Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

.pdf
Скачиваний:
305
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.15 Mб
Скачать

ist.Es fehlt nur noch der rätselhafte Komet des Mittelalters, um die Vorzeichen voll zu machen.«

»Der Komet ist da.« Ravic zeigte auf die laufenden Leuchtschriften über dem Zeitungsgebäude,die sich ohne Pause zu jagen schienen, und auf die Menge, die schweigend davorstand, die Köpfe zurückgereckt.

Sie saßen eine Zeitlang. Ein Ziehharmonikaspieler postierte sich am Bordrand und spielte La Paloma. Die Teppichhändler mit den seidenen Keshans über den Schultern erschienen. Ein Junge verkaufte Pistazien zwischen den Tischen. Es schien alles wie immer – bis die Händler mit den neuen Zeitungsausgaben kamen. Sie wurden ihnen sofort aus den Händen gerissen, und die Terrasse sah ein paar Sekunden später mit all den entfalteten Zeitungen aus, als wäre sie begraben unter einem Schwarm riesiger, weißer,blutloser Motten,die mit leise schlagenden Flügeln gierig auf ihren Opfern saßen.

»Da geht Joan«, sagte Morosow. »Wo?«

»Drüben.«

Joan ging schräg über die Straße zu einem grünen, o enen Wagen hinüber, der an der Champs-Elysées geparkt war. Sie sah Ravic nicht. Der Mann, der mit ihr war, ging um den Wagen herum und setzte sich ans Steuer. Er trug keinen Hut und war ziemlich jung. Er manövrierte den Wagen geschickt aus den andern heraus. Es war ein niedriger Delahaye.

»Schöner Wagen«, sagte Ravic.

»Schöne Reifen«, erwiderte Morosow und schnaufte. »Braver eiserner Ravic«, setzte er ärgerlich hinzu. »Detachiert und mitteleuropäisch. Schöner Wagen.Verfluchtes Luder – das würde ich verstehen.«

Ravic lächelte. »Was macht das aus? Luder oder Heilige – es ist immer nur, was man selber daraus macht. Du verstehst das nicht, mit deinen sechzehn Frauen, du friedlicher Bordellbesucher. Die Liebe ist kein Händler, der seine Einlagen zurückhaben will. Und die Phantasie braucht nur ein paar Nägel, um ihre Schleier daran zu hängen. Ob es goldene, blecherne oder verrostete sind, macht ihr nichts. Wo sie sich fängt, da fängt sie sich. Dornbüsche und Rosensträucher – wenn der Schleier aus Mond und Perlmutter darüber fällt, sind beide Märchen aus Tausendundeiner Nacht.«

Morosow nahm einen SchluckWein.»Du redest zuviel«, sagte er. »Außerdem stimmt das alles nicht.«

»Das weiß ich.Aber in völliger Dunkelheit ist ein Irrlicht auch schon ein Licht, Boris.«

Die Kühle kam auf silbernen Füßen vom Etoile her. Ravic legte seine Hand um das beschlagene Glas mit Wein. Es war kühl unter seiner Hand. Sein Leben war kühl unter seinem Herzen. Der tiefe Atem der Nacht trug es, und mit ihm kam die tiefe Gleichgültigkeit gegen das Schicksal. Das Schicksal und die Zukunft. Wann war das schon einmal so ähnlich gewesen? In Antibes, erinnerte

er sich. Als er wußte, daß Joan ihn verlassen würde. Es war eine Gleichgültigkeit, die zu Gleichmut wurde. So wie der Entschluß,nicht zu fliehen.Nicht mehr zu fliehen. Es gehörte zusammen. Er hatte Rache gehabt und Liebe. Das war genug. Es war nicht alles, aber es war so viel, wie ein Mann verlangen konnte. Er hatte beides nicht mehr erwartet. Er hatte Haake getötet und Paris nicht verlassen. Er würde es nicht mehr verlassen. Es gehörte dazu. Wer eine Chance nahm, mußte auch eine geben. Das war nicht Resignation; es war die Ruhe eines Entschlusses, jenseits von Logik.Aus Schwanken wurde Halt.Etwas war geordnet. Man wartete, sammelte sich und sah sich um. Es war wie ein mystisches Vertrauen, zu dem das Dasein sich sammelte vor einer Zäsur. Nichts war mehr von Bedeutung. Alle Flüsse wurden still. Ein See hob seinen Spiegel in die Nacht; der Morgen würde zeigen, wohin er sich ergießen würde.

