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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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1939, in der von vielen Seiten, außer von Nazideutschland, versucht wurde, die drohende Katastrophe noch abzuwenden.Aber da das deutsche Volk nicht in der Lage war, die eigene kriegslüsterne Regierung und Armee von dem Gang in die Katastrophe abzuhalten, fand sich in den Nachbarländern zunächst nicht die Bereitschaft, den Widerstand, der Aufgabe der Deutschen gewesen wäre, selber zu übernehmen. Ravic, der exilierte Deutsche, der in seinem Kampf gegen die Nazis der Mehrheit seiner Landsleute unterlegen war, die die Nazis gestützt hatten, bemerkt zu dieser Situation bitter:

Jeder wußte,daß dieWelt apathisch in einen neuen Krieg hineintrieb. Niemand hatte etwas dagegen – Aufschub, noch ein Jahr Aufschub – das war alles,worum man sich aufraffte zu kämpfen.

Ravic vergleicht die ihn in Paris umgebende Gesellschaft im letzten Vorkriegsjahr mit einer »Walroßherde«, die sich »eines nach dem anderen mit der Keule« von dem »Jäger« – das ist für Ravic das Deutsche Reich in seiner militanten Kriegspolitik – erschlagen lassen. »Die Geschichte der europäischen Walrosse« ist aber auch die Geschichte der Deutschen,die sich von ihrem Führer und ihren Führern wieder und wieder auf die Schlachtstätte treiben lassen. Am Ende des Romans greift Remarque das Eingangsthema des Wa enstillstandstages wieder auf, diesmal durch den Mann an der Tankstelle, als Ravic nach der Beseitigung der Leiche Haakes nach Paris fährt,

der Kriegserklärung entgegen. Der Mann sagt hilflos und tapfer-resigniert:

Mein Vater fiel im letzten Krieg. Mein Großvater 1871. Ich gehe morgen. Es ist immer dasselbe. Seit ein paar hundert Jahren machen wir das nun schon.Und es nützt nichts, wir müssen wieder gehen.

Ravic weiß, daß dieses unser Jahrhundert »das lausigste, blutigste, korrupteste, farbloseste, feigste und dreckigste« ist, aber trotzdem muß er darin leben, und er versucht zu überleben: »das einfache, starke, direkte Leben« zu leben und auszufüllen, so gut es eben geht, »zwischen Katastrophe und Katastrophe«, obwohl er genau weiß: »Die Welt fährt eifrig fort, ihren Selbstmord vorzubereiten und sich gleichzeitig darüber hinwegzutäuschen«. Aber er stellt sich, genauso wie die weltweite Leserschaft Remarques, immer wieder die Frage des »Warum?« Warum sind Minderheiten immer wieder in der Lage, die große Mehrheit gegen ihren ausdrücklichen Friedenswunsch und Friedenswillen in Kriege und Katastrophen zu hetzen? Auch Ravic weiß zunächst keine Antwort, außer daß wir eben Walrosse sind, wenn wir uns wie Walrosse verhaken.

II.

Ludwig Fresenburg, der Held des Arc de Triomphe, dessen wirklichen Namen wir erst auf der vorletzten Seite erfahren,

ist einVeteran des ErstenWeltkriegs.Seine Erinnerungen an das Grauen des Frontgeschehens durchziehen den Roman als ständige Vorahnung des Kommenden. Die Assoziationen an und Hinweise auf Remarques pazifistischen Erfolgsroman Im Westen nichts Neues sind zahlreich, bis auf die Namensgebung.Ravic erinnert sich an den Gruppenführer Katczinsky und seinen damaligen Freund Paul (Meßmann statt Bäumer), »mit dem er gespielt hatte, die Schule besuchte, von dem er unzertrennlich gewesen war«, der jetzt dalag, »den Magen und Bauch aufgerissen, die Eingeweide hervorquellend«. Die Verflechtung der Erinnerungen mit dem kommenden Zweiten Weltkrieg ist überdeutlich.

