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5.2. Die „Sonderghettos"

Die Deportationen, die Heydrichs RSHA mit verwaltungstechnischer Prдzision plante und umsetzte, waren fьr die betroffenen Juden ein nicht enden wollender Schrecken. „Brutal und bьrokratisch korrekt zugleich"59 aus ihrer hдuslichen Umgebung geris­sen, fanden sich die Menschen binnen weniger Tage in einem lebensunwirtlichen bis -feindlichen Umfeld weit entfernt der Heimat wieder. Das ьbertraf alle bisheri­gen Erfahrungen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Entwurzelung. Viele der knapp 7000 nach Minsk verschleppten Menschen hatten in den vergangenen Jah­ren bereits ihr angestammtes Zuhause verlassen mьssen. Sie waren aber immerhin noch im eigenen Land in halbwegs vertrauter Umgebung verblieben. Die Familie von Heinz Rosenberg etwa war seit Generationen in Gцttingen ansдssig gewesen. Rosenbergs Vater und Onkel betrieben dort eine Leinenweberei. Anfang Mai 1933 warf der Hauswirt, ein ьberzeugter Nationalsozialist, die Familie buchstдblich von einem Tag auf den anderen aus ihrer Wohnung. Die Rosenbergs zogen daraufhin nach Hamburg. In der weltoffenen Hansestadt, erinnert sich Heinz Rosenberg, „war der Antisemitismus nicht so schlimm wie in den kleineren Stдdten. Wir hatten viele Verwandte und Freunde dort, und das Leben war noch halbwegs normal fьr uns."60 Etwas anders, aber doch дhnlich erging es der Familie Stein aus dem oberhessi­schen GeiЯ-Nidda. Leopold Stein, Veteran des Ersten Weltkrieges, hatte dort gemein­sam mit seiner Frau Hilda den von den Eltern ererbten Dorfladen gefьhrt. Wдh­rend des Novemberpogroms plьnderte der цrtliche Mob Wohnhaus und Geschдft der Familie. Leopold Stein wurde ins KZ Buchenwald verschleppt, aus dem er Ende

  1. Ebenda, S. 125 f.

  2. Ebenda, S. 121 ff.; ausfьhrliche Schilderung des Schicksals der nach Riga Deportierten bei Angrick/Klein, „Endlцsung", S. 212 ff.

  3. Ebenda, S. 218.

  4. Rosenberg, Jahre, S. 10.

Dezember 1938 gebrochen zurьckkehrte. Im Frьhjahr ty^y scnnemicn nucrueien die Steins in die Anonymitдt der GroЯstadt Frankfurt, wo sie in einem „Judenhaus" im Baumweg Quartier bezogen. Dort wurde ihnen im Herbst 1941 der „Evakuie­rungsbefehl" zugestellt, obgleich die Tцchter Lilli und Ilse als Fallschirmnдherin­nen Zwangsarbeit fьr die deutsche Rьstungsindustrie leisteten. Beigefьgt waren eine Vermцgenserklдrung und eine Liste zur Bestandsaufnahme des Besitzes. Auf acht Seiten musste Leopold Stein penibel ьber Konten, Bankmittel, Wertpapiere, Versi­cherungen, Grundbesitz, Geschдftsanteile bis hin zu Mцbeln, Wдsche und Besteck Auskunft ablegen. Zur „Evakuierung" durften lediglich fьnfzig Kilogramm Gepдck mitgenommen werden.61

Die zur Deportation bestimmten Juden mussten sich nach Planung des RSHA zunдchst in „Sammelstellen" einfinden. Solche Stьtzpunkte vor der Zwangsverschi­ckung richteten die Behцrden in grцЯeren Veranstaltungshдusern mцglichst abseits von Wohnvierteln ein: In Hamburg zum Beispiel diente die ehemalige „Provinzial-loge fьr Niedersachsen" (Logenhaus) in der MoorweidenstraЯe nahe dem Bahnhof Sternschanze als Sammellager. Die Frankfurter Juden mussten sich zur GroЯmarkt­halle begeben, wдhrend in Berlin die Synagoge in der LevetzowstraЯe zum Sam­mellager umfunktioniert wurde. In Wien wiederum war ein Sammellager in einer Schule in der Sperlgasse der Leopoldstadt, dem alten jьdischen Wohnviertel, einge­richtet. Die Aufenthaltsdauer in den Sammelstellen betrug in der Regel ein bis zwei Nдchte. In Wien allerdings waren die Deportationsopfer ьber zwei Wochen in der Sammelunterkunff eingepfercht, bevor sie den Zug nach Minsk besteigen mussten.

Immerhin war den Eingeschlossenen ьber die Israelitische Kultusgemeinde Post­verkehr erlaubt; sie durften sich auf dem Wege auch Lebensmittel schicken lassen. Das belegen drei Postkarten, die die Wienerin Irma Huppert zwischen dem 11. und dem 26. November aus der „Sperlschule" an nahe Verwandte und Freunde schrieb. Diese letzten Lebenszeichen einer offenkundig vitalen und patenten Frau vermitteln ein Bild von den Zustдnden in der Wiener Sammelstelle. Um den 16. November, zwei Tage vor ihrem 52. Geburtstag, schrieb Irma Huppert: „Liebste Poldi und Ignatz, / Nachdem es mir nicht mehr mцglich war mich von Euch meine Lieben zu verab­schieden, so tue ich es auf diesem Wege. Wie Ihr seht, bin ich seit Dienstag in der Sperlschule. Hier ist ein unglaubliches Leben und Treiben, das kцnnt ihr Euch gar nicht vorstellen. Liebe Poldi, sei so gut, wenn Du etwas EЯbares erstehen kannst, so sende mir, hier ist man fьr alles sehr dankbar. Die Leute bekommen sehr viel Pakete mit EЯware fьr die Reise. Man kann mir durch die Kultusgemeinde senden, und Ordner bringen es zu mir, meine No ist 1241, Zimmer 28 [...]. Ich helfe sehr viel im Hause und bin hier sehr beliebt, ich greife halt ьberall zu. Meine Lieben, es tut mir schrecklich leid, daЯ ich Euch nicht mehr sehen konnte, doch hoffen wir, dass wir

