
Mensch und Fahrzeug
.pdf
6.3 Emissionen und Umweltschutz |
195 |
6.3 Emissionen und Umweltschutz
Menschliche Aktivitäten belasten die Umwelt, verändern sie umso mehr, je mehr Menschen es gibt. Wir wissen nicht, wohin sich diese Einflüsse letztendlich addieren, ob die Veränderungen daraus günstig oder ungünstig für das Leben insgesamt oder die Menschheit im Besonderen sein werden. Weil wir das nicht wissen, neigen wir dazu, keine Änderung als wünschenswert anzunehmen. Dieser Wunsch ist berechtigt, aber naiv: nichts ist so sicher wie die fortwährende Änderung. Also ist es vernünftiger sich darauf zu konzentrieren, wie die Veränderungen sein werden, welche günstig und welche ungünstig für welche Lebenskreise sind, und wie wir Einfluss nehmen können. Eine Veränderung der Temperatur der Erdoberfläche muss nicht gleich eine „Klimakatastrophe“ sein, zu der sie von denen hochstilisiert wird, denen es gefällt Andere in Angst und Schrecken zu versetzen. Natürlich sind schon wenige Zehntel Grad von immenser Bedeutung. Aber die globale Durchschnittstemperatur war in den letzten 600 Millionen Jahren um +3 oder -5 °C anders, und der Meeresspiegel ist seit der letzten Eiszeit um 120 m gestiegen. Und das nicht sehr langsam, sondern mit dramatischen Durchbrüchen ins Mittelmeer und ins Schwarze Meer.
Verschiedene Bevölkerungsgruppen haben verschiedene Wünsche: die Bangladeschi werden sich keine Temperaturerhöhung wünschen, wenn infolge des damit verbundenen Anstiegs des Meeresspiegels ihr Land überflutet wird. Aber die Sibiriaken könnten sich höhere Temperaturen wünschen, wenn sie auch nicht absehen können, welche Folgen das Aufgehen des Permafrosts für sie und die Welt haben würde. Für einzelne Tierarten trifft das in noch viel größerem Maß zu. Wo ist der Richter in diesen Fragen? „Der Mensch ist sich im dunklen Drange des rechten Weges wohl bewusst“ meint Goethe. Wer macht aber aus dem dunkel Drang kodifiziertes Recht? Wir sind uns offenbar nicht darüber einig, wie viele Menschen auf der Erde leben sollen. Die einen betreiben massive Geburtenbeschränkung, die Anderen loben Gott für die Fruchtbarkeit, die er uns schenkt. Eine Kompromissformel könnte lauten: es sollen so viele Menschen leben, dass das Produkt aus Zahl und Lebensqualität maximal wird. Wie misst man Lebensqualität? Dafür gibt es zahlreiche Vorschläge, z. B. den Human Development Index (HDI) >6.1 . Er liegt für die Industriestaaten bei 0.95, für Entwicklungsländer bei 0.25, steht überall in engem Zusammenhang mit dem BIP pro Kopf [6.1]. Die Kompromissformel läuft auf ein möglichst großes globales BIP hinaus, was sicher von vielen als Ziel bestritten würde. Und kommt es nicht auf alles Leben an, nicht nur auf den Menschen? Und haben nicht alle Lebensarten das gleiche Recht auf Leben? Elefanten wie Ratten, Zaunkönige wie Amöben? Wir sparen diese letzten Fragen aus, weil sie zu weit führen, ins Beliebige. Dafür mäkeln wir an Details, die aber ohne das Große und Ganze eigentlich unerheblich sind.
