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Bis_zur_Grossen_Freiheit.doc
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Dem Himmel so nah

Die erste Erinnerung, die ich in Bezug auf die Musik habe, fängt in der ganz frühen Kindheit an. Im Grunde noch vor der Schulzeit. Ich denke irgendwo zwischen dem Kindergarten und der Grundschule, im Alter zwischen 5 und 7 Jahren. Mein Kindergarten war ein rein katholischer und lag somit direkt neben einer sehr imposant aussehenden Kirche. Ich finde den Anblick der Kirche noch heute als Erwachsener sehr beeindruckend. Ich denke mal uns Kinder kam sie damals zehnmal so groß vor und war wohl dementsprechend Respekt einflössend für uns alle. Meine Mutter sagte mir, dass ich schon früh ziemlich verwirrt gefragt habe, warum der Mann da am Kreuz hängt und wieso die ganzen Figuren in der Kirche immer sehr leidend aussahen und wieso Pfeile in den Körpern steckten. Sie hat mir erklärt, dass das alles Heilige wären, womit ich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich viel anfangen konnte, geschweige denn die biblischen Zusammenhänge verstand. Ich habe es akzeptiert und hingenommen.

Ich erinnere mich allerdings daran, dass wir als Kinder im Kindergarten jeden Morgen und ab und zu am Tage gemeinsam gebetet haben und uns damals schon beigebracht wurde, wer der liebe Gott ist und was es damit auf sich hat. Wir sollten schön brav sein, weil wir sonst in die Hölle kämen oder bestraft würden. Wir bastelten und werkelten in diesem Kindergarten immer unter der Obhut von zwei Kindergärtnerinnen.

Der Gottesdienst war Teil des ganz normalen Tagesablaufs, ebenso wie das Gebet vor dem Essen und dem Schlafen gehen. Diese geregelte Ordnung gab mir eigentlich immer ein gutes Gefühl. Ich habe an diese Zeit keine schlechten Erinnerungen. Egal, wie sehr ich nun darüber nachdenke. Eher das Gegenteil ist der Fall. Meine Kindergärtnerin, die damals noch sehr jung war, sehe ich ab und zu noch heute in meiner Heimatstadt. Sie erkennt mich sogar noch immer. Ich habe heute noch alte Bilder meiner Kindergartenzeit zwischen den gesammelten Urlaubsfotos meiner Eltern, ebenso wie vieles, was ich dort als Kind gebastelt habe. Ich ging immer gerne dort hin und war ein Kind von vielen, welches spielte und froh war, dass der liebe Gott auf mich aufpasste.

Meine Mutter sagt mir, dass ich zu dieser Zeit immer den ganzen Tag gesungen habe, woran ich mich allerdings nicht wirklich erinnern kann. Ich glaube allerdings, dass alle Mütter das von ihren Kindern erzählen und behaupten. Meistens ist es aber eher ein unverständliches Gesumme, was aus all den aufgeschnappten Fragmenten der Umwelt einfach zusammengewürfelt und dann in einem unverständlichen Kauderwelsch vor sich hingeträllert wird. Ich glaube das macht einfach jedes Kind in einem bestimmten Alter. Es wird dann häufig, wenn aus dem Knirps mal was geworden ist, wo Musik oder Gesang eine Rolle spielen, immer wieder von den Eltern erzählt, weil es einfach gut passt.

Allerdings weiß ich noch, wie im Kindergarten immer Kirchenlieder gesungen wurden

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und mir das Spaß machte. Anscheinend schien ich auch eine Art Begabung oder eine scheinbar sehr hohe, helle Stimme gehabt zu haben, denn irgendwann landete ich im Kirchenchor und sang mit anderen Knirpsen bei den Gottesdiensten und den jeweiligen Messen, die von dem dort ansässigen Pfarrer gewünschten Lieder. Somit muss wohl etwas Wahres dran sein, dass ich schon als Kind gerne gesungen habe. Vieles von dem, was damals geschah, ist zwar in Vergessenheit geraten, allerdings erinnere ich mich noch genau daran, dass ich aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen den Pfarrer nicht mochte und dieser wohl auch der Grund war, warum ich irgendwann nicht mehr Teil des Kirchenchors sein wollte.

Vielleicht mochte ich ihn auch nicht, weil er wohl zur damaligen Zeit das Sinnbild für mich war, nicht mit meinen Kindergartenkameraden im Sandkasten spielen zu können, weil ich zur Chorprobe musste. Das erscheint mir aus heutiger Sicht recht plausibel. Meine Mutter sagte mir, ich hätte mich mit Armen und Beinen dagegen gewehrt dort wieder hinzugehen.

Irgendwann hat sie es dann auch akzeptiert und ich musste nicht mehr zum Kirchenchor gehen und somit endet hier auch schon mein erster Kontakt zur Musik. Wenn ich diese Sätze nun aufschreibe, erinnere ich mich an viele kleine Momente, die allerdings recht zufällig und zusammenhanglos vor meinem geistigen Auge erscheinen. Ich halte es jedoch für wichtig, sie auch in meine Zeitreise einfließen zu lassen, weil ich damals den wirklich ersten Kontakt zur Musik hatte. Auch wenn es vielleicht eher Zufall war, sollte es wichtig für mich und meine Entwicklung sein. Der Glaube an etwas hat mein Leben ebenso geprägt, wie die Musik selbst. Beides bildete in diesen jungen Jahren auf irgendeine Art und Weise, vielleicht auch nur durch Zufall, eine Einheit. Vielleicht ist damals auch ein kleiner unscheinbarer Grundstein für das noch Kommende gelegt worden.

Die frühen ]ahre

Die Schule hat für mich in meiner Vergangenheit immer einen besonderen Platz eingenommen und ist auch einer der Gründe, warum ich irgendwann den Weg zur Musik gefunden habe. Ich kann mich noch an vieles erinnern und habe noch die Umgebung meiner Grundschule und viele Momente als Bildfragment vor meinem geistigen Auge. Ich kann mich daran erinnern, dass ich eine glückliche Kindheit hatte und es mir im Grunde an nichts fehlte.

Ich hatte viele Freunde und liebevolle Eltern, die ihr Leben danach planten, dass wir Kinder glücklich und zufrieden waren. Ich kann mich noch genau an meine Einschulung erinnern und habe auch noch einige Namen von damals in meinem Kopf. Sie springen regelrecht vor meinem geistigen Auge herum und ich sehe auch die dazu passenden Gesichter meiner damaligen Klassenkameraden. Die Schule hatte mir immer Spaß gemacht. Zumindest am Anfang war es noch so. Ich bin immer gerne hingegangen und habe mich auch nie sonderlich dagegen gewehrt.

So war es in den ersten Jahren in der Grundschule, in denen alles recht normal verlief. Ich habe keine außergewöhnlichen Erinnerungen an diese Zeit. Ich glaube allerdings, dass in meiner Grundschulzeit etwas passiert ist, was aus heutiger Sicht der Ursprung davon ist, dass mein Weg irgendwann einmal dazu führte ein Instrument zu erlernen. Ich weiß genau, dass ich an einem unbestimmten Tag nach der Schule nach Hause gekommen bin und kaum noch gesprochen habe. Ich beschränkte mich nur noch auf knappe Sätze und war ängstlich und zurückhaltend. Ich konnte nicht ertragen, wenn mich andere ansahen und mir Fragen stellten oder mit mir reden wollten. Ich habe darauf immer nach unten geschaut und nicht geantwortet. Wann das genau anfing, weiß ich nicht mehr. Den Grund dafür kenne ich bis heute nicht. Allerdings änderte sich mein Leben ab diesem Moment grundlegend. Gerade, was das Schulische und den Umgang mit anderen Menschen anging. Ich zog mich zur damaligen Zeit immer mehr von meiner Umgebung zurück. Von da an, gingen meine schulischen Leistungen in den Keller. Gerade was die mündliche Mitarbeit betrifft. Sie existierte bei mir praktisch nicht mehr, da ich nichts mehr sagte. Ich konnte die Blicke der anderen einfach nicht ertragen und die Angst etwas falsch zu machen wuchs in mir von Tag zu Tag. Ich glaube, meine Eltern mussten sich damals Arien von Eventualitäten anhören, warum ich nicht mehr sprach. Ich weiß noch genau, wie man mich zu unzähligen Psychologen brachte und alle Hebel in Bewegung setzte, meine Sprachblockade wieder zu lösen und mir Selbstbewusst-sein einzuflössen. Meine Mutter klebte mir kleine Zettel in meine Tasche, auf Bücher und einfach auf alles, was mich umgab. Auf denen stand dann: „Du schaffst das" oder „hab keine Angst". Diese Botschaften halfen mir damals sehr. Ich wusste, dass ich nicht alleine war. Allerdings lösten sie das Problem nicht.

Meine Eltern zweifelten zur damaligen Zeit auch an sich selber und suchten einfach nach einem Grund oder einer Lösung. Was ich damals dachte, weiß ich heute nicht mehr. Ich suchte mir einfach Hobbys und sonstige Dinge bei denen ich nicht sprechen musste.

Der Sport war das Erste, was ich damals für mich in dieser Situation entdeckte. Dabei brauchte ich nicht zu reden und ich merkte schnell, dass ich genau so sein kann wie andere und bekam durch gute Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit der anderen Kinder und auch der Lehrer. Ebenso begann ich zu zeichnen. Ich verbrachte Nachmittage damit einfach Figuren und Karikaturen zu zeichnen. Im Grunde habe ich Dinge gemacht, bei denen ich nicht sprechen musste und mich niemand ansah. Damit war ich zu dieser Zeit glücklich.

Außerhalb der Schule machte ich es nicht anders. Ich verbrachte unzählige Nachmittage alleine zu Hause und beschäftigte mich mit meinen Zeichnungen. Zudem entdeckte ich die Freude am Tischtennisspielen. Mein Vater betrieb den Sport damals im Verein und somit meldete er mich dann dort auch an. Freunde hatte ich in dieser Zeit nicht viele. Im Grunde nur einen einzigen, der mich so akzeptierte wie ich eben war.

Die darauf folgenden Jahre lernte ich damit zu leben wie ich bin. Im Grunde war ich ein stilles Kind und meine Zurückhaltung und das wenige Sprechen und die Angst anderen in die Augen zu schauen wurde für mich zur Normalität. Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, bin ich selbst über meine Ansicht so etwas als normal zu empfinden, fast geschockt. Aber damals war es so. Ich denke ich habe mich einfach damit arrangiert, wie die Dinge waren. Irgendwann ist man auch einfach zu müde immer wieder Gründe zu suchen, warum die Dinge so sind, wie sie eben sind oder sich zu ändern, damit andere einen als normal ansehen.

Aus heutiger Sicht kann ich es nur so sagen. Ich kannte es einfach nicht anders und trotz der gegebenen Umstände war ich glücklich. Ich hatte meine Hobbys und einen sehr guten Freund, der mich so akzeptierte, wie ich war.

Das erste Instrument

Die darauf folgenden Jahre verliefen ohne irgendwelche Besonderheiten. Wenn ich nun darüber nachdenke, fällt mir nichts ein, was an meiner Kindheit anders war, als bei anderen Altersgenossen. Abgesehen von meiner Eigenheit nicht zu sprechen und besonders zurückgezogen zu sein. Irgendwann kam dann die Zeit, in der ich mich für Musik interessierte und sie für mich entdeckte.

Im Grunde bin ich ein Kind der achtziger Jahre und habe alles aufgesogen, was damals musikalisch auf die Menschheit einprasselte. Ich weiß nicht mehr wann es war, aber irgendwann fragte ich meine Eltern, ob ich ein Musikinstrument haben könne. Meine Eltern, die mir zu jedem Zeitpunkt immer alle Wüsche sofort erfüllen wollten, zögerten nicht lange und kamen meiner Bitte nach. Es war wichtig für sie, alles Erdenkliche zu tun, was ein wenig Normalität in mein ansonsten etwas ungewöhnliches Leben bringen könnte. So sehr ich auch über die Instrumentenwahl nachdenke, weiß ich nicht mehr, warum es dann letztendlich eine Orgel werden sollte. Auch auf Nachfrage bei meinen Eltern, konnte mir dies keiner mehr sagen. Hierzu muss ich erklären, dass es Heimorgeln gibt, die zwei Klaviaturen mit Bassbegleitung und Rhythmusbegleitung haben. Solch ein Instrument wollte ich haben und auch spielen lernen. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu getrieben hat, dieses antiquierte Ding unbedingt haben zu wollen. Normalerweise spielen dieses Instrument irgendwelche breit grinsenden Alleinunterhalter, die sich auf Geburtstagen oder Hochzeiten was nebenbei verdienen. Aber egal.

Ich muss heute akzeptiere, dass ich das damals haben und lernen wollte, auch wenn ich mich jetzt gerade ein wenig schäme. Als Kind hatte es mir an nichts gefehlt und unserer Familie ging es auch finanziell recht gut. Wir hatten keine Reichtümer vorzuweisen, aber Geldsorgen gab es auch nicht. Allerdings war so ein Instrument auch damals schon sehr teuer. Nur mal so nebenbei mehrere tausend Mark auszugeben, war auch bei uns nicht drin.

Meine Eltern entschieden sich dann dazu das Instrument zu mieten. Wenn es mir dann gefiele und ich es nicht nach ein paar Wochen schon aus reiner Langeweile auseinandernehmen, sondern das Instrument wirklich lernen wollte, dann konnte man das Instrument nach einigen Jahren kaufen. Hierbei würde dann die Miete der letzten Monate und Jahre abgezogen.

Ich muss dazu noch erwähnen, dass ich mich gerade zu diesem Zeitpunkt in einem Alter befand, wo ich jeden Tag etwas Neues haben, kennen lernen oder entdecken wollte. Um es mit Oswald Kolle zu beschreiben. Die Hormone übernehmen das Denken. Dementsprechend groß war natürlich die Gefahr, dass ich schnell wieder den Spaß an diesem Instrument verlieren könnte. Kurz daraufkam dann der Tag, an dem wir das Instrument geliefert bekommen sollten. Meine Eltern hatten einen Lehrer organisiert, welcher mit Ihnen die Orgel ausgesucht hatte und wir sollten das Instrument per LKW angeliefert bekommen.

Ich sollte noch anmerken, daß so eine Orgel ziemlich schwer ist und daher ein LKW für die Anlieferung von Nöten war. Ich weiß noch wie heute, wie ich auf unserem Sofa direkt am Fenster stand, hin und herrutschte und aus dem Fenster heraus die Strasse beobachtete, ob und wann denn nun der LKW käme. Ich kann nicht mehr sagen, wie lange es dauerte, bis er kam. Aber ich sehe es heute genau vor mir, wie der LKW seine Laderampe hob und ein riesiger Klotz mit Karton umhüllt zu sehen war. Mehrere Leute lifteten das Ungetüm dann aus dem LKW in unser Treppenhaus und durch unsere Wohnung in mein Kinderzimmer. Meine Mutter unterschrieb etwas und dann stand das Ding in meinem Zimmer. Es war von oben bis unten in Karton eingepackt. Damals musste man noch alles selber auspacken und die Unternehmen nahmen das Verpackungsmaterial nicht mit.

Das Ungetüm stand in der Mitte meines Zimmers und ich begann damit den Karton und das ganze Plastikgedöns zu entfernen und langsam konnte ich die Orgel mit all ihren kleinen Schaltern erkennen. Ich war damals hin und weg von diesem Anblick. Das Ding war fast so groß wie ich und als ich mich dransetzte, kam ich mir vor wie Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise. So viele Knöpfe und Regler hatte ich noch nie gesehen. Ich steckte den Stecker ein und machte das Gerät an. Ein tiefer satter Ton war zu hören und zu den Reglern und Schaltern, kamen nun noch jede Menge Lichter und Lämpchen dazu. Ich drückte irgendeine Taste und hörte den ersten Ton. Darauf fing ich sofort an einfach los zu klimpern.

Ich weiß noch wie heute, wie meine Mutter lächelnd da stand und mich überglücklich anguckte. Wahrscheinlich, weil ich ebenso wie sie am strahlen war. Dann verließ sie das Zimmer und ich klimperte noch stundenlang darauf herum. Ich spielte keine Melodien, geschweige denn ganze Lieder. Ich probierte einfach die Knöpfe, Lichter und Schalter aus und war immer wieder aufs Neue gespannt, was für ein Ton kommt, wenn ich hier und da einen Schalter drückte.

Schnell fand ich die Rhythmusabteilung und so dudelte ich irgendwelche, wohl schrecklich klingenden Melodien vor mich hin, bis irgendwann meine Mutter meinte, ich sollte doch vielleicht alles etwas leiser machen, was ich dann natürlich tat. Die nächsten Tage, merkte ich sofort, dass dieses Instrument genau das richtige für mich ist. Hierbei brauchte ich nicht zu reden. Ich konnte einfach Musik machen und man hörte mir sogar zu. Damals klang alles zwar noch willkürlich, orientierungslos und schräg, aber ich konnte mich mit etwas beschäftigen, was ich unbedingt machen wollte.

Klimpern nach Noten

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich keinen Lehrer dafür gewollt um das Orgelspiel zu erlernen. Zum damaligen Zeitpunkt reichte es mir völlig aus, einfach darauf rumzuklimpern. Allerdings denke ich heute, dass es gut war unterrichtet zu werden, denn erst durch den Unterricht verstand ich was ich machte und konnte somit Dinge umsetzen, die ich ohne Hilfe nicht hätte leisten können. Irgendwann kam dann also mein Orgellehrer. Er war ganz nett. Schließlich habe ich keine negativen Erinnerungen an ihn. Meine erste Stunde beruhte darauf Fingerfertigkeit zu erlangen, indem ich immer wieder die Tonleiter spielte. Ich erinnere mich noch genau daran. Es war schrecklich. Immer dieselbe Abfolge, wieder und wieder und wieder. Das war also meine erste zu erlernende Aufgabe. Am Anfang nur mit der rechten Hand. Dann mit beiden Händen gleichzeitig und dann noch mit den Füssen an den Basspedalen der Orgel.