61 Winter, Liebe, S. 22 ff.; zum Raub des Vermцgens von Juden ausfьhrlicher Benz, Holocaust, S. 69 ff.

uns so Uott will wieder sehen werden. Das essen lдЯt hier viel zu wьnschen ьbrig, man muЯ sehr lange auf das Essen warten. / Frьhstьck oft um 9-10 Uhr, Mittag Suppe Gemьse erst oft um Vi 3, dabei stehe ich um 5 Uhr frьh auf, wir schlafen sehr dicht gedrдngt auf nur 1 Matratze am FuЯboden. Fьrchterlich. [...] Seid vielmals gekьЯt, Eure Irma."62

Berthold Rudner, gleichfalls Wiener, aber seit den 1920er-Jahren in Berlin ansдs­sig, findet noch schдrfere Worte ьber die Wartezeit in der dortigen Sammelstelle. Zwei Tage, so notiert er bitter, hдtten genьgt, „um aus einem Kulturmenschen einen Primitiven zu machen, der auf dьnnen Papiermatratzen auf dem Boden zu nдchtigen hatte, sich kaum reinigen noch seine funktionellen persцnlichen Bedьrfnisse befrie­digen konnte".63 Kreuz und quer hдtten die Menschen gelegen, mit Gepдckstьcken als Kissen oder Lehnen, gegen die herbstliche Kдlte eingehьllt in Decken und Klei­dung. Gegessen worden sei aus BlechgefдЯen der Jьdischen Gemeinde; fьr das Essen mussten alle Berliner Juden ihre Lebensmittelmarken bereitstellen.

Die Sammelstellen waren auch Orte einer letzten Ausplьnderung der Juden. Eichmanns peniblen Vorgaben folgend nahmen Gestapo-Beamte den Menschen ihre letzten Habseligkeiten ab. Karl Loewenstein aus Berlin berichtet, man habe verschie­dene Tische passieren mьssen: „Daneben saЯen die Beamten und Beamtinnen, an denen jeder Transportteilnehmer vorbeizugehen hatte, um die in Frage kommenden Papiere, Arbeitsbuch, Brotmarken, Steuerbelege und Geld abzugeben. Dann fand eine Leibesvisitation statt, hinterher wurden die Koffer durchsucht... und schamlos beraubt! [...] Zum SchluЯ kam der reine Hohn! Durch einen Obergerichtsvollzie­her wurde mir eine Zustellung ьbergeben, wonach mein gesamtes Vermцgen - als das eines Staatsfeindes - konfisziert worden sei. So korrekt arbeitete die Gestapo!"64 Heinz Rosenberg erinnert sich, vor der Ausplьnderung zur Unterschrift unter fol­gende Erklдrung genцtigt worden zu sein: „Ich, der unterzeichnete Jude, bestдtige hiermit, ein Feind der Deutschen Regierung zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurьckgelassene Eigentum, auf Mцbel, Wertgegenstдnde, Konten oder Bargeld zu haben. Meine deutsche Staatsbьrgerschaft ist hiermit aufgehoben, und ich bin vom 8. November 1941 ab staatenlos."65

Von den Sammelstellen aus brachte die цrtliche Gestapo die Juden mit Lastkraft­wagen zum nдchstgelegenen Bahnhof. Hдufig waren das Gьterbahnhцfe, so in Ham­burg und Dьsseldorf. Dort diente der Bahnhof Derendorf vier Kilometer nцrdlich des Hauptbahnhofes als Abgangsstation. In Berlin erfolgte die Deportation nach

  1. Postkarte II von Irma Huppert, 16. 11. 1941, USHMM, 1996.63, 1-3. Franziska Nunnally Papers. Auch in Brьnn mussten die Menschen zehn bis zwцlf Tage in einer Sammelstelle ausharren, dazu Interview Franz Spitzer, Code 34302, Visual History Archive, ©USC Shoah Foundation Institute 1997.

  2. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Gedenkschrift), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 1.

  3. Loewenstein, Minsk, S. 14.

  4. Rosenberg, Jahre, S. 16.

Minsk von einer abgelegenen Rampe des Bahnhofs Grunewald. Hier standen alters­schwache Personenwaggons fьr die Menschen bereit. Berthold Rudner schreibt: „Ein langer Zug mit uralten Beutewagen aus Frankreich, verdreckt, mit fehlenden oder schlecht schlieЯenden Scheiben wartete unser. Die Verladung nahm Stunden in Anspruch. Alles fror, Kinder weinten, die GroЯen stцhnten und krochen in sich hinein, wartend, endlich die schьtzenden Wagen besteigen zu dьrfen. Erst gegen Abend, mit einfallender Dдmmerung, setzte sich der Zug mit dieser Menschenfracht in Bewegung, um gen Osten zu stampfen. Wir erhielten nur unsere Kennkarten aus­gehдndigt, die den Stempelvermerk aufwiesen: .Evakuiert nach Minsk'."66