»Ich muß gehen«, sagte Morosow und sah auf die Uhr.

»Gut. Ich bleibe noch, Boris.«

»Die letzten Abende vor der Götterdämmerung mitnehmen, wie?«

»Genau. Das wird alles nicht wiederkommen.« »Ist das so schlimm?«

»Nein.Wir kommen ja auch nicht wieder. Das Gestern ist verloren, und keine Tränen und Beschwörungen bringen es zurück.«

»Du redest zu viel.« Morosow stand auf. »Sei dankbar. Du erlebst das Ende eines Jahrhunderts mit. Es war kein gutes Jahrhundert.«

»Es war unseres. Du redest zuwenig, Boris.« Morosow trank den Rest seines Glases stehend aus. Er

stellte es so vorsichtig zurück,als wäre es aus Dynamit und wischte sich den Bart. Er war in Zivil und stand mächtig und groß vor Ravic.»Glaube nicht,daß ich nicht verstehe, warum du nicht weg willst«, sagte er langsam. »Ich verstehe sehr gut, daß du nicht weiter willst, du fatalistischer Knochenschreiner.«

Ravic kam früh ins Hotel zurück. Im Vestibül sah er eine kleine verlorene Figur sitzen, die bei seinem Eintritt aufgeregt,mit einem sonderbaren Schwung beider Hände, vom Sofa aufstand. Er bemerkte, daß ein Bein der Hose keinen Fuß hatte.Ein schmutziger,splittriger Holzstumpf ragte statt dessen darunter hervor.

»Doktor – Doktor …«

Ravic blickte genauer hin. Im trüben Licht des Foyers sah er das Gesicht eines Jungen, breitgezogen in ein einziges Grinsen. »Jeannot«, sagte er überrascht. »Natürlich, das ist Jeannot!«

»Richtig! Immer noch! Ich warte schon den ganzen Abend hier. Habe erst heute nachmittag Ihre Adresse gekriegt.

Hatte schon vorher ein paarmal versucht, sie von dem alten Teufel, der Oberschwester in der Klinik, zu erfah-

ren. Aber sie sagte mir jedesmal, Sie wären nicht mehr in Paris.«

»Ich war auch eine Zeitlang nicht hier.«

»Heute nachmittag hat sie mir endlich erklärt, daß Sie hier wohnen. Da bin ich gleich gekommen.« Jeannot strahlte.

»Ist etwas los mit deinem Bein?« fragte Ravic. »Nichts!« Jeannot klopfte auf den Holzstumpf,als klopfe

er einem treuen Hunde auf den Rücken. »Absolut nichts. Alles tadellos.«

Ravic blickte auf den Stumpf. »Ich sehe, du hast, was du wolltest. Wie bist du mit der Versicherung auseinandergekommen?«

»Nicht schlecht. Sie haben mir ein mechanisches Bein bewilligt. Ich habe das Geld dafür von dem Geschäft mit fünfzehn Prozent Abzug bekommen. Alles in Ordnung.«

»Und deine Crèmerie?«

»Deshalb bin ich hier. Wir haben das Milchgeschäft aufgemacht. Klein, aber wir kommen durch. Mutter verkauft. Ich kaufe ein und verrechne. Habe gute Quellen. Direkt vom Lande.«

Jeannot hinkte zu dem abgeschabten Sofa zurück und holte ein festverschnürtes, braun eingepacktes Paket. »Hier, Doktor! Für Sie! Ich habe Ihnen das mitgebracht. Nichts Besonderes. Aber alles aus unserem Geschäft

– das Brot, die Butter, der Käse, die Eier. Wenn man mal

keine Lust hat, auszugehen, ist das schon ein ganz gutes Abendessen, wie?«

Er schaute eifrig in Ravics Augen. »Das ist sogar immer ein gutes Abendessen«, sagte Ravic.