Um mir zu zeigen was mal aus mir werden kann, demonstrierte mein Orgellehrer mir und meinen Eltern nach der ersten Stunde, wie man spielt, wenn man es wirklich kann. Er zimmerte irgendein Deutsches Liedgut in einer sagenhaften Geschwindigkeit auf meine Orgel, dass man seinen Fingern und Bewegungen kaum noch folgen konnte. Ich weiß noch wie heute, dass ich eigentlich nur Angst hatte, das der mein Instrument vielleicht kaputtmachen könnte und fand das gar nicht so toll. Meine Eltern waren sichtlich beeindruckt und fingen an zu klatschen, nachdem er fertig war. Ich klatschte mit, hatte aber eigentlich nur Angst um meine Orgel. In der darauffolgenden Zeit merkte ich immer mehr, dass ich besser an der Orgel wurde. Ich lernte beidhändig zu spielen und wurde auch immer schneller. Allerdings hasste ich die Lieder, die ich spielen sollte. Deutsches Liedgut der alten Schule. Im Grunde die Lieder, die man in der Grundschule aus der sogenannten Mundorgel auch schon singen musste. Ich lernte immer brav mit, spielte aber wenn ich mit dem lernen fertig war immer meine eigenen Melodien und Lieder. Ich fing an, Melodien und Rhythmen in meinen Gedanken zu hören und spielte sie dann an der Orgel nach. Wenn ich einen Film gesehen hatte, spielte ich die Musik nach, die noch lange in meinem Kopf war und lernte so für mich mehr, als nur Fingerfertigkeit und braves Orgelspielen. Somit verlor ich immer öfter das Interesse etwas zu lernen, was mir der Orgellehrer beibrachte. Im Grunde brachte ich mir selber immer mehr bei. Nach ungefair zwei Jahren entschied ich mich, meinen Orgellehrer in die Wüste zu schicken. Ich hatte einfach keine Freude mehr daran irgendwelche Marschlieder nachzuspielen oder immer nur besonders schnell beim Spielen zu sein. Spielen nach Noten fand ich auch fürchterlich langweilig. Wozu nach Noten spielen, wenn ich die Melodien im Kopf hörte und sie nur nachspielen musste. Auch wenn ich die Zeit des Lernens an der Orgel nicht immer toll fand, denke ich, dass sie für mich wichtig war und mir mein damaliger Lehrer auch eine Menge beigebracht hat. Aus heutiger Sicht bin ich mir da sehr sicher. Damals als Kind jedoch, konnte ich das noch nicht erkennen. Ich genoss es, Musik zu machen und ich fand es schön, wenn meine Eltern mir zuhörten oder wenn die Familie zu Besuch war. Ich sprach nicht, konnte mich aber trotzdem ausdrücken und Leute hörten mir zu. Ich fing an mich in die Musik und die Melodien, die ich jeden Tag für mich entdeckte zu verlieben und wollte unbedingt noch mehr.

Das erste Lied

Ich spielte noch einige Jahre auf meiner alten Orgel, verlor allerdings immer mehr die Lust an diesem Instrument. Irgendwann wurde es mir einfach zu langweilig. Es war immer das Gleiche und die gleichen Sounds und Töne. Ich spielte mittlerweile unzählige Melodien und Lieder, die ich mir alle ausdachte, hatte aber keine Möglichkeit sie aufzunehmen und sie mir immer wieder anzuhören. Ich konnte nichts aufnehmen, weil die Orgel keine technischen Anschlüsse hatte.

Mittlerweile hatten meine Eltern mir die Orgel gekauft, aber nun wollte ich sie nicht mehr haben. Ich hörte davon, dass es Synthesiser und Drumcomputer gab und so etwas wollte ich. Kurzerhand bejammerte ich meine Eltern, daß ich was anderes haben müsste und nach langem hin und her, hatte ich sie weichgeklopft und sie stimmten zu die Orgel zu verkaufen und von dem Geld einen Synthesizer, einen Drumcomputer und ein kleines Mischpult zu kaufen.

Damals gab es in meiner Umgebung einen Musikladen, in dem ich mir schon Wochen vorher die Nase am Schaufenster platt gedrückt hatte und alles bekommen konnte, was ich suchte. Ich glaube für die Orgel bekam ich nicht mehr viel. Ich weiß heute eigentlich gar nicht, wie das genau ablief, als das gute Stück dann von seinem neuen Besitzer abgeholt wurde. Ich habe keine Erinnerung mehr daran. Ich weiß nur, dass ich die neuen Sachen in meinem Kinderzimmer aufbaute und angeschlossen habe und sofort anfing damit rumzuspielen. Alles war kleiner als die große Orgel und genauer und die Klänge waren einfach toll. Ich konnte plötzlich Gitarre, Klavier, Streicher, Bass und alle Instrumente, die ich bisher noch nicht kannte, einstellen und spielen. Ich schloss alles an und lernte den Synthie zu programmieren und so entstand mein erstes Lied, das ich einspielen und programmieren konnte und dann auf Kassette aufnehmen konnte. Ich habe dieses Lied glücklicherweise heute immer noch, da ich zu einem viel späteren Zeitpunkt mal alle alten Lieder von mir digital überspielt habe. Der Titel war „Success".

Musik löste ab diesem Moment alle anderen Hobbys für mich ab. Ich schrieb Lieder, machte einfach Musik und nahm alles auf Kassetten auf. Das Zeichnen geriet immer mehr in Vergessenheit und das Tischtennisspielen mit meinem Vater hörte auch irgendwann auf, da ich mich in jeder freien Minute nur noch um meine Musik kümmern wollte. Ich fing an bekannte Lieder nachzuspielen und sie genauso zu programmieren, dass meine Musik so klang wie die auf den Platten von richtigen Musikern und ich schrieb immer mehr eigene Instrumentalstücke.

All meine Gedanken und Emotionen brachte ich schon damals in meine Lieder ein. Wenn ich Angst hatte, Probleme oder mich einfach nicht gut fühlte oder wenn ich glücklich war, schrieb ich ein Instrumentalstück darüber. Im Grunde kann man sagen, verarbeitete ich all meine Gedanken und Ängste in Liedern und fühlte mich danach einfach besser. Vielleicht war das auch der Grund, dass ich zu dieser Zeit immer selbstsicherer wurde und ich aus der Musik so Kraft ziehen konnte um mit allem, was mich umgab, klarzukommen. Irgendwann, ohne Grund, fing ich zu Hause an zu plappern. Ich erzählte wie toll die Musik ist und wie viel Spaß mir das alles macht und wollte immer wieder neue Lieder vorspielen. Das passierte ohne große Ankündigung, erzählte mir meine Mutter.

Wenn ich aus heutiger Sicht auf diese Dinge blicke, denke ich, muss meinen Eltern ein Stein vom Herzen gefallen sein und ich verstehe heute auch, warum sie mich und die Musik bis heute immer noch unterstützen. Vielleicht lag es auch einfach an meiner normalen Entwicklung als Jugendlicher, dass sich mein Verhalten wandelte. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass ich ohne den Zuspruch von anderen, den ich lediglich durch meine Lieder und den Spaß an der Musik erhielt und sie wie ein Ventil für meine Emotionen einsetzte, sich mein Verhalten niemals geändert hätte. Von dem Zeitpunkt an, wo ich meine Lieder schreiben, programmieren und aufnehmen konnte, änderte sich mein Leben genauso wie damals, als ich aus einem unerfindlichen Grund nicht mehr sprach.

Warum ich mein erstes Lied gerade Success genannt habe, weiß ich nicht mehr. Vielleicht entstand es damals eher aus einem Wunschdenken heraus, mit dem was ich gerne machte einmal Erfolg zu haben. Ich weiß es nicht. Über alles, was mich beschäftigte, schrieb ich nun Instrumentallieder und kam so mit mir und meiner Umgebung sehr gut zurecht und die Zeiten meines Schweigens waren nun endlich vorbei.

Der Dämon

Wenn man viel redet, hat das nicht nur Vorteile. Gerade in schulischer Hinsicht. Lehrer mögen es gar nicht, wenn man ihnen widerspricht oder einfach nachfragt, warum die Dinge sind wie sie sind. Waren in der Vergangenheit meine mündlichen Noten eher ungenügend, da ich mich in keiner Weise an dem Unterricht verbal beteiligt hatte, da ich einfach nicht sprach, gehörte ich nun zum Leidwesen meiner Umgebung zu denjenigen, die unaufhörlich redeten und alles in Frage stellten. Angriff ist die beste Verteidigung, sagte ich mir und dementsprechend verhielt ich mich auch. Ich fand Spaß daran zu sprechen und merkte, dass ich lernen konnte mit Leuten zu reden und sie anzusehen, wenn ich es immer wieder tat. Ich suchte regelrecht Situationen, in denen ich mich Leuten gegenüber behaupten musste, indem ich sie ansah und sie ansprechen musste. Man muss sich das so vorstellen, dass das alles ein langsamer Prozess für mich war. Ich wurde in den kommenden Jahren immer sicherer und konnte offener mit meiner Umwelt umgehen als früher. Allerdings war es immer noch nicht normal für mich mit Leuten offen zu sprechen und auf sie zuzugehen. Eine gewisse Überwindung war immer noch da. Allerdings wusste ich, dass ich das lernen kann, indem ich es immer wieder machte.

Zu dieser Zeit ging das Thema Berufwahl in der Schule um. Es waren noch zwei Jahre und dann ging es ins Berufsleben, hieß es. Klar wollte ich Musiker werden, allerdings stieß das nicht gerade auf tobenden Beifall meiner Eltern. Lerne erstmal etwas Vernünftiges, hieß es. Ich hätte schon studieren müssen. Allerdings musste man das selber bezahlen und das was man da studieren konnte, hatte wirklich nichts mit der Musik zu tun, so wie ich sie mochte. Ich wollte einfach etwas tun, wo ich viel Geld verdienen kann, damit ich mir irgendwann einmal ein eigenes Studio leisten kann und dann meine Musik professionell produzieren kann. Ich weiß, dass sich das ziemlich blauäugig anhört, aber damals habe ich so gedacht. Ich habe mir also die besten Möglichkeiten ausgesucht mit denen ich am schnellsten Geld verdienen konnte, damit ich mir meinen Traum von der Musik leisten konnte.

Bei den damaligen beruflichen Aussichten war es überaus problematisch nach der Schule überhaupt einen Beruf zu finden. Somit setzte ich mir in den Kopf zur Bundeswehr zu gehen und mich für 4 Jahre zu verpflichten. Dort bekommst du vom ersten Tage an viel Geld, ohne im Grunde etwas zu können. Da braucht man keine Ausbildung, kann vier Jahre nicht gekündigt werden und hinterher bekommt man noch eine Abfindung, welche ich auch in die Musik stecken wollte. Für ein Studio sollte das eigentlich reichen, dachte ich mir, und somit verlor ich auch keine Zeit um das schnell meinen Lehrern und meiner Familie kundzutun. Zu meiner Überraschung stieß ich bei meinen Eltern nicht lange auf große Gegenwehr. Zumal die Chancen damals einen Beruf zu finden nicht gerade rosig waren. Ebenso gab es damals noch eine Wehrpflicht, die anders war als unsere heutige. Damals musste jeder zum Bund und die Grundwehrdienstzeit betrug achtzehn Monate. Daher kam von ihrer Seite sogar Unterstützung diesen Weg einzuschlagen. Hauptsache ich stehe nicht auf der Strasse, dachten sie wohl.

Von Seiten meiner damaligen Lehrer erntete ich völliges Unverständnis. Ich glaube, ich war der Einzige von über tausend Schülern, der zur Bundeswehr wollte und gerade bei vielen Lehrern dieser Schule, war die Bundeswehr das Feindbild Nummer eins. Zur damaligen Zeit malten Kunstlehrer Panzer, die von Blumen und Friedenstauben weggetragen werden und „Grün sein" war In. Einige Lehrer machten Urlaub in Holzhütten und tranken Brennesseltee und klimperten am Lagerfeuer auf ihrer Gitarre. Ich erntete in dieser Zeit lediglich Abneigung aufgrund ihrer politischen Einstellung, wobei es mir lediglich darum ging nicht auf der Strasse zu stehen und mein Studio finanzieren zu können.

Ich wusste für mich, dass es das Richtige war, auch wenn mein Umfeld mich nicht verstand. Ich wollte meinen Traum ein Studio zu haben und Musik zu machen nicht fallen lassen, nur weil ich nicht in das Weltbild einiger Lehrer passte. Politik interessierte mich damals nicht. Ich wollte nur Musik machen. Schließlich wollte ich nur zum Bund und nicht zu den Söldnern. Ebenso empfand ich es als spannend, mich der Aufgabe zu stellen, auf eigenen Füssen stehen zu können und alleine, ohne das elterliche Nest klar zu kommen.

Eines Tages dann wurde ich von unserem stellvertretenden Direktor aus dem Unterrieht gerufen. Wenn das passierte, das wussten wir alle, war etwas im Busch. Kein Schüler wurde ohne triftigen Grund aus dem Unterricht geholt. Geschweige denn vom stellvertretenden Direktor. Da gab es immer Ärger, wenn er einen rief. Er ließ mich zu sich kommen und erzählte mir von seiner jahrelangen Erfahrung und das er auch mal jung war und es mit Sicherheit auch nur eine Laune von mir wäre, diese berufliche Bahn einzuschlagen und er mich nur vor meinem Leid bewahren wolle:

...du weißt, du bist nicht gemacht dafür vor Menschen zu stehen und zu sprechen ... suche dir einen Beruf in dem du mit niemandem reden musst und wo du keinen Kontakt mit Menschen hast.. .irgendetwas im Büro oder so... Hauptsache, du musst nicht vor Menschen stehen und reden ... denn sie werden dich nur auslachen und niemals ernst nehmen ..."

Nach diesen Worten war ich wie gelähmt. Die Arroganz in seinen Augen fraß mich beinahe auf und ich konnte kein Wort mehr sagen. Ich weiß noch bis heute, wie sich mein Hals zusammenschnürte und ich habe diese Sätze und Worte bis heute nicht vergessen. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr. Ich glaube ich bin nichtssagend aus seinem Büro und wohl zurück in den Unterricht gegangen. Ich denke mal, ich habe an diesem Tag kein Wort mehr gesagt und nur darüber nachgedacht, was mir dieser Mensch gesagt hatte. Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich damals nicht gewehrt habe und es einfach allen erzählt habe.

Ich weiß, das meine Eltern auf die Barrikaden gegangen wären, weil dieser Mensch definitiv falsch gehandelt hatte, um es mal milde auszudrücken. Ich bin an diesem Tag nach Hause gekommen und war am Boden zerstört und von da an bin ich wieder sehr still gewesen und habe kein Wort mehr über diesen Vorfall verloren. Meine Mutter erzählte mir, irgendwann hätte ich den Wunsch geäußert nicht mehr zur Bundeswehr gehen zu wollen und mir einen normalen Beruf zu suchen. Sie hat mich nie gefragt, warum ich mich in dieser Hinsicht gedanklich so gewandelt habe. Die restliche Schulzeit ging recht schnell vorbei und ich machte immer weniger Musik. Ich ging immer noch an meine Instrumente, aber nicht mehr mit der Leidenschaft wie früher. Ruhiger wurde ich auch wieder und wesentlich zurückhaltender. Ich wurde einfach wieder still.

Nach dem Abschluss der Schule, fing ich eine Ausbildung als Zahntechniker an. Ich denke, das war der optimale Job für mich in dieser Situation. Ein Beruf, in dem man nicht mit Menschen umgehen muss. Es wird kaum gesprochen. Jeder sitzt an seinem Platz und macht sein eigenes Ding und da ich handwerklich sehr gut war und auch jahrelang viel gezeichnet hatte, hatte ich wohl auch eine Begabung für diesen Beruf und trat somit nach meiner Schulzeit meine Ausbildung an. Bis heute ist der Moment, in dem er mir diese Worte sagte, immer noch in meinem Hinterkopf. Ich habe diese Sätze nie vergessen, geschweige denn verarbeitet.

In Momenten, in denen ich an mir zweifle, höre ich heute noch diese Stimme. Im Grunde ist dieser Mensch, der mir als Kind diese Worte gesagt hat, mein Dämon, der immer noch in mir ist und versucht alles kaputt zu reden, was ich gut finde oder von dem ich überzeugt bin. Er ist immer da, wenn ich Entscheidungen treffen muss oder ein Risiko eingehen will. Ich weiß bis heute nicht, ob er gut oder böse ist. Ich weiß nur, dass er immer da ist.

Revolution

So sollte es also sein. Ich würde Zahntechniker werden. Zahntechniklabore ähneln im Grunde einem kleinen Kalkbergwerk im Zimmerformat. Überall schwebt so ein leichter Staub herum und der Geruch erinnert schon sehr stark an einen Zahnarztbesuch. Aus allen Räumen hört man das Rotieren der Handbohrer, mit denen rum-gewerkelt wird, untermalt von einem leichten Surren der Absauganlagen. In meiner Ausbildung sollte ich alle Bereiche eines Labores durchlaufen und überall lernen, sagte mir mein Meister, damit ich hinterher alles beherrsche und dann überall einsetzbar sein könne. Ich habe alles gehasst. Nichts in diesem Labor hatte irgendetwas damit zu tun, was ich gerne mochte.

Ich stellte mir nur die Frage: Willst du das die nächsten vierzig Jahre machen? Die Antwort war mir schnell klar: Nein! Die nächsten Tage und Wochen verbrachte ich damit morgens hin und abends von meiner Lehrstelle wieder nach hause zu kommen. Alles, was ich neu in diesem Beruf lernte, fand ich in keiner Weise toll. Ich saß abends heulend zuhause und war einfach unglücklich. Meinen Frust steckte ich wieder in die Musik und schrieb wieder mehr Lieder. So konnte ich wie immer all das, was mich beschäftigte verarbeiten und mir so in den Liedern meine eigene kleine Traumwelt schaffen und ich hatte den Traum bald wieder vor Augen, die Musik als meinen Beruf wählen zu können.

Ich griff die Idee erneut auf, mich bei der Bundeswehr zu verpflichten und meinen Traum von der Musik wieder in Angriff zu nehmen. Somit entschied ich mich auf eigene Faust diese Lehrstelle abzurechen. In meiner Umgebung konnte dies niemand verstehen. Für meine Eltern brach eine Welt zusammen, da ich eine zur damaligen Zeit wertvolle Lehrstelle einfach abbrach. Bei der Bundeswehr konnte der Junge nun in die große weite Welt versetzt werden. Es machte sich große Sorge bei meinen Eltern breit. Sätze wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre" und die üblichen bekannten Floskeln, welche man als Jugendlicher von langjährig Arbeitenden um die Ohren geworfen bekommt, wenn es um einen Beruf geht, brachten mich nicht von meinem Vorhaben ab.

Meinen grinsenden Dämon vor Augen, der mich in meiner Erinnerung immer noch fertig zu machen versuchte, blieb ich standhaft. Ungeachtet dessen, was meine Umwelt von mir erwartete. Diesmal hörte ich nicht auf ihn. Da ich mittlerweile achtzehn Jahre alt war, konnte ich selber entscheiden. Nach langem hin und her, akzeptierten meine Eltern es und ließen mich dann auch in Frieden ziehen.

Ich schmiss die Ausbildung und meldete mich kurzerhand für 4 Jahre freiwillig beim Bund an und begann noch im gleichen Jahr meine Grundausbildung weit weg von zuhause irgendwo in Süddeutschland und war das erste Mal auf mich ganz alleine gestellt. Ich glaube, dass dieser Schritt, letztendlich doch zu tun, was ich wollte, eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben war. Etwas zu tun, was im Grunde doch wesentlich anstrengender ist als sich einfach dem hinzugeben, was andere von einem erwarten. Immer mit der Gewissheit vor Augen scheitern zu können und somit allen, die einem davon abgeraten haben, dann doch Recht zu geben. Damals war es mir nicht bewusst, dass es eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben war. Ich konnte es nicht wissen, ich habe es nur gehofft. Heute weiß ich, dass es richtig war. Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, bin ich ebenso glücklich darüber, dass meine Eltern mich zur damaligen Zeit haben ziehen lassen und sie, auch wenn sie es nicht gerne getan haben, trotzdem auch bei dieser Entscheidung zu mir gestanden haben und mich nicht mit einem schlechten Gefühl von zuhause haben ziehen lassen.