Fьr alle Transporte musste vor Abfahrt ein Leiter bestimmt werden. In Hamburg war das der Rechtsanwalt Dr. Edgar Franck (1896-1942). Franck wiederum ernannte fьr jeden einzelnen Waggon einen Ordner, der mit einer gelben Armbinde ausgestat­tet wurde. Einer davon war Heinz Rosenberg.67 Die eigentliche Fahrt nach Minsk dauerte von allen Abgangsorten im Reichsgebiet mehrere Tage und war дuЯerst stra­paziцs. Die Menschen saЯen dicht gedrдngt auf Holzbдnken, jeweils fьnfzig Perso­nen in einem Waggon. Der Reiseproviant, den die jьdischen Gemeinden ausgeteilt hatten, war bald aufgebraucht, Gleiches galt fьr die spдrlichen Wasservorrдte. Berny Lane aus Frankfurt erinnert sich vor allem an den quдlenden Durst auf der sechs-oder siebentдgigen Fahrt: „Wir haben, als es regnete, die Finger rausgehalten und sie abgeleckt, um Flьssigkeit zu bekommen."68 In manchen Transporten, so in denen aus Berlin und aus Hamburg, funktionierte die Heizung nicht. Die Menschen froren erbдrmlich, je weiter der Zug nach Osten rollte.69 In Berthold Rudners Waggon fror schlieЯlich die Toilette ein. „Jauche rann ins Koupe", notiert er spдter, „4 Personen badeten ihre Schuhe in diesem Morast. Auch ich. Morast wurde mit Hand und Ess­geschirr ausgelцffelt!"70 Gleichwohl sei die Stimmung an sich recht gehoben gewe­sen. Ein Geiger habe abends mitreiЯende Konzerte gegeben. „Und wenn nachts", so Rudner, „[...] etwa die .Legende von Wiamski oder hebrдische Lieder erklangen, die mit Inbrunst mitgesungen wurden, so ergab sich eine Art heilige Stimmung einer von Sehnsucht und nach Erlцsung dьrstenden Menge."71

Dass die Menschen versuchten, in der ungewissen Situation Zuversicht und Hal­tung zu bewahren, zeigen auch Postkarten eines Insassen des Bremer Transportes an

  1. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Gedenkschrift), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 2.

  2. Rosenberg, Jahre, S. 19; zum Prozedere in Brьnn Interview Franz Spitzer, Code 34302, Visual History Archive, © USC Shoah Foundation Institute 1997.

  3. Zit. nach Monica Kingreen, Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der Juden in den Jahren 1941-1945, in: dies. (Hrsg.), Nach der Kristallnacht. Jьdisches Leben und antijьdische Politik in Frankfurt am Main 1938-1945, Frankfurt a. M. 1999, S. 357-402, hier S. 363.

  4. Loewenstein, Minsk, S. 15; Rosenberg, Jahre, S. 18.

  5. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. II (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 58.

  6. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. I (Gedenkschrift), ebenda, Bl. 3, Hervorhebungen im Original.

seine Tochter. Insgesamt konnte Nathan Felczer (1894-1942) drei Karten versenden. Aus Warschau schrieb er: „Warschau 20. 11. / Liebe Julia! / Sind jetzt in Polen u[nd] habe zufдllig Gelegenheit, einige Zeilen zu schreiben. Es geht soweit ganz gut, ist natьrlich alles anstrengend, aber unser Vertrauen ist groЯ. Bis jetzt ist es noch nicht kalt. Es geht tatsдchlich nach Minsk, es ist dort augenblicklich eine Kдlte von 25°. Die Karte ist so schmutzig, weil ich im Augenblick hinter der Lokomotive sitze. [...] Wir haben von Warschau immer noch ca. 1000 Km[gestr.] Kilometer. Sobald ich von Minsk Gelegenheit habe, schreibe ich. / Bleibt alle recht gesund. Hoffentlich sehen wir uns alle mal wieder. Herzliche GrьЯe an Mutti, Tante Selma [...] u[nd] Kindern. Dein Papa."72

Tatsдchlich konnten die zwangsverschickten Menschen nicht ahnen, was sie am Zielort Minsk erwartete. Im Rьckblick resьmiert Curt Parker aus Achim bei Bre­men, dass die Fahrt noch recht angenehm gewesen sei, „verglichen mit dem, was dann kam".73 Die Ankunft in Minsk beschreiben alle Ьberlebenden der Transporte als neuerlichen Schock. Zumeist blieben die erschцpften Menschen nach dem Ein­treffen noch fьr einige Zeit in den Zьgen eingeschlossen. Der Transport aus Ham­burg etwa lief erst am spдten Abend in den Minsker Gьterbahnhof ein; die Insassen mussten noch eine weitere Nacht in den ьberfьllten Waggons zubringen. Um fьnf Uhr morgens schlieЯlich trieben SS- und Polizeiangehцrige die Hamburger Juden aus dem Zug. Ein SS-Fьhrer verlangte den Transportleiter zu sprechen. Was dann geschah, berichtet Heinz Rosenberg: „Dr. Frank ging sofort zu ihm, nahm Haltung an und sagte: ,Ich melde 971 Mдnner, Frauen und Kinder aus Hamburg.' Der Offizier sah ihn an und sagte: ,Du dreckiger Jude, wenn du mit einem Offizier sprichst oder mit irgendeinem anderen Deutschen, nimm den Hut ab und warte, bis du angespro­chen wirst!' Bei diesen Worten nahm er seine Lederpeitsche und schlug Dr. Frank mit solcher Wucht mitten ins Gesicht, daЯ dieser auf den Boden fiel und man ihm helfen muЯte aufzustehen."74

Die Verschleppten der folgenden Deportationszьge erlebten дhnlich rьde Szenen bei der Ankunft. Welche Dienststelle fьr den „Empfang" der deportierten Juden in Minsk zustдndig war, ist unklar. Wahrscheinlich ьbernahmen Angehцrige des SK lb die Federfьhrung. In jedem Fall kamen lettische und litauische Hilfswillige der Einsatzgruppe A sowie Angehцrige der ukrainischen Schuma-Bataillone von SSPF Zenner zum Einsatz. Karl Loewenstein und Chaim Baram berichten ьbereinstim­mend, dass der Berliner Transport von lettischen SS-Angehцrigen mit gezьckter

  1. Zit. nach Staatsarchiv Bremen (Hrsg.), Minsk, S. 134.

  2. Interview Curt Parker, Code 6424, Visual History Archive, ©USC Shoah Foundation Insti­tute 1995; дhnlich Lowenstein, Minsk, S. 15.

