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каминер ich mach mir sorgen,mama.pdf
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Salsa für meinen Vater

»Wann gehen wir endlich wieder zu Oma und Opa?«, drängten uns die Kinder.

»Heute bestimmt nicht, vielleicht am Wochenende«, antworteten wir. »Und überhaupt, warum wollt ihr plötzlich zu Oma und Opa, was haben sie euch für ein Kulturprogramm anzubieten?«

»Opa hatte letztes Mal gesagt, er will mit uns eine Mausefalle im Badezimmer bauen. Das letzte Mal haben wir eine in Omas Schlafzimmer gebaut, eine riesengroße, und Oma hat sie weggeschmissen. Dann hat Opa geschrien.« Nicole rollte mit den Augen und rief mit Opas Stimme: »Verdammte Scheiße! Wo hast du, verdammte Scheiße, meine Mausefalle versteckt?«

»Das kann doch nicht wahr sein!«, stöhnte meine Frau.

»Doch, doch«, meinte Nicole. »Und Oma sagt dann immer zu ihm: ›Viktor, wie kannst du so mit mir reden?‹ Außerdem hat Opa mit Sebastian Werbung geguckt, wie ein Mann aus einer grünen Flasche trinkt und dann umfällt. Und danach hat Opa Sebastian das Rülpsen beigebracht. Er hat immer gesagt: ›Guck mal, Sebastian!‹, und hat ganz laut gerülpst.«

»Also, ich glaube euch kein Wort«, verteidigte ich meinen Vater.

»Ich schon«, bemerkte meine Frau dazu. »So wie ich deinen Vater kenne … An deiner Stelle würde ich sofort zu ihm gehen und das klären.«

Aber das Wetter war zu schön, und ich hatte überhaupt keine Lust auf Erziehungsgespräche mit meinem Vater. An einem dunklen Winterabend, mit einem Glas Whiskey und einer Zigarre vor dem Kamin tun sie den Beteiligten vielleicht gut, aber nicht, wenn die Sonne scheint.

»Respektiere bitte sein Alter«, entgegnete ich.

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»Mein Vater ist immerhin schon siebzig!«

»Ich habe durchaus Respekt vor dem Alter, er aber offensichtlich nicht«, meinte meine Frau. »Wie kann er sich in Anwesenheit der Kinder so verhalten! Ich habe den Kindern das Fernsehen für Erwachsene verboten. Und was soll das mit dem Rülpsen? Diese Art Bildung können wir nicht gebrauchen! Du musst mit ihm einfach darüber reden.«

Also rief ich meinen Vater an und verabredete mich mit ihm zu einem ernsthaften Gespräch.

Wir trafen uns in seiner Küche.

»Hallo«, sagte ich, »wie geht’s denn so?«

»Alles Scheiße«, sagte er. »Früher wusste ich, wofür es sich zu leben lohnt – Sex, Sport, Sauna. Alles, was Spaß macht, darf ich jetzt nur noch einmal die Woche und nur auf Verschreibung des Arztes. Einmal Sex, einmal Sport, einmal Saufen. Ich meine Sauna. Das bringt alles nichts. Wahrscheinlich werde ich trotzdem sterben. Willst du Tee? Wo sind nur die Tassen, verdammte Scheiße?« Mein Vater lief in der Küche hin und her.

»Es gibt doch andere Sachen, die Spaß machen, Papa. Kultur zum Beispiel, ins Theater gehen oder Bücher lesen …«, sagte ich.

»Genau«, meinte mein Vater. »Ich bin stolz auf dich, mein Junge, dass du so verdammt kulturell bist. Kultur ist eine tolle Sache. Habe ich dir beigebracht. Kennst du die Kulturbrauerei? Ich habe mich dort für einen Salsa-Kurs eingeschrieben. Da kommen manchmal Frauen mit solchen Möpsen, das glaubst du nicht. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei … Kannst du mir SalsaMusik auf Kassette überspielen? Damit ich auch zu Hause üben kann?«

»Mache ich, versprochen. Du musst mir aber auch was versprechen«, sagte ich. »Wenn du zum Beispiel mit kleinen Kindern spielst …«

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»Schon verstanden«, nickte mein Vater. Er suchte immer noch nach den Teetassen. »Liebling, könntest du mir bitte helfen, die Teetassen zu finden«, rief er meiner Mutter im Zimmer nebenan zu.

»Aber natürlich, Viktor, sie sind wie immer neben dem Fernseher, wo du sie hingestellt hast.«

Wir tranken zusammen Tee und aßen Kuchen. Zu Hause suchte ich nach Salsa für meinen Vater.

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Das Leben ist ein dunkler Park

Einmal wurde ich von einer Gruppe Gymnasiasten nach Pankow zu einer Lesung eingeladen. Die Veranstaltung sollte Geld für ihren Abi-Ball abwerfen, wobei sie mich als prominenten Köder benutzten. Tatsächlich kamen dann auch viele zahlende Gäste. Sie hörten eine gute Stunde einem Gymnasiasten-Streichquartett zu und dann meinen Geschichten. Dazu tranken sie Glühwein. Anschließend wollten sie alles signiert bekommen, was sie gerade in der Tasche hatten: Servietten, Aufkleber, Schulhefte, Zigarettenschachteln und sogar alte Stromrechnungen hielten sie mir vor die Nase.