In Remarques späterem Rußlandkriegsroman Zeit zu leben und Zeit zu sterben (1954) spielt ein Ludwig Fresenburg, der also den gleichen Namen trägt wie Ravic und ebenfalls Weltkrieg-I-Teilnehmer ist, eine wichtige Kontrastrolle zur Figur des jungen Mitläufers mit schlechtem Gewissen, Ernst Graeber. Fresenburg hat sich 1939 freiwillig gemeldet, weil er sich damals »eingeredet hat, »dasVaterland nicht im Stich lassen zu wollen,wenn es im Kriege war«4,und er kommt zu der Einsicht nach drei Jahren Rußland-Front und drei Jahren Wüten der deutschen Soldateska unter russischen Menschen,daß die Deutschen im Grunde untilgbare Schuld auf sich geladen haben:

Wir haben gehaust wie Attila und Dschingis-Khan.Wir haben jeden Vertrag gebrochen und das menschliche Gesetz.

Und zum Schluß verspricht er seinem jungen Freund Ernst Graeber:

Wir werden lieber dafür sorgen, daß dies nie wieder passierten kann.4

Es kann kein Zufall sein,daß Remarque den tatsächlichen Namen seines Arc de Triomphe-Helden Ravic in dieser Form wieder aufgreift. Möglicherweise reagiert er damit in der ihm eigenen Weise auf eine problematisch erscheinende Haltung, die in seiner Ravic-Figur angelegt ist. Der Arzt mit dem dritten falschen Namen ist ein zynischer Beobachter des »Abendrots der Zivilisation«, einer »müden, gestaltlosen Gottesdämmerung«. Zwar verkörpert er in seinem persönlichen Einsatz für die gesellschaftlich Schwachen, die Kranken und Verfolgten Humanität im besten Sinne, aber er bleibt politisch inaktiv, wenn es um Gegenwehr gegen die Katastrophe geht. Insofern ist er selbst ein Teil der Walroßherde, die er beschreibt. Das erlebte Grauen des Spanischen Bürgerkriegs, in dem Ravic auf republikanischer Seite als Arzt mitgekämpft hat, ist im Arc de Triomphe ständig präsent. Aber nach der Niederlage gegen die spanischen Falangisten und ihre Hilfstruppen der deutschen Wehrmacht scheint er resigniert und fatalistisch, ergeben in die Hinnahme der faschistischen Unrechtstaten.

Erst als durch das Auftauchen seines Gestapo-Folter- knechts Haake die antihumanen Kräfte in der Konkretisierung eines mitleidlosen,das Böse der Macht verkörpernden

Menschen für ihn persönlich greifbar werden,bricht bei Ravic die bis dahin von ihm sorgfältig (unter anderem durch ständiges Trinken in schlaflosen Nächten) abgeschottete Wand derVergangenheitsverdrängung zusammen.Aus der immer unterschwellig vorhandenen »Ho nung auf Rache« erwächst nunmehr ein aktives Widerstandspotential. Der silberne Mondschein über demArc de Triomphe wird ihm zum »grünen Licht der Rache«.

In einem Alptraum zu Beginn des Kapitels 15 sieht er zum Schluß der Horrorvisionen »hinter sich ein Gesicht, hämisch lächelnd, Haakes Gesicht«. Er hatte in all den Jahren, insbesondere nach der erfahrenen Ohnmacht gegenüber der neuen Herrschaft des deutschen Volkes und nach der bitteren Enttäuschung der Niederlage der Humanität im Spanischen Bürgerkrieg, seine »Wünsche mit Zynismus erwürgt, die Erinnerungen mit Härte begraben und eingestampft, alles von sich heruntergerissen bis zum Namen, die Gefühle zementiert«.

Nach dem Auftauchen Haakes in der Alptraumversion kommt es zu einem langen inneren Monolog. Sein bisheriges Leben nennt er: »Saufen im Unterseeboot.« Nunmehr erkennt er:

Ein Leben war ein Leben; es war nichts wert und alles; man konnte es wegwerfen, das war auch einfach. Aber warf man damit nicht auch die Rache weg, und warf man damit nicht auch das weg, was, verhöhnt, bespuckt und lächerlich gemacht,täglich und stündlich,ungefähr

so hieß wie Glaube an Menschlichkeit und Menschheit, trotz allem? Ein leeres Leben – das warf man nicht weg wie eine leere Patrone! Es war immer noch gut genug, um zu kämpfen, wenn die Zeit dafür kam und wenn es gebraucht werden sollte.