  3. Rosenberg, Jahre, S. 19. Die gleiche Episode schildert ein weiterer Ьberlebender des Hambur­ger Transportes, vgl. Interview Arthur Menke, Code 16399, Visual History Archive, ©USC Shoah Foundation Institute 1996.

Waffe gestьrmt worden sei. Auch Rudner erwдhnt solche Hilfswilligen. Fred Ale­xander wiederum, gleichfalls aus Berlin, erinnert sich an „ukrainische SS", die die Menschen unter Peitschenhieben aus dem Zug geprьgelt habe.75 Von Peitschenhie­ben lettischer oder litauischer sowie ukrainischer SS-Krдfte spricht auch ein Ьberle­bender des Bremer Transportes.76 Bei Ankunft des Frankfurter Deportationszuges kamen ebenfalls litauische und lettische Hilfswillige zum Einsatz.77

Diese Hilfskrдfte bewachten die Neuankцmmlinge auch auf ihrem Weg ins Ghetto. Die meisten mussten die weite Strecke quer durch Minsk zu FuЯ zurьck­legen. Der Anblick der in Trьmmern liegenden Stadt verstцrte viele. Chaim Baram schreibt: „Die Stadt ist fast vollstдndig vernichtet. Zerbombte und ausgebrannte Rui­nen hinterlassen uns einen trostlosen Eindruck."78

Noch schlimmer war freilich das Ghetto. Die Hamburger Juden, die als erste Deportierte in den Zwangsbezirk eingewiesen wurden, stieЯen sofort auf die Spu­ren eines Massenmordes: Zwischen dem 6. und dem 11. November hatten SS und Polizei ьber 6000 weiЯrussische Juden ermordet, um Platz fьr die bald eintreffenden „Reichsjuden" zu schaffen. Die Opfer waren teilweise direkt im Ghetto getцtet wor­den, wie die Hamburger entsetzt feststellen mussten. Ihnen wurde bei ihrem Einzug ein groЯes Gebдude aus rotem Ziegelstein zugewiesen.

Heinz Rosenberg erinnert es als das „Schreckenshaus": „Wir erhielten den Befehl, das rote Gebдude sofort auszurдumen. Als wir das Haus betraten, erwartete uns ein zweiter entsetzlicher Eindruck von Minsk: Hunderte Leichen bedeckten den Boden ... Ьberall war Blut, und auf den Цfen und Tischen stand noch das Essen. Alle Rдume waren in einem vollstдndigen Durcheinander. Es war nicht eine lebende Seele zu finden. [...] SchlieЯlich aber muЯten die .Reinigungsarbeiten' beginnen. Die Toten wurden auf einen Platz in den Hof getragen, das Inventar wurde einfach aus den Fenstern geworfen und spдter auf dem Hof verbrannt. Da alle Sachen ver­schmutzt und verlaust waren, dachten wir, sie wдren unbrauchbar. Spдter haben wir diesen Fehler noch off bereut, denn die verbrannten Sachen waren gebrauchs­fдhige Gegenstдnde, die man nur hдtte reinigen mьssen."79 Das „rote Haus", wahr­scheinlich ein ehemaliges Schulgebдude, war in den folgenden Tagen erste proviso-

  1. Loewenstein, Minsk, S. 15 f.; Baram, Erinnerungen, Archiv des ZfA, S. 7 f.; Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Gedenkschrift), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 3; Interview Fred Alexander, Code 48006, Visual History Archive, ©USC Shoah Foundation Institute 1998.

  2. Staatsarchiv Bremen (Hrsg.), Minsk, S. 55.

  3. Interview Berny Lane, Code 3066, Visual History Archives, ©USC Shoah Foundation Ins­titute; Interview Eric Floss, Code 16025, ebenda 1996; Vernehmung S. G., 18. 5. 1960, LHA Koblenz, Best. 584,1, Nr. 8485, Bl. 3152.

  4. Baram, Erinnerungen, Archiv des ZfA, S. 8.

  5. Rosenberg, Jahre, S. 20 f. Diese Situation schildern auch weitere Ьberlebende des Hambur­ger Transportes, vgl. Vernehmung W. M., 8. 12. 1959, LHA Koblenz, Best. 584, 1, Nr. 8468, Bl. 1390; Interview Arthur Menke, Code 16399, Visual History Archive, © USC Shoah Foun­dation Institute 1996.

rische Unterkunft fьr weitere verschleppte Juden aus dem Reich. Sie verteilten sich anschlieЯend auf die kleinen Holzhдuschen in der Umgebung. Hier stand ihnen, wie den weiЯrussischen Juden, knapp 1,5 Quadratmeter Wohnraum zu. Die Kьche wurde dabei als Wohnraum mitgerechnet.80 Gleichwohl erwies sich das Areal, das fьr die „Reichsjuden" vorgesehen war, rasch als zu begrenzt. Kurz nach Ankunft des Berliner Transportes, am 20. November 1941, tцteten SS und Polizei erneut mehrere Tausend weiЯrussische Juden, um weiteren Platz fьr die Deportierten zu schaffen. In der Folge wurden die „Sonderghettos" I und II gebildet. Im „Sonderghetto I" waren die Hamburger, Dьsseldorfer und Frankfurter Juden untergebracht, wдhrend die Juden aus Berlin, Brьnn, Hamburg/Bremen und Wien im „Sonderghetto II" leben mussten. Die Verschleppten erhielten den Auftrag, die „Sonderghettos" mit Stachel­draht zu umzдunen.81

