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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Messern. Zucken, die Arme herab, magnetischer Kontakt, weit her von einem fernen Tod. Ich kann nicht mehr operieren, dachte er. Dieses muß erst vorbei sein.

Veber pinselte den geschlossenen Schnitt. »Fertig.« Eugenie kurbelte die Beine der Operierten herunter.

Leise rollte der Wagen hinaus. »Zigarette?« fragte Veber. »Nein. Ich muß fort. Habe etwas zu erledigen. Ist noch

was zu tun hier?«

»Nein.« Veber sah Ravic verwundert an. »Wozu haben Sie es so eilig?Wollen Sie nicht einenVermouth-Soda oder sonst irgend etwas Kühles trinken?«

»Nichts. Ich muß los! Wußte nicht, daß es schon so spät war! Adieu, Veber.«

Er ging rasch hinaus. Taxi, dachte er draußen. Taxi, schnell. Er sah einen Citroën kommen und hielt ihn an. »Zum Hotel ›Prince de Galles‹! Rasch!«

Ich muß Veber sagen, daß er ein paar Tage ohne mich auskommen muß, dachte er. Es geht so nicht. Ich werde verrückt, wenn ich während der Operation plötzlich denke, daß Haake gerade jetzt anrufen könnte.

Er zahlte das Taxi und ging durch die Halle. Es schien endlos zu dauern,bis der Aufzug kam.Er ging den breiten Korridor hinab und schloß das Zimmer auf. Das Telefon. Er hob den Hörer ab,als sei er ein schweres Gewicht.»Hier ist von Horn. Hat jemand für mich angerufen?«

»Einen Augenblick, mein Herr.« Ravic wartete.

Die Stimme der Telefonistin kam zurück. »Nein. Kein Anruf.«

»Danke.«

Morosow erschien nachmittags. »Hast du gegessen?« fragte er.

»Nein. Ich habe auf dich gewartet.Wir können zusammen hier essen.«

»Unsinn. Würde au allen. Niemand ißt in Paris in seinem Zimmer, wenn er nicht krank ist. Geh essen. Ich bleibe hier. Um diese Zeit telefoniert niemand. Jeder ißt. Geheiligter Brauch. Sollte er trotzdem anrufen, bin ich dein Valet, nehme seine Nummer und sage, du wärest zurück in einer halben Stunde.«

Ravic zögerte.»Gut«,sagte er dann.»Ich werde in zwanzig Minuten zurück sein.«

»Laß dir Zeit.Du hast lange genug gewartet.Werde jetzt nicht nervös. Gehst du zu Fouquet’s?«

»Ja.«

»Laß dir von dem o enen 37er Vouvray geben. Habe ihn gerade gehabt. Erste Klasse.«

»Gut.«

Ravic fuhr hinunter.Er überquerte rasch die Straße und ging die Terrasse ab. Dann ging er durch das Restaurant. Haake war nicht da. Er setzte sich an einen leeren Tisch an der Avenue George V. und bestellte boeuf à la mode, Salat, Ziegenkäse und eine Kara e Vouvray.

Er beobachtete sich, während er aß. Er zwang sich zu schmecken, daß der Wein leicht und etwas spritzig war. Er aß langsam, er schaute umher, er sah den Himmel wie eine blaue Seidenfahne über dem Arc de Triomphe hängen, er bestellte noch einen Ka ee, er spürte den bitteren Geschmack, er zündete sich langsam eine Zigarette an, er wollte sich nicht eilen, er saß noch eine Weile, er betrachtete die Menschen, die vorübergingen, dann stand er auf und ging zum »Prince de Galles« hinüber und hatte alles vergessen.

»Wie war der Vouvray?« fragte Morosow. »Gut.«

Morosow holte ein Taschenschachspiel hervor.»Wollen wir eine Partie machen?« »Ja.«

Sie steckten die Figuren in die Löcher des Spiels. Morosow setzte sich in einen Sessel. Ravic saß auf dem Sofa. »Ich glaube nicht,daß ich hier länger als drei Tage bleiben kann ohne Paß«, sagte er.

»Hat die Rezeption schon danach gefragt?«

»Noch nicht. Manchmal verlangen sie Pässe mit Visa bei der Ankunft. Ich bin deshalb nachts eingezogen. Der Nachtknabe hat nicht viel gefragt. Ich habe ihm gesagt, ich brauche ein Zimmer für fünf Tage.«

»In den teuren Hotels nimmt man es nicht so genau.« »Wenn sie kommen und meinen Paß verlangen, wird

es schwierig.«

»Sie werden vorläufig nicht kommen. Ich habe mich erkundigt im George V. und im Ritz. Hast du dich als Amerikaner eingetragen?«

»Nein. Als Holländer von Utrecht. Stimmt nicht ganz mit dem deutschen Namen.Habe ihn deshalb zurVorsicht etwas verändert.Van Horn,nicht von.Klingt gleich,wenn Haake anfragt.«

»Gut. Ich glaube, es wird trotzdem klappen. Du hast ja nicht eines der billigen Zimmer gemietet. Man wird sich nicht um dich kümmern.«