Für Gott und Vaterland

Ich kann mich noch gut an meinen ersten Tag erinnern, an dem ich vor dem großen Tor gestanden habe und ich meine Grundwehrdienstzeit antreten sollte. Um mich herum waren viele meiner, ich nenne sie mal, Leidensgenossen. Jene, die letztendlich unfreiwillig eingezogen worden sind. Jene, die im Grunde zum Bund mussten, weil der Staat das so wollte und den möglichen Zivildienst auch nicht machen wollten oder es nicht geschafft hatten zu verweigern. Es war damals noch wesentlich schwerer als heute Zivildienstleistender zu werden. Bei diesem Test wurde man ziemlich durch die Mangel gedreht und nur die wenigsten schafften es der Bundeswehr durch den Zivildienst zu entgehen.

Auch wenn ich Zeitsoldat war, machte ich natürlich mit ihnen zusammen die Grundwehrdienstzeit. Man kann sich also gut vorstellen mit welchem Unverständnis Zeitsoldaten von den Wehrpflichtigen angesehen wurden. Ich wusste, als ich mich hier freiwillig für vier Jahre verpflichtete, dass ich weit weg von zu Hause sein würde, hoffte allerdings nach der Grundausbildung nahe an meine Heimat versetzt zu werden und wieder zuhause sein zu können. Nun stand allerdings erstmal die Grundausbildung an. Ich hatte mich als Sanitäter bei der Luftwaffe gemeldet. Allerdings lediglich aus dem Grunde, dass ich nicht tagelang in einem Schützengraben liegen wollte, wie es der Fall gewesen wäre, wenn ich mich z.B. beim Heer beworben hätte. Ich dachte mir einfach, bei der Luftwaffe hast du es vielleicht etwas einfacher und vielleicht lernst du noch was fürs Leben, wenn du Sanitäter wirst.

Immer das Ziel vor Augen, nur hier zu sein, um irgendwann ein eigens Studio zu haben und Musik machen zu können. Und so wie ich es mir vorstellte, war es auch. Ich verdiente vom ersten Tag an im Monat eintausendsiebenhundert Mark. Ich fand es unglaublich. Ich konnte noch gar nichts aber verdiente richtig viel Geld. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Untergebracht waren alle immer in Stuben mit sechs Leuten. Bei mir war das auch nicht anders. In meinem Zimmer war ich der Jüngste. Kein Wunder, wer ist auch schon so verrückt und meldet sich mit achtzehn Jahren freiwillig zum Bund, sagten mir am ersten Tag meine Stubenkollegen. Von den sechs Leuten waren alle außer mir zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Im Grunde Leute, die voll im Leben standen, eine Ausbildung hatten und schon ihren Platz im Leben gefunden hatten. Ich war da eher der Grünschnabel, der noch eine Menge zu lernen hatte.

Zwei von meinen Zimmergenossen waren Bodybuilder. Zwei Typen, die so breit und groß waren, wie ein Türrahmen. Und sie übernahmen auch somit schnell die Kontrolle in unserem Zimmer und hatten das Sagen, da keiner sich gegen sie stellen wollte. Die drei anderen, waren im Grunde völlig normale Menschen, an die ich kaum noch eine Erinnerung habe, weil sie eben so unauffällig und schlicht waren. Die beiden Bodybuilder bestimmten das Leben in unserem Zimmer. Sobald der Vorgesetzte weg war, waren sie die Chefs. Wer nicht das tat, was sie wollten, der wurde gezwungen. Es war keine Seltenheit, dass mal eben einer der nicht machte was sie wollten, einfach aus dem Fenster geschmissen wurde. Gut, es war nur das Erdgeschoss, allerdings war der Aufprall und der Rauswurf trotzdem nicht gerade weich. Hätte man sich dann bei den Vorgesetzten beschwert, würde es einem danach wohl noch schlechter gehen.

Somit tat dies niemand. Die beiden „Schränke" ließen sich von uns allen immer schön die Betten machen, die Schuhe putzen und den Spind aufräumen. Im Grunde alles, wo kein Vorgesetzter dahinter kommen konnte, das wir das für sie machten und sie im Grunde keinen Finger krümmten. So pegelte sich das Leben bei der Bundeswehr ein. In der Woche war Grundausbildung angesagt, am Wochenende ging es nach Hause und ich dachte mir die ganze Zeit, bloß nicht auffallen, sondern einfach ruhig und unauffällig mit dem Strom schwimmen und warten, bis die Grundausbildung vorbei war und das ganze Geld immer schön beiseite legen.

Bei der Bundeswehr rennen immer jede Menge Vorgesetzte rum, Typen in schicker Uniform und grundsätzlich grimmigen Gesichtsausdruck, die in jeder erdenklichen Situation angefangen haben rumzuschreien. Selbst ein „Guten Morgen" hörte sich an, als wenn du deine Leviten gelesen bekommen hast. Ich weiß bis heute nicht, warum die immer alle so böse geguckt haben und so rumgeschrien haben. Vielleicht, weil das Essen dort so schlecht war. Gerade ich, der von zuhause, quasi von Muttis Herd direkt nach hier versetzt wurde, konnte wirklich nicht verstehen, warum Essen so schmecken musste. Die Verpflegung war wirklich unter aller Kanone und einfach ekelhaft. Auf der Karte, die überall aushing, hörte sich immer alles ganz toll an. Allerdings sah es auf dem Teller immer aus, wie toter Vogel frisch von der Strasse. Freitags gab es immer Fleischsalat. Im Grunde wurde das, was in der Woche übrig geblieben war, zusammengeschmissen und warm gemacht.

Die Wochen und Monate zogen ins Land und das Ende der Grundausbildung näherte sich und es stand die sogenannte Vereidigung an. Das ist der Moment, wo alle Soldaten sich dazu verpflichten für Gott und Vaterland den Löffel abzugeben, wenn es sein muss. Ich konnte damit nun wirklich nichts anfangen. Ich war ja nur hier, um genügend Geld zu sparen, um Musik machen zu können. Diese Zeremonie wurde tagelang geübt. Immer und immer wieder von links nach rechts marschieren und drehen und ein „Achtung" hier und ein „Achtung" dort. Es war schon ziemlich imposant anzusehen, wie alle das Gleiche taten und auf ein Kommando gehorchten. Dann kam auch schon der Tag der Vereidigung, mit der unsere Ausbildung beendet sein sollte. Diese ganze Zeremonie erinnerte mich an alte Wochenschauen, nur das ich nun mittendrin war. Marschmusik von links. Marschmusik von rechts und selbst die grimmig guckenden Vorgesetzten entwickelten eine Art Strahlen auf ihren Gesichtern. Na ja, im Grunde war ich froh, als es wieder vorbei war und die letzten Tage der Grundausbildung nun anstanden. Umgehend sollten wir auch erfahren, wo wir hin versetzt werden sollten. Am darauffolgenden Tag erfuhr ich, dass ich in die Nähe meiner Heimatstadt versetzt werden sollte, worüber ich mich logischerweise unendlich freute. Alles verlief bisher so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die letzten Wochen und Monate hatte ich letztendlich kaum damit verbracht Musik zu machen, allerdings hatte ich den Grund hier zu sein niemals aus den Augen verloren. Nun stand noch eine letzte Nacht in meiner Grundausbildung an, welche ich niemals in meinem Leben vergessen werde.

Rache ist süß

Die letzte Nacht stand nun in meiner Kaserne an und alle gingen am Abend in die Federn. Die beiden Kollegen, die in den letzten Wochen meine Stubenkollegen und mich terrorisiert hatten, lagen ebenfalls in ihrer Koje. Wir alle hatten die letzte Zeit damit verbracht den Beiden aus Angst immer den Hintern nachzutragen und alles Erdenkliche für sie zu putzen oder sauberzumachen. Ebenso waren meine Kollegen und ich des öfteren bedroht worden, wenn wir nicht das für sie machten, was sie wollten. Somit entschied ich mich, es ihnen nun ein wenig heimzuzahlen. Die beiden sollten am nächsten Morgen nicht viel Spaß an ihrer Heimreise haben und da ich wusste, dass sie in eine andere Ecke von Deutschland versetzt wurden als ich, wusste ich, dass ich sie nie mehr sehen würde.

Wie vorher schon erwähnt, machten wir in dieser Grundausbildung alle eine Ausbildung zum Sanitäter. Dementsprechend kamen wir auch an die verschiedensten Sälb-chen und Mittelchen. Alleine aus dem Grunde, unsere blauen Flecken, welche wir uns bei Wanderungen oder Übungen im Feld zugezogen hatten, behandeln zu können. Ich entschied mich für die gute alte Finalgonsalbe. Diese Salbe wird aus Blutegelextrakt hergestellt und wird unendlich heiß, wenn sie auf die Haut aufgetragen wird. Ich selber hatte sie mal auf eine Verstauchung getan und wusste daher wie heiß dies wurde. Im Beipackzettel stand, dass man sie bitte nicht auf Weichteile tun solle, da dies sehr schmerzhaft sein könne.

Als ich das damals gelesen hatte, dachte ich mir ....gute Idee und nun sollte es also so weit sein. Ich krallte mir also von den beiden selbstverliebten Typen jeweils eine Unterhose aus ihrem Spind und schmierte diese schön dick mit der Salbe im Schritt ein. Das alles war kein Problem, schließlich mussten wir ihnen ja den Spind immer schön aufräumen, so wie die letzten Wochen und Tage. Danach legte auch ich mich schlafen. Ich weiß nicht so genau, was am nächsten Morgen nach dem Duschen aus ihnen geworden ist. Ich denke mal, sie haben danach die Unterwäsche gewechselt. Denn irgendwann standen wir Alle, außer den Beiden, in der Reihe um uns von unserem Kommandeur zu verabschieden.

Zu einer Verabschiedung meiner beiden Zimmerkollegen kam es nicht mehr. Sie waren einfach weg und mussten wohl noch aus einem für fast alle unerfindlichen Grund die Sanitätsstaffel besuchen und hatten daher keine Zeit sich regulär von uns allen zu verabschieden, geschweige denn die Reise nach Hause anzutreten. Ich weiß bis heute nicht, ob es richtig war dies zu tun. Ich hatte auch niemandem aus meinem Zimmer davon erzählt. Ich weiß nur, dass ich es damals für richtig ansah, jemandem der andere und mich unterdrückte, zum richtigen Zeitpunkt etwas heimzuzahlen. Ich stellte mir vor, wie die beiden wimmernd und leidend vom Sanitätsarzt den Schritt gepudert bekamen, weil der eben so brannte. In dem Moment, wo wir alle durch das Kasernentor nach Hause gehen konnten und eine schlimme Zeit mit den Beiden beendet wurde, lagen ihre Kronjuwelen unter Feuer und sie mussten noch da bleiben und wurden wohl diesmal selber zum Gespött der anderen. Das war meine erste Rache, an die ich mich erinnern kann. Ein schlechtes Gewissen habe ich schon ein wenig. Allerdings nur ein wenig.

Die fetten Jahre

Ich wurde in die Nähe meiner Heimatstadt versetzt und zwar in eine Kaserne, die Teil eines Stützpunktes der NATO war. Das war ein Flugplatz, auf dem die sogenannten Awax Flugzeuge starteten und landeten. Das sind die Flugzeuge mit den riesigen Tellern auf dem Rücken. Im Grunde genommen reine Luftaufklärer. Auf diesem Flughafen ist dann alles an Menschen vertreten, was in der NATO ist. Amerikaner, Engländer, etc. Wenn man da durch die Kaserne lief, schrien somit nicht nur alle in Deutsch, wie ich es kannte, sondern es rannten auch jede Menge marschierende Grüppchen hin und her, die so wie man es aus Hollywoodfilmen kennt, sogar dabei sangen. Gerade die Amerikaner zelebrierten das bis ins kleinste Detail und es sah wesentlich cooler aus als unsereins, das nur mit hochrotem Kopf rumkrakelte. Die Staffel der Bundeswehr stellte hier den Notdienst und die Sanitätsstaffel, für alle die dort stationiert waren. Ich wurde in die Sanitätsstaffel ins Behandlungszimmer gesteckt. Im Grunde verrichtete ich die Arbeit einer Krankenschwester. Ich lernte Blutabnehmen, Spritzensetzen und lernte ziemlich viel über Anatomie und den gesamten Bewegungsapparat des Menschen. Ebenso lernte ich sehr viel über Medikamente und alles, was es so an Sälbchen und Mittelchen für irgendwelche Wehwehchen gibt.

Ich hatte somit tagtäglich mit allerlei Menschen zu tun, deren Krankheiten ich zu behandeln lernte. Allerdings gab es auch einen nicht unwesentlichen Vorteil, wenn man als Bundeswehrsoldat auf einem Flugplatz stationiert war, der Teil der NATO ist. Wir als Bundeswehrsoldaten bekamen das gleiche gute Essen, wie die Piloten der Flugzeuge und alle anderen internationalen Soldaten. Das Essen war unglaublich. Da konnte man nachts um eins schon frühstücken und das ganze hatte vier Sterne Niveau. Also im Grunde alles, was das Herz begehrt und diese Tatsache sollte mein Leben in

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nicht zu ferner Zukunft nun doch maßgeblich ändern. Ich lebte zu dieser Zeit recht ruhig in den Tag hinein. Da dieser Stützpunkt recht nahe an meinem Zuhause gelegen war, konnte ich jeden Abend nach Hause fahren und musste erst am nächsten Morgen wieder zum Dienst antreten. Im Grunde kein Unterschied zu einem normalen Job. Der einzige Unterschied war, dass wir morgens vor dem Dienstantritt alle in einer Reihe standen und einmal laut "Guten Morgen" schreien mussten. Da ich jeden Abend nach Hause konnte, richtete ich mir so langsam mein Studio ein. Ich sparte alles Geld und gab es dann wieder für Instrumente aus. Alles lief perfekt. Ich schien meinem Ziel immer näher zu kommen. Ich liebte es in Musikhäusern auf die Suche nach Keyboards und Synthesizern zu gehen. Einfach nach allem, was man Klangerzeuger nennt. Ich probierte die Instrumente aus und wenn sie mir gefielen, kaufte ich sie mir. Dann schrieb ich Instrumentalstücke mit den neuen Instrumenten. Das Leben zu dieser Zeit könnte map als ruhig und perfekt bezeichnen. Ich hatte einen Beruf, der mir die Musik ermöglichte und mir fehlte es einfach an nichts. Ich war einfach ein ruhiger etwas stillerer Zeitgenosse, der bei der Bundeswehr Sanitäter war und als Hobby Musik machte. Die nächsten Wochen und Monate verliefen ohne irgendwelche Besonderheiten. Allerdings änderte sich mein Aussehen schon zu dieser Zeit. Ich denke mal durch die Normalität und den Alltag und das immer gute Angebot der Verpflegung, verdoppelte sich mein Körperumfang. Ich achtete in keiner Weise auf irgendwelche Dinge, wie gesunde Ernährung. Ich stopfte einfach alles an Essen in mich rein. Warum weiß ich nicht mehr. Ich denke, weil es einfach da war und ich es mochte. Ich hatte noch nie in meinem Leben Probleme mit dem Gewicht gehabt. So etwas kannte ich gar nicht. Somit verschwendete ich daran auch keinen Gedanken. Zumal man auf diesem Stützpunkt ja schon zu den unmöglichsten Zeiten die unglaublichsten Leckereien angeboten bekam und das noch alles kostenlos.

Kurzum, nahm ich in den darauf folgenden anderthalb Jahren fast zwanzig Kilo zu. War ich früher immer ein Leichtgewicht und recht dürr, sah ich nun aus wie ein Miche-linmännchen. Mein Kopf war kugelrund und meine Oberschenkel wurden so dick, dass sie beim gehen aneinander rieben. Ich achtete in dieser Zeit in keiner Weise auf mein Aussehen. Ich lebte in den Tag hinein, machte meinen Job und liebte die Musik. Das ich mittlerweile doppelt so breit war wie früher, war mir egal und interessierte mich nicht. Klamotten, die nicht mehr passten, wurden durch neue ersetzt und somit übersah ich die extreme Veränderung meines Aussehens. Irgendwann allerdings, fing dann meine Umgebung an sich über mich lustig zu machen, da mein Aussehen von dieser Seite nicht übersehen wurde. Sprüche wie, „da musst du zu dem Dicken im Behandlungszimmer gehen", „Specki", „Deutschlands Panzer rollen wieder" oder irgendwelche Anspielungen auf meinen Körperumfang, sorgten immer wieder für Gelächter und Unterhaltung in meiner Umgebung.

Ich von meiner Seite, sah darüber hinweg und lachte mit. Zumindest in den Anfängen. Im Grunde wurde mir in diesen Momenten erst bewusst, dass ich mich doch ziemlich verändert hatte und fing somit an mich damit zu beschäftigen. Irgendwann taten die Sprüche dann weh, allerdings ließ ich mir das nicht anmerken und zog es ebenfalls ins Lächerliche. Das Resultat war wohl, dass ich mich im Grunde noch mehr in mich zurückzog und den Kontakt zu anderen Menschen noch weniger suchte als sonst.

Ich denke mal, weil die Angst verletzt zu werden einfach immer größer wurde. Ich überlegte insgeheim immer wieder, wie ich abnehmen könnte, aber fand nicht den Moment es wirklich anzugehen und war immer wieder hin und her gerissen, ob es sich überhaupt lohnte abzunehmen, wo doch lediglich die anderen und meine Umgebung es immer wieder zu einem Thema machten und nicht ich. Warum sollte ich mich also für andere ändern. Alles was ich wollte, hatte ich. Ich hatte einen Job und konnte in Ruhe Musik machen und mir immer mehr Dinge für mein Studio kaufen. Warum sollte ich also etwas ändern, dachte ich mir zum damaligen Zeitpunkt.

Die Realität

In der darauffolgenden Zeit fing ich an über die Zeit nach der Bundeswehr nachzudenken.

