nimm so viele
Aufträge an, wie Du kriegen kannst. Wenn Du aber menschlich reich
sein willst, pass’ auf Dich auf, bleibe glaubwürdig vor Dir
selbst.“
Glaubwürdig bleiben – eigentlich könnte das Bastians Motto sein, der männliche Protagonist in Pauers Buch. Bastian ist 32, lebt lässig und stressfrei in den Tag hinein, meidet jede Prüfung, bleibt nirgendwo länger dabei und verachtet „diese geklonten Mädels“ oder „diese Stressleute“. Warum sitzt auch er beim Therapeuten? Er könne sich so schlecht konzentrieren, sagt er. Sobald er etwas anpacken wolle, machten es eigentlich alle schon besser. „Nichts formt mich. Ich warte einfach, bis irgendwann vielleicht irgendwas passiert. Vielleicht kommt dann irgendwann endlich jemand, der mir sagt, was ich tun soll.“