»Ho entlich nicht.«

»Schade, daß du Horn als Namen angegeben hast. Ich weiß eine tadellose Carte d’Identité, noch ein Jahr gültig. Von einem Freund von mir, gestorben vor sieben Monaten. Wir haben ihn bei der Leichenschau als deutschen Refugié ohne Papiere angegeben. Haben so den Ausweis gültig erhalten und gerettet. Es macht ihm nichts aus, als Josef Weiß irgendwo begraben zu liegen. Hier aber haben schon zwei Emigranten mit seinen Papieren gelebt. Iwan Kluge. Kein russischer Name. Das Foto verwischt, Profil, ungestempelt, leicht auszutauschen.«

»Besser so, wie es jetzt ist«, sagte Ravic. »Wenn ich hier ausziehe, gibt es dann keinen Horn mehr und keine Papiere.«

»Es wäre sicherer gewesen für die Polizei.Aber sie wird nicht kommen. Sie kommt nicht in Hotels, wo man mehr als hundert Frank für ein Appartement bezahlt.Ich kenne

einen Refugié, der im Ritz seit fünf Jahren ohne Papiere lebt. Der einzige, der es weiß, ist der Nachtportier. Hast du dir überlegt, was du machst, wenn die Brüder trotz alledem nach dir fragen sollten?«

»Natürlich. Mein Paß liegt auf der argentinischen Gesandtschaft für ein Visum. Werde versprechen, ihn am nächsten Tag zu besorgen. Lasse dann den Ko er hier stehen und komme nicht wieder. Ich habe Zeit für das. Die erste Anfrage wird vom Management kommen, nicht von der Polizei direkt. Ich rechne damit. Nur – dann ist es aus hier.«

»Es wird klappen.«

Sie spielten bis halb neun Uhr. »Geh jetzt Abendbrot essen«, sagte Morosow. »Ich warte hier noch. Dann muß ich los.«

»Ich werde später hier essen.«

»Unsinn. Geh jetzt und iß eine anständige Portion. Wenn der Knabe anruft, mußt du wahrscheinlich zuerst mit ihm trinken. Besser, du hast dann reichlich gegessen. Weißt du, wohin du mit ihm gehen willst?«

»Ja.«

»Ich meine,wenn er noch irgendwas sehen oder trinken will.«

»Ja. Ich weiß genug Plätze, wo sich keiner kümmert.« »Geh jetzt essen. Trink nichts. Iß schwere, fette Sa-

chen.«

»Schön.«

Ravic ging wieder zu Fouquet’s hinüber. Es war alles nicht wirklich, empfand er. Er las das in einem Buch, oder er sah das in einem melodramatischen Film, oder er träumte es. Er ging wieder zuerst beide Seiten von Fouquet’s ab. Die Terrassen waren gedrängt voll. Er kontrollierte jeden einzelnen Tisch. Haake war nirgends.

Er saß an einem kleinen Tisch, nahe der Tür, so daß er den Eingang und die Straße beobachten konnte. Neben ihm unterhielten sich zwei Frauen über Schiaparelli und Mainbocher. Ein Mann mit einem dünnen Bart saß bei ihnen und sagte nichts.Auf der andern Seite sprachen ein paar Franzosen über die Politik. Einer war für das Croix de feu, einer für die Kommunisten – die andern machten sich über beide lustig. Alle betrachteten zwischendurch zwei schöne, selbstsichere Amerikanerinnen, die Vermouth tranken.

Ravic beobachtete die Straße, während er trank. Er war nicht töricht genug, nicht an Zufälle zu glauben. Keine Zufälle gab es nur in guter Literatur – das Leben war täglich voll der albernsten. Er blieb eine halbe Stunde bei Fouquet’s. Es war leichter als mittags. Er ging noch einmal um die Seite an den Champs-Elysées und dann ins Hotel zurück.

»Hier ist der Schlüssel für deinen Wagen«, sagte Morosow. »Ich habe ihn umgetauscht. Es ist ein blauer Talbot jetzt, mit Ledersitzen. Der andere hatte Sitze aus Kord. Leder kann man leichter abwaschen. Es ist ein Kabriolett,

du kannst es o en und geschlossen fahren. Laß aber immer die Fenster o en.Wenn du im geschlossenen Wagen schießen mußt, schieß so, daß das Fenster dahinter o en ist, damit die Kugel keine Spuren im Wagen hinterläßt. Ich habe den Talbot für zwei Wochen gemietet. Bringe ihn auf keinen Fall gleich in die Garage hinterher. Laß ihn in einer der Seitenstraßen stehen, die immer voll sind mit Wagen. Auslüften. Er steht jetzt in der Rue de Berri, gegenüber dem ›Lancaster‹.«

»Gut«, sagte Ravic. Er legte den Schlüssel neben das Telefon.»Hier sind dieWagenpapiere.Einen Führerschein konnte ich nicht besorgen. Wollte nicht zu viele Leute fragen.«

»Ich brauche keinen.Bin in Antibes die ganze Zeit ohne einen gefahren.«

Ravic legte die Wagenpapiere zu den Schlüsseln.»Parke den Wagen heute nachr in einer andern Straße«, sagte Morosow.

