Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Drei Kameraden

.pdf
Скачиваний:
1757
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
1.89 Mб
Скачать

Haar.

»Über das einzige, worüber ich noch nachdenken kann – über Leben und Sterben. Wenn ich dann traurig bin und nichts mehr verstehe, sage ich mir, daß es besser ist, zu sterben, wenn man noch leben möchte, als zu sterben und man möchte auch sterben. Was meinst du?«

»Ich weiß nicht.«

»Doch.« Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Wenn man noch leben möchte, dann ist etwas da, was man liebt. Es ist schwerer, aber auch leichter. Sieh, sterben hätte ich doch müssen, und nun bin ich dankbar, daß ich dich hatte. Ich hätte ja auch allein und unglücklich sein können. Dann wäre ich gern gestorben. Jetzt ist es schwer; aber dafür bin ich auch ganz voll Liebe, wie eine Biene voll Honig, wenn sie abends in den Stock zurückkommt. Wenn ich wählen sollte

– ich würde zwischen beiden immer wieder dasselbe wählen.«

Sie sah mich an. »Pat«, sagte ich, »es gibt noch ein Drittes

– wenn der Föhn aufhört, dann wird es dir besser gehen, und wir werden hier fortfahren.«

Sie blickte mich weiter prüfend an. »Um dich habe ich Angst, Robby. Für dich ist es viel schwerer als für mich.«

»Wir wollen nicht mehr darüber sprechen«, sagte ich.

»Ich habe es nur gesagt, damit du nicht denkst, ich sei traurig«, erwiderte sie.

»Ich glaube auch nicht, daß du traurig bist.«

Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Willst du nicht dir Zigeuner wieder spielen lassen?«

»Willst du sie hören?« »Ja, Liebling.«

-561-

Ich stellte den Apparat wieder an, und leise, dann immer voller klang die Geige mit den Flöten und den gedämpften Arpeggien der Cimbals durch das Zimmer.

»Schön«, sagte Pat. »Wie ein Wind. Ein Wind, der einen wegträgt.«

Es war ein Abendkonzert aus einem Gartenrestaurant in Budapest. Das Gespräch der Gäste war manchmal durch das Raunen der Musik zu vernehmen, und ab und zu hörte man einen hellen, fröhlichen Ruf. Man konnte denken, daß jetzt auf der Margaretheninsel die Kastanien schon das erste Laub hatten und daß es blaß im Monde schimmerte und sich bewegte, als würde es durch den Geigenwind angeweht. Vielleicht war es auch schon ein warmer Abend, und die Leute saßen im Freien und hatten Gläser mit dem gelben ungarischen Wein vor sich stehen, die Kellner liefen in ihren weißen Jacken hin und her, die Zigeuner spielten, nachher ging man durch die grüne Frühjahrsdämmerung müde nach Hause, und da lag Pat und lächelte und würde nie wieder aus diesem Zimmer herauskommen, nie wieder aus diesem Bette aufstehen.

Dann, plötzlich, ging alles sehr schnell. Das Fleisch ihres Gesichtes schmolz. Die Backenknochen traten hervor, und an den Schläfen kam die Stirn durch. Die Arme waren dünn wie Kinderarme, die Rippen spannten sich unter der Haut, und das Fieber raste in immer neuen Stößen durch den schmalen Körper. Die Schwester brachte Sauerstoffballons, und der Arzt kam jede Stunde.

Eines Nachmittags sank das Fieber unerklärlicherweise rasch. Pat wachte auf und sah mich lange an. »Gib mir einen Spiegel«, flüsterte sie dann.

-562-

»Wozu willst du einen Spiegel?« sagte ich. »Ruh dich aus, Pat. Ich glaube, du bist jetzt durch. Du hast kein Fieber mehr.«

»Nein«, flüsterte sie mit ihrer zerborstenen, verbrannten Stimme, »gib mir den Spiegel.«

Ich ging um das Bett herum, nahm den Spiegel und ließ ihn fallen. Er zersprang. »Entschuldige«, sagte ich. »So was ungeschicktes. Fällt mir einfach aus der Hand und ist auch gleich in tausend Scherben.«

»In meiner Tasche ist noch einer, Robby.«

Es war ein kleiner Spiegel aus verchromtem Nickel. Ich wischte mit der Hand darüber, damit er etwas erblindete, und gab ihn Pat. Sie rieb ihn mühsam sauber und sah angestrengt hinein. »Du mußt abreisen, Liebling«, flüsterte sie dann.