Ich überlegte, wie ich meine Musik zum Beruf machen konnte und fing an Infomaterial und Adressen von Plattenfirmen zusammenzutragen. Ich sammelte alles was ich finden konnte. Ich stellte mir vor, mich mit meinen mittlerweile unzähligen Instrumentalstücken bei Plattenfirmen als Komponist zu bewerben und diese dann an sie zu verkaufen oder dort als Komponist angestellt zu werden. Im Grunde wollte ich Filmmusik machen. Ich hatte zu dieser Zeit sehr viele Platten und Soundtracks von Filmen und stellte mir einfach vor, dass ich das auch könnte. Da es zur damaligen Zeit noch kein Internet gab, suchte ich den Kontakt über Musikhäuser und fand dann letztendlich so eine Art Branchenbuch, wo alles an Plattenfirmen in Deutschland drin stand. Ich setzte ein Schreiben auf, wo alles über mich drinstand. Im Grunde eine ganz normale Bewerbung und legte eine Kassette bei, mit einer von mir getroffen Auswahl an Instrumentalstücken und machte so an die fünfzig Bewerbungen fertig, die ich dann an die Plattenfirmen rausschickte. Ich ging davon aus, dass ich ziemlich schnell Antwort bekam, schließlich, hatte ich aus über hundert Instrumentalstücken lediglich die für mich zwölf besten ausgesucht. Das musste einfach klappen, dachte ich mir. Ich wartete lange, wirklich sehr lange und nichts geschah. Irgendwann fragte ich mich, warum mir niemand antwortete. Der morgendliche Blick in den Briefkasten, wurde zum frustrierendsten Augenblick am Tage, da er immer leer war. Irgendwann nahm ich mir die Liste mit allen Adressen der Plattenfirmen, suchte mir die dazugehörigen Telefonnummern raus und fing an dort anzurufen und nachzufragen, warum ich keine Antwort bekam. Meist landete ich bei irgendjemandem, der gar nicht verstand, was ich von ihm wollte, da es wohl scheinbar nie vorkommt, dass jemand doch tatsächlich anruft und sich darüber beschwert, dass man keine Antwort auf eingeschicktes Musikmaterial bekommt. Ich ließ nicht locker und telefonierte unzählige Plattenfirmen ab, mit dem Ergebnis, dass ich hinterher genauso schlau wie vorher war.

Uberall sagte man mir, so etwas dauert, wir haben nichts bekommen oder im Augenblick suchen wir niemanden oder wir antworten nur, wenn Interesse besteht. Ich merkte, dass das alles wohl doch nicht so einfach war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nach dieser doch recht harten Realität fing ich an darüber nachzudenken, woran es wohl liegt, dass sich niemand für meine Musik interessiert. War sie vielleicht nicht gut genug oder hatte ich etwas falsch gemacht. Hatte ich doch alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt hatte in sie hineingesteckt und alle Verwandten und meine Familie waren alle so von ihr beigeistert und sagten mir immer wieder wie toll sie die Musik von mir finden. Ebenso hatte ich mein Leben so geplant, dass ich Musik machen kann und bin deswegen extra zur Bundeswehr gegangen um Geld zu verdienen, das ich sie mir überhaupt erst leisten kann. Kurzum war ich damals am Boden zerstört und wusste nicht weiter.

Zumal nun die Angst dazukam, was ich machen sollte, wenn die Bundeswehr zu Ende ist. Welchen Beruf könnte ich dann wählen. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Vorstellung und fiel einfach in ein tief* Loch. Die darauffolgende Zeit verbrachte ich damit immer weniger Musik zu machen. Die Instrumente in meinem kleinen Studio blieben meist ausgeschaltet, weil ich in diesem Augenblick keinen Sinn darin sah, weitere Musikstücke zu schreiben oder überhaupt Musik zu machen. Warum auch, es wollte sie eh keiner haben. Ich fing an aus Frust noch mehr zu essen und in mich hineinzustopfen und nahm noch mehr zu. Ich denke mal, ich sah zu diesem Zeitpunkt kugelrund aus.

Ich fing an mich mit Essen dafür zu belohnen, wie schlimm es mir doch geht und wie schwer ich es zu diesem Zeitpunkt hatte und immer dann, wenn auch noch eine Attacke von außen über mein Gewicht auf mich einprasselte, lachte ich lediglich darüber und machte mich selber zur Witzfigur und stopfte dann noch mehr in mich rein. Wenn ich aus heutiger Sicht diese Zeilen schreibe, kann ich kaum glauben, das ich das bin über den ich hier schreibe. Diese Erinnerungen waren scheinbar lange verdrängt und in Vergessenheit geraten oder vielleicht lediglich im Hinterkopf versteckt. Diese meine Blindheit, die ich zum damaligen Zeitpunkt an den Tag legte, tut mir einfach nur weh, wenn ich sie nun so klar in Worte fasse.

Ich kann kaum glauben, dass ich mich diesem selbst auferlegten Schicksal so einfach hingab und es einfach akzeptierte. Allerdings glaube ich, dass ich es damals nicht anders konnte und musste es wohl so extrem ausleben, um irgendwann die Realität zu sehen und vielleicht dann einfach irgendwann wieder aufzuwachen.

Spiegelbild

Ich weiß nicht mehr wann es war. Ich weiß nur, dass es an einem Morgen war, wo mir bewusst wurde, dass sich etwas ändern musste und es so nicht weitergehen konnte. Essen bestimmte mittlerweile mein Leben und war fast zu einer Sucht geworden. Ich suchte mittlerweile Gründe dafür einfach alles in mich hineinzustopfen. Ich stand morgens auf und dachte daran, was ich wieder essen kann und beim Essen dachte ich an das, was ich später noch essen kann. Ich sah mich im Spiegel an und fing an, das zu hassen was ich dort sah.

Ich denke mal, es war noch nicht einmal mein Aussehen. Wohl eher diese Selbstgerechtigkeit in meinem Blick, die ich an den Tag legte, mich mit meinem selbst auferlegten Schicksal abzufinden, nur weil der erste Versuch Musik zum Beruf zu machen, gescheitert schien. Mir wurde klar, dass ich mein Leben ändern musste, um einfach aus der jetzigen Situation wieder herauszukommen und mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ebenso war mir klar, dass mein Übergewicht und die damit verbundene Lethargie mich persönlich aufhielt und mein Ziel Musik zu machen immer wieder bremste. Ich wollte einfach nicht mehr in die depressiven Löcher fallen, die mich immer wieder lähmten. Mir fehlte die Musik. Das was ich jahrelang liebte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich viel zu schnell kapituliert hatte, nur weil ich nach dem ersten gescheiterten Versuch, die Musik zum Beruf zu machen, aufgegeben hatte und den ganzen Frust, im wahrsten Sinne des Wortes, in mich hineinfraß. Hatte ich doch all die Gedanken an die Musik in den letzten Wochen und Monaten einfach überhört und absichtlich nicht wahrgenommen, weil ich sie für überflüssig hielt, so wollte ich nun wieder auf sie hören und sie einfach wieder rauslassen. Ich hatte noch mehr als knapp ein Jahr bei der Bundeswehr, wo ich einen gesicherten Beruf ausübte und entschied mich die noch verbleibende Zeit zu nutzen und nun mein Leben zu ändern.

Ich fing an mich für mein Aussehen zu schämen und wollte als allererstes aus meinem angefressenen Schneckenhaus wieder herauskommen indem ich abnahm. Ich entdeckte, dass es das Erste war, was ich tun musste, wenn ich mein Leben wieder in den Griff bekommen wollte. Ich entdeckte meine alte Liebe zum Sport wieder und fing an zu joggen. Ich ging zwei bis drei mal die Woche joggen und achtete auf das was ich aß. Zu der damaligen Zeit fing zudem der Fitnesswahn in Deutschland an. An jeder Ecke machte ein Fitnessstudio auf. Die Dinger schössen damals nur so aus der Erde. So meldete ich mich auch in einem dieser Studios an und begann, zusätzlich zum Joggen, noch Gewichte zu stemmen. Die Zeit dafür nahm ich mir einfach. Die Stunden, die ich ansonsten nach der Arbeit vor dem Fernseher verbrachte, nutze ich nun einfach dafür Sport zu machen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mein Aussehen zu ändern und einfach wieder auf mein normales Gewicht zu kommen. Immer mehr nervten mich mittlerweile die Anspielungen meiner Umwelt. Ich konnte es einfach nicht mehr hören, geschweige denn darüber lachen, wenn sich jemand über mich lustig machte. Ich wollte dies einfach ändern indem ich abnahm. Wo ich früher angefangen habe alles blind in mich hineinzustopfen, wenn mich etwas ärgerte, machte ich nun umso mehr Sport. So nahm ich im Grunde einfach all die Hänseleien meiner Umwelt als Antrieb für mich selber. Ich erinnere mich an diese Zeit noch sehr gut. Ich saugte alles in mich auf, was mit Fitness und Sport zu tun hatte, als ich merkte, dass mein Körper darauf reagierte. Ich betrieb immer extremer Sport, mit dem Ziel vor Augen mein Spiegelbild wieder zu mögen und mich dafür nicht mehr zu schämen und endlich keine Anspielungen aufgrund meines Gewichtes mehr ertragen zu müssen. Ich fing an in jeder freien Minute Sport zu machen und schaffte es in sechs bis acht Monaten von hundertsechzehn Kilo auf sechsundsiebzig Kilo runterzukommen und merkte, dass mir durch meine Zielstrebigkeit und meine äußerliche Veränderung von meiner Außenwelt Respekt entgegengebracht wurde, der mir jahrelang vorenthalten wurde und steigerte so mein Selbstbewusstsein.

Dann wurde mir klar, dass ich eine gewisse Sicherheit brauchte, falls ich in den Anfängen wieder nur Absagen für meine Musik bekommen würde und entschied mich einen Beruf zu suchen und eine Ausbildung zu machen, so dass ich auch nach der Bundeswehr immer auf der sicheren Seite bin, selbst wenn es in den Anfangen mit der Musik nicht sofort klappen würde. Ich sparte all mein Geld, welches ich verdiente und dachte darüber nach, welchen Beruf ich lernen wollte. Immer vor Augen, dies nur so lange zu machen bis die Musik mein Beruf werden würde. Welcher dies war, wusste ich noch nicht. Ich hatte im Grunde keinerlei Vorstellung. Allerdings verfiel ich damals deswegen auch nicht in Panik. Ich wusste, dass ich noch einige Zeit Bund vor mir hatte und danach erst einmal eine hohe Abfindung für die geleistete Dienstzeit bekam und ich somit nicht finanziell auf dem Trockenen lag. Ich wollte einen Beruf haben, der mir immer noch in der Freizeit genügend Zeit bot, weiterhin Musik zu machen. Es müsste etwas sein, was wiederum nahe an meinem zu Hause sein sollte und mir doch ein wenig Spaß machen. Etwas mit Menschen wollte ich machen und nichts, wo ich den ganzen Tag in einem Raum sitze und nur rumwerkeln muss, wie damals bei der Berufswahl Zahntechniker. Bei der Bundeswehr hatte es mir auch Spaß gemacht mit Menschen umzugehen. War doch gerade das Behandlungszimmer der Ort, wo sich jeden Tag Gott und die Welt traf und allerlei Wehwehchen behandelt werden mussten. Ich hörte damals von einem Beruf, der sich Hörgeräteakustiker nannte. Im Grunde ist das das Gleiche wie ein Augenoptiker. Halt nur für die Ohren. Da man in diesem Beruf eine ganze Menge über Akustik und Klang lernen konnte, mit Menschen zu tun hatte und es in meiner Heimatstadt viele Bewerbungsmöglichkeiten gab, dachte ich mir, dass dies die richtige Wahl ist. Allerdings musste man damals diese Ausbildung zum Teil selber bezahlen, da es dazu gehörte zweimal im Jahr eine berufsbegleitende Schule in Lübeck zu besuchen. Ich dachte mir damals, dass ich es trotzdem machen will, denn einen solchen Beruf wählen nicht viele und vielleicht habe ich so die Möglichkeit eine gewisse Jobsicherheit zu haben, falls es mit der Musik vielleicht niemals funktionieren sollte.

Auch wenn ich diese Ausbildung nun selber bezahlen musste, so hätte ich doch dann, nach dem Abschluss der Ausbildung etwas, was nicht jeder hat und vielleicht somit eine Sicherheit, immer wieder in den Beruf zurückkehren zu können. Ich bewarb mich noch während der Bunderwehrzeit bei einigen dieser Betriebe und hatte nach kurzer Zeit glücklicherweise auch eine Lehrstelle in der Tasche, als das letzte Jahr der Bundeswehr zu Ende ging. Die Abfindung, die ich nach Beendigung meines Wehrdienstes erhielt, nutzte ich dafür meine Ausbildung zu finanzieren und schaute nun wiederum hoffnungsvoll in die Zukunft.

Rückblickend gesehen erinnere ich mich gerne an die Zeit bei der Bundeswehr. War sie in erster Linie nur als finanzielle Einnahmequelle von mir gewählt worden, um nicht nach der Schule auf der Strasse zu stehen, so merkte ich doch im nachhinein, dass sie mehr gewesen ist. Dort habe ich die ersten Gehversuche in meine Selbstständigkeit gemacht und die ersten Erfahrungen gesammelt, was es heißt Verantwortung für sich selber zu übernehmen und auch nach einem Absturz wieder alleine aufzustehen. Im Grunde war sie die erste Vorbereitung für mich auf das richtige Leben, da ich dort zum ersten Mal auf mich gestellt war und sie hat mich aufgefangen und hat mir die Sicherheit gegeben nicht im Sumpf der Arbeitslosigkeit zu versinken.

Der kalte Norden

Ich begann die Lehre zu meinem neu erwählten Beruf in meiner Heimatstadt und suchte mir eine Wohnung in einem großen Mietshaus. Ich wollte meinen neuen Lebensabschnitt alleine starten und zog bei meinen Eltern aus. Ich wollte einfach auf eigenen Beinen stehen und ich denke bei jedem kommt einfach mal der Wunsch, diesen Entschluss zu fassen. Im Nachhinein hätte ich das schon früher machen sollen. Ich richtete mir in der kleinen Wohnung in meinem Schafzimmer eine Ecke ein, wo ich all meine Instrumente aufbaute und so auch weiterhin Musik machen konnte. Allerdings waren die Zeiten nun vorbei, so wie bei Mutti und Vati immer schön laut Musik machen zu können. Meist spielte ich nun mit Kopfhörer oder war sehr leise, wenn ich komponierte. Da ich zu dieser Zeit nun mit wesentlich weniger Geld auskommen musste, fing ich an nebenbei in dem Fitnessclub, wo ich immer noch trainierte zu arbeiten, sodass ich mir auch weiterhin leisten konnte diesen Sport zu betreiben. Natürlich hätte ich auch nur Joggen gehen können aber der Sport tat mir gut und war mir zum damaligen Zeitpunkt zu wichtig, so dass ich ihn nicht aufgeben wollte. In der Lehre verdiente ich im ersten Lehrjahr nicht mehr als dremundertfünfzig Mark. Ich hatte zwar noch meine Abfindung der Bundeswehr, allerdings musste ich damit die Berufsschule bezahlen. Staatliche Unterstützung zu diesem Ausbildungsplatz gab es damals zwar, allerdings war es nur ein geringer Anteil an Unterstützung und somit kaum der Rede wert.

Ebenso musste ich ja auch zweimal im Jahr in Richtung Lübeck zur Berufsschule reisen und die Kosten dafür waren auch nicht gerade niedrig. Meine Eltern haben mich glücklicherweise dann immer noch unterstützt, wofür ich natürlich sehr dankbar war. Auch wenn es doch in diesem Beruf meist ältere Menschen waren, mit denen ich zu tun hatte, konnte ich damit sehr gut umgehen und hatte Spaß an dem, was ich tat. Die Leute hörten mir zu, ließen sich von mir beraten und schenkten mir ihr Vertrauen und bedankten sich bei mir. Die Zeiten, dass ich zurückhaltend war und ein Problem damit hatte auf Leute zuzugehen, waren anscheinend vorbei. Ich genoss das neu gewonnene Selbstbewusstsein und wurde in dem was ich tat immer besser. Zweimal im Jahr musste ich dann zur schulischen Ausbildung zur Fachhochschule für Hörakustik in die Stadt Lübeck. Dort lebte man dann im Grunde für einige Wochen in einem Internat mit allen Anderen, die diesen Beruf lernen wollten und bekam den ganzen Theoriekram beigebracht. Für mich war das nichts Neues. Im Grunde wie beim Bund, nur ohne Schreierei am Morgen. Ich denke, so läuft es auch in einem Studium ab.

Tagsüber hatte man Unterricht und am Abend konnte man machen, was man wollte. Zu dieser Zeit machte ich keine Musik, da ich alles an Instrumenten in meiner Heimatstadt in meiner Wohnung hatte. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, habe ich sehr schöne Erinnerungen daran. Ich war damals zum ersten Mal mit mir im Reinen und das was ich tat, machte mir Spaß und ich fand es schön. Ebenso kam ich mit

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der Mentalität der Menschen dort sehr gut zurecht. Die etwas kühlen und zurückhaltenden Nordlichter, um es mal so zu beschreiben, mochte ich sofort und verstand mich sehr gut mit vielen meiner Studienkollegen. Im Grunde war die Zeit damals geprägt von meinem neuen Beruf. Immer mein Ziel vor Augen, diesen erfolgreich abzuschließen. Ich denke, zur damaligen Zeit hätte ich mir auch vorstellen können diesen Beruf nicht nur als Sicherheit zu wählen.

Das was ich tat, machte ich gerne, es machte mir Spaß und ich war erfolgreich in meinem Handeln. Daher fiel mir die Ausbildung auch nicht sonderlich schwer. Ich lernte immer sehr viel, genoss allerdings auch die Freiheit weit weg von zuhause zu sein, indem ich mit meinen Studienkollegen auch viel feierte und Spaß am Leben hatte. Wir waren in diesem Internat ebenso wie beim Bund in sechser Zimmer eingeteilt worden. Ich habe an alle meine Zimmerkollegen sehr gute Erinnerungen. Einer meiner Kollegen hatte seine Gitarre immer}dabei und spielte auf dem Ding in jeder erdenklichen Minute und so kam es vor, dass unser Zimmer wegen nächtlicher Ruhestörung von dem Hausmeister des Internats ziemlich häufig besucht wurde. So ist das halt , wenn Bettpfosten und alles, was man finden kann von sechs Leuten als Instrument benutzt werden und alle feucht fröhlich drauflos klopfen, damit Schlagzeugspielen und dabei schmutzige Lieder singen.

Kurzum, es war eine schöne Zeit, an die ich mich gerne zurückerinnere. Irgendwann an einem Nachmittag, in der Mittagspause spielte mein Zimmerkollege auf seiner Gitarre rum und sagte mir, „komm sing du den Refrain und ich die Strophe des Liedes". Ich weiß noch ganz genau, dass ich keine Zeit zum Nachdenken hatte und er trällerte, als wenn es das normalste der Welt wäre die Strophe vor sich hin und schaute dann ganz erwartend, dass ich nun den Refrain singen sollte. Ich allerdings sang gar nicht, ich musste nur lachen. Dann sang er den Refrain und ich sang lachend einfach mit. Welches Lied es war, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, das es mir Spaß machte. Er meinte nur zu mir, ich würde ganz gut singen und trällerte fröhlich weiter.

Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, wird mir in diesem Moment gerade bewusst, dass es dieser eine kurze Moment war, der mich dazu brachte darüber nachzudenken einfach einmal zu singen und meine Stimme dazu zu benutzen die Melodien, die ich im Kopf hatte damit zu ergänzen. Fast beiläufig muss es damals wohl passiert sein. Im Grunde lediglich aus einer Laune heraus. Ich bin häufig gefragt worden, wann ich angefangen habe zu singen und wusste nie genau wann und wo es war. Ich wusste nur, dass es zu dem Zeitpunkt meiner Ausbildung war. Aber der Moment ist mir auch gerade erst wirklich klar geworden.

Ebenso hatte ich nie gewusst, dass es wohl dieser eine kleine Satz meines Zimmerkollegen gewesen ist, der mich dazu brachte darüber nachzudenken, einmal zu meiner Musik zu singen.

Heimliche Spielereien

Als die ersten Wochen und Monate meiner schulischen Ausbildung zu Ende gingen und ich wieder in der Heimat angekommen war und somit jeden Tag von morgens bis abends meine Ausbildung in meinem Betrieb fortführte, hatte ich wieder Zeit am Abend Lieder zu schreiben. Es war somit das erste Mal, dass ich die Instrumente einschaltete, mit dem Wunsch zu der bisherigen Instrumentalmusik Gesang aufzunehmen.

Ich dachte mir verschiedene Texte auf Englisch aus, die mir zu einem Instrumentalstück einfielen und nutze ein altes Tonbandgerät und ein einfaches Mikrofon, um das was mir da so zu meiner Musik einfiel, aufzunehmen. Ich probierte im Grunde nur alles aus, aber zu einem wirklichen Ergebnis kam es an diesem Abend nicht. Ich wusste einfach nicht, wo ich anfangen sollte und wie ich die bisherigen Melodien, die ich spielte mit dem was ich singen wollte aufnehmen konnte. Ich probierte einfach. Allerdings hatte ich ebenso Angst, dass mich irgendjemand in dem Mietshaus, in dem ich wohnte, hören konnte. Nicht, weil ich dachte ich störe jemanden, sondern lediglich, weil ich mich schämte.

Nach einer Aufnahme hörte ich mir das gesungene Elend an und fand das in keiner Weise toll. Ich überlegte, ob mein Stubenkollege das eher sarkastisch meinte, als er sagte das würde sich gut anhören, wenn ich singe. Allerdings war das Mikrofon und die Aufnahmemöglichkeit die ich damals hatte auch wirklich vorsintflutlich und alles klang einfach nur muffig und leierte vor sich hin. Trotzdem hatte ich Spaß daran mit meiner Stimme etwas zur Musik beizusteuern. Allerdings wartete ich immer bis mein Nachbar, der auf der gleichen Etage nebenan wohnte nicht im Haus war und ich mir so sicher sein konnte, dass mich niemand hörte. Da dieser immer nur am Wochenende unterwegs war, entschied ich mich meine gesanglichen Eskapaden auf die Wochenenden zu verlegen, damit mich niemand hörte. An irgendeinem Wochenende war es dann wohl soweit. Ich hatte mich im Laufe der Woche schlau gemacht, wie man Gesang und Musik aufnehmen konnte und hatte mir ein besseres Mikrofon geleistet. Es war zwar auch immer noch aus dem tiefsten Amateurbereich aber schon einmal besser als das vorherige.

Ebenso legte ich mir zwei DAT Rekorder zu, die es mir zur damaligen Zeit schon ermöglichten, Musik digital aufzunehmen. Der eine sollte zum Abspielen der Instrumentalmusik sein und wenn ich dann dazu singe, konnte der andere alles aufnehmen. Das ganze kostete eine Menge Geld, welches ich nicht hatte. Ich entschied mich meine Eltern zu fragen, ob sie mir das Geld leihen würden. Das ganze Technikgedöns kostete damals über zweitausend DM und es fiel mir sehr schwer, sie um diese Summe zu bitten. Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl dabei. Allerdings tat ich es trotzdem. Meine Eltern gaben mir das Geld nach recht intensiver Überzeugungsarbeit und ich versprach ihnen, es so schnell wie möglich zurückzugeben.

Zuhause angekommen, schloss ich alles an und wartete bis mein Nachbar endlich wieder weg war und das Haus verlassen hatte. Die Mieter unter mir dürften eigentlich nichts hören, dachte ich mir. Von denen hörte ich ja auch nichts. Auch wenn da unzählige Leute zu Besuch waren. Nun konnte es also losgehen. Ich schlich durchs Treppenhaus und horchte, ob ich noch wen hörte und ob ich nun endlich anfangen konnte zu singen. Ich glaube, wenn in diesem Moment jemand die Tür aufgemacht hätte, hätte er direkt die Polizei gerufen. Ich muss ausgesehen haben wie ein Spanner auf Socken, der an Türen horcht.

Glücklicherweise geschah nichts dergleichen und ich merkte das niemand mehr da war, der mich hören könnte. Ich startete die Geräte und trällerte vor mich hin und probierte wieder viele Dinge beim Singen aus. Ich sang hoch und tief, sang über meine schon aufgenommene Stimme und lernte im Grunde so, wie sich etwas verändert, wenn man mehrmals übereinander sang. Ich hörte mir das Ganze an und fand es nun auch gar nicht mehr so schlecht. Das neujp Mikro schien wirklich viel besser zu sein. Es war wesentlich klarer, als das alte, das ich im Keller gefunden hatte. Ich probierte Effekte auf die Stimme zu legen und werkelte stundenlang herum und spielte im Grunde mit meinem neuen Instrument, dem Gesang.

Die Zeit verging wie im Fluge und ich bunkerte mich das ganze Wochenende in meiner Wohnung ein und sang immer wieder aufs Neue und bekam somit immer mehr Übung in dem, was ich tat. Meine Stimme fing an mir langsam zu gefallen. Das, was ich sang, waren irgendwelche englischen Sätze, die mir einfielen. Sie waren allerdings grammatikalisch eine Katastrophe. In der Schule hatte ich zwar Englisch gehabt, allerdings hatte ich nie viel Freude an dieser Sprache und weil ich damals nie etwas an mündlicher Mitarbeit in der Schule habe beitragen können ging diese Sprache irgendwie an mir vorbei. Ich suchte in Übersetzungsbüchern Wortspiele und setzte mir so die Sätze zusammen, dass sie für mich einen Sinn ergaben. Wenn ich mir allerdings meine textlichen Eskapaden der damaligen Zeit heute so anhöre, denke ich, hätte ich lieber noch einmal jemanden fragen sollen, der die Sprache richtig beherrscht. Damals allerdings dachte ich, es wäre richtig und so fand ich gut was ich da so alles machte und was dann letztendlich dabei herauskam. Ich stand also in meinem Schlafzimmer, wo alles abgedunkelt war und hoffte, das mich niemand hören konnte. Dann nahm ich nach langer Ausprobiererei den Gesang zu einem Instrumentalstück auf. Wenn ich mir das Lied heute anhöre, erinnere ich mich noch gut an alles. Ich kann mich selber gut verstehen, warum es mir damals peinlich war, wenn mich jemand singen gehört hätte. Ein wenig peinlich ist mir das Lied, aus heutiger Sicht, immer noch. Es ist unausgereift und amateurhaft aber im Grunde ist es das Lied mit dem alles begann.

Alles was ich daraufhin machte, baut darauf auf und ist daher ein sehr wichtiger Baustein in meinem Leben und in der Musik, die ich mache. Also sehe ich beim Hören über die viel zu klaren Defizite der damaligen Zeit einfach hinweg und nehme das Lied so an, wie es ist.

Mein erster englischer Song entstand an diesem Wochenende und hieß „Human Nations"

Träume und Illusionen

Die darauffolgenden Tage und Wochen vergingen wie im Fluge. Ich konzentrierte mich neben meiner Ausbildung immer mehr auf die Musik und komponierte in der Woche und am Wochenende, wenn mein Nachbar endlich außer Haus war, machte ich die Gesangsaufhahmen. Wo ich früher nur Melodien im Kopf hörte, kamen nun Gesangsideen dazu, die ich in meinen Gedanken mit ihnen zusammensetzte. Im Grunde dachte ich den ganzen Tag an Musik, auch wenn ich sie nicht machte. Ich bediente quasi in meinem Ausbildungsbetrieb einen Kunden, verpasste ihm ein Hörgerät und dachte dabei die ganze Zeit an Musik. Das führte allerdings nicht gerade dazu, das ich besonders konzentriert war, bei dem was ich tat. So schlichen sich immer mehr Fehler ein in dem was ich beruflich ablieferte. Ich erntete zu dieser Zeit immer wieder ermahnende Worte meines Meisters. Ich möchte mich doch bitte mehr auf das konzentrieren, was ich tue und nicht immer mit den Gedanken bei etwas anderem sein. Ich stimmte ihm zu, machte aber trotzdem einfach weiter und so entstanden in den nächsten Wochen immer mehr Lieder mit Gesang. Ich schrieb Lied für Lied und stellte mir vor, wie ich irgendwann einmal alle Lieder auf einer CD haben wollte, die ich mir dann immer wieder anhören könne.

Irgendwann hatte ich so zwölf Songs fertig und dachte mir, dass das ja nun schon für eine CD reichen würde. Ich setzte mir als nächstes in den Kopf eine ganze CD selber zu machen. Mit Musik, Grafik und allem, was dazugehört. Dann dachte ich mir, könnte ich mich damit wieder überall bewerben und je fertiger die ganze CD ist, desto eher hätte ich eine Chance, dass vielleicht eine Plattenfirma Interesse daran hätte. Als allererstes brauchte ich allerdings Fotos um das Artwork auch gestalten zu können. Ich suchte mir also aus dem Branchenbuh einen Fotographen und ging dort vorbei. Es war so ein typischer Fotograph. Das sind die Geschäfte, deren Schaufenster in Fußgängerzonen voll mit irgendwelchen Hochzeits- oder Babyfotos sind und alle immer einen ganz intelligenten Gesichtsausdruck machen. Ich ging hinein und sagte ihm, dass ich Musiker bin und eine CD selber machen will und nun Fotos brauchte. Nachdem ich dann hörte, was das ganze kostete, verließ ich allerdings wieder das Geschäft. Die Fotosession alleine sollte über dreihundert Mark kosten. Die einzelnen Fotos dann noch mal extra.

Dieses Geld hatte ich nicht. Ich wollte nicht wieder meine Eltern um Geld bitten, sondern entschied mich das Geld von meinem gesparten für die Schule zu nehmen und damit Fotos machen zu lassen. Die Fotos, die dann gemacht wurden, fallen aus meiner heutigen Sicht wohl unter das langweiligste, was jemals von mir aufgenommen wurde. Damals allerdings fand ich sie sehr gut.

Ich kannte es nicht anders und es waren meine ersten Aufnahmen die im direkten Bezug zur Musik entstanden. Ebenso konnte ich sie nutzen um damit eine Art Grafik zu erstellen, denn ich brauchte schließlich ein Cover für meine erste CD. Nach einiger Zeit hielt ich also die fertigen Fotos in den Händen. Es waren etwa dreissig dabei, die mir gefielen. Allerdings wollte der Fotograph für jedes Foto immer Geld haben und da ich nicht so viel hatte, entschied ich mich für die wenigen, die meiner Meinung nach für ein Artwork gut waren und somit kostete mich die ganze Geschichte nahezu vierhundert DM.

Daraufhin ging ich wiederum das Branchenbuch durch um jemanden zu finden, der mir eine Grafik machen konnte und alle Lieder auf CD pressen konnte. Da gab es zur damaligen Zeit recht viele. Allerdings weiß ich heute nicht mehr, wie ich bei meiner Wahl vorgegangen bin. Es war irgendeine Adresse aus dem Branchenbuch, der damals CD, Artwort und Pressung anbot. Ich rief ihn an, machte einen Termin aus und erklärte ihm, was ich machen und haben wollte. Als er mir sagte, was das ganze kosten würde, fiel ich direkt vom Stuhl.

Das ganze sollte noch mal an die zweitausendfünfhundert DM kosten und die kleinste Menge an CDs die ich machen lassen konnte waren fünfhundert Stück. Die Grafik wäre allerdings dann inklusive, meinte er. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ziemlich desillusioniert fuhr ich wieder nach Hause und dachte darüber nach, wie ich das Ganze realisieren konnte. Ich entschied mich daraufhin mein Fitnesstraining aufzugeben, welches ich immer noch regelmäßig machte. Fortan arbeitete ich in dem Studio nebenbei, sodass ich somit immer etwas mehr Geld übrig hatte was ich sparen konnte.

Trainieren tat ich dort ja nicht mehr und sparte mir somit auch den Mitgliedsbeitrag. Ich fragte den Besitzer, ob ich öfter bei ihm arbeiten könnte, damit ich mehr verdiente, woraufhin er einwilligte. Das nächste halbe Jahr verbrachte ich damit, alles was ich verdiente zu sparen und jede Mark beiseite zu legen. Meine dreihundert DM, die ich von meinem Studienkonto genommen hatte, zahlte ich auch wieder ein, weil ich auf der sicheren Seite sein wollte und doch ein ungutes Gefühl hatte dieses Geld genommen zu haben. Irgendwann entschied ich mich einige Keyboards, die ich wenig benutzte ebenfalls wieder zu verkaufen, sodass ich schließlich die Summe zusammen hatte, die ich für die Produktion aufbringen musste.

Ich setzte mich dann mit dem Typen, der das Ganze realisieren sollte wieder in Verbindung und er machte die Grafik, so wie ich es mir vorstellte. Ich entschied mich die CD „Dreams and IUusions" zu nennen und nannte mich als Künstler „The Graf. Am Computer konnte ich mir ansehen, wie das Ganze dann aussah und mir fiel auf, dass der Typ nicht gerade gut in deutscher Rechtschreibung war, als ich mir das Ergebnis dann noch vor der Pressung der CD ansah. Er meinte, das würde natürlich noch geändert, es ginge ja jetzt nur darum, ob mir der erste Entwurf gefiel und er versprach mir auf meine Kritikpunkte später noch einzugehen, bevor es gepresst würde. Irgendwann war es dann soweit und ich machte mich wieder auf den Weg zu ihm um die fertigen CDs abzuholen. Als ich bei ihm ankam, stand da ein ziemlich großer Karton mit meinen CDs. Ich war recht aufgeregt und packte dieses riesige Paket in den Kofferraum meines Wagens und bezahlte die Rechnung. Zuhause angekommen hielt ich das gute Stück dann in den Händen und war stolz bis über beide Ohren. Der Wehmutstropfen an der ganze Geschichte war allerdings, dass der Typ der das alles gemacht hatte und dem ich sofort die zweitausendfünfhundert Mark gegeben hatte zwar meine Kritikpunkte geändert hatte, dafür aber unverständlicherweise andere Rechtschreibfehler in die Titel und Reihenfolge eingebaut hatte. Ich ärgerte mich sehr darüber, rief ihn an und machte mir Luft, aber die Freude endlich eine CD von mir in Händen zu halten, überwog und daher akzeptierte ich den Schönheitsfehler und fand ihn nicht weiter schlimm. Künstlerische Freiheit nannte ich das Ganze und hackte es ab. Ändern konnte ich es eh nicht mehr.

Ich war trotz der Kosten für das gute Stück sehr glücklich und dachte darüber nach, wie ich damit nun das ausgegebene Geld, es waren mittlerweile an die viertausendfünfhundert DM, wieder reinholen könnte. Ich dachte mir damals, wenn ich es schaffe hundert davon für zwanzig DM zu verkaufen habe ich zweitausend DM eingenommen und kann so meinen Eltern alles zurückzahlen. Das ich ihnen noch Geld schuldete, belastete mich schon sehr. Sie haben mir nie ein schlechtes Gewissen gemacht, indem sie mich darauf ansprachen, ganz im Gegenteil. Ich hatte einfach den Wunsch ihnen zu zeigen, dass es richtig war mich zu unterstützen und wollte somit schnellstmöglich mit dem Verkauf der CDs beginnen, um ihnen das Geld zurückzahlen. Vielleicht, so hoffte ich, kam ja noch ein bisschen mehr dabei herum.

Sehen sie, hören sie, kaufen sie

Ich war mittlerweile im zweiten Lehrjahr und wieder auf dem Weg zu meiner Berufschule in Lübeck. Ich freute mich immer auf diese Zeit und nahm mir diesmal vor einige meiner selbst gemachten CDs mitzunehmen und sie unter die Leute zu bringen. Meine Studienkollegen kamen mir da gerade recht. Vielleicht würde ich ja einige davon loswerden.

Zur Berufschule reiste ich immer mit dem Zug. Es war damals die günstigste Reisemöglichkeit, zumal die von meinem Arbeitgeber mitbezahlt wurde. Ich fand das immer sehr angenehm, auch wenn ich immer an die sieben Stunden unterwegs war. Ich hatte meine CD im Player, die Kopfhörer auf den Ohren und hörte fast die ganze Zeit auf der Fahrt Musik. Die Hülle mit dem aus heutiger Sicht unmöglichen Foto von mir lag meistens in meiner Tasche und schaute wohl irgendwann einmal aus ihr heraus. Damals gab es noch Abteile bei der Bahn, die immer Platz für sechs Personen hatte und diese waren immer sehr voll. Irgendwann sprach mich eine ältere Dame an, die auch in meinem Abteil saß, ob ich das da auf der CD wäre. Etwas überrascht und wahrscheinlich mit hochrotem Kopf antwortete ich ja und sie meinte, ob ich Musiker wäre. So kamen wir damals ins Gespräch und es war eine willkommene Ablenkung für mich, da die Fahrt immer recht langweilig war. Aus heutiger Sicht suchte sie wohl auch nur Ablenkung und die CD-Hülle mit meinem Foto war wohl ein willkommener Grund für sie, jemanden zum Reden zu finden und sich so selber die Fahrt zu verkürzen. Ich erzählte ihr, was ich machte und wie ich dazu gekommen war meine erste CD zu machen und das ich das gerne mal zum Beruf machen wollte. Die Zeit verging damals wie im Fluge und die Dame musste irgendwann einmal aussteigen. Von dem was ich ihr erzählt hatte, war sie anscheinend sehr begeistert und so fragte sie mich ob sie eine CD haben könne und wie viel ich dafür haben wollte. Sie fände es schön, dass ich Musik mache und wollte eine CD haben und mich unterstützen, indem sie mir eine abkaufte. Ich sagte, dass ich zwanzig DM dafür haben müßte, welche sie mir sofort gab. Ich gab ihr dafür eine meiner CDs und als sie dann an der nächsten Haltestelle das Abteil verließ, wünschte sie mir noch viel Glück und alles Gute. Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, fiel mir erst auf, dass sie sich nicht einmal die Musik vorher angehört hatte. Ich dachte damals nur, hoffentlich gefällt ihr die Musik nun auch. Ich hatte ihr nur von mir erzählt und einige Zeit mit ihr gesprochen. Fasziniert davon und überglücklich darüber das erste Mal in meinem Leben jemanden gefunden zu haben, den ich vorher noch nie zuvor gesehen hatte, der aber trotzdem meine CD gekauft hatte und das sogar ohne in die Musik reinzuhören, ging die Reise weiter in Richtung Lübeck.