Melodrama, dachte Ravic. Schlechtes Melodrama. »Ich werde es machen. Danke, Boris.«

»Ich wollte, ich könnte mit dir kommen.« »Ich wollte nicht. So was macht man allein.«

»Ja. Aber nimm keine Chance und gib keine. Erledige ihn und fertig.

Ravic lächelte. »Das hast du mir schon ein dutzendmal gesagt.«

»Man kann es nicht oft genug sagen. Es ist verdammt,

was für Blödsinn einem in kritischen Momenten in den Schädel kommt. War mit Wolkowski in Moskau 1915 so. Hatte plötzlich den Ehrenfimmel.Jägerfimmel.Nicht kaltblütig abschlachten und so.Wurde erschossen von einem Schwein. Hast du genug Zigaretten?«

»Hundert. Und ich kann hier für alles telefonieren.« »Komm ’rüber und weck mich, wenn ich nicht mehr in

der Scheherazade bin.«

»Ich komme auf jeden Fall. Ganz gleich, ob nun etwas passiert.«

»Gut. Servus, Ravic.« »Servus, Boris.«

Ravic schloß die Tür hinter Morosow. Das Zimmer war plötzlich sehr still. Er setzte sich in die Ecke des Sofas. Er sah auf die Tapeten.Sie waren aus blauem Sto ,mit Leisten eingefaßt. Er kannte sie besser in zwei Tagen als andere, in denen er viele Jahre gelebt hatte. Er kannte die Spiegel, er kannte den grauen Velour des Fußbodens mit dem dunklen Fleck am Fenster,er kannte jede Linie des Tisches, des Bettes, die Bezüge der Sessel – er kannte alles zum Erbrechen genau –, nur das Telefon kannte er nicht.

29 Der Talbot stand in der Rue de Bassano zwischen einem Renault und einem Mercedes-Benz. Der Mercedes war neu und hatte ein italienisches Nummernschild.Ravic manövrierte den Talbot heraus.Er war so ungeduldig,daß er nicht genau aufpaßte; die hintere Stoßstange des Talbots streifte den linken Kotflügel des Mercedes und hinterließ einen Kratzer. Er kümmerte sich nicht darum. Rasch fuhr er den Wagen zum Boulevard Haussmann hinunter.

Er fuhr sehr schnell.Es war gut,den Wagen in der Hand zu haben. Es war gut gegen die finstere Enttäuschung, die ihm wie Zement im Magen saß.

Es war vier Uhr morgens. Er hätte länger warten sollen. Aber plötzlich war ihm alles sinnlos erschienen. Haake hatte wahrscheinlich längst die kleine Episode vergessen. Vielleicht war er überhaupt nicht wieder nach Paris gekommen. Die hatten drüben jetzt andere Sachen zu tun.

Morosow stand vor der Tür der Scheherazade. Ravic parkte den Wagen um die nächste Ecke und ging zurück. Morosow sah ihm entgegen. »Hast du meinen Anruf bekommen?«

»Nein. Warum?«

»Ich habe vor fünf Minuten angerufen. Da sitzt eine Gruppe von Deutschen bei uns. Einer sieht aus wie …«

»Wo?«

»Neben dem Orchester. Der einzige Tisch mit vier Männern. Du kannst ihn von der Tür aus sehen.«

»Gut.«

»Nimm den kleinen Tisch neben dem Eingang.Ich habe ihn freihalten lassen.« – »Gut, gut, Boris.«

Ravic blieb in der Tür stehen. Der Raum war dunkel. Das Scheinwerferlicht lag voll auf der Tanzfläche. Eine Sängerin stand dort in einem silbernen Kleid.Der schmale Lichtkegel war so stark, daß man nichts außerhalb erkennen konnte. Ravic starrte zu dem Tisch neben dem Orchester hinüber. Er konnte ihn nicht sehen. Das weiße Flirren schloß ihn ab.

Er setzte sich an den Tisch neben der Tür. Ein Kellner brachte eine Kara e Wodka. Das Orchester schien zu schleppen.Der süßliche Melodiennebel kroch und kroch, schneckenhaft langsam. J’attendrai – j’attendrai.

Die Sängerin verneigte sich. Applaus flatterte auf. Ravic beugte sich vor. Er wartete auf das Erlöschen des Scheinwerfers. Die Sängerin wandte sich zum Orchester. Der Zigeuner nickte und setzte die Geige an. Das Cymbal warf ein paar gedämpfte Läufe hoch. Das zweite Lied. La chapelle au clair de la lune. Ravic schloß die Augen. Das Warten war fast unerträglich.

Er saß wieder aufrecht, lange, bevor das Lied zu Ende war.Der Scheinwerfer erlosch.Die Lichter an den Tischen glühten auf. Er konnte im ersten Moment nichts anderes sehen als undeutliche Umrisse. Er hatte zu lange in den Scheinwerfer gestarrt. Er schloß noch einmal die Augen und sah auf. Er fand den Tisch sofort.

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