»Warum denn? Magst du mich nicht mehr?«

»Du sollst mich nicht mehr sehen. Das bin ich nicht mehr.«

Ich nahm ihr den Spiegel ab. »Diese Metalldinger taugen nichts, Pat. Sieh nur, wie ich darin ausschaue. Blaß und mager. Dabei bin ich doch braun und kräftig. Ganz wellig ist das Ding.«

»Du sollst eine andere Erinnerung an mich behalten«, flüsterte sie. »Fahr weg, Liebling. Ich werde schon allein damit fertig.«

Ich beruhigte sie. Sie verlangte den Spiegel wieder und ihre Tasche. Dann begann sie sich zu pudern, das arme, abgezehrte Gesicht, die zerrissenen Lippen, die schweren, braunen Höhlen unter den Augen. »Nur etwas, Liebling«, sagte sie und versuchte zu lächeln, »du sollst mich nicht

-563-

häßlich sehen.«

»Du kannst machen, was du willst«, sagte ich, »du wirst nie häßlich sein. Für mich bist du die schönste Frau, die ich je gesehen habe.«

Ich nahm den Spiegel und die Puderdose fort und legte meine Hände vorsichtig um ihren Kopf. Nach einiger Zeit wurde sie unruhig.

»Was ist, Pat?« fragte ich.

»Es tickt so laut«, flüsterte sie. »Was? Die Uhr?«

Sie nickte. »Es dröhnt so...«

Ich machte die Uhr von meinem Handgelenk los.

Sie blickte angstvoll auf den Sekundenzeiger. »Tu sie weg...«

Ich nahm die Uhr und warf sie gegen die Wand. »So, jetzt tickt sie nicht mehr. Jetzt steht die Zeit still. Wir haben sie mitten durchgerissen. Nur wir beide sind noch da, nur wir beide, du und ich, und niemand sonst.«

Sie sah mich an. Ihre Augen waren sehr groß. »Liebling...« flüsterte sie.

Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Er kam weit her und ging durch mich hindurch, irgendwohin. »Alter Bursche«, murmelte ich, »mein geliebter, tapferer, alter Bursche.«

Sie starb in der letzten Stunde der Nacht, bevor es Morgen wurde. Sie starb schwer und qualvoll, und niemand konnte ihr helfen. Sie hielt meine Hand fest, aber sie wußte nicht mehr, daß ich bei ihr war. Irgendwann sagte jemand: »Sie ist tot...«

»Nein«, erwiderte ich, »sie ist noch nicht tot. Sie hält

-564-

meine Hand noch fest...«

Licht. Unerträgliches, grelles Licht. Menschen. Der Arzt. Ich öffnete langsam meine Hand. Pats Hand fiel herunter. Blut. Ein verzerrtes, ersticktes Gesicht. Qualvolle, starre Augen. Braunes, seidiges Haar.

»Pat«, sagte ich. »Pat!«

Und zum ersten Male antwortete sie mir nicht.

»Möchte allein sein«, sagte ich.

»Soll nicht erst...« fragte jemand. »Nein«, sagte ich. »'rausgehen. Nicht anfassen.« Ich habe ihr dann das Blut abgewaschen. Ich war aus Holz. Ich habe ihr das Haar gekämmt. Sie wurde kalt. Ich habe sie in mein Bett gelegt und die Decken über sie gedeckt. Ich habe bei ihr gesessen, und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl gesessen und sie angestarrt. Der Hund kam herein und setzte sich zu mir. Ich habe gesehen, wie ihr Gesicht anders wurde. Ich konnte nichts tun, als leer dasitzen und sie ansehen. Dann kam der Morgen, und sie war es nicht mehr.