Der lächelnde Peiniger Haake hatte die damals von ihm geliebte Frau,Sybil,gefoltert und schließlich in den Selbstmord im KZ getrieben, Ludwig Fresenburg hatte er auf das Übelste geschunden, weil er nicht zum Denunzianten werden wollte und keinen Namen preisgab.

Aber, so reflektiert Ravic, reichen persönliche Gründe aus für die Hinrichtung des gemeinen Mörders Haake, »so bluttief Rache auch war«, wenn es schon keine Möglichkeit gab,ihn vor irgendeinem Gesetz zur Rechenschaft zu ziehen?

Vor der endgültigen Ausführung der Tat schwankt Ravic, was er tun soll. Er fragt sich:

Was geht mich selbst dieser Mensch noch an, dieses kleine zufällige Instrument,dieses belanglose Werkzeug in einem Stück finsteren Mittelalters, einer Sonnenfinsternis in Mitteleuropa?.

Aber dann kommt er zu der entscheidenden Schlußfolgerung. Die Apathie der Menschen – statt des gebotenen persönlichen Einsatzes gegen die Antihumanisten mit allem persönlichen Risiko – hatte den Nazis erst den Weg zur Macht erö net und ihnen die Rolle der Peiniger zugespielt.

Das war es! Das hatte sie groß werden lassen, daß man müde wurde,daß man vergessen wollte,daß man dachte: Was geht es mich an? Das war es! Einer weniger! Ja,einer weniger – das war nichts, aber das war auch alles! Alles! (S. 362) Von diesem Moment an weiß Ravic, daß er als antifaschistische Widerstandstat Haake töten muß und es nicht mehr »seine eigene, kleine Angelegenheit« ist, »sondern weit mehr. Ein Anfang.«

Dieser zum Widerstand entschlossene Ravic ist der Mensch des 20.Jahrhunderts,der die Chance hat,auch den Totalitarismus zu überlisten, ihn schließlich zu besiegen und nach seinem Untergang eine neue Welt aufzubauen. Hier trifft sich der Ludwig Fresenburg aus Arc de Triomphe mit dem Ludwig Fresenburg in Zeit zu leben und Zeit zu sterben, der alles daran setzen will, daß das Elend der Geschichte des 20.Jahrhunderts sich nicht endlos wiederholt. Auf diese Weise bemühen sich beide Fresenburgs – wie auch die anderen humanistischen Figuren der Romane Remarques – darum, »diese Welt um eine Raddrehung aus Blut und Schutt vorwärtsschieben zu helfen«.

III.

Arc de Triomphe ist als zeitpolitischer Roman auch einer der großen Liebesromane der ersten Nachkriegszeit. Dies hat ihm wohl eher die ungeheure Popularität in den

USA verschafft als die Misere von Krieg und Exil. Der Roman wurde zum zweiten Bestseller nach Im Westen nichts Neues. Allein in den USA sollen über 2 Millionen Exemplare verkauft worden sein. Die Filmrechte hat Remarque angeblich für 235 000 Dollar vermarkten können. Der unter Verwendung des Romans gedrehte Film war – trotz Ingrid Bergman, Charles Boyer und Charles Laughton – allerdings ein Mißerfolg, und das, darin ist die Kritik sich weitgehend einig, weil die den Roman stützende und integrierte Struktur der Zeitgeschichte und des humanitären Widerstands gegen den Faschismus im Film zugunsten der Liebesgeschichte von Ravic und Joan Madou mehr oder weniger herausgeschnitten wurde. Im Roman sind Politik und Geschichte unzertrennbar mit dem Liebesthema verwoben. Das macht der Schluß des Romans deutlich. Es geht um die Tötung Haakes und den Tod der Geliebten des aus seiner Apathie erwachenden Widerständlers Ravic.