In der Fachhochschule angekommen, fing jch dann direkt damit an meinen Zimmergenossen die CD zu zeigen, Der erste war mein Zimmerkollege mit der Gitarre und der war sofort begeistert davon. Ich erzählte ihm, dass ich davon ganz viele habe und diese nun auch verkaufen würde und ob er auch eine haben wolle. Er stimmte direkt zu und somit hatte ich an einem Tag schon zwei CDs verkauft. In den nächsten Tagen sprach es sich wohl auf der Schule herum, dass da einer wäre, der Musik macht und eine CD von sich hätte. Somit wurde ich immer wieder von Leuten darauf angesprochen, ob sie mal reinhören könnten und ob ich noch eine für sie hätte. Ich hatte allerdings nur zwanzig CDs zur Fachhochschule mitgebracht und diese waren in den ersten beiden Wochen sofort weg.

Danach fing ich an Bestellungen aufzunehmen und machte mir eine Liste, wo ich alle Namen drauf hatte, die eine CD von mir haben wollten. Ich rief meine Eltern an und sagte ihnen, sie möchten mir doch bitte hundertfünfzig CDs zuschicken, da anscheinend noch viele diese haben wollten und nach ein paar Tagen erhielt ich sie auch. Ich rannte die darauffolgenden Tage und Wochen immer mit einem Koffer voller CDs mm, was wahrscheinlich irgendwann einmal die Aufmerksamkeit der Lehrer erregte. Und wieder sollte es wohl ein Direktor einer Schule sein, der seine geistigen Ergüsse auf mich ablassen wollte.

Er fand es in keiner Weise toll, das da einer Sachen in der Schule verkaufte und sprach mich auch darauf an, was das denn für Musik wäre und sah natürlich auch sofort die grammatikalischen Fehler auf dem Artwork und wies mich daraufhin, dass das doch falsch sei und ob ich das nicht gesehen hätte. Er zog das Ganze ins Lächerliche und meinte nur, ich sollte damit bloß nicht seinen Unterricht stören, schließlich wäre es eine Schule und kein Jahrmarkt und ich sollte mich tunlichst auf die Ausbildung konzentrieren und mich nicht mit so einem unsinnigen Kram beschäftigen. Da ich in meiner Vergangenheit schon so meine Erfahrungen mit klugen Sprüchen seitens Lehrer oder Direktoren gemacht hatte, ging das was er mir da sagte an meinem Allerwertesten vorbei.

Ich hatte nie meine CD's im Unterricht verkauft oder irgendetwas damit gestört. Allerdings ging es ihm auch nicht darum, glaube ich. Ihm ging es nur darum eine gewisse Macht zu demonstrieren und ein paar kluge Sprüche loszulassen und etwas ins Lächerliche zu ziehen, was er nicht verstand und nicht nachvollziehen konnte. Ich schenkte ihm eine CD und machte einen auf einsichtigen Schüler und tat so, als ob ich ihm recht gäbe. Danach machte ich allerdings einfach weiter, achtete aber darauf, das er nichts davon mitbekam. Irgendwann war die Zeit an der Fachhochschule dann wieder zu Ende und ich hatte insgesamt schon hundertdreißig CDs verkauft, worüber ich überglücklich war.

Somit hatte ich genug Geld zusammen, um meinen Eltern das geliehene Darlehen zurück zu zahlen. Zuhause angekommen ging ich für meinen Vater, der sich damals schwerer als meine Mutter getan hatte mir Geld zu leihen, einen Schachcomputer für dreihundert Mark kaufen. Ich wusste, dass er sich das schon immer wünschte. Ich überraschte meine Eltern und meinen Vater damit und war stolz bis über beide Ohren, dass ich ihm dieses Geschenk machen konnte und nun das Geld zurückgezahlt hatte.

Ein Australischer Freund

Die kommende Zeit verbrachte ich damit, wieder jede Menge Adressen von Platten-firmen aus Branchenbüchern rauszusuchen. Ebenso schaute ich auf den Platten und CDs, die ich besaß nach, welche Firmen es überhaupt gab und welche Adressen sie hatten. Ich sammelte wieder genau wie damals alles zusammen, was ich in dieser Hinsicht finden konnte. Schließlich wollte ich wieder einen Versuch starten um mich mit der selbst gemachten CD bei Plattenfirmen nun zu bewerben. Ich erfuhr zu dieser Zeit auch, dass ich wohl, wenn ich meinen Abschluss zum Hörgeräteakustiker schaffte auch von meinem Betrieb übernommen würde. Somit war ich beruflich auf der sicheren Seite. Selbst wenn ich wieder nur Absagen auf meine Bewerbung bekommen sollte, hätte ich doch immer noch meinen Beruf. So packte ich wiederum Pakete mit einem Schreiben und meiner CD und schickte sie an alle Adressen, die ich gefunden hatte. Nach einigen Wochen kamen sogar die ersten Antworten auf meine Bewerbungen bei Plattenfirmen. Allerdings waren es nur Absagen. Es waren Standartbriefe, die wohl jede Plattenfirma hat und mit denen wohl die obligatorischen Absagen erteilt wurden.

Ich hatte noch keine Antwort von allen, allerdings von sehr vielen und ich dachte mir damals, dass sie diesmal wenigstens geantwortet hatten. Ich rief noch einige Platten-firmen an, von denen ich noch keine Antwort bekommen hatte, woraufhin ich in den darauf folgenden Tagen auch Absagen erhielt. Der Standartsatz war immer: „Im Augenblick sehen wir keine Möglichkeit einer Veröffentlichung des eingeschickten Materials". Ich war damals schon ziemlich enttäuscht. Allerdings nicht so sehr, wie ich es nach meinen ersten Absagen war. Ich fragte mich einfach, was ich denn noch alles machen sollte um irgendwann einmal Musik zum Beruf machen zu können. Die CD war für mich schon so perfekt, dass ich mir nicht vorstellen konnte diese noch perfekter zu machen.

All die Mühe und Arbeit und der Verzicht und die Momente mir Geld zu leihen und dies wieder zurückzuzahlen waren letztendlich zwar gut ausgegangen, aber der Weg und das Ganze auf und ab der letzten Monate waren doch schon sehr aufwendig für mich gewesen. Ich entschied mich noch einmal alle Branchenbücher und Adressen durchzugehen und schaute, ob ich vielleicht irgendwo einfach anrufen und einen Termin ausmachen könnte, um mich vorzustellen. Schließlich hatte ich mich lediglich bei den Plattenfirmen beworben, die ich von Adressen und Namen her kannte und auf den CDs die ich besaß standen. Andere hatte ich bisher ausgelassen. Es machte auch immer einen besseren Eindruck, wenn man sich für eine Lehrstelle bewirbt, wenn man dort direkt vorstellig wird. Warum sollte es also anders sein, wenn ich einen Plattenvertrag wollte.

Ich forstete wieder meine gesammelten Adressen durch und stieß auf den Namen eines Labels, welches sich sogar in der Nähe meiner Heimatstadt befand. Der Name war „Old World Records". Der Name vermittelte mir den Eindruck, das dies eine Plattenfirma ist und ich dachte mir, dass ich da nun einfach anrufe und nach einen Termin frage. Kurz entschlossen wählte ich die Nummer und eine Stimme meldete sich am Telefon. Ich erzählte irgendwas von Musik und was ich suchte und wollte. Allerdings war ich wohl übernervös und legte irgendwann auf. Aber ich hatte einen Termin bekommen. Ich fragte mich danach, was nun geschehen war und schaute völlig irritiert auf den Zettel vor mir mit dem Datum und der Urzeit, wann ich mich dort melden sollte.

Daraufhin machte ich mich einige Tage später auf den Weg dorthin. Die Adresse auf dem Zettel führte mich in eine Wohnsiedlung, wo nun wirklich gar nichts nach Plattenfirma aussah. Ich hatte die Vorstellung, dass das doch eher Büroräume hätten sein sollen und nicht in einer Wohnsiedlung zu finden wäre. Die Hausnummer stimmte allerdings. Auf dem Zettel stand der Name und ich suchte somit die Klingel an der Türe ab, bis ich den Namen gefunden hatte. Ich klingelte und der elektrische Tür-offner machte mir nach kurzer Zeit die Tür auf. Es war ein völlig normaler Hausflur, so wie ich ihn aus meiner Wohngegend kannte und ich dachte mir, dass ich mich hier nicht bei einer großen Plattenfirma befand.

Oben wurde ich dann von einem jungen Mann empfangen, der sich mit einem englischen Akzent vorstellte: „Hi, ich bin Grant". Ich betrat die Wohnung, in der ein Klavier stand und wo an den Wänden viele Poster, worauf ich den jungen Mann, der mich gerade empfangen hatte, wieder erkannte. Im Wohnzimmer saß noch ein anderer, der sich mit den Namen „Alex" vorstellte. Ich war noch leicht verwirrt, dass ich plötzlich in der Privatwohnung von jemandem geraten war und hielt wohl recht unvorbereitet meine CD einfach mit den Worten hin: „Hallo, ich bin auf der Suche nach einer Plattenfirma".

Sie baten mich Platz zu nehmen und ich fing an von mir zu erzählen. Wir kamen recht schnell ins Gespräch und ich wurde in dem Moment umso nervöser als sie die Platte in den CD- Spieler schoben, um sie sich anzuhören. Als das erste Lied lief, fragten sie mich, wer das geschrieben und komponiert habe. Ich erklärte ihnen, dass ich das alles alleine gemacht hätte und zwar in meinem selbst gebastelten Studio im Schlafzimmer und das ich es auch dort produziert hätte. Zu meiner Verwunderung sagten sie, dass das was sie hörten gut sei. Allerdings fragten sie sich die ganze Zeit, wieso ich damit zu ihnen käme.

Ich erzählte ihnen von dem Namen „Old World Record" und sagte dass ich bei dem

Namen davon ausgegangen bin, dass sie eine Plattenfirma seien, woraufhin sie allerdings sagten, dass das lediglich der Musikverlag sei den sie gegründet hätten. Grant erzählte mir, was er alles in der Vergangenheit an Musik gemacht hatte und noch heute machte und ich merkte, dass ich hier an jemandem geraten war, der schon ziemlich erfolgreich war und es immer noch ist. Letztendlich hatte er es offensichtlich geschafft, die Musik zum Beruf zu machen.

Ich war davon beeindruckt und fragte ihn einfach, ob er denn keine Idee hätte, wie ich es schaffen könnte einen Plattenvertrag zu bekommen. Die beiden sagten mir, sie würden noch einmal in aller Ruhe in die Musik reinhören und darüber nachdenken, was man machen könnte und sich dann noch einmal bei mir melden würden. Ich freute mich damals über die für mich positive Reaktion auf meine Musik und bedankte mich bei ihnen.

Auf dem Heimweg hatte ich ein gutes Gefühl. Es war zwar immer noch keine Plattenfirma, die ich gefunden hatte, aber ich hatte sehr schöne Reaktionen auf meine Musik bekommen und einen Menschen gesehen, der das geschafft hatte, was ich mir auch wünschte: Musik als Beruf zu machen. Ich wartete die nächsten Tage nun darauf bis mich einer der beiden anrief und hoffte, dass es nicht so lange dauern würde und sich dann vielleicht eine Möglichkeit ergäbe, dass ich meinem Traum ein Stück näher kommen könnte.

Berufsabschiuss

Die nächsten Tage verbrachte ich damit immer wieder meinen Anrufbeantworter anzustarren, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam und war umso enttäuschter, wenn keine Nachricht drauf war.

Ab und an rief ich bei mir zuhause sogar selber an, um zu testen ob das Ding auch wirklich funktionierte. Irgendwann klingelte dann das Telefon und Grant war am Apparat und fragte, ob wir uns denn nun noch einmal treffen könnten. Ich stimmte natürlich zu und wir trafen uns wieder in seiner Wohnung. Alex war auch wieder dabei und die beiden sagten mir, dass sie noch keine Möglichkeit darin sehen würden einen Plattenvertrag zu bekommen.

Sie würden aber gerne musikalisch ein paar Sachen ausprobieren, wie zusätzlichen weiblichen Chorgesang um die Musik noch runder zu machen und hier und da einfach ein paar Dinge mit der Musik ausprobieren, was die Arrangements der einzelnen Songs angeht und ebenso würden sie gerne andere Fotos machen wollen, weil die wirklich nicht so toll wären, um es mal nett auszudrücken. Dann würden sie, ebenso wie ich, wieder bei Plattenfirmen vorstellig werden, um einen Plattenvertrag zu bekommen. Grant meinte, er würde auch noch einige gute Kontakte haben, die man dann angehen könnte. Ich sagte ihnen, dass ich für alle Versuche offen wäre und gerne neue musikalische Dinge ausprobieren wollte. Warum auch nicht, dachte ich mir. Ich stand in diesem Augenblick in einer musikalischen Sackgasse, da ich ja schon im

Vorfeld alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um einen Plattenvertrag zu bekommen. Ich dachte mir nur, das kann nichts schaden und war gespannt, was am Ende herauskommen sollte. Allerdings stand mein nächster Berufsschulblock mit Gesellenprüfung an und ich musste nun für mehr als zwei Monate wieder nach Lübeck. Sie meinten, dass sei optimal. Da könnten sie schon einiges planen und organisieren und wenn ich dann zurückkäme, könnten wir sofort anfangen. Ich freute mich sehr über die Nachrichten und das sich nun doch noch eine weitere Möglichkeit für mich auftat mit der Musik weiterzukommen.

Ebenso freute es mich diese guten Nachrichten vor der letzten Reise nach Lübeck zu bekommen, so dass ich mich nun in aller Ruhe auf den Abschluss vorbereiten konnte. Als ich nun wiederum meine wohl letzte Reise in Richtung Lübeck antrat, hatte ich ziemlich viele gemischte Gefühle. Einerseits war ich froh darüber bald die Ausbildung abgeschlossen zu haben, andererseits war ich aber auch gerne dort. Zudem hatte ich den Kopf voll mit meiner Musik und neuer Hoffnung und war gespannt, was noch alles in musikalischer Hinsicht passieren würde, wenn ich zurückkäme. Diese Gedanken schob ich allerdings ganz weit zurück. Ich nahm mir fest vor, mich nun lediglich auf den Abschluss zu konzentrieren, so dass ich dann für immer eine berufliche Sicherheit hätte. Das klappte in den folgenden Tagen auch ganz gut. Bestand dieser letzte Schulblock nun nicht nur aus Schule, sondern ebenso aus den Abschlussprüfungen in den verschiedensten Fächern. Die Prüfungen alleine dauerten ca. zwei Wochen und waren im Nachhinein betracht wirklich kein Zuckerschlecken. Ich lernte die nächsten Wochen Tag und Nacht und absolvierte Prüfung um Prüfung und schaffte es, die Gedanken an die Musik in dieser Zeit fast auszublenden. Irgendwann war es dann soweit, dass alle Prüfungen zu Ende waren und alle standen in irgendwelchen Räumen der Schule und warteten auf die Ergebnisse. Damals wurde jeder Schüler einzeln in verschiedene Klassenzimmer gerufen und erfuhr dort, ob er es geschafft hatten oder nicht. Dieses Schauspiel werde ich nie vergessen. Aus verschiedenen Zimmern kamen immer wieder Studienkollegen heraus. Der eine freute sich, weil er bestanden hatte, der andere kam aus dem Zimmer und weinte, weil er durchgefallen war. Dieser Prozess dauerte mehrere Stunden und die Warterei machte mich fertig. Wenn man mich fragt, wann ich das erste mal Lampenfieber gehabt habe, kann ich sagen, dass es dort war. Dieses Warten auf das eigene Schicksal zerreist im Grunde den ganzen Körper. Irgendwann wurde dann mein Name aufgerufen und ich sollte in eines dieser Zimmer gehen um zu erfahren, ob ich nun bestanden hatte oder durchgefallen war. Ich ging in dieses Zimmer und da stand auch schon eine der Prüferinnen, die mir die Hand entgegen streckte und mich zu meiner bestandenen Prüfung beglückwünschte.

Ich gab ihr die Hand und drückte vor Freude wohl ziemlich fest zu und schrie laut „Jaaaaaaa". Sie erwiderte ebenfalls mit einem Schrei, aber lediglich weil ich ihr die Hand fast zerquetschte. Ich entschuldigte mich umgehend bei ihr, worauf sie gequält lächelte, während sich die anderen Prüfer im Raum ein Schmunzeln nicht verkneifen konnten. Ich verließ den Raum und war daraufhin überglücklich und schloss somit meine Ausbildung zum Hörgeräteakustiker ab.

Irgendwann im Laufe des Tages trudelten dann alle meine Zimmerkollegen wieder auf unserem Zimmer ein, wo schon alle Taschen gepackt waren und wir uns voneinander verabschiedeten. Wir tauschten Telefonnummern aus und versprachen uns, dass wir uns irgendwann einmal treffen würden. Es war in diesem Augenblick einer dieser typischen Momente, wo wir alle froh waren es geschafft zu haben und trotzdem unglücklich darüber waren, dass wir uns voneinander verabschieden mussten. In solchen Momenten tauscht man immer Adressen aus und verspricht sich, sich irgendwann wieder zu sehen. Allerdings sieht man sich danach nie wieder. Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt es und warum sollte es also hier anders sein. Ich weiß noch, dass ich jeden Einzelnen noch mal drückte und habe auch noch die Gesichter von ihnen vor Augen. Die Namen allerdings fallen mir heute nicht mehr alle ein. Einen von ihnen sollte ich, so weiß ich es heute, Jahre später noch einmal zufällig auf einem meiner Konzerte als Zuschauer wieder sehen. Er würde bei einer Autogrammstunde vor mir stehen und mich unsicher anschauen und mich leise fragen ob ich wirklich der bin, für den er mich hielt. Ich drückte ihn damals an unserem letzten Tag in Lübeck noch einmal zum Abschied und weiß noch, wie ich ihm die Gitarre hinterher trug als wir zusammen in den Bus stiegen, der uns zum Bahnhof brachte. Das war das letzte, an das ich mich erinnern kann, wenn ich an diese schöne Zeit denke. Ich weiß nicht mehr, was ich auf der Heimfahrt gedacht habe. Allerdings können es nur gute Gedanken gewesen sein, denn ich habe, wenn ich diese Worte schreibe ein gutes Gefühl und muss dabei lächeln und ein bisschen wehmütig wird mir auch dabei. Warum das so ist weiß ich nicht. Vielleicht sind es die Menschen, an die ich mich erinnere oder es hat irgendeinen anderen Grund, den ich nicht in Worte fassen kann. Ich erinnere mich an das was war und habe all die guten Gedanken und sehe die Gesichter der damaligen Zeit wieder vor mir.