-565-

Nachwort

»Nur zu kurz. Viel zu kurz.«1

I. Love Story

Im Zentrum von Drei Kameraden steht »eine der ergreifendsten Liebesgeschichten, die in unserer Zeit erzählt wurden«. So urteilt J. Donald Adams am 2. Mai 1937 in der New York Times Book Review2, kurz nach Erscheinen der Buchausgabe in den USA.3 Er vergleicht die Liebesgeschichte von Robby und Pat mit der Liebesgeschichte in Hemingways Farewell to Arms (1929; deutsch: In einem anderen Land) und kommt zum Ergebnis, daß Remarques Darstellung »mehr als nur ein wenig besser« sei. Remarque zeige »mehr Mitgefühl und das umfassendere Verstehen der Liebe«. Er lobt die »feinfühlige und sichere Zeichnung« insbesondere der beiden Hauptfiguren und sieht hierin einen deutlichen »Fortschritt in der schöpferischen Kraft« des Autors gegenüber den vorausgehenden Romanen

Im Westen nichts Neues (1929) und Der Weg zurück (1931). Harley U. Taylor kommt zu einer vergleichbaren Wertung noch 1989 in seiner Gesamtdarstellung der Werke von und der Filme nach Remarque: »Es ist die beste Liebesgeschichte, die Remarque je geschrieben hat.« Er fährt fort: »Es gibt andere ergreifend dargestellte Liebesgeschichten in seinen Romanen, aber keine, die eine in gleicher Weise überzeugende Intensität und Authentizität ausstrahlt«.4

-566-

Die Leserinnen mögen entscheiden, ob diese Einschätzung zutrifft.

Unzweifelhaft ist die Liebesgeschichte dominant gegenüber den vielfältigen anderen Themen des Romans (u. a. »Verlorene Generation«, Kameradschaft, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not, drohende politische Entwicklungen zum Nazismus, Berliner Arme-Leute-Milieu, Leben in der Kleinbürger-Pension Zalewski, Bars und Kneipen, das Café International mit den »sympathischen« Liebesdienerinnen, der Oldtimer-Rennwagen Karl, elegante Autos, alter Rum und andere hochgepriesene Alkoholika, nicht zu vergessen sensibles bis schwärmerisches Naturgefühl, Naturfrieden und -schönheit).

Diese Liebesgeschichte öffnet den Blick auf Remarques Raisonieren über den »Sinn des Lebens« und die Möglichkeiten des Überlebens in einer so geschaffenen Welt und Gesellschaft, in der die gleich zu Beginn des Romans genannte Maxime gilt: »Und halten kann man nichts –« (S. 21). Robby und Pat sind sich schnell einig:

Wenn wir die Welt machen würden, würde sie besser aussehen, was? (S. 376)

Es ist die Verzweiflung des Sterbenmüssens, des Nichthaltenkönnens, der Vergänglichkeit jeglichen Glücksgefühls, das, plötzlich geschenkt oder schwer errungen, sobald wieder vergeht. Es ist das in allen Büchern Remarques präsente Thema der Schwermut und Melancholie, des Ausgeliefertseins an eine letztlich nicht begreifbare, aber dennoch bewußt erlebte Existenz in der Welt »eines irren Gottes, der das Leben und Sterben erfunden hat, um sich zu unterhalten«, wie es an einer anderen Stelle von Drei Kameraden heißt (S. 361). Dies ist

-567-

ein altes Thema in unserer Literatur für alle, denen ein angeblich göttlicher Schöpfungsplan nicht einleuchtet, wie es z. B. auch Shakespeare in seinem King Lear durch die Figur des geblendeten Gloucester zum Ausdruck bringt: »Wir sind für die Götter wie Fliegen für mutwillige Knaben: sie töten uns zu ihrem Vergnügen.«5

Seinen letzten Roman Schatten im Paradies (1971, nach Remarques Tod, publiziert) beendet der Autor mit den tiefresignativen, aber in dieser Resignation fast schon wieder tröstlichen Sätzen:

Alles, was übrigblieb, war manchmal ein Abend voll Schwermut, die Schwermut, die jeder Mensch fühlt, weil alles vergeht und er das einzige Tier ist, das es weiß und das ebenso weiß, daß das ein Trost ist, obschon es ihn nicht versteht.6 Für Robby und Pat in ihrer großen Liebe ist das Ganze »so schlecht gemacht, daß es nicht zu Ende sein kann«. (S. 376) Aber es geht zu Ende, und weil es zu Ende geht, bleibt nur die vorübergehende Teilnahme an kostbaren Einzelheiten des unverstandenen und somit sinnlos erscheinenden Ganzen.