Ihre genaue Lage im Minsker Zwangsbezirk lдsst sich kaum mehr ermitteln. Nach Angaben von Abram Rubencik lag das „Sonderghetto I" in der Nдhe des jьdischen Friedhofes. Es umfasste das Areal zwischen der „Suchaja", „Obuvnaja", „Sornaja" und „Respublikanskaja". Jenseits dieser StraЯe befand sich in der Gegend um die „Zamko-vaja" und „Ostrovskogo" das etwas kleinere „Sonderghetto II".82 Obgleich die „Son­derghettos" etwas entfernt voneinander lagen, waren sie durch einen gemeinsamen Judenrat verbunden. Erster „Judenдltester" war der Hamburger Transportleiter Dr. Franck (1896-1942). Er stand einem Zwangsgremium aus acht bis zwцlf Mдnnern vor, die gleichfalls aus Hamburg stammten.83 Der Judenrat nahm seinen Sitz in einem der kleinen Holzhдuser. Es befand sich neben dem sogenannten weiЯen Haus, einem wei­teren Gebдude aus Stein. Im „weiЯen Haus" wurde eine provisorische Krankenstation eingerichtet.84 Unter den Deportierten waren einige Mediziner, so die Kinder- und Frauenдrztin Dr. Hedwig Jung-Danielewicz. Sie war im Alter von knapp 61 Jahren gemeinsam mit ihrer Schwester Else Danielewicz aus Dьsseldorf nach Minsk ver­schleppt worden und praktizierte kurzzeitig im Ghetto.85

Ferner betrieb der Judenrat eine Gemeinschaftskьche. Hierfьr gab es zunдchst keinerlei Zuteilungen durch das Stadtkommissariat; Dr. Franck beschlagnahmte daher die Lebensmittel aus neu ankommenden Transporten.86 Der Judenrat der

  1. Loewenstein, Minsk, S. 20.

  2. Vgl. u. a. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 60; Baram, Erinnerungen, Archiv des ZfA, S. 8; vgl. auch Kingreen, Frankfurt, S. 364.

  3. Vgl. den aufS. 78 abgedruckten Lageplan sowie den Plan des Frankfurter Ьberlebenden B. A., LHA Koblenz, Best. 584, 1, Nr. 8474, Bl. 1516.

  4. Loewenstein nennt acht Mitglieder namentlich (Frank, Bieber, Behrend, Cohn, Jacob, Satz, Spiegel, Rappolt), vgl. ders., Minsk, S. 31. Die Zahl von zwцlf Mitgliedern findet sich bei Rosenberg, Jahre, S. 25. Zum Judenrat auch Cholawsky, Jews, S. 230; Interview Arthur Menke, Code 16399, Visual History Archive, ©USC Shoah Foundation Institute 1996.

  5. Zum Gesundheitsdienst Loewenstein, Minsk, S. 38 f.

  6. Unschuld, Дrztin, S. 188 ff.

  7. Rosenberg, Jahre, S. 28 f.

„Sonderghettos" ьbernahm wie sein weiЯrussisches Pendant auch die Koordinie­rung der Arbeitskrдfte. Das Arbeitsbьro unterstand zunдchst einem Hamburger Juden namens Spiegel, spдter ьbernahm Loewenstein diese Aufgabe. Er berichtet: „Jeden Morgen hatten sich die zur Arbeit bestimmten Lagerinsassen im Hofe zwi­schen dem Roten und dem WeiЯen Haus - nach Arbeitskommandos getrennt - auf­zustellen; ihre Namen wurden verlesen und dann wurden sie den Abholern als ,Zahl' ьbergeben. In einem eigens zu diesem Zweck gefьhrten Buch muЯte der Empfang dieser ,Ware Mensch' quittiert werden."87

Loewenstein war zudem die Aufgabe ьbertragen worden, einen jьdischen Ord­nungsdienst zu bilden und zu leiten. Die Wachleute, die Armbinden und Knьppel erhielten, sollten an den Grenzen der „Sonderghettos" patrouillieren. Loewenstein zufolge oblag ihnen auch die Aufgabe, die Insassen vor Plьnderern zu schьtzen.88

Die Angehцrigen des ersten Judenrates lieЯ der KdS Anfang Februar 1942 ver­haften. Ihnen wurde vorgeworfen, mit Unterstьtzung eines Schutzpolizisten Post ins Reich versandt zu haben.89 Im Zuge der Ermittlungen wurden die Mдnner schwer gefoltert. Am 12. Februar wurde in den „Sonderghettos" offiziell verkьndet, dass jeder Postverkehr mit dem Ausland untersagt sei; Briefpapier, Umschlдge und Brief­marken mьssten unverzьglich abgegeben werden.90 Dr. Franck kam am 8. Mдrz in desastrцsem Zustand ins Ghetto zurьck und starb unmittelbar darauf. Die anderen Mitglieder des Judenrates brachte ein KdS-Kommando unter Leitung von Judenrefe­rent Kurt Burkhardt am 13. April ebenfalls mehr tot als lebendig ins Ghetto. Rudner notiert dazu in seinem Tagebuch: „Nur zwei Mдnner konnten gehen. Die bekamen Knьppelhiebe, fielen mit der Nase auf den aufgeweichten Boden und wurden der Reihe nach mit nach unten gehaltenem Revolver durch GenickschuЯ erledigt. Die Mдnner sollen teilweise furchtbar ausgesehen haben. Die Angehцrigen, auch Kinder, muЯten Zeuge der Exekution sein. - Die Leichen wurden auf einen zweirдdrigen Karren gehoben und begraben, und zwar neben und ьbereinander gelegt."91

Ьber die folgenden Judenrдte der „Sonderghettos" finden sich nur spдrliche Infor­mationen in den Quellen. Dr. Francks Nachfolger war der Bremer Erich Harf. Er wurde wahrscheinlich im Sommer 1942 getцtet. Nach dem Massenmord vom Juli 1942 gab es im Minsker Ghetto keine Judenrдte mehr, lediglich die Sektionen fьr Arbeit blie­ben erhalten. Dem Arbeitsbьro des „Sonderghettos" stand Dr. Wagner vor.92

  1. Loewenstein, Minsk, S. 32.

  2. Ebenda, S. 19 u. 37 f.; Cholawsky, Jews, S. 230.

  3. Vernehmung W. B., 12. 2. 1960, LHA Koblenz, Best. 584, 1, Nr. 8478, B. 2016.

  4. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. II (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 42 f.