Nach Vollendung der Tat ist Ravic »leicht und gelöst«, »als wenn ein Schloß von der Vergangenheit abgefallen wäre«. Es ist ihm gelungen, dem »roten Nebel unfähiger Racheho nung zu entkommen«. Er kann wieder Mensch sein und die einfachen Freuden sinnlicherWahrnehmung und das Gefühl, eins mit der Welt zu sein, artikulieren:

Die Landschaft glitt vorüber, Prozessionen von Pappeln reckten ihren fackelhaften,grünen Jubel aufwärts,Felder mit Mohn und Kornblumen breiteten sich aus, aus den

Bäckereien der kleinen Dörfer roch es nach frischem Brot, und aus dem Schulhaus sangen Kinderstimmen zu einer Geige.

Erst durch diese Tat kann Ravic/Fresenburg sich von dem entsetzlichen Trauma der Schuld am Tod seiner Geliebten Sybil befreien. Sie war allein durch ihn in die tödliche Gestapo-Maschinerie gelangt.In seiner verdrängten Erinnerung, deren Emporsteigen zur Oberfläche er krampfhaft mit Calvados und anderen Schnäpsen zu betäuben versucht, kann nun endlich die unwiderruflich Tote Ruhe finden.

Etwas war gelöst, eine Barrikade war weggeräumt, das starre Bild des Entsetzens begann sich zu bewegen, es war nicht mehr festgefroren wie all die Jahre. Der verzerrte Mund fing an, sich zu schließen, die Augen verloren ihre Starrheit, und sanft kehrte das Blut in das kalkweiße Gesicht zurück. Es war nicht mehr eine starre Maske der Furcht – es wurde wieder Sybil, die er kannte, die mit ihm gelebt hatte, deren zärtliche Brüste er gefühlt hatte und die durch zwei Jahre seines Lebens geweht war wie ein Juniabend.

Auf dieseWeise beginnen die in ihm »verbrannten Äcker« wieder zu »grünen«. Denn: «Haakes Tod hatte den Tod aus Sybils Gesicht gelöst.«

In Arc de Triomphe erlebt Ravic die Liebe zu Joan Madou, die ihm tiefe Erfüllung bringt, obgleich er Joan nicht halten kann.Wie fast immer in Remarques Romanen löst

sich das Liebesproblem auf schmerzliche Weise, durch den Tod der Protagonistin.Aber um noch einmal zu verdeutlichen, daß die politisch-zeitgeschichtliche Struktur des Romans mit dem persönlichen und politischen Motiv der Rache an Haake gleichrangig neben der traurigmelancholischen,zeitweise auch jubelnden Liebesgeschichte steht, sei noch auf zwei Zitate verwiesen:

Er hatte Rache gehabt und Liebe. Das war genug. Es war nicht alles, aber es war so viel, wie ein Mann verlangen konnte.Er hatte beides nicht mehr erwartet.Und er hatte Haake getötet und Paris nicht verlassen. Er würde es nicht mehr verlassen. (S. 404-405) Er hatte einen Menschen geliebt und ihn verloren. Er hatte einen anderen gehaßt und ihn getötet. Beide hatten ihn befreit. Der eine hatte sein Gefühl wieder aufbrechen lassen, der andere seine Vergangenheit ausgelöscht. Es war nichts zurückgeblieben, was unerfüllt war … kein Haß und keine Klage … Die Aschen waren ausgeräumt, paralysierte Stellen lebten wieder, aus Zynismus war Stärke geworden. Es war gut.

Ravic entschließt sich, nicht weiterzufliehen. Er stellt sich der Deportation in ein französisches Konzentrationslager mit derWürde des Exilanten.Dem verhörenden Beamten, der ihn darauf hinweist, daß er bestraft werden wird, weil er in Paris richtig gemeldet ist, schleudert er entgegen: »Darauf bin ich stolz.Wenn Menschlichkeit bestraft wird, nur immer zu.«

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