Heute weiß ich, dass diese Zeit eine der wichtigsten in meinem Leben war und mich geprägt hat. Schlussendlich ist sie der Grund, warum ich irgendwann einmal angefangen habe zu singen. Es war einfach eine schöne Zeit, die mein Leben und meine Erfahrung als Mensch bereichert hat und an die ich mich immer wieder gerne zurück erinnere. Immer, wenn ich heute in Hamburg oder in die Nähe von Lübeck bin, fühle ich mich ebenso zuhause, wie in meiner Heimat, wo ich aufgewachsen bin.

Herz und Verstand

In den ersten Tagen, nachdem ich wieder zuhause angekommen war und ich eines Morgens in meinem Lehrbetrieb stand, kam mein Meister zu mir und gratulierte mir zur bestandenen Gesellenprüfung. Dies wäre nun schriftlich bei ihm angekommen und ich bekäme nun eine Einladung zur Hauptverwaltung des Betriebes, wo ich wohl erfahren sollte, dass ich als Geselle übernommen würde.

Dazu muss man sagen, dass der Betrieb, in dem ich damals meine Ausbildung gemacht habe ein Unternehmen war, welches viele Filialen in Deutschland und somit logischerweise eine Hauptverwaltung hatte, wo die obersten Bosse saßen und von wo alles gesteuert wurde. Somit bekam ich einen Brief in die Hand gedrückt, in dem ich zur feierlichen Gesellenübernahme eingeladen wurde, worüber ich mich unglaublich freute. Scheinbar war es wohl so üblich, diese Momente immer groß zu feiern und deswegen sogar alle Neuen extra eingeladen wurden, was ich schon beachtlich fand. Der Beruf, den ich nun gelernt hatte, gefiel mir immer noch und ich ging gerne zur Arbeit. In den letzten Monaten bis zu meiner Prüfung hatte ich im Grunde fast alles gelernt und durfte schon seit langem Kunden alleine beraten und verkaufte wie jeder andere Geselle Hörgeräte. Für mich war dieser Beruf optimal und mein Verstand sagte mir, dass ich hier eine Zukunft haben könnte. Mein Herz sagte mir aber etwas anderes.

Schon auf der Heimreise hatte ich sehr viel an die Musik gedacht und war gespannt, was sich aufgrund meines neuen, ich nenne es nun mal australischen Kontaktes, ergeben würde. Ich hatte noch nie mit Profis zusammengearbeitet und freute mich darauf endlich loslegen zu können. Und Grant war ein Profi, ohne Zweifel. Ich hatte sogar in einem Plattenladen eine seiner Platten, die er irgendwann einmal veröffentlicht hatte stehen sehen.

Am kommenden Wochenende sollte es mit der Musik losgehen und ich freute mich riesig darauf. In der Einladung, die mein Meister mir gegeben hatte, stand drin, dass der Termin für die Gesellenübernahme am kommenden Wochenende sei, was ich in diesem Moment ziemlich unpassend fand. Schließlich sollte es da doch gerade losgehen mit Grant gemeinsam an der Musik zu arbeiten und er hatte schließlich schon alle Termine ausgemacht.

Allerdings wusste ich auch, dass ich die Einladung wahrnehmen musste, denn alles andere hätte, um es mal vorsichtig auszudrücken, keinen guten Eindruck gemacht. Somit entschied ich mich schweren Herzens, Grant am Abend anzurufen und ihm für dieses Wochenende abzusagen. Er meinte nur, dass sei nicht schlimm. Auch wenn ich nicht da wäre, könnte er schon vieles machen, wie weiblichen Gesang aufnehmen oder die Lieder in einem Studio bearbeiten. Mein Part wäre ohnehin nur gewesen dabei zu sein, damit nichts gemacht wird, was ich nicht wolle, allerdings könnte ich hinterher ebenso immer noch meine Meinung dazu sagen.

Ich war sehr erleichtert, ärgerte mich allerdings darüber, dass ich nicht dabei sein konnte. Ich hatte mir immer gewünscht Musik zu machen und gerade jetzt, wo es überaus spannend wurde, da jemand anderer noch seine Kreativität mit einbrachte, konnte ich nicht dabei sein. Alles was dort passierte, würde ich nicht mitbekommen und das wurmte mich sehr. Ich wusste allerdings auch, dass ich ohne diesen Beruf keine Musik machen konnte, da ich ansonsten auf der Strasse stände. Ich konnte nichts daran ändern und es ging nun mal nicht anders.

Irgendwann machte ich mich am kommenden Wochenende auf in Richtung Haupt-veraltung. Dort angekommen checkte ich dann als erstes in dem Hotel ein, welches für mich gebucht war. Ich war schon einige Male dort gewesen. Damals als ich mich beworben hatte und ansonsten zu Schulungen in meinem Beruf. Im Grunde war nichts neu für mich, nur ging es diesmal darum, als Geselle übernommen zu werden. Ich traf viele bekannte Gesichter, die ich schon mehrmals bei den vorherigen Anlässen in meiner Ausbildung hier getroffen hatte und alle Noch-Lehrlinge versammelten sich in einem Flur vor mehreren Büros. Dann wurden wir alle jeweils einzeln reingerufen und dort vom Personalchef empfangen und erhielten unseren Gesellenbrief.

Ebenso erfuhr ich, dass ich nun viel mehr Geld verdienen sollte und sich dieses mit den Jahren noch steigern würde, wenn ich mich weiterhin profiliere. Bis alle reingerufen waren, dauerte es einige Stunden und danach kam noch der Chef der Firma vorbei und schüttelte jedem einzelnen von uns die Hand und sagte jedem irgendetwas Nettes.

Ich weiß nicht mehr was es war, ich war viel zu nervös als er vor mir stand, mich ansah und meine Hand schüttelte und mir, wie allen anderen, gratulierte. Daraufhin ging es am späten Nachmittag in die Innenstadt, wo wir dann alle in irgendeinem Restaurant landeten und der Abend dann ausklang. Damals war ich schon davon beeindruckt, welcher Aufwand betrieben wurde und was das wohl alles gekostet haben muss. Alleine die Anreise und das Hotel und dann noch das Abendessen für mehr als dreißig Personen.

Ich war ziemlich beeindruckt und fühlte mich sehr wohl. Es ist ja auch schön, wenn man so hofiert wird und einem das Gefühl gegeben wird, Teil von etwas zu sein und einem auf diese Art und Weise Respekt entgegengebracht und ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt wird. Ebenso fand ich mein Gesellengehalt zur damaligen Zeit sehr hoch. Es war sogar mehr als ich bei der Bundeswehr bekommen hatte. Die Musik hatte ich an diesem Wochenende völlig vergessen. Obwohl doch gerade so interessante Dinge passierten. Ich weiß nicht mehr warum ich sie vergaß. Vielleicht war all das, was diese Firma extra für uns machte auch der Grund, keinen Platz für anderes zu zulassen um sich so voll auf die Interessen dieser Firma konzentrieren zu können. Ich fühlte mich in diesem Moment als ein Teil von etwas und hatte ein gutes Gefühl dabei. Hier wurde allen Mitarbeitern vermittelt, wichtig zu sein und egal wie klein auch der Beitrag ist, den man tagtäglich leistet, hatte man das Gefühl wichtig zu sein.

An diesem Wochenende, denke ich, war ich zum ersten Mal in meinem Leben stolz auf das, was ich geschafft hatte. Das Ziel, eine Ausbildung und einen Job zu haben hatte ich aus eigener Kraft erreicht. Im Grunde lag nun eine recht positive Zukunft vor mir. Ich hatte einen Beruf und konnte nebenbei Musik machen. Diese beiden Dinge würden sich schon miteinander vereinbaren lassen und somit war ich gespannt, was nun nach den Gesangsaufnahmen und Bearbeitungen nach dem Wochenende herausgekommen ist.

Aus alt mach neu

Noch am gleichen Abend, als ich wieder daheim war, telefonierte ich mit Grant und machte einen Termin für den nächsten Tag aus. Er meinte die Sachen seien gut geworden und er wäre gespannt, was ich dazu meinte. Ich machte mich am Abend direkt auf den Weg zu ihm und kurz nach meinem Ankommen, spielte er mir die Sachen vor. Sie hatten insgesamt drei Lieder bearbeitet, wobei bei einem Song, wegen der falschen Gramantik lediglich ein Intro weggefallen war und bei zwei Songs war weiblicher Chorgesänge dazugekommen.

Ich weiß nicht mehr, was ich in diesem Moment gesagt habe. Allerdings war ich innerlich wohl eher enttäuscht. Für mich machte das keinen großen Unterschied, ob nun ein Intro fehlte oder ein Chor dazu gekommen war. Vielleicht hatte ich auch zuviel erwartet. Das Ganze klang für mich nicht mehr so, wie ich es kannte. Die neuen Sachen in den Liedern waren mir fremd und störten mich eher, als das ich sie gut fand. Die weibliche Stimme war ganz nett, allerdings klang sie mir zu rockig. Natürlich ist es nicht gut, wenn grammatikalische Fehler in einem Gesang oder wie hier im Intro sind, aber musste man es gleich ganz weglassen? Für mich war es immer noch künstlerische Freiheit und ich fand das nicht sonderlich schlimm. Aber gut, dachte ich. Vielleicht sind es ja gerade die Sachen die geändert werden mussten, um überhaupt eine Chance bei einer Plattenfirma zu bekommen.

Ich denke ich habe damals meinen Unmut eher für mich behalten und gefragt, was denn nun als nächstes anstehen würde. Daraufhin meinte er, dass wir Fotos machen sollten, die klar aussagen, in welche Richtung die Musik geht. Er würde da jemanden kennen, der diese Fotos dann machen könnte.

Aufgrund des Namens „The Graf, würde er gerne auch Fotos in diese Richtung machen. Irgendetwas düsteres und gruftiges mit Umhang in Richtung Graf Dracula. Die Musik wäre ja nun doch sehr independent und diese Richtung sollte sich dann auch in den Fotos widerspiegeln, damit die Plattenfirmen ein komplettes Konzept vorgelegt bekämen und alles Hand und Fuß hätte.

Die Orte, wo dann die Fotos gemacht würden, wären dann alte Friedhöfe oder Burgen oder Kellergewölbe. Es gäbe da bestimmt jede Menge Möglichkeiten in der Umgebung und da könnte man bestimmt tolle Bilder machen. Ehrlich gesagt konnte ich dem Ganzen damals nicht folgen. Was in aller Welt hat Graf Dracula mit meiner Musik zu tun, dachte ich und den Ausdruck independent hatte ich bis dato noch nie gehört. Natürlich war höchstwahrscheinlich mein gewählter Name „The Graf dafür verantwortlich, dass diese Idee bei ihm überhaupt aufgekommen ist aber dass ich mich dann gleich als Vampir verkleiden sollte, kam mir schon etwas seltsam vor. Da ich ein Kind der achtziger war und natürlich viele Platten aus dieser Zeit bei mir zuhause im Schrank stehen hatte, konnte ich mir schon vorstellen in welche Richtung das ganze gehen solle. Musik von den „Sisters of Mercy" oder „The Damned" fand ich damals gut und gerade von The Damned hatte ich eine Platte auf der Grabsteine und Friedhöfe zu sehen waren. Allerdings hatte ich das noch nie in dieser Weise mit meiner Musik in Verbindung gebracht.

Für mich gab es ebenso nur Musik, die ich gut finde oder nicht. Die Bezeichnung independent war mir einfach fremd. Wenn Grant und Alex sich über Musik unterhielten, verstand ich kein Wort von dem was sie sagten. Ich hatte nie darauf geachtet, wenn ich ein Lied gut fand, welche Richtung das nun ist.

Allerdings hielt ich mich hier ebenso zurück und sagte Grant nichts von dem, was mir so alles durch den Kopf ging. Ich denke es lag daran, dass ich doch ziemlich viel Respekt vor ihm hatte, weil er all diese Dinge für mich tat. Ich entschied mich auf seine Ideen einzugehen und war einfach gespannt auf das, was dann letztendlich dabei herauskommen sollte. Schaden kann es mir nicht, dachte ich mir. Wenn all das notwendig ist um einen Plattenvertrag zu bekommen, warum sollte ich mich dann dagegen wehren.

Somit stimmte ich zu, dass das tolle Ideen seien und sagte ihm nichts von meinen innerlichen Zweifeln. Er telefonierte an diesem Abend noch mit der Fotografin und der Termin zur Fotosession stand somit für das kommende Wochenende fest.

Bitte immer schön Düster

In den darauf folgenden Tagen organisierte ich mir alles, was in irgendeiner Weise zu dem Thema der Fotosession passen konnte. Zylinder, Umhang, Schwert, all das, was ich in meiner Vorstellungsweise irgendwie mit dem gewählten Thema in Verbindung bringen konnte. Das Ganze kam mir vor, als wenn eine Karnevalveranstaltung ansteht und mittlerweile fand ich das auch recht witzig. Ich dachte mir, wenn ich mich darauf einlasse, dann mache ich auch alles, damit es zu einem guten Endergebnis kommt und bis zu dem Wochenende der Fotosession, hatte ich jede Menge Firlefanz gefunden, der zu dem Thema Dracula passte.

Am Samstag stand ein Treffen mit der Fotografin an. Hier wurden noch keine Fotos gemacht, sondern lediglich besprochen, wie alles ablaufen sollte und an welchen Orten wir dann fotografieren könnten. Ich transportierte also alle meine gefundenen Utensilien zu dem ersten Treffen. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie ich von vorbeifahrenden Autos und den Passanten beäugt wurde, als ich an einer Ampel stand.

Ich muss wohl ausgesehen haben wie ein Ramschhändler, mit all dem ganzen Kleinkram auf den Arm. Vielleicht lag es allerdings auch an dem riesigen Schwert und dem knallroten Umhang, welche ich beide geschultert hatte. Ich glaube, meine Umgebung fand das alles ziemlich lächerlich, wobei sie wahrscheinlich auch Recht hatten. Bei der Fotografin angekommen, schleppte ich die Kisten und den Kram schnell in die Wohnung, damit mich endlich keine Passanten mehr beäugen konnten. Die Fotografin stellte sich und ihren Bruder, der Maskenbildner war, vor und wir redeten darüber, wie die Fotosession am nächsten Tag dann ablaufen sollte. Sie würde einen Keller und einen Friedhof kennen und jede Menge anderer Orte, wo wir schöne Fotos machen könnten. Grant und Alex, die mittlerweile auch schon eingetrudelt waren, warfen ihre Meinung auch mit ein und ich hörte mir das ganze im Grunde nur an. Es gefiel mir im Mittelpunkt des Ganzen zu stehen und hörte allen einfach zu. Sie durchwühlten meine gesammelten Utensilien und besprachen, wie was zusammenpassen könnte und das wir heute vielleicht schon einmal einiges versuchen könnten, um mich auch in die gewünschte Richtung zu schminken. Der Bruder der Fotografin setzte mich auf einen Stuhl und fing an, seine Sachen auszupacken, um mich schon einmal so zu schminken, wie ich dann am nächsten Tag geschminkt werden sollte, wenn wir die Fotos machen.

Als ich sah, was er alles heran karrte, wurde mir schon ein wenig mulmig. Er fing an mir allerlei ins Gesicht zu schmieren und sagte dabei immer, wofür das Ganze gut ist. Nach einer halben Stunde war er immer noch dabei und pinselte an allen Ecken in meinem Gesicht herum. Dann meinte er noch, dass meine Haare noch nicht so wären, wie er sich das vorstellte und fing an mir Pomade reinzuschmieren, um meine Frisur hin und her zu schieben. Auf meine Frage, wie ich das wieder aus meinen Haaren bekäme meinte er nur, das das geht, es wäre nur etwas schwierig. So saß ich da und wurde von allen angeguckt. Ab und an hörte man ein „das ist super, ja genau" oder „nicht soviel davon".

Ich fragte mich die ganze Zeit, wie ich denn nun aussehen würde, schließlich hatte ich keinen Spiegel, um mich dabei sehen zu können. Als er dann nach einer geschlagenen Stunde mit mir fertig war und ich mich in einem Spiegelbild sah, konnte ich mich vor lachen nicht mehr halten. Ich sah aus wie eine Mischung aus Vogelscheuche und Papagei.

Der Gute hatte es wohl ein wenig übertrieben, dachte ich, denn in meinem Gesicht war alles an Farbe und Creme, was er iß seinen Malkästchen gehabt hatte. Ich lachte jedenfalls nur laut los, was er wiederum in keiner Weise lustig fand. Grant und Alex meinten nur, dass es vielleicht doch ein wenig zuviel Farbe und Schminke wäre und er doch bitte am nächsten Tag weniger von allem nehmen sollte und das Ganze müsste noch viel düsterer aussehen.

Er schüttelte nur den Kopf und sagte, dass das im Theater immer so gemacht würde und das schließlich Kunst sei, aber wenn wir es so wollten, würde er am nächsten Tag weniger von allem nehmen. Ich entschuldigte mich bei ihm für mein Lachen, und stimmte zu, dass es von allem bitte viel weniger sein sollte und dann bestimmt viel besser aussehen würde. Ich wurde daraufhin wieder abgeschminkt und nachdem ich ungefähr zehn Packungen Haarwaschmittel verbraucht hatte, war das Zeug das er mir in die Haare geschmiert hatte auch wieder raus.

Ich meinte danach nur, ob wir am nächsten Tag vielleicht etwas anderes nehmen könnten, weil meine Kopfhaut nun Krebsrot sei und alles nur noch brannte. Er erwiderte, dass er da noch etwas anderes hätte, was besser rausgehen würde. Danach wurde mein Fundus an Utensilien von allen durchwühlt und ich probierte jede Kombination aus. Ich kam mir in diesem Moment wie eine Schaufensterpuppe vor. Alle zogen und zupften an irgendeinem Ende meiner Klamotten und überlegten, was denn nun am besten aussehen würde.

Das Ganze zog sich über ein paar Stunden hin und zu irgendeinem Zeitpunkt meinten Grant und die Fotografin, dass wir nun alles für morgen fertig hätten und sie gerne die ersten Aufnahmen vor Sonnenaufgang machen wollte, da dann ein ganz besonderes Licht wäre. Wir alle stimmten zu und verabredeten uns für vier Uhr morgens, da ich ja schließlich noch geschminkt werden müsste, so dass wir zeitlich auf der sichereren Seite wären.

Ich weiß noch ganz genau wie fertig ich war, als ich am Abend nach Hause fuhr. Hatte ich doch nur dagesessen und alles über mich ergehen lassen, kam es mir doch so vor, als ob ich den ganzen Tag Rechenaufgaben und Marathonlauf gleichzeitig gemacht hätte. So kaputt war ich bisher noch nie gewesen. Ich fiel wohl am Abend ziemlich früh ins Bett.

Ich war an diesem Abend wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen. Alles tat mir weh und meine Kopfhaut fühlte sich an, als ob ein Ameisennest drauf wäre. Im Gesicht hatte ich immer noch Reste von den Schminkeskapaden des Maskenbildners. All das, war mir völlig egal. Ich wollte in diesem Moment nur noch schlafen und hoffte, dass am nächsten Tag alles gut laufen würde.

Konzentration bitte!!!