  5. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. II (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 52, Bl. 42; zu dieser Exekution auch Loewenstein, Minsk, S. 31; Vernehmung W. M., 8. 12. 1959, LHA Koblenz Best. 584,1, Nr. 8474, Bl. 1394.

  6. Loewenstein, Minsk, S. 41; Interview Franz Spitzer, Code 34202, Visual History Archive, ®USC Shoah Foundation Institute 1997.

Die „Sonderghettos" waren in Lager unterteilt, die nach der Herkunft der Insas­sen gebildet wurden. Das „Sonderghetto I" bestand aus dem Hamburger Lager, in dem nach Angaben Loewensteins allerdings auch die Juden aus Frankfurt lebten, sowie dem Lager Rheinland fьr die Juden aus Dьsseldorf, Essen und Wuppertal. Im „Sonderghetto II" gab es das Berliner, das Brьnner und das Wiener Lager.93 Den einzelnen Lagern standen jeweils eigene Leiter vor. Im Berliner Lager war das zunдchst der Transportleiter Gьnter Freudenthal (1914-1942). Er wurde im Februar 1942 wegen angeblichen Handels mit Pelzen abgesetzt und spдter erschossen.94 Fьr eine bestimmte Anzahl an Hдusern war offenbar ein „Blockwart" zustдndig. In den Wohnhдusern selbst gab es „Stubenдlteste" bzw. „Hausvдter".95 Diese Organisations­strukturen wurden den Insassen wahrscheinlich von SS und Polizei aufgezwungen.

Gesichert ist, dass auf Verlangen von Sicherheitspolizei und SD ein „Lagerge­richt" gebildet werden musste. Das Gremium, in dem Loewenstein als Beisitzer fun­gierte, sollte kleinere Vergehen in den „Sonderghettos" eigenstдndig ahnden. Rudner notiert: „Lager-Justiz. Das Ghetto-Lager ist ein Staat im Staate. Es .regelt' sein Leben teilweise nach eigenen Gesetzen. Kleinere Vergehen werden mit Auspeitschungen und Anpfдhlen gesьhnt. Gestern wurde beim .Appell' verkьndet, ein Dieb sei ent­deckt worden, anderen kдme man auf die Spur. Heut' frьh in bitterer Kдlte war nun ein Mann, Berliner, am Pfahl gebunden, der ein Brustschild trug mit der Aufschrift: ,Ich bin ein Dieb'. / Schwere Vergehen mьssen der SS gemeldet werden, die nicht lange fackelt und mit Schnelljustiz sьhnt. Der Platon'sche Satz, das Recht dient dem Stдrkeren, hat hier seine volle und krasse Umsetzung erfahren."96

Die Insassen der „Sonderghettos" litten wie die weiЯrussischen Juden unter ent­setzlichen Existenzbedingungen. Die Menschen hausten in drangvoller Enge in den kleinen Holzhдuschen. Chaim Baram schreibt: „Sieben Leute sind wir in unserem Zimmer, das eine Bodenflдche von 5x5 Metern hat. [...] Wasserleitungen und elek­trisches Licht gibt es nicht. [...] Die sanitдren Verhдltnisse spotteten aller Beschrei­bungen. Es gab noch keine Latrine. Die erste Arbeit im Berliner Ghetto war daher das Ausheben von kleinen Gruben."97 Die hygienischen Zustдnde beklagt auch Berthold Rudner. Am 6. 1. 1942 vermerkt er: „Mangel an Seife verhindert u. a. reine Wдsche am Kцrper zu tragen. Seit Berlin kein Bad mehr! Dabei nagen einen schier die Ratten an. Nichts ist vor ihnen sicher."98

  1. Loewenstein, Minsk, S. 20; Cholawsky, Jews, S. 230.

  2. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. II (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 46.

  3. Ebenda, Bl. 20; Zeugenaussage M. A., 3. 7. 1947, GLAK, 309, Zugang 1990-37, 552, Bl. 31.

  4. Ebenda, Bl. 24. Nach Loewenstein trat das „Lagergericht" allerdings nur einmal im Falle des erwдhnten Diebstahls zusammen, vgl. ders., Minsk, S. 41.

  5. Baram, Erinnerungen, Bl. 9.

  6. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 30.

Hinzu kam der allgegenwдrtige Hunger. Wie im weiЯrussischen Ghetto erhielten nur die Zwangsarbeiter eine halbwegs ausreichende Verpflegung. Im Arbeitseinsatz standen im Winter 1941 aber nur 900 der knapp 7000 Insassen der „Sonderghettos".99 Die Strategien der NahrungsmittelbeschafFung, die die weiЯrussischen Juden entwi­ckelt hatten, kamen fьr die Deportierten nur eingeschrдnkt infrage. Beim Tausch­handel an den Ghetto-Zдunen wurden sie wegen mangelnder Sprachkenntnisse oft ьbervorteilt. Gьnther Katzenstein, ein Ьberlebender des Dьsseldorfer Transportes, erinnert sich: „Der Tauschhandel war ein sehr schlechtes Geschдft fьr uns, weil die Leute auf der anderen Seite ja alle Trьmpfe in der Hand hatten. Dadurch konn­ten sie uns auspressen, wie sie wollten. [...] Es war uns geglьckt, einige Sachen von Deutschland mitzunehmen, aber nach einer gewissen Zeit waren wir gezwungen, diese Sachen gegen Brot, Kartoffeln usw. einzutauschen und das war natьrlich ein sehr schlechtes Geschдft fьr uns."100