– Und selbst wenn wir uns über die Ziele einig wären: wer hat die Macht sie durchzusetzen? Nehmen wir an, dass ein Konsens darüber bestünde, dass ein Temperaturanstieg vom steigenden CO2-Spiegel verursacht würde. Wie soll man die Bevölkerungsgruppen, die einen Temperaturanstieg wollen, dazu bringen ihn mit Kostenaufwand zu vermeiden? Durch Kriege? Durch Glaubenskriege, die die wahre Geißel der Menschheit sind? Es ist nicht so schwer, eine Bevölkerungsgruppe von einem Unsinn zu überzeugen. Das so genannte „Waldsterben“ ist ein modernes Beispiel. Obwohl in den letzten 50 Jahren in Mitteleuropa der Wald an Fläche und Bestand zugenommen haben, haben wir das Waldsterben beschlossen. Die entwaldeten Flächen des Schwarzwaldes, der Rhön und des Wienerwaldes waren nichts weiter als Angstschimären, die von verantwortungslosen Schamanen aufgebaute und von hilflosen Politikern exekutiert wurden. Der steigende CO2- und NO2-Pegel vergrößert offenbar die Biomasseproduktion. (Die Zunahme der letzten 20 Jahre wird auf 6 % geschätzt, also um einen Energiestrom

196 |
6 Wirtschaft, Verkehr, Umwelt |
von 12 Mrd. kW, so viel wie der anthropogene Verbrauch insgesamt.) Alle Meinungen von Bevölkerungsgruppen und auch nicht die der UNO dürfen je zur Gewaltanwendung führen.
Bild 6-16 Belastungsindikatoren A und EU15, UBA A, 1998, ISBN3-35457-413-4
Bild 6-17 Verkehrsemissionen in Deutschland und China
Die Belästigung durch Autoabgase in Ballungsräumen ist unbestritten, von jedem zweifelsfrei nachvollziehbar. An besonderen Stellen der Erde, wie im Becken von Los Angeles oder Denver, lösen sie massive Folgen aus. Aber auch in allen Innenstädten warnt uns die Nase vor

6.3 Emissionen und Umweltschutz |
197 |
Bestandteilen, nicht nur lästig sondern auch gefährlich sein können. Auffälligen Geruch haben Kohlenwasserstoffe, Schwefelund Stickstoffverbindungen. Polyzyklische Aromaten und lungengängige Stäube stehen im Verdacht, Krebs auslösen zu können. Die Entwicklung der Lebenserwartung und der Sterbefälle infolge Krebs der Atmungswege (Bild 5-8) können diesen Verdacht nicht bestätigen. Trotzdem haben seit etwa 1965 in aller Welt schärfer werdende Vorschriften eingesetzt, die den Ausstoß von unerwünschten Stoffen reduzieren. Global werden diese Bestandteile die nächsten 50 Jahre weiter zunehmen. Lokal sind die Konzentrationen bei den entwickelten Bevölkerungsgruppen im Fallen, Bild 6-7a und 6-7b. Die Bilder 6-18 und 6-19 zeigen die schärfer werdenden Vorschriften.
Bild 6-18 Emissionsgrenzwerte PKW-Diesel. H. Lukaschek: Ohne Rauch …, Auto&Wirtschaft, 3/2004
Bild 6-19 Grenzwerte für LKW über 7.5 t

198 |
6 Wirtschaft, Verkehr, Umwelt |
|
|
|
|
|
|
|
Bild 6-20 Partikelemission von PKW-Diesel nach P-News, 3/1999, S. 7.
Das Vordringen des Dieselmotors auch im PKW ruft gelegentlich Sorge über eine zunehmende Belastung durch lungengängigen Feinstaub hervor. Bild 6-21 nennt den Verbrauchsvorteil des PKW-Diesels und stellt ihn der Partikelemission gegenüber.
Bild 6-21 US-Abgasvorschriften (a.. nach 50000, b.. nach 100000 Meilen), MVM 23 (1997), S. 56.
In Bild 6-21 sind Maßnahmen zur Reduktion verschiedener Abgasbestandteile genannt. – Große LKW werden die EURO 5 Stufe wahrscheinlich durch Einspritzung von Harnsäure (32.5 Harnsäure + 67.5 % Wasser; 3.35 cm3/Liter Dieselkraftstoff) ins Abgas vor einem selektiv wirkenden Katalysator (SCR = selective catalytic Reaktion) mit einer Absenkung von 85 % des NOx und 40 % der Partikel des Rohabgases erreichen. In EURO 5 werden besonders auch

6.3 Emissionen und Umweltschutz |
199 |
die nicht stationären Betriebszustände erfasst: bei rascher Lasterhöhung führt die verzögerte Reaktion des Turboladers zu einem vorübergehenden Luftmangel, der sich in größerem Partikelausstoß äußert.
Umweltschutzmaßnahmen greifen nicht nur beim Abgas. 2002 waren 87 % der Abwässer in Österreich kaum bis mäßig verschmutzt, 3 % stark bis außerordentlich. 1968 war dieser Anteil noch 17 %, Bild 6-22. Der Höhepunkt der Belastung durch Bleistaub ist lange überschritten. Stellenweise findet sich eine höhere Cadmium-Konzentration, deren Herkunft nicht sicher zu erklären ist.
Bild 6-22 Gewässerqualität 1968 und 2002 in Österreich. öko-Projekt, Sonderausgabe 2003, BM f. Landund Forstwirtschaft.
Bild 6-23 Flächenbedarf
Links: Flächenbedarf abhängig vom BIP pro Kopf. – Rechts: Der Flächenbedarf für den „Lebensraum“ der Menschen nimmt zunächst mit ihrer Zahl zu. Infolge der rascher als die Bevölkerungszahl steigenden ha-Erträge ist aber ein Maximum der für die Ernährung erforderlichen Flächen abzusehen. Weiter steigen wird der Flächenbedarf für Wohnen und Arbeiten sowie für den Verkehr. Allerdings auf niederem Niveau, sodass die von Menschen direkt beanspruchte Fläche eher wieder kleiner wird. Nicht erfasst sind dabei Flächen, die aus anderen Gründen „denaturiert“ werden: trockengelegte Moore, Gartenanlagen, Golfplätze u. ä.

200 |
6 Wirtschaft, Verkehr, Umwelt |
Mein verehrter Lehrer Leo Kirste meint in seiner Inaugurationsrede 1947 (!) „Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die kommende Entwicklung zu einem Mittelding zwischen Schienenund Straßenfahrzeug führen könnte, was allerdings die Schaffung eines Übergangsgliedes zwischen Schiene und Straße zur Voraussetzung hätte.“ Dieses Übergangsglied ist gefunden: es ist die Datenverbindung zwischen benachbarten Fahrzeugen, die automatische Fahrzeugführung, die Zughacken und Puffer der Bahn ersetzt.
6.4 Flächenbedarf
Im Verlauf der Evolution ist der Flächenbedarf pro Kopf fortwährend gefallen. Vor 100 000 Jahren hat die damals neue biologische Art homo sapiens ein paar tausend ha pro Kopf zum Überleben gebraucht. Die Fressfeinde waren stärker, die Futterfeinde schneller, die Pflanzen, der Wald, mächtiger. Von den 50 Mrd ha der Erdoberfläche sind nur 15 Mrd ha festes Land. Davon wieder zwei Drittel zu heiß oder zu kalt, zu trocken oder zu nass. Bleiben 5 Mrd ha als „Lebensraum“, der mit den Konkurrenten geteilt werden musste. Solange Menschen in der aneignenden Wirtschaftsform gelebt haben, war ihre Zahl auf vielleicht 10 Millionen beschränkt. Auf 5 000 ha nutzbaren Landes kam nur ein Mensch unter einer Vielzahl anderer biologischer Arten, die wie er in der aneignenden Wirtschaftsform gelebt haben. Heute kann ein Mensch von durchschnittlich 0.25 ha Ackerland leben, Tendenz fallend, Bild 6-23. Es hat heute den Anschein als würde die Fläche für Wohnen, Arbeiten, Mobilität und Ackerland langfristig sich bei 10 % der Festlandfläche stabilisieren. Verkehrsflächen stellen nur einen kleinen Teil des Flächenbedarfs dar, Bild 6-24 und 6-25. Auf einen EU-Bürger kommen nur 10 m hochrangiger Straßen, 0.2 m Autobahn und 0.5 m Bahnstrecke. Das ist insgesamt etwa 1 % der Fläche. (Österreich hat z. B. 2 000 km Autobahn, 0.25 m pro Einwohner. Rechnet man durchschnittlich 20 m Breite und noch 50 % für Abund Auffahrten dazu, dann ergibt das eine Fläche von 60 km2, 0.07 % der Fläche Österreichs. In anderen Ländern der EU, z. B. in Deutschland, ist die Autobahnlänge je Kopf kleiner.)
Bild 6-24 Länge Straßenund Eisenbahnnetz
Globale Länge des hochrangigen Straßennetzes (gebundene Oberfläche) und des Eisenbahnnetzes abhängig von der Wirtschaftsleistung pro Kopf und Jahr, links, und hochgerechnet [6.1] vom Jahr, rechts.

6.4 Flächenbedarf |
201 |
Der Anteil des Flächenbedarfs für den Verkehr pro Kopf wird meist überschätzt. Er liegt für entwickelte Bevölkerungsgruppen bei einigen Zehntel Prozent der Fläche des betreffenden Landes >6.1 . Die rasche Entwicklung des Verkehrs, die noch dazu dauernd über den Prognosen lag, hat zu einer Verknappung des Verkehrsraums geführt, die wir bei anderen Gütern des täglichen Lebens nicht kennen. Die Marktwirtschaft ist eine Kundenmarkt: der Kunde ist es gewöhnt alles, was er haben möchte, im Überfluss vorzufinden. Nur so kann er auswählen, dabei die Qualität des Angebots verbessern und neuen Anbietern die Chance bieten, „auf den Markt“ zu kommen. Die Anbieter schaffen Arbeitsplätze, zahlen Steuern und werfen einen Gewinn ab, der dazu führt, dass alles im Überfluss angeboten wird. Im Verkehr ist das – abgesehen vom Flugverkehr – anders: der Staat betreibt eine Mangelwirtschaft, sorgt dafür, dass die Nachfrage größer als das Angebot bleibt. Warum er das tut, ist keine wirtschaftliche sondern eine ideologische Frage: Planwirtschaft wird der Marktwirtschaft vorgezogen, weil sie politischen Kräften erlaubt, den Bürger zu gängeln. Die ökonomischen und ökologischen Nachteile sind bekannt: mehrere Prozent des Produktionsvermögens gehen im Stau, im Umwegfahren und bei der Parkplatzsuche verloren. Es wird Kraftstoff verschwendet, vermeidbares Abgas und Geräusch erzeugt. Viele Arbeitsplätze könnten durch einen die Nachfrage deckenden Ausbau der Verkehrsflächen geschaffen werden. Auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleitung und Verkehrsleistung wurde schon hingewiesen.
Warum also weigert sich der Staat sinnvoll zuhandeln? Es sind politische Gruppierungen, die meinen, dass Mobilität schlecht sei. Sie argumentieren, dass es keinen Sinn mache, nicht am Arbeitsplatz zu wohnen und die Früchte der näheren Umgebung zu verzehren. Sie leugnen also den Sinn des Wettbewerbs. Das mag man als begründete Meinung akzeptieren, aber nicht als Diktat einer Minderheit. Die Bevölkerungsgruppen, die sich insgesamt einer Verkehrsfeindlichkeit verschrieben hatten (z. B. Albanien), sind zugrunde gegangen. Das mag man bedauern. Früher konnte man den Verkehrsverweigerern empfehlen, dorthin auszuwandern. Es hätte sie überraschen müssen, dass sich an der Grenze nicht die Einreisewilligen, sondern die Ausreisewilligen gestaut haben. Heute finden verkehrsfeindliche Gruppierungen keine entsprechende Gegenargumentation. Sie argumentieren gegen den Verkehr, meinen aber die negativen Auswirkungen, die es unbestritten gibt und die zu bekämpfen sind. Aber durch weniger Verkehr wird die Welt nicht besser sondern schlechter.
Eine Argumentationsrichtung der Bezirkskaiser ist: durch mein Gebiet darf niemand durchfahren, aber meine Bürger durch alle anderen Gebiete. Wünschenswert ist das, aber machbar nur durch Maßnahmen, die man nicht im gleichen Atemzug verneinen darf. Man muss nur dafür sorgen, dass das eigene Gebiet unbemerkt, das heißt meist: unterirdisch, durchfahren wird. Man muss nicht nur U-Bahnen bauen, sondern daneben auch U-Straßen. Wenn man heute eine moderne, lebende Stadt mit Wohnungen, Geschäften, Gasthäusern, Theatern usw. neu bauen würde, würde man wahrscheinlich den gesamten motorisierten Verkehr in eine untere Etage verlagern. Zuunterst die Bahnhöfe für durchgängige Linien. Dann den durchgehenden Autobahnverkehr (kürzer als jede Umfahrung, Anschlüsse an die Verkehrsknoten der Stadt). Darüber den Verteilerverkehr (Buslinien, Belieferung der Geschäfte, Müllabfuhr, Garagen) und dann erst die lebende Stadt mit dem Fußgängerverkehr, reizvollen Gebäuden und Ausblicken, auch motorisierten Verkehr für den Ausnahmefall (Paraden, Staatsbesuche, Hochzeitskutschen). Dieser Verkehr bliebe aber klein, denn die Höchstgeschwindigkeit wäre 30 km/h und die Parkplatzgebühren so hoch, dass es zu jeder Zeit freie Parkplätze gäbe.
Ich gebe zu, dass diese Beschreibung utopisch ist. Es bedarf aber einer Utopie, wenn man wissen will, wohin man endlich kommen will. Sicher war es für die Motorisierung der Massen von Vorteil, dass jeder einen kostenlosen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung und (einen

202 |
6 Wirtschaft, Verkehr, Umwelt |
zweiten) in der Nähe seines Arbeitsplatzes haben konnte. Aber es musste doch jedem vernünftig Denkenden klar sein, dass die dafür notwendigen Aufwendungen nicht auf die Allgemeinheit umverteilt werden können. Die wahlstrategische Positionierung der politischen Parteien kann kaum einen Ausweg aus der verfahrenen Entwicklung finden. Aber die Notwendigkeit einer Lösung wird immer dringlicher, denn die Städte sterben aus, wenn erst einmal niemand mehr in ihnen Einkaufen will, in ihnen Wohnen will, in ihnen Ausgehen will.
Daher muss nach dem Konsens auf die zukünftige Utopie auch der Weg dahin gefunden werden. Der Staat muss sich zunächst aus seiner Rolle des Leviathans begeben, des sterblichen Gottes, der den Menschen die Wohltaten verteilt. Er muss seinen Bürgern klar machen, dass er ihnen nur weniger davon zurückgeben kann, was er ihnen zuvor genommen hat. (Die Notwendigkeit der Umverteilung nach sozialen Gesichtspunkten darf zu keiner Zeit und an keiner Stelle geleugnet werden. Sie darf nur nicht grundsätzlich alle Lösungen versperren.) Das ist eine harte Entscheidung, denn es ist natürlich einfacher, den Wenigen etwas zu nehmen und den Vielen zu geben (weil diese die Stimmenmehrheit haben), wie als ehrlicher Makler zu leben. Hier beginnt die Ethik in der Politik, zu deren Diskussion wir nicht kommen, weil wir diese Diskussion in der Wirtschaft noch nicht zu Ende gebracht haben. Wahrscheinlich ist dieser Anspruch realpolitisch nicht umzusetzen. Aber auch hier sollte das utopische Ziel die Richtung weisen.
6.5 Minutenmaut, Marktwirtschaft im Verkehr
Der Ausbau der Straßen ist ein gutes Geschäft für den Betreiber. Ideologische Verklemmung führt dazu, dass sich die meisten Politiker zwar nicht getrauen gegen die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu sprechen, aber sie indirekt doch dadurch behindern, dass sie den Verkehrsraum verweigern. Nur zu knapper Verkehrsraum könne die unerwünschte Zunahme des Verkehrs verhindern, ist ihr falsches Argument. Warum sollten die Bürger nicht das Recht der Straßenbenutzung haben, wenn sie für die Kosten voll aufkommen? An dieser Stelle folgt dann die Zurechnung der angeblichen Kosten für die Emission von Schadstoffen, CO2 und Lärm, die man aber den konkurrierenden Verkehrsträgern oder anderen Emittenten nicht anrechnet.
Oft wird behauptet, es gäbe keinen Platz für Straßen. Das trifft in keinem Fall zu. Ebenso gut wie U-Bahnen kann man auch U-Straßen bauen. Die im Stau verlorenen Kosten reichen für einen hoch qualifizierten Ausbau der Straßen ohne Stau und minimaler Belästigung anderer. (Jeder Deutsche steht angeblich 60 Stunden pro Jahr im Stau. Dabei werden 8.8 Mio t Kraftstoff (97 Mrd kWh) sinnlos verbrannt. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf 100 Mrd € pro Jahr geschätzt.1 Für dieses Geld könnte man Fahrund Parkraum schaffen, den Schaden vermeiden, Arbeitsplätze schaffen. Ideologische Verklemmung ist der einzige Grund, das nicht zu tun. Städte und Staaten müssen sich endlich dazu durchringen, Straßen als Wirtschaftsfaktor gelten zu lassen. Wenn sie das nicht können (was leider zu vermuten ist), dann sollen sie die Aufgabe an private Unternehmen abgeben. Eine flächendeckende Maut kann zu einer gerechten Zuordnung der Kosten führen. Die Maut beginnt sich auf Autobahnen durchzusetzen. Das ist wieder das verkehrte Ende der richtigen Entwicklung: man verdrängt den Verkehr vom sichersten und effizientesten Verkehrsweg. Am wichtigsten ist die Maut in der Stadt, am unwichtigsten auf der Autobahn. Inkasso und Kontrolle können einfach durchgeführt werden, wenn man sich dazu durchringt zuzugeben, dass jede Minute Straßenbenutzung ein bestimmtes
1 nach p:news, Volkswagen AG political news.

6.5 Minutenmaut, Marktwirtschaft im Verkehr |
203 |
Entgelt kostet, z. B. 0.05 € pro Tonne Fahrzeuggewicht und Minute für den fließenden und 0.02 € pro Tonne und Minute für den ruhenden Verkehr. Die Abbuchung im Auto wird optisch und funktechnisch nach außen gemeldet und kann automatisch kontrolliert werden. Damit die Kontrollstellen in einem grobmaschigen Netz liegen, kann die minimale Fahrzeit ½ Stunde betragen: 1.5 € kostet dann die Inbetriebnahme eines PKWs. Allerdings wird dann ½ Stunde nichts mehr abgebucht. (Eine auch ökologisch sinnvolle Maßnahme, welche die Konkurrenzfähigkeit des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) stärkt.)
Das häufigste Argument gegen die „Minutenmaut“ ist, dass sie zum Schnellfahren animiere. Es trifft deshalb nicht, weil mit der Geschwindigkeit der Verbrauch zunimmt, der auch wieder abgabenbelastet ist. Die minimale Abgabenlast ergibt sich für Geschwindigkeiten, die unterhalb der normalen liegen. Außerdem bewertet jeder Fahrer „seine Zeit“ höher als die Minutenmaut und für Zeiten im Geschäftsverkehr trifft das noch viel mehr zu.
Die Lösung des Verkehrsproblems ist eine wirtschaftlich sinnvolle Aufgabe, die neben ihrem wirtschaftlichen Effekt viele neue Arbeitsplätze schaffen wird. Leute, die behaupten, dass mehr Straßen mehr Verkehr erzeugen, gehen davon aus, dass Verkehr etwas Unerwünschtes ist, das man am Besten ganz unterdrücken soll. Sie vergessen, dass Verkehr und Wirtschaftsleistung eng zusammenhängen. Eigentlich behaupten sie, dass auch Wirtschaften schlecht sei. Und das ist eine lebensfeindliche Einstellung. Menschen wollen nicht nur Wohlstand für sich, für den Wirtschaften die Voraussetzung ist. Der Wohlstand versetzt sie auch in die Lage, anderen zu helfen. Aber auch ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkung ist es lebensfeindlich, den Verkehr verringern zu wollen: Mobilität ist eine Grundvoraussetzung des Lebens. So sehr, dass wir den Entzug von Mobilität als Strafe Verordnen (Einsperren).
Verkehrsplaner in aller Welt versuchen, die Entwicklung des Personenund Güterverkehr ordnungspolitisch zu lösen. Das führt zur geplanten Behinderung eines notwendigen Prozesses: Wirtschaft und Verkehr wachsen gemeinsam oder gar nicht. Behinderung des Verkehrs bedeutet Behinderung des Wirtschaftswachstums.
Ordnungspolitische Maßnahmen führen letzten Endes zur Drosselung: wenn man weniger Verkehr haben will, muss man in der Ordnungspolitik den Verkehrsraum reduzieren. Das geschieht überall und führt neben der Behinderung des notwendigen Wirtschaftswachstums zu vermeidbaren ökonomischen und ökologischen Schäden (verlorene Zeit, vergeudeter Kraftstoff, sinnlose Emissionen). Wie überall liegt die Lösung in der marktwirtschaftlichen Regelung: wer Verkehrsraum gebraucht, muss dafür zahlen. Wird mehr Verkehrsraum gebraucht, kommt mehr Geld herein, und man kann zusätzliche Verkehrswege bauen. Die Fahrer erwarten wie jeder Kunde, dass das erwünschte Gut (hier der Verkehrsraum zum Fahren und Parken) jederzeit zur Verfügung steht. Die Signalisierung freien Parkraums oder verstopfter Straßen ist ein Armutszeugnis der Verkehrsplanung. Die gängige Ausrede, dass für die erforderliche Infrastruktur kein Platz vorhanden sei, trifft nicht zu: in der dritten Dimension ist immer Platz vorhanden. Natürlich ist es schöner durch die Landschaft statt in einem Tunnel zu fahren, natürlich ist die Garage zur ebenen Erde bequemer als die Tiefgarage. Aber überall da, wo sich eine hohe Verkehrsdichte ergibt, bleibt nur dieser Ausweg. Als Maß für die Lösung des Durchgangsverkehrs in einer Stadt bietet sich die Zahl „m Tunnel je Einwohner“ an.
Noch im 19. Jahrhundert war der Verkehr durch häufige Zollund Mautstationen behindert. Zollvereine haben damals einen wirtschaftlichen Vorteil gebracht. Leider ist damit auch der Zusammenhang von in Anspruch genommener Leistung und Entgelt dafür verloren gegangen. Dieser Nachteil ist aber durch moderne Technik vermeidbar: Mautsysteme können ihn beheben, Bild 6-26. Leider fängt die Lösung des Problems am falschen Ende an: der Verkehr soll

204 |
6 Wirtschaft, Verkehr, Umwelt |
nicht in erster Linie für das Fahren auf der sicheren und wirtschaftlichen Autobahn zahlen, sondern da, wo der Verkehrsraum am knappsten ist: in der Stadt. Die deutsche Lösung für das Zollproblem ist noch dazu unnötig kompliziert. Es braucht kein GPS (Global Positionung System) und kein GSM (Global System für Mobile Communication), wenn das Entgelt für die Benützung einer Fahrbahn angehoben werden soll. Nur wenn man zugleich dokumentieren will, wer wann wo wie gefahren ist, bedarf es diese Aufwandes. Wohin der steigen wird, kann man sich ausmalen, wenn man annimmt, dass irgendwann nicht nur LKW mit mehr als 12 t, sondern alle KRAD, PKW und LKW auf allen Fahrtrouten in das Mautsystem eingebunden werden.
Die Tragikkomödie beginnt in Brüssel: dort erkennt man, dass Mautsysteme, welche die Fixkosten erhöhen, ungeeignet sind. Dazu zählen die beliebten Autobahnvignetten, die von Wenigfahrern das gleiche Entgelt wie von Vielfahrern nehmen. time related ist out, distance related in. Bei dieser Überlegung ist außer acht geblieben, dass „short time related costs“ durchaus sinnvoll sind. Eine Maut, die minutengenau die Inanspruchnahme von Verkehrsflächen erfasst (Minutenmaut), ist keineswegs abwegig. Der Verkehr fließt (sofern es keinen Stau gibt) mit typischen Geschwindigkeiten dahin: mehr und mehr nahe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Minutenmaut bedeutet, dass der gefahrene Kilometer der gefahrenen Geschwindigkeit verkehrt proportional ist. Der Autobahnkilometer ist billiger als die gleiche Strecke in der Innenstadt. Bei hochbelasteter Straße sinkt die Fahrgeschwindigkeit, der gefahrene Kilometer wird teurer, was durchaus sinnvoll ist (congestion charging). Der Aufwand für ein toll collectSystem (Bild 6-25) ist völlig sinnlos. Weit sinnvoller ist es, für jede Minute, die das Fahrzeug im Verkehr ist, ein Entgelt zu erheben.
Bild 6-25 LKW-Mauterhebung in Deutschland.
Ab 01.01. 2005: Das sinnlos komplizierte und teure Konzept hat zu jahrelangen Verzögerungen geführt.
Dem Bürger ist es schon aufgefallen, dass die teurere Garage unbequemer als der billigere Parkplatz am Straßenrand ist. Deshalb stehen die teuren Garagen leer und die Bürger verstopfen auf Parkplatzsuche die Straßen. Also muss das ordnungspolitisch umgedreht werden: die