Jeannot nickte befriedigt. »Ich ho e, Sie mögen den Käse. Es ist Brie und etwas Pont l’Evêque.«

»Das sind meine Lieblingskäse.«

»Großartig!« Jeannot schlug sich vor Vergnügen kräftig auf den Rest seines eigenen Beins. »Der Pont l’Evêque war Mutters Idee. Ich dachte, Sie hätten Brie lieber. Brie ist mehr ein Käse für einen Mann.«

»Beide sind erstklassig. Ihr konntet es nicht besser treffen.« Ravic nahm das Paket. »Danke, Jeannot. Es kommt nicht oft vor, daß Patienten sich an ihren Arzt erinnern. Meistens kommen sie nur, um von ihrer Rechnung etwas abzuhandeln.«

»Die Reichen, eh?« Jeannot nickte pfi g. »Wir nicht. Schließlich verdanken wir Ihnen doch alles. Wenn das Bein nur steif geblieben wäre, hätten wir fast nichts gekriegt.«

Ravic sah ihn an. Glaubt er etwa, ich habe ihm das Bein aus Gefälligkeit amputiert? dachte er.

»Wir konnten nichts anderes machen als amputieren, Jeannot«, sagte er.

»Sicher.« Jeannot zwinkerte ihm zu.»Klar.« Er zog seine Kappe tiefer in die Stirn.»Dann will ich jetzt gehen.Mutter wartet bestimmt schon. Ich bin schon lange von zu Hause

fort.Muß auch noch jemand sprechen,wegen eines neuen Roquefort. Adieu, Doktor. Ho entlich schmeckt es.«

»Adieu, Jeannot. Danke. Und viel Glück.« »Glück werden wir schon haben!«

Die kleine Gestalt winkte und hinkte selbstbewußt hinaus.

Ravic packte in seinem Zimmer die Sachen aus. Er suchte und fand einen alten Spirituskocher, den er seit Jahren nicht mehr gebraucht hatte. Irgendwo fand er auch ein Paket Hartspiritus und eine kleine Pfanne. Er nahm zwei Vierecke des Heizsto s, legte sie auf den Kocher und zündete sie an. Die schmale, blaue Flamme flackerte. Er warf ein Stück Butter in die Pfanne, brach zwei Eier und mischte sie hinein. Dann schnitt er das frische, knusprige, weiße Brot, stellte die Pfanne mit ein paar Zeitungen als Unterlage auf den Tisch, ö nete den Brie, holte eine Flasche Vouvray und begann zu essen. Er hatte das lange nicht mehr getan. Er beschloß, morgen eine größere Anzahl Pakete mit Hartspiritus zu kaufen. Den Kocher konnte er leicht mitnehmen in ein Lager. Er war zusammenklappbar.

Ravic aß langsam. Er versuchte auch noch den Pont l’Evêque. Jeannot hatte recht – es war ein gutes Abendessen.

32 »Der Auszug aus Ägypten«, sagte der Doktor der Philologie und Philosophie Seidenbaum zu Ravic und Morosow, »ohne Moses.«

Er stand dünn und gelb neben der Tür des »International«. Draußen verluden die Familien Stern, Wagner und der Junggeselle Stolz ihre Sachen. Sie hatten zusammen einen Möbelwagen gemietet.

Unter dem hellen Augustnachmittag stand eine Anzahl Möbel auf der Straße.Ein vergoldetes Sofa mit Aubussonüberzug, ein paar vergoldete Sessel dazu und ein neuer Aubussonteppich. Sie waren das Eigentum der Familie Stern.Ein mächtiger Mahagonitisch wurde gestellt.Selma Stern, eine Frau mit verwelktem Gesicht und Sammetaugen, behütete ihn wie eine Glucke ihre Küken.