Vцllig ausgeschlossen war es, das Ghetto-Areal zu verlassen und im „russischen Bezirk" um Essbares zu betteln. Die Insassen der „Sonderghettos" waren daher in hohem MaЯe auf die spдrlichen Nahrungsmittelzuteilungen des Stadtkommissariats angewiesen. Dazu schreibt Rudner am 21. 12. 1941: „Hunger, Hunger, Hunger! Die Verpflegung des Lagers ist grauenhaft. Mal erhalten die Lagerinsassen um 9 Uhr eine Wassersuppe und abends etwas Brot. Mal gibt's solch ,Essen erst spдt nach­mittags. Es fiel auch schon ganz aus."101 Loewenstein erinnert sich an die ьberaus schlechte Qualitдt der Nahrung: Das Brot, so berichtet er, „war aus Buchweizen­mehl gebacken und schmeckte scheuЯlich; und doch - wie hungerten wir danach, wдhrend die Pferde es ablehnten."102 Dass die Ernдhrungslage der „Sonderghettos" дuЯerst prekдr war, mussten sogar Sicherheitspolizei und SD einrдumen. Juden­referent Kurt Burkhardt berichtete dem RSHA Anfang Januar 1942 von Plдnen, die deutschen Juden in die Wehrmachtsverpflegung einzubeziehen, dies allerdings nur, um die Arbeitskraft der verschleppten Menschen zu erhalten.103

Die Unterernдhrung, die katastrophalen hygienischen Zustдnde und schlieЯlich die Kдlte des Winters 1941/42 lieЯen rasch Krankheiten unter den Deportierten aus­brechen. Burkhardt vermerkt fьr Dezember 1941 penibel folgende Erkrankungen in den „Sonderghettos": „370 Fдlle Hungerruhr / 102 Erfrierungen / 135 eitrige Wun­den / 20 Augenbindehautentzьndung / 25 Lungenentzьndung / 63 Grippe und rheu­matische Erkrankungen / 30 Blasenkatarrhe."104 Die gesundheitliche Verfassung der

99 „Burkhardt-Bericht", in: Benz/Kwiet/Matthдus (Hrsg.), Einsatz, S. 114.

  1. Zit. nach Barkai, Jews, S. 263; zum Tauschhandel auch Loewenstein, Minsk, S. 35; Interview Eric Floss, Code 16025, Visual History Archive, © USC Shoah Foundation Institute 1996.

  2. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 25.

  3. Loewenstein, Minsk, S. 22.

  4. „Burkhardt-Bericht", in: Benz/Kwiet/Matthдus (Hrsg.), Einsatz, S. 114.

  5. Ebenda, S. 113.

Verschleppten besserte sich im Frьhjahr 1942 nicht, wie Heinz Rosenberg schreibt: „Frьhling und Sommer hatten uns zwar von der Kдlte befreit, aber sonst unsere Lage kaum erleichtert. Ungeziefer, Dreck und Krankheiten waren eine neue Quelle der Gefahren. Die Menschen starben in grцЯerer Zahl als im Winter."105

Freilich hatte es auch im Winter schon viele Tote gegeben. Hinzu kamen Selbst­morde. Hans Meinhardt aus Hamburg berichtet, dass sein Vater Ernst sich mit Pillen das Leben nahm. Der hochdekorierte Frontkдmpfer des Ersten Weltkrieges hatte als Apotheker fьr die SS arbeiten mьssen und die Demьtigungen im Minsker Ghetto nicht ertragen.106 Wie Rudner und Loewenstein ьbereinstimmend angeben, waren bereits Mitte Dezember 1941 etwa 20 der Berliner Juden gestorben. In den folgen­den Wochen schnellte die Todesrate weiter in die Hцhe. Dazu schreibt Rudner am 13. Januar 1942: „Der Tod geht um! Im Lager. Die Alten und Kranken gehen ein. Es gibt auch nur noch Massengrдber. Alle paar Tage werden an die 20 Toten begra­ben! - Es ist ein schauerlicher Zustand."107 Am 25. Januar 1942 starb auch Rudners gute Bekannte und Mitbewohnerin Martha Crohn. Zu diesem Zeitpunkt war der Boden jedoch so stark gefroren, dass keine Grдber ausgehoben werden konnten. Die Toten des Ghettos mussten daher vorьbergehend in einer Scheune gelagert werden. Erst am 8. Mдrz 1942 konnten sie in einem Massengrab auf dem jьdischen Friedhof beerdigt werden. Noch im Dezember 1941 waren die Toten des Hamburger Lagers in der Nдhe der Gemeinschaftskьche direkt im Ghetto bestattet worden. Dr. Weber, Leiter des Gesundheitsamts im Generalkommissariat, hielt das bei einer Inspektion fьr ein hygienisches Problem. Im Anschluss sorgte er dafьr, „daЯ in dem jьdischen Friedhof den deutschen Juden ein bestimmter Teil fьr die Beerdigung ihrer Rasse­genossen zugewiesen wird".108

Todesopfer gab es auch bei den stдndigen Razzien von Sicherheitspolizei und SD in den „Sonderghettos". Ein Ьberlebender aus Hamburg sagte nach dem Krieg aus: „Kleinere Exekutionen, und damit meine ich Exekutionen von Personen, fanden etwa alle 4-5 Tage statt. Dies wдhrend meines ganzen Aufenthaltes in Minsk."109 Von „GroЯaktionen" indes waren die Verschleppten bis zum Sommer 1942 aus­genommen. Viele glaubten deshalb, dass sie, im Gegensatz zu den weiЯrussischen Juden, am Leben gelassen werden sollten.110