Als Pat auf den »Busch gelber Rosen neben ihrem Bett« verweist und fragt, ob denn »das auch schlecht gemacht« sei, erwidert Robby:

Das ist es ja gerade... Die Einzelheiten sind wunderbar, aber das Ganze hat keinen Sinn. Als wenn es von einem gemacht ist, dem auf die wunderbare Vielfalt des Lebens nichts anderes eingefallen ist, als es wieder zu vernichten. (S. 376) Pat antwortet: »Und es wieder neu zu machen.« Robby, in seinem Schmerz, kann das Argument vom Werden und Vergehen nicht akzeptieren, darin kann er »den Sinn nicht« erkennen: »Besser ist es dadurch bis heute nicht geworden.«

-568-

Pats Widerspruch beendet diesen Dialog: Doch Liebling...

mit uns, das hat er schon gut gemacht. Besser ging's gar nicht. Nur zu kurz. Viel zu kurz. (S. 376) Pat akzeptiert das Wunderbare der »Einzelheiten« und ihre zeitliche Begrenzung. Der unausweichliche Tod läßt sie Trost finden in dem Gefühl des Geschenks der großen Liebe. Bei Robby, der überlebt, der überleben muß, bleibt die Leere, die Trauer, die jedes Ende einer Liebe hinterläßt, wie die letzten Sätze des Romans zum Ausdruck bringen:

Ich konnte nichts tun als leer dasitzen und sie ansehen. Dann kam der Morgen, und sie war es nicht mehr. (S. 383) Gewidmet ist der Roman »J. R. Z.«, das ist Jutta RemarqueZambona, die erste Ehefrau Remarques (Heirat 1925, Scheidung 1930). Weitere Spekulationen über Bezüge des Romans auf Remarques persönliche Liebesgeschichte und ihr Ende durch Scheidung möchte ich mir ersparen.6a

II. Pat

Unter dem Titel Pat hatte Remarque bis zum Januar 1933 eine komplette Reinschrift des Romans erstellt, der dann erst 1936/ 38 unter dem Titel Drei Kameraden erschien.7 Ein Brief von Lotte Preuß an Remarque vom 30.1.1933 belegt, daß er diese Fassung zur Lektüre, vermutlich im Freundesund Bekanntenkreis, weitergegeben hatte. In dem Brief heißt es u. a.:

... ich habe beim Lesen geheult, ich habe beim Schreiben geheult. Ich wollte nicht, weil die Augen noch sehr krank sind, aber ich mußte. Ein schönes Gedicht – der schönste Liebesroman, den ich kenne...8 In einer Inhaltsangabe zu

-569-

seinem »neuen Roman« (vermutlich zu datieren auf 1930/31) schreibt Remarque zu Beginn:

Der Roman spielt in der Gegenwart. Er berichtet ein Stück Leben von jungen Menschen unserer Zeit; von Menschen also, die schon oft etwas aufgegeben und neu begonnen haben; Menschen, die hart um ihr Dasein kämpfen müssen; Menschen ohne Illusionen, die aber wissen, daß der Kamerad Alles und das Schicksal nichts ist.

Der Schlußabsatz dieses Textes lautet:

Das Zusammensein zwischen Robert und dem Mädchen [im Sanatorium] steigert sich jetzt zu einer großen, fast unwirklichen Liebe, die tapfer alle Angst verbirgt. Er hat das Gefühl, daß erst jetzt Alles in Wahrheit beginnt – jetzt wo das Mädchen stirbt.

Todesscenen. Begräbnis. Heimkehr. Zusammenbruch. Flucht an die See, in das Haus, wo beide im Sommer gewohnt haben. Eines Tages erscheint Köster bei Robert. Er ist beim Rennen gestürzt – sein Fuß ist steif – seine Karriere beendet. Beide sind ohne Arbeit – aber sie klagen nicht – sie sehen sich an. Ohne viele Worte gehen sie in das Leben zurück – in den Kampf – geschlagen – aber nicht vernichtet, ohne Hoffnung, aber ungebrochen, mutig und ohne Furcht

– wieder Soldaten in der großen Armee des Lebens.9 Die Reinschrift Pat endet mit der Ankunft Kösters. In Drei Kameraden bildet der Tod Pats den Schluß. Die Umarbeitung von Pat in Drei Kameraden fand ihren Abschluß mit der Vorlage des Druckmanuskripts an den Verlag im Frühjahr 1936.10 Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood bereitet eine Verfilmung des Romans bereits ab

1936 vor.11

Es würde zu weit führen, die Unterschiede von Pat und

-570-