In den frühem Morgenstunden klingelte mein Wecker, was ich in keiner Weise erquik-kend fand. Ich war immer noch hundemüde und wäre am liebsten liegengeblieben. Ich raffte mich auf und freute mich darüber, dass mein Kopf nicht mehr brannte. Die Reste der Schminke vom Vorabend klebten nun an meinem Kopfkissen und nicht mehr in meinem Gesicht. Ich beschäftigte mich weiter nicht damit, sortierte mich und machte mich daraufhin auch schon wieder auf dem Weg zur Fotografin, wo mich schon alle gutgelaunt erwarteten. Der Maskenbildner meinte, er hätte sich noch viele Gedanken gemacht, wie es zu einem besseren Ergebnis kommen könnte und legte dann auch direkt los, mir wieder Schminke ins Gesicht zu klatschen. Ich merkte, dass er diesmal anders arbeitete und weniger von allem nahm. Das Ganze dauerte wieder ein halbe Stunde und zum Schluss schmierte er mir wieder etwas in die Haare, wobei er meinte, dass ich das später besser rausbekommen würde. Ich schaute in den Spiegel und sah nun nicht mehr ganz so schlimm aus wie am Vortag. Allerdings auch nicht viel besser. Alle anderen meinten, dass es so super wäre. Ich hingegen, fragte immer nur: „ja"? Ich ließ mich damals ziemlich von der Meinung der anderen beeinflussen.

Wenn ich mir die Fotos aus heutiger Sicht ansehe, frage ich mich wirklich, warum ich nicht gesagt habe, wie Banane ich damals aussah und warum ich das Ganze überhaupt mitgemacht habe. Aber vielleicht lag es auch hier wieder daran, dass ich es nicht besser wusste. Ich kannte es nicht anders. Ich fand all das, was um mich herum passierte ganz witzig und dachte nur daran, dass da mit Sicherheit am Ende gute Fotos herauskommen würden.

Ebenso meinten alle anderen, dass ich genau richtig aussehen würde und somit akzeptierte ich das, was ich da im Spiegel sah und wir alle machten uns auf den Weg zur Lokation, an der die ersten Fotos entstehen sollten. Die Sonne war immer noch nicht aufgegangen, wobei es nicht mehr lange dauern sollte und wir fuhren in irgendeinen Wald, wo wir warteten, bis die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume kommen sollten. Ich wurde irgendwo hin platziert und wir warteten auf das richtige Licht. Ich war froh, dass es so früh am Morgen war und kein Spaziergänger vorbeikam, denn ich muss zum Schiessen ausgesehen haben. Ich hatte einen knallroten Umhang an, war geschminkt wie Graf Dracula für Arme und hielt ein Schwert in der Hand, was beinahe so groß war wie ich und stand völlig desorientiert an irgendeinem Wegesrand und wartete auf den Sonnenaufgang.

Um mich herum hüpfte die ganze Zeit der Maskenbildner, der nur noch darauf achtete, dass die Schminke an der Stelle in meinem Gesicht blieb, wo sie war und tupfte und puderte mich unentwegt. Zusätzlich wies er mich dauernd darauf hin, dass ich mich nicht im Gesicht oder am Kopf kratzen sollte, da dies alles zerstören würde. Ebenso zupfte er unentwegt an meinem Umhang rum, bis er so lag, wie er und die Fotografin es für richtig erachteten.

Einige Meter von mir entfernt standen alle anderen, die mir immer wieder sagten, das es gleich soweit wäre und ich mich bereit halten müsste, bis das Licht toll wäre. Ich ließ alles stillschweigend über mich ergehen und konzentrierte mich, schließlich wurde der ganze Aufwand ja nur wegen mir gemacht. So warteten wir alle und warteten und warteten.

Die Sonne ging zwar langsam auf aber irgendwie war die Fotografin nicht zufrieden. Es wäre zuviel Nebel, meinte sie und knipste ein paar Mal mit ihrer Kamera vor sich hin, allerdings entstand bei ihr kein zufriedener Gesichtsausdruck. Nach der ersten Stunde hatte sie zwar einige Fotos gemacht, allerdings meinte sie, dass die wohl nicht so toll geworden wären wegen des fehlenden Lichts und wir sollten zur nächsten Lokation fahren.

Wir wanderten wieder zu den Autos zurück und fuhren weiter zu einem alten Keller innerhalb der Stadt. Mittlerweile war es Vormittag und ich wurde wieder nachgeschminkt. Alle anderen bauten irgendwelche Lampen in einem alten Keller auf, der so aussah als ob da schon seit Jahren keiner mehr drin war. Allerdings fand ich nicht gerade, das er wirklich klasse aussah. Überall waren Rohre und Geräte zu sehen, die wir erstmal verdecken oder heraustragen mussten. Hier war wohl schon so lange kein Licht mehr drin gewesen, dass überall an der Decke und in unzähligen Ecken Spinnen hingen, die mittlerweile weiß geworden waren.

So etwas hatte ich noch nie vorher gesehen. Hier war es einfach nur eklig, dreckig und es stank. Aber ich sagte nichts und half einfach dabei alles so herzurichten, dass die ersten Fotos entstehen konnten. Nebenbei bekam ich hin und wieder neue Schminke ins Gesicht geklatscht und meine Haare erhielten wiederum eine neue Packung damit sie weiter hielten und so lagen, wie es sein sollte. Nachdem 2 Stunden in diesem Keller vergangen waren, waren viele Fotos im Kasten und es hieß, dass es zur nächsten Lokation weitergehen sollte, wobei wir nun erst einmal Pause machten. Wir verließen den Keller und es wurden allerlei Butterbrote und Kleinigkeiten ausgepackt. Der Keller befand sich in der Innenstadt und unzählige Fußgänger gingen somit in diesem Moment an uns vorbei. Alle amüsierten sich oder waren erschrok-ken, als sie mich dann dort stehen sahen. Eine Pause war das für mich nicht. Ich war froh, dass die Reise irgendwann weiter ging. Wir fuhren auf einem Berg und hielten an einem Platz an, wo alte Säulen mitten im Wald standen.

Dort wurde ich an den verschiedensten Orten wieder fotografiert und nach weiteren Stunden waren wir hier auch fertig. Nun sollten die letzten Fotos im Atelier der Fotografin gemacht werden, was ich ganz angenehm fand, da ich nun nicht mehr irgendwelchen Blicken von Fußgängern ausgeliefert war.

Bis in den späten Abend wurde dort dann weiter fotografiert und am Ende hatte die Fotografin über dreihundert Fotos gemacht. Das sei völlig normal, meinte sie und da wären bestimmt einige bei, die richtig toll geworden sind. Alle waren zufrieden mit dem, wie der Tag verlaufen war und lobten mich, wie toll und diszipliniert ich doch gewesen sei.

Ihre Euphorie war ansteckend und ich war ebenso gespannt darauf, wie die ersten Aufnahmen wohl aussehen würden. Die Fotografin meinte, dass sie am nächsten Wochenende wohl schon die ersten Dias gemacht hätte und wir uns alle dann das Ergebnis in einer Diashow ansehen würden. Ich war froh, dass ich es geschafft hatte. War ich am Abend vorher nach der Schminkprobe schon ziemlich fertig gewesen, war ich nun völlig hinüber. Ich war einfach am Ende.

Durch das Anspannen des ganzen Körpers bei der Fotosession, hatte ich überall Muskelkater und mein Kopf hämmerte. Der Maskenbildner schminkte mich noch ab und ich machte mich dann auf dem Heimweg.

Das Zeug aus den Haaren sollte ich mir raus machen, wenn ich wieder zuhause wäre, meinte er. Das würde nun leichter rausgehen, allerdings etwas dauern, weil er immer wieder neues drauf tun musste.

Als ich zuhause angekommen war, machte ich mich gleich daran meine Haare von der Pomade zu befreien und das ging in keiner Weise einfach raus. Ich probierte alles aus was ich finden konnte, damit das Zeug herausging. Irgendwann versuchte ich es sogar mit Eigelb. Nachdem ich jammernd meine Mutter angerufen hatte, ob sie nicht eine Idee habe wie das herausging, sagte sie mir, das Eigelb helfen könnte. Nichts funktionierte wirklich und ich verzweifelte langsam. Nachdem ich bis nach Mitternacht alles versucht hatte und es so einigermaßen geklappt hatte, fiel ich nur noch in mein Bett und schlief ein und ich glaube in diesem Moment habe ich mich damals wirklich gefragt, warum ich das Ganze überhaupt machte. Ich liebte es Musik zu machen aber bei diesem ganzen Zirkus empfand ich keinerlei Freude.

Die ersten Ergebnisse

In der drauffolgenden Woche ging ich meiner normalen Arbeit wieder nach. Ich telefonierte ab und an mit Grant und er meinte nur, dass die Fotos richtig gut geworden seien. Ich stand der ganzen Sache skeptisch gegenüber, ließ mir aber nichts anmerken und war gespannt, was ich bald zu sehen bekommen würde. Wir trafen uns alle an irgendeinem Abend bei der Fotografin, wo sie schon den Diaprojektor zur Präsentation aufgebaut hatte. Somit versammelten wir uns alle in ihrem Wohnzimmer und sie fing an, uns die ersten Fotos zu zeigen. Nun, was soll ich sagen. Die Fotos zeigten das, was ich erwartet hatte. Sie zeigten mich als „Graf-irgendwas" in einem völlig übertriebenen Outfit. Sie waren mit Sicherheit gut gemacht aber alles sah so unfertig aus, fand ich. Was in aller Welt hatte das Ganze mit dem zu tun, was ich machte. Ich liebte meine Musik aber an solche Bilder hatte ich wirklich noch nie gedacht, wenn ich ein Lied geschrieben hatte. Die anderen wiederum riefen bei der Diapräsentation immer nur „super... ja toll... ah das ist gut... klasse... tolles Licht... toller Gesichtsaudruck". Ich hörte erst nur still zu und dachte mir, vielleicht sehe ich mich ja auch mit anderen Augen als die anderen. Man gefällt sich ja in den seltensten Fällen und vielleicht ist es genau das, was die Musik braucht, um Aufmerksamkeit bei Plattenfirmen zu erregen. Ich merkte allerdings auch, dass niemand in diesem Raum es auch nur wagte, etwas Negatives über die Fotos zu sagen. Alles war toll und klasse. Dementsprechend gut gelaunt war auch die Fotografin und ich merkte schnell, wie ihr alle immer wieder sagten, wie toll sie das doch alles gemacht hatte. Die Lokations die sie ausgesucht hatte wären alle super und der Rest wäre ohnehin ganz toll sei.

Dazu muss man sagen, dass sie alles zu einem Preis gemacht hatte, der alleine das Arbeitsmaterial enthielt. Ansonsten machte sie alles, weil sie Grant schon lange kannte und Spaß dabei hatte. Somit wurde mir klar, warum keiner etwas Negatives sagte. Sie genoß die Lobgesänge sichtlich und somit war zum Ende hin alles ganz toll und als die Diashow zu Ende war, klatschen alle und ich Idiot auch. Grant meinte dann, dass nun 4 Fotos ausgewählt würden und diese dann mit den neuen Sachen zu Plattenfirmen geschickt würden. •

Ich hielt mich in diesem Moment zurück und dachte mir nur meinen Teil. Allerdings war ich auch recht zuversichtlich. All das, was ich probiert hatte um einen Plattenvertrag zu bekommen, hatte nicht funktioniert und daher war ich gespannt, was denn nun dabei herauskommen würde, wenn die überarbeiteten Songs mit den neuen Fotos rausgehen würden. Wenn ich die Zeilen hier schreibe, finde ich, dass ich damals ein wirklich rückratloser Mensch gewesen sein muss und frage mich, warum ich nicht offen meine Meinung gesagt habe.

Allerdings denke ich, habe ich damals wirklich einfach abwarten wollen, was nun passiert, wenn die Fotos mit der Musik an Plattenfirmen rausgehen würden. Ebenso habe ich mich wohl auch davon beeinflussen lassen, wenn Andere mir gesagt haben, wie toll alles ist und das die Fotos ganz klasse wären, wo schließlich ich drauf zu sehen war.

Ich denke letztendlich hatte ich nichts zu verlieren und wollte nun auch wissen, was nach dem ganzen Aufwand dabei herauskommt. Somit entschied ich mich dafür einfach erst einmal abzuwarten. In den darauf folgenden Tagen, passierte im Grunde nichts erwähnungswertes. Ich wusste das Grant und Alex ihre Kontakte nun spielen ließen und die Bewerbungen rausschickten. Nach einigen Wochen rief ich Grant an, ob er schon etwas gehört hatte, was er allerdings verneinte. Einige hätten noch nicht geantwortet, aber es wären auch viele Absagen gekommen. Allerdings seien sie am Ball und würden sich sofort bei mir melden, wenn etwas Positives dabei herauskäme. Irgendwie kam mir das ganze ziemlich bekannt vor. Allerdings war ich doch aufgrund dieser ersten Ergebnisse ziemlich enttäuscht. Hatte ich doch auch schon vorher die gleichen Absagen bekommen. Somit schien auch das alles nichts gebracht zu haben und selbst so ein guter Kontakt, den ich nun mit Grant gefunden hatte, brachte mich nicht weiter, meine Musik endlich bei einer Plattenfirma unterzubringen. Diese ersten Ergebnisse waren für mich zu diesem Zeitpunkt sehr ernüchternd. Ich machte in der kommenden Zeit weniger Musik als sonst und konzentrierte mich auf meinen Beruf, der mir immer noch Spaß machte. Vielleicht dachte ich, sollte meine Musik erst einmal nur ein Hobby bleiben und mehr auch nicht. Die nächsten Tage und Wochen ging ich zur Arbeit und machte ab und zu am Abend Musik, allerdings schrieb ich keine Lieder mehr. Ich klimperte eher aus Langeweile vor mich hin. Ich träumte immer noch davon vielleicht einmal die Musik zu meinem Beruf zu machen, aber ich wusste einfach nicht wie dies gehen sollte und entschied mich damals die Musik nur noch als Hobby zu sehen.

Stark

Ich weiß nicht mehr wann es war, als mich die Nachricht erreichte, dass jemand in unserer Familie im sterben lag. Bis dahin hatte ich mit diesem Thema noch keinerlei Berührung gehabt. Im Grunde war es das erste Mal, dass ich mich damit nun auseinandersetzen musste.

Es ging um jemanden, der für mich wie eine Oma gewesen war. Im Grunde war sie lediglich über Ecken mit mir verwandt aber ich hatte doch viele schöne Erinnerungen an sie. Ich hatte zwar auch eine richtige Oma, jedoch leider nie den herzlichen Kontakt zu ihr, wie ich es bei meiner über Ecken Verwandten kennen gelernt hatte. Ich bin früher häufig bei ihr gewesen und habe sie ab und an einfach besucht und ich hatte dort häufig Karten mit ihr gespielt. Meist spielten wir Romme und sie gewann dabei immer.

Wenn ich sie besuchte, hatte sie immer ein liebes Wort für mich über und ich fühlte mich einfach wohl bei ihr. Bei ihr konnte ich so sein wie ich war und sie maßregelte mich in keiner Weise. Sie freute sich einfach, dass ich ab und zu da war und ich freute mich ebenso.

Nun war also der Moment gekommen, wo ihre Zeit zu Ende gehen sollte. Es war ein komisches Gefühl für mich, als ich im Krankenhaus noch einmal zu ihr ging. Ich weiß noch wie heute, dass sie mich anlächelte und mir sagte, dass ich gut auf mich aufpassen und nicht traurig sein sollte. Schließlich ging sie jetzt zum lieben Gott und der passte auf sie auf. Sie drückte meine Hand noch einmal und dann verließ ich das Zimmer. Ich wartete im Gang noch auf die anderen Verwandten, die sie besuchten und schaute in ihr Zimmer hinein.

Das letzte was ich sah, bevor ich ging, war wie ihr Sohn an ihrem Bett saß und sich um sie kümmerte. Ich glaube er fütterte sie gerade mit einer Selbstverständlichkeit, die man wohl als wahre Liebe bezeichnen kann. Dieses Bild habe ich bis heute nicht vergessen.

Ich hörte kein Gejammer oder Geweine und keiner fragte sich warum. Ganz im Gegenteil. Im Grunde lag ein lächeln im Raum und sie verabschiedete sich an diesem Abend von uns allen mit einem Lächeln und war mit sich im Reinen. Dieses Bild, was ich an jenem Abend für immer in meinen Kopf brannte, brachte mir eine Stärke entgegen, die ich bis dahin noch nie erlebt und gefühlt hatte.

Ich dachte nur, dass es wahre Größe sein muss, in einem solchen Moment mit sich und allem im Reinen zu sein und sich in aller Ruhe von allen für immer zu verabschieden. Auf dem Nachhauseweg dachte ich an die Momente, die ich erlebt und gesehen hatte und versuchte sie in Worte zu fassen.

Als ich zuhause angekommen war, war ich noch völlig aufgewühlt und fing an einen

Text darüber zu schreiben. Ich setzte mich nach langer Zeit wieder an die Instrumente und schrieb mein wohl erstes Lied in Deutsch um das Geschehen zu verarbeiten. Ich gab dem Lied den Titel „stark" und verarbeitete darin alles, was ich in dieser Nacht fühlte. Ich spielte die Melodie ein, die ich in meinem Kopf hörte, wenn ich an sie dachte und sang den Text, den ich für sie geschrieben hatte ein. Danach ging ich irgendwann schlafen und dachte an sie.

Am nächsten Morgen klingelte das Telefon und man teilte mir mit, das sie in der Nacht irgendwann eingeschlafen und gestorben sei, womit wir alle allerdings bereits innerlich gerechnet hatten. Ich weinte noch einen kurzen Moment und dann legte ich den Hörer wieder auf, legte mich wieder hin und schlief ein.

Wenn ich diese Zeilen hier schreibe habe ich ein schönes Gefühl. War es doch wahrscheinlich dieser eine Moment, der in mir das auslöste, was irgendwann dazu führte mein erstes deutsches Lied zu schreiben, welches viel später einmal den Weg auf eine Platte mit dem Namen „Phosphor" finden sollte. Ich wusste damals nicht, wie wichtig dieses Lied für mich sein würde. Ich weiß nur, dass es mir geholfen hat das Erlebte zu verarbeiten.

Für mich war es damals lediglich die Möglichkeit Gefühle zu verarbeiten, indem ich ein Lied darüber schrieb, denn es sollten noch Jahre vergehen, bis ich weitere Lieder in meiner Muttersprache schreiben würde. Der Grundstein dazu wurde allerdings in diesem einen kleinen Moment gelegt. Ich konnte mir dieses Lied anhören und sah die Gedanken die ich beim Hören des Textes hörte vor meinem geistigen Auge und hatte dabei einfach ein gutes Gefühl.

Das hatte ich zuvor noch nie erlebt. Ebenso hatte ich in meiner Vergangenheit auch noch nie deutsche Lieder gehört. Im Grunde war mein erstes deutsches Lied auch mein erstes, was ich bewusst in meiner Muttersprache wahrgenommen hatte.

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