Diese Hoffnungen blieben auch Sicherheitspolizei und SD nicht verborgen. KdS-Judenreferent Burkhardt vermerkt dazu Anfang Januar 1942 mit dem ihm

  1. Rosenberg, Jahre, S. 42.

  2. Interview Hans Meinhardt, Code 17039, Visual History Archive, ®USC Shoah Foundation Institute 1996.

  3. Aufzeichnungen aus dem Ghetto Minsk, T. 1 (Tagebuchblдtter), Archiv des IfZ, ED 424, Bl. 35.

  4. Zit. nach Chiari, Alltag, S. 244.

  5. Vernehmung W. B., 12. 2. 1960, LHA Koblenz, Best. 584, 1, Nr. 8478, Bl. 2017.

  6. Barkai, Jews, S. 263.

eigenen Zynismus: „Die reichsdeutschen Juden fьhlten sich bei ihrer Ankunft in Minsk durchaus als Ostpioniere und glaubten grцЯtenteils zur Lцsung von koloni­satorischen Aufgaben herangezogen zu werden. Als sie dann aber ins Ghetto Minsk getrieben wurden und dort seit geraumer Zeit unter auЯerordentlich ungьnstigen Verhдltnissen leben mьssen, verbreitete sich unter ihnen die Ansicht, daЯ es sich bei der Umsiedlung nur um eine vorьbergehende MaЯnahme handele und sie nach KriegsschluЯ wieder in das Reich zurьckkehren dьrfen. An diesem Gedanken rich­ten sich die meisten Juden auf und ertragen leichter die derzeitigen Schwierigkeiten. Der geringe Teil der Juden, der ьber die Zukunft vцllig klar sieht, lдЯt seine Meinung nicht laut werden."111

Spдtestens mit der groЯen Massenmordaktion Ende Juli 1942 wurde den noch lebenden deutschen Juden klar, dass auch sie getцtet werden sollten. Zwischen dem 28. und dem 31. Juli 1942 wurden 6500 weiЯrussische und 3500 „reichsdeutsche" Juden aus dem Ghetto bei Maly Trostinez ermordet.112 Bei diesen Opfern handelte es sich um die als nicht arbeitsfдhig eingestuften Insassen des „Sonderghettos II", das in diesen Tagen aufhцrte zu existieren. Die ьberlebenden Berliner, Brьnner, Bremer und Wiener Juden mussten in das „Sonderghetto I" umziehen.113 Dessen als „arbeitsunfдhig" geltende Insassen wurden insbesondere nach dem Antritt von SS-Hauptscharfьhrer Adolf Rьbe als „Ghetto-Kommandant" ab Frьhjahr 1943 in bestдndigen Selektionen dezimiert. Tatort war oft der jьdische Friedhof.

Die arbeitenden Insassen des „Sonderghettos I" wurden grцЯtenteils bei einem Massaker am 8. Mai 1943 und bei der endgьltigen Auflцsung des Ghettos im Okto­ber erschossen oder in Gaswagen erstickt. Als die mehrwцchige Phase der Liquidie­rung des Ghettos im September 1943 begann, wurde eine nicht bestimmbare Anzahl an Juden aus dem Reich - vor allem junge, alleinstehende Mдnner - zur Zwangsar­beit in die Lager im besetzten Polen verschleppt. Darunter waren Heinz Rosenberg und Chaim Baram.

Dennoch lebten auch nach dem Herbst 1943 noch einige Juden aus dem Reich in und um Minsk: Sie waren zum einen im sogenannten kleinen Ghetto in der Minsker Radiofabrik untergebracht, das der Luftwaffe unterstand. Beim deutschen Rьckzug wurden die jьdischen Zwangsarbeiter von der Wehrmacht in Richtung Westen mit­genommen und kamen schlieЯlich mehrheitlich nach Bergen-Belsen.114 Ьberdies hielt sich der KdS in seinem Minsker Dienstgebдude bis zum Sommer 1944 ein jьdi­sches Arbeitskommando. Es bestand aus etwa 50 bis 100 Personen. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dieses Arbeitskommando allerdings vor dem deutschen Rьck-

  1. „Burkhardt-Bericht", in: Benz/Kwiet/Matthдus (Hrsg.), Einsatz, S. 114.

  2. Baade, Ehre, S. 254.

  3. Dazu u. a. Interview Curt Parker, Visual History Archives, Code 6462. ®USC Shoah Founda­tion Institute.

  4. Mьndliche Mitteilung von Gьnther Katzenstein, 22. 10.2008.

zug erschossen.115 Jьdische Zwangsarbeiter gab es zwischen 1942 und 1944 auch auf dem Landgut des KdS bei Maly Trostinez. Von den rund 7000 in das Ghetto Minsk deportierten Juden haben nach gegenwдrtigem Kenntnisstand knapp 50 ьberlebt. Es handelt sich mehrheitlich um Mдnner der Jahrgдnge 1920 bis 1929, die in die Lager auf polnischem Boden verschleppt worden waren. Die Ьberlebenden verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Transporte:

Abgangsort des Transportes

Hamburg

Dьsseldorf

Frankfurt am Main

Berlin

Brьnn

Bremen/Hamburg Wien

Ьberlebende

10 (Mдnner)

4 (3 Mдnner, 1 Frau)

8 (6 Mдnner, 2 Frauen)

4 (3 Mдnner, 1 Frau)

13 (12 Mдnner, 1 Frau)

6 (Mдnner)

3 (1 Mann, 2 Frauen)

115 Vernehmung W. M., 8. 12. 1959, LHA Koblenz, Best. 584,1, Nr. 8474, Bl. 1396 ff.

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