»Achtung! Die Platte! Machen Sie keinen Kratzer! Die Platte! Vorsicht! Vorsicht!«

Die Platte war poliert und gewachst. Sie war eines der Heiligtümer,für die Hausfrauen ihr Leben riskieren.Selma Stern umflatterte den Tisch und die beiden Packer,die ihn völlig unbeteiligt aus dem Hotel trugen und ihn draußen niedersetzten.

Die Sonne schien auf die Platte. Selma bückte sich mit einem Wischtuch darüber. Sie polierte nervös die Ecken. Die Platte reflektierte wie ein dunkler Spiegel ihr bleiches Gesicht,als sähe eine tausendjährigeVorfahrin sie fragend aus dem Spiegel der Zeit an.

Die Packer erschienen mit einem Mahagonibüfett. Es war ebenso gewachst und poliert.Einer der Männer drehte sich zu früh herum, und eine Ecke des Büfetts schrammte den Türeingang des Hotels »International«.

Selma Stern schrie nicht. Sie stand wie versteinert da, eine Hand mit dem Wischtuch erhoben, den Mund halb o en,als sei sie versteinert,während sie gerade dasWischtuch in den Mund stopfen wollte.

Josef Stern, ihr Mann, klein, mit einer Brille und hängender Unterlippe, näherte sich ihr. »Nu, Selmachen …« Sie sah ihn nicht. Sie starrte ins Leere. »Das Büfett …«

»Nu, Seimachen. Wir haben die Visa …«

»Das Büfett von meiner Mutter. Von meinen Eltern …«

»Nu,Selmachen.Ein Kratzer.Schon so ein Kratzerchen. Hauptsache, wir haben die Visa …«

»Das bleibt. Das kann man nie mehr wegkriegen.« »Madame«,sagte der Möbelpacker,der nichts verstand,

aber genau wußte, worum es ging. »Packen Sie doch Ihren Kram selbst. Ich habe die Tür nicht zu schmal gemacht.«

»Sales boches«, sagte der andere.

Josef Stern wurde lebendig. »Wir sind keine boches«, sagte er. »Wir sind Emigranten.«

»Sales Refugiés«, sagte der Mann.

»Siehste, Selmachen, da stehen wir nu«, sagte Stern. »Was mache wer nu? Was ham wer schon für Geseires

gehabt mit deine Mahagoni. Aus Koblenz sind wir vier Monate später ’raus, weil du dich nicht trennen konntest. Achtzehntausend Mark Reichsfluchtsteuer mehr hat uns das gekostet. Und nu stehn wir hier auf der Straße, und das Schi wartet nicht.«

Er legte den Kopf zur Seite und sah bekümmert auf Morosow.»Was soll man machen?« sagte er.»Sales boches! Sales refugiés! Sag’ ich ihm jetzt, wir sind Juden, wird er sagen: Sales juifs, und dann ist es ganz aus.«

»Geben Sie ihm Geld«, sagte Morosow. »Geld? Er wird es mir ins Gesicht schmeißen.«

»Ausgeschlossen«, erwiderte Ravic. »Wer so schimpft, ist immer bestechlich.«

»Es ist gegen meinen Charakter. Beleidigt werden und noch dafür bezahlen.«

»Wirkliche Beleidigungen fangen erst an, wenn sie persönlich werden«, erklärte Morosow. »Dies war eine allgemeine Beleidigung.Beleidigen Sie den Mann zurück, indem Sie ihm ein Trinkgeld geben.«

In Sterns Augen funkelte ein Lächeln. »Gut«, sagte er zu Morosow. »Gut.«

Er nahm ein paar Scheine heraus und gab sie den Pakkern. Beide nahmen sie verachtungsvoll. Stern steckte verachtungsvoll seine Brieftasche wieder ein. Die Packer sahen sich um. Dann begannen sie, die Aubussonstühle einzuladen.Das Büfett nahmen sie aus Prinzip zuletzt.Als sie es einluden,gaben sie ihm eine Drehung,und die rechte

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]