Ein sympathischer junger Mann bat mich, seinen bereits bewilligten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu signieren – in Erinnerung an unsere Begegnung. Ich setzte meinen Wladimir darunter und las mit einem Auge das Dokument durch. Interessant, wie man sich heute vor dem Wehrdienst drückt, dachte ich. Früher, hatten mir meine deutschen Freunde erzählt, musste man als überzeugter Christ auftreten, am besten barfuß und mit der Bibel in der Hand: »Es tut mir Leid, aber mein Glaube erlaubt es mir nicht, auch nur die kleinste Waffe in die Hand zu nehmen. Sonst alles, aber das eben nicht.« Und selbst dann wurde man nicht gleich in Ruhe gelassen, sondern von einem ganzen Gremium misstrauischer Erwachsener mit ausgeklügelten Fangfragen konfrontiert:

»Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch einen dunklen Park, und plötzlich sehen Sie, wie Ihre Mutter beziehungsweise Oma, Tante, Schwester überfallen wird. Was würden Sie tun?«

Ich würde für sie beten!, wäre wahrscheinlich die richtige Antwort gewesen. Doch nicht jeder konnte so etwas über die Lippen bringen – und schon landete er bei der Armee.

Inzwischen kann es hier jeder Atheist locker schaffen, den

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Wehrdienst zu verweigern, es reicht schon, sich als Lusche zu inszenieren. Die Verbände der Kriegsdienstverweigerer empfehlen heute zum Beispiel folgende Argumentation: »Gewalt war nie ein Bestandteil meiner Erziehung. Schon als Kind habe ich es immer vermieden, an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Nachdem ich solche Filme wie Full Metal Jacket, Apocalypse Now und Der Soldat James Ryan gesehen habe, wurde mir klar, dass ich unter keinen Umständen anderen Menschen mit Gewalt gegenübertreten kann. Außerdem würde ich niemals nachts mit einer meiner weiblichen Verwandten in einen schlecht beleuchteten Park gehen.«

Bei uns in der Sowjetunion hatte man als Christ oder Lusche keine Chance, den Wehrdienst zu verweigern. Nur als Psychopath. Der Wehrpflichtige wurde auch hier stets mit einem dunklen Park konfrontiert, musste dabei aber klare Gewaltbereitschaft ausstrahlen. Und sich dabei möglichst lässig mit einem leichten Grinsen an die Wehrkommission wenden:

»Es war schon immer mein Traum, ein richtiger Soldat zu sein, mit einer richtigen Knarre. Nun möchte ich gern das Maschinengewehr gleich am ersten Tag bekommen, am besten mit drei zusätzlichen Magazinen.«

Wenn man es noch schaffen konnte, mehr oder weniger glaubwürdig über seine enge Beziehung zu Handgranaten zu plaudern, bekam man eine Überweisung zum Psychiater und zwei Wochen stationäre Untersuchung zwischen richtigen Patienten und mit echten Tabletten. Danach war man für den Rest seines Lebens von imaginären Spaziergängen in dunklen Parkanlagen befreit. Seine vermeidliche Aggressivität durfte man dann für immer an den Nagel hängen.

Ich habe diese Chance damals nicht genutzt, weil ich wahrscheinlich Angst vor der eigenen Aggressivität hatte. Sie wurde mit den Jahren nicht geringer. Auch Filme wie Full Metal Jacket konnten mir nicht helfen. Ebenso wenig Rambo, Top Gun, Pearl Harbor, Manhattan Love Story und Nackte Kanone, obwohl der

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letzte eigentlich ganz in Ordnung war. Ich konnte inzwischen keine amerikanischen Kriegsfilme mehr sehen. Man wurde schon vom Anblick des Filmplakats aggressiv. Jeder Kinobesuch war für mich zu einer Herausforderung geworden. Allein schon dieser AOL-Werbeträger vorab:

»Also Leute, der Film fängt an, jetzt anfangen zu fummeln und die Handys ausmachen. Ist das dein Handy? Ich mach dich platt!«

Das machte mich rasend! Ich versuchte, diese unangenehmen Gefühle zu unterdrücken, indem ich die Augen schloss und mir vorstellte, ich würde durch einen dunklen Park gehen. Und mir käme der AOL-Werbeträger entgegen …

Also Leute: Das ganze Leben ist ein dunkler Park. Dort auf den Bäumen sitzen Mütter, Großmütter und Geschwister, die es nicht rechtzeitig geschafft haben, vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Sie warten, bis es wieder hell wird. Mindestens ein Christ, eine Lusche und ein Psychopath sind dort immer unterwegs. Das Böse lauert hinter jedem Busch.

»Ist das dein Handy?«

»Ja, das ist mein Handy, du Pisser!«

Sie schleichen immer weiter durch den Park. Es ist kalt, es ist dunkel, sie haben sich ein wenig verlaufen, sie haben ein wenig Angst, geben es aber